Warum die ÖVP für den Verbrennungsmotor und gegen das E-Auto ist
Von Gernot Bauer, Christina Hiptmayr und Clara Peterlik
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Mittwoch vergangener Woche, 14.15 Uhr, Schichtende im Opelwerk in Wien-Aspern. Die Arbeiter verlassen die Fabrik. Statt 2000 wie einst sind es heute nur noch rund 200. Die meisten der hier Beschäftigten sind Männer, seit 20, 30 Jahren im Betrieb. Über vier Dekaden produzierten hier Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Getriebe und Motoren für den deutschen Autokonzern. „Nein, wir scheißen nicht drauf. Wir liefern Qualität bis zum Schluss und gehen mit erhobenem Haupt aus dem Werk“, sagt Arbeiterbetriebsrat Christoph Rohm. In wenigen Wochen wird die Produktionsstätte, die mittlerweile zum – aus der Fusion von Fiat und Peugeot entstandenen – Weltkonzern Stellantis gehört, ihr letztes Getriebe hergestellt haben. Dann ist Schluss, auch technologisch: Statt in herkömmliche Motoren investiert Stellantis in Elektromobilität, die dafür nötigen Batteriezellen sollen in Frankreich und Deutschland hergestellt werden, nicht in Wien.
Batterie oder Verbrennungsmotor? Strom oder Sprit? Mobilität mit Elektrizität oder durch Treibstoffe? Mit welcher Antriebstechnologie werden Autos in Zukunft fahren? Es ist eine Jahrhundertentscheidung, vor der die Automobilindustrie weltweit steht. Allein in Europa geht es um 13 Millionen Arbeitsplätze. Die Mehrheit der Hersteller und auch die EU-Kommission setzen auf Batterien. Doch die deutsche Regierung blockiert – und im Verbund nun auch Österreich. Der Verbrennungsmotor soll bleiben. Was die Volkspartei als industriepolitische Strategie verkauft, ist tatsächlich ein Wahlkampfmanöver.
Fetisch Auto im Wahlkampf
Tief im Herzen ist ÖVP-Obmann Karl Nehammer ein Benzinbruder. Vergangenen Montag bat er zu einem Autogipfel ins Kanzleramt. Geladen waren Personen, vor allem Männer, mit Bezug zur Autoindustrie: Klaus von Moltke (BMW), Roland Prettner (Magna), Patricia Neumann (Siemens), dazu Interessensvertreter wie Industrie-Präsident Georg Knill sowie Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Sie alle gaben die Komparsen für eine Veranstaltung, die Reinhold Binder, Vorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, „Showpolitik“ nennt.
Nach seinem Autosalon verkündete der Bundeskanzler das schwarze Credo zur Zukunft der Individualmobilität. Es gehe um ein „Ja zum Auto“ und „gegen ein Verbrenner-Verbot“ in der EU. Allerdings: Ein „Nein zum Auto“ fordert nicht einmal der Grünste unter seinen grünen Koalitionspartnern. Und ein „Verbrenner-Verbot“ existiert in der Union genau genommen auch nicht.
Doch eine Woche vor der Europawahl am 9. Juni benötigte der ÖVP-Obmann noch dringend öffentliche Aufmerksamkeit. Und das Thema „Auto“, Nehammer weiß das genau, emotionalisiert die Bürger. Laut einer aktuellen Umfrage des Gallup-Instituts im Auftrag der Wiener Städtischen Versicherung hat der eigene Pkw für 62 Prozent der Bevölkerung einen hohen Stellenwert, im ländlichen Raum, wo die ÖVP-Wähler leben, sind es 68 Prozent. Deutschlands „Auto-Papst“ Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft, sieht den Einsatz für den Verbrennungsmotor als reinen Kampagnen-Gag: „Alle konservativen Parteien stürzen sich jetzt auf dieses Thema, weil man glaubt, bei dieser Europawahl ein paar Stimmen einfangen zu können.“
Vereinte Benzinbrüder
Im März 2023 hatten sich die EU-Kommission und Deutschland nach einem monatelangen Streit auf ein Aus für klassische Verbrenner wie Benziner oder Dieselmotoren geeinigt. Ab 2035 dürfen in der EU nur noch emissionsfreie Neuwagen neu zugelassen werden. Gänzlich „emissionsfrei“ laufen nur E-Autos, die von einer Batterie oder Brennstoffzelle angetrieben werden. Allerdings setzte die deutsche Regierung, angetrieben von Vizekanzler Christian Lindner und Verkehrsminister Volker Wissing (beide FDP), eine Ausnahmeregelung vom pauschalen Verbrenner-Verbot durch. So bleiben ab 2035 auch Autos mit Verbrennungsmotoren erlaubt, wenn diese mit sogenannten E-Fuels betankt werden. Dieser synthetische Sprit aus Wasserstoff und CO2 ist zwar nicht „emissionsfrei“, aber immerhin „emissionsneutral“, da er mit Ökostrom erzeugt wird und bei seiner Herstellung genau so viel CO2 aus der Atmosphäre im Kraftstoff gebunden wird, wie später bei der Verbrennung wieder emittiert wird.
Die FDP verbuchte die Einigung als Erfolg, und auch die ÖVP zeigte sich über das Einlenken der EU-Kommission – und den eigenen Beitrag dazu – in einer Aussendung erfreut: „Das innovationsschädliche Aus des Verbrennungsmotors, das die österreichische Industrie schwer getroffen hätte, konnte von Bundeskanzler Nehammer gemeinsam mit internationalen Partnern in der EU erfolgreich verhindert werden.“ Die „internationalen Partner“ sind vor allem die Freunde von CDU in Berlin und CSU in München.
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Austrian Chancellor Nehammer visits BMW engine factory in Steyr
Aus vom Verbrenner-Aus
ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehahmmer bei BMW Steyr im Jahr 2023
„Das Aus vom Verbrenner-Aus“, das Nehammer fordert, war also schon vor mehr als einem Jahr besiegelt, allerdings geht die Ausnahmeregelung aus Sicht des Kanzlers offenbar nicht weit genug. Daher wird der Kampfbegriff „Verbrenner-Verbot“ – kombiniert mit Kritik an Brüssel – weiter zum Einsatz kommen, auch im Herbst vor der Nationalratswahl am 29. September. Nehammers bayerischer Spezl, Ministerpräsident Markus Söder, gibt sich ebenfalls forsch: „Das Verbrenner-Aus für 2035 ist falsch und muss deshalb zurückgenommen werden.“
Die österreichischen Grünen um Vizekanzler Werner Kogler und Klimaministerin Leonore Gewessler hadern mit ihrem Koalitionspartner. Kogler ortete nach Nehammers Autogipfel „viel altes Denken, das von Öl-Lobbyisten hineingetragen wird“. Die Grünen befürchten, dass der mühsam erzielte Kompromiss zwischen EU-Kommission und Deutschland weiter aufgeweicht wird, vor allem wenn die konservativen und rechten Parteien bei der Europawahl gestärkt werden. Denn auf dem Weg zum emissionsfreien Auto ist noch eine Hürde zu nehmen. Im Jahr 2026 sollen die Maßnahmen evaluiert werden. Theoretisch könnte das Verbot der klassischen Benzin- und Dieselmotoren weiter nach hinten verschoben werden.
Auch die christlich-soziale EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei, wies im Europawahlkampf wiederholt auf die „Überprüfung“ der Regelung 2026 hin. Wie ihre Parteifreunde in Wien und München fordert auch von der Leyen „Technologieoffenheit“. Heißt: Die Industrie soll ohne staatliche Vorgaben oder gar Regulierungen selbst wählen, in welches System sie Milliardenbeträge investieren will.
Entscheidung für Elektro gefallen
Stellantis hat das längst getan. Der Weltkonzern reagierte auf die Zeichen der Zeit und beschloss eine harte Kehrtwende. Arbeiterbetriebsrat Christoph Rohm hatte als Lehrbub noch die goldenen Zeiten erlebt. Ende der 1970er-Jahre „lockte“, wie es in der internen „Opelpost“ heißt, Bundeskanzler Bruno Kreisky den deutschen Autohersteller nach Wien. Damals war die Donaustadt in Aspern vor allem Pampa. Heute leuchten die Kräne der neugebauten Seestadt hinter dem weißen Fabrikbau auf. Es war ein Prestigeprojekt der heimischen Industrie – mehr als 2000 Menschen arbeiteten dort, Lehrlinge wurden ausgebildet.
Dann traf die Wirtschaftskrise den Opel-Mutterkonzern General Motors, und in den folgenden Jahren wurde der Wind rauer. 2017 wurde Opel an die französische PSA-Gruppe (Peugeot) verkauft. Bereits ein Jahr später drohte das Unternehmen, den Donaustädter Standort zu schließen. Die Stadt Wien schoss eine Million Euro zu. Zwei Jahre später verlor Aspern einen Großauftrag von General Motors. Der letzte Motor lief vom Band, die Sechs-Gang-Getriebe wurden weiter produziert. Doch die Mitarbeiter wurden weniger, dazu kamen Corona und Lieferkettenprobleme. Nach der Fusion von PSA und Fiat Chrysler im Jahr 2021 ist der Konzern weiter gewachsen. Unter dem Namen Stellantis sind 15 Automarken vereint, darunter Fiat, Peugeot, Opel, Jeep, Alfa Romeo und Citroën.
Ab 2030 will Stellantis in Europa nur mehr Autos mit Elektroantrieb verkaufen. In den USA soll zumindest die Hälfte der verkauften Autos elektrisch sein. Insgesamt sollen 52 Prozent des Umsatzes aus E-Auto-Verkäufen erlöst werden, 26 Prozent aus Verbrennern und Hybridfahrzeugen, der Rest aus Dienstleistungen und Software.
Harte Zeiten für Auto-Zulieferindustrie
Wie Stellantis steht auch die heimische Auto-Zulieferindustrie vor einer historischen Zäsur. Sie umfasst rund 900 Betriebe. Mit über 80.000 Mitarbeitern erwirtschaftete sie zuletzt einen Umsatz von 28,5 Milliarden Euro und liefert von Antriebstechnologie über Karosserie und Interieur bis hin zu Elektronik so ziemlich jede Komponente, die in einem Fahrzeug, egal ob elektrisch oder fossil betrieben, verbaut werden kann. Ein Drittel der Unternehmen sind reine Auto-Zulieferer, zwei Drittel bedienen auch andere Branchen.
„Die letzten Monate waren sehr hart“, sagt Clemens Zinkl, Geschäftsführer der ARGE „Automotive Zulieferindustrie“, „hohe Inflation, steigende Zinsen und die Unsicherheit darüber, welche Fahrzeuge man in den nächsten Jahren noch fahren kann, haben dazu geführt, dass Nachfrage und Auftragslage zurückgingen.“ Der Branchenvertreter erwartet auch für die nächsten Monate eine weitere Reduktion bei den Beschäftigten. Eine Besserung der konjunkturellen Lage scheint also nicht in Sicht.
„Wir haben sehr viel Expertise in der Verbrenner-Technologie“, sagt Zinkl. Genau deswegen, so ist zu vermuten, tun sich manche in der Branche auch so schwer mit der Transformation. „Der Umstieg ist nicht so einfach. Eine Industrie kann man nicht in wenigen Monaten umstellen“, so Zinkl. Der Wechsel zur Elektromobilität, getrieben durch die europäischen Klimaziele und den Green Deal der EU-Kommission, hat enorme Auswirkungen auf die Zukunft der Branche und greift tief in die Produktionsprozesse ein. Zur Veranschaulichung: Ein Verbrennungsmotor besteht aus rund 2000 beweglichen Teilen, ein Elektromotor aus etwa 20.
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Vizekanzler Kogler glaubt an das E-Auto
Vizekanzler Kogler glaubt an das E-Auto
Ja zum Verbrenner-Aus
Vizekanzler Werner Kogler (Die Grünen) glaubt an das E-Auto.
Das in Laakirchen domizilierte oberösterreichische Familienunternehmen Miba richtete sich bereits strategisch neu aus. Schon 2010 übernahm man zwei Hersteller für Leistungselektronik-Komponenten, die etwa in der Energieerzeugung und bei elektrischen Antrieben Verwendung finden. In Bad Leonfelden betreibt der Konzern ein eigenes Batteriewerk und konnte binnen zwei Jahren seine Umsätze mit Technologien für Elektrofahrzeuge vervierfachen.
Miba wurde als ausgewiesener Spezialist für Verbrennungsmotoren zum Leitbetrieb. Heute sieht man sich mit 290 Produktionsstandorten und fast 8000 Beschäftigten – davon 3000 in Österreich – nicht mehr als Autozulieferer. „Wir machen nur 40 Prozent unseres Umsatzes mit Automotive, den Rest in einem ganz breiten Spektrum von Technologien entlang der gesamten Energie-Wertschöpfungskette“, heißt es aus dem Unternehmen. Zum Portfolio zählen Technologien für die Wind- und Wasserkraft, für Stromnetze, zur Energiespeicherung und Komponenten für Fahrzeuge, Schifffahrt, Luftfahrt, Bau- oder Landmaschinen. Und man betont: „Ganz gleich, ob rein elektrisches Fahren, Hybridantrieb oder Verbrenner, wir entwickeln und produzieren Komponenten für alle Antriebsformen.“
Mit seiner Diversifizierungsstrategie scheint das Unternehmen gut zu fahren: In den vergangenen 15 Jahren verzeichnete es eine Verdreifachung des Umsatzes. „Wir sind im Schnitt jährlich um acht Prozent gewachsen, doppelt so schnell wie die Weltwirtschaft“, erklärte Vorstandschef F. Peter Mitterbauer anlässlich der Präsentation der Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2023/24. Zuletzt gab es ein Umsatzplus von 8,1 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro.
Klarheit statt Offenheit
Der bayerische Autokonzern BMW will sein Motorenwerk in Steyr zum Kompetenzzentrum für Hochleistungselektroantriebe ausbauen. Bereits im Vorjahr wurden rund 400 Millionen Euro investiert, bis 2030 soll es in Summe eine Milliarde sein. Eine neue Halle für die Produktion von E-Antrieben wurde am Werksgelände bereits fertiggestellt, im Sommer startet die Vorserienproduktion, 2025 will man in Serie gehen. In einem ersten Schritt wird bis 2027 eine Anzahl von 300.000 Stück pro Jahr angepeilt, die Vollauslastung soll später bei 600.000 E-Antrieben pro Jahr liegen. Das Aus für den Verbrenner bedeutet das nicht. „Diese Kapazitäten werden zusätzlich zu den aktuell bestehenden für die Montage von Benzin- und Dieselmotoren aufgebaut. Der Standort Steyr stellt sich somit flexibel auf“, sagt Sprecherin Leonie Doppler.
Mit einem Umsatz von über 4,2 Milliarden Euro verzeichnete das BMW-Werk in Steyr 2023 ein Rekordergebnis, gegenüber dem Vorjahr entspricht das einem Plus von 16 Prozent. Aufgrund der guten Auslastung stieg die Mitarbeiterzahl um 200 Personen auf 4700 Beschäftigte. „Aus heutiger Sicht kann die Beschäftigung am Standort langfristig gesichert werden, unabhängig davon, wie sich der Markt hinsichtlich der Aufteilung Verbrenner versus E-Mobilität entwickelt“, erklärt Doppler. Wie sich die Kundennachfrage entwickeln werde, sei von vielen Faktoren abhängig: von der Regulatorik, der Verfügbarkeit des jeweiligen Energieträgers, der Infrastruktur und den jeweiligen Trends. „Somit ist die genaue Planung, welche Antriebe 2030 benötigt werden, schon fast Glaskugel-Lesen“, so die Sprecherin.
Gerade deshalb wünschen sich gewichtige Vertreter der Industrie statt „Technologieoffenheit“ sehr wohl klare Vorgaben der Politik, um auf lange Sicht sicher planen zu können. Der Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns, Oliver Blume, fordert ein Ende der Debatte über die Verbrennungsmotoren. Es gäbe eine Entscheidung und „jetzt sollte man auch bei dieser Entscheidung bleiben“. VW werde seine Strategie beibehalten, die Herstellung von E-Autos zu steigern und Verbrennerfahrzeuge langsam aus dem Programm zu nehmen. Blume im Wirtschaftsmagazin „Capital“: „Ich halte nicht viel davon, dass man bei jedem Gegenwind alles wieder infrage stellt.“
Doch die neu aufgeflammte Verbrenner-Diskussion in der Politik verunsichert die Branche. Selbst bei Stellantis wird das klare Bekenntnis zum E-Auto wieder abgeschwächt. Diese Woche gab das Unternehmen bekannt, den Bau der deutschen Batteriezellen-Fabrik in Kaiserslautern vorerst zu stoppen. Dort wollen Stellantis und Mercedes-Benz gemeinsam produzieren. Aber: Der Markt für E-Autos entwickle sich langsamer als erwartet. Mercedes will nun doch über 2030 hinaus Verbrenner verkaufen. Toyota und BMW haben nie einen Stichtag für den letzten Verbrenner ins Auge gefasst.
Nein zum Aus für Verbrenner-Aus
„Auto-Papst“ Ferdinand Dudenhöffer wirft der EU-Kommission in „Börse online“ vor, „alles zu tun, um die Autoindustrie in Europa zu schädigen. Zu schädigen deshalb, weil man ursprünglich gesagt hat, man will das Verbrenner-Verbot. Und jetzt macht man diese Kehrtwendung und sagt: ,Wir müssen das Verbot überprüfen und sind uns gar nicht sicher, ob wir das brauchen.‘“ Gewerkschafter Reinhold Binder vermisst eine konsistente Industriestrategie und Standortpolitik. Die Gewerkschaft gilt nicht immer als Kraft des Wandels. Aber am Verbrennungsmotor festzuhalten, „das kommt nicht infrage“, sagt Toni Steinmetz, Landesgeschäftsführer der PRO-GE Wien. Es sei nicht die erste industrielle Revolution, die zu bewältigen sei: „Wir werden nicht gegen E-Autos kämpfen, so wie damals Kutschenbauer gegen Autos protestiert haben.“ Die Transformation müsse politisch begleitet werden, fordert die PRO-GE. Es sei wichtig, dass die Produktion in Europa bleibe, sonst werde der Kontinent technologisch völlig abhängig.
Rund 40.000 Arbeitsplätze würden in Österreich direkt am Verbrenner hängen, schätzt Wilfried Sihn, ehemaliger Professor der TU-Wien: „Ich sehe den Transformationsprozess nicht nur als Gefahr. Wir könnten bis zu 15.000 neue Arbeitsplätze schaffen, wenn es uns gelingt, den Weltmarktanteil zu erhalten. Alle betroffenen Unternehmen denken darüber nach, wo sie in dem neuen Spiel einen Platz finden.“ Die Verbrenner-Debatte ödet ihn an: „Ich kann es nicht mehr hören. Ich war letztes Jahr auf diesem ominösen Kanzlergipfel eingeladen, da haben sieben Wissenschafter dem Kanzler erklärt, dass das mit E-Fuels zwar theoretisch richtig ist, aber praktisch nicht funktioniert. Wir können bis 2035 nicht annähernd so viel E-Fuels produzieren, damit das ausreicht.“ Es sei ein reiner Marketinggag. Die verfügbaren E-Fuels brauche man für Lkw, Flugzeuge und Schiffe.
Zoll auf chinesische E-Autos
Elektroautos oder Verbrenner – darüber wird nicht nur in Brüssel und Wien diskutiert. Präsident Joe Biden kündigte im Mai an, dass die USA künftig einen 100-Prozent-Sonderzoll auf chinesische E-Autos einheben, um die eigene Industrie zu schützen. Die EU-Kommission verschob vor wenigen Tagen eine diesbezügliche Entscheidung, wohl um sie nicht in den letzten Tagen zum Wahlkampfthema werden zu lassen. Je nach Beschluss wird auch China antworten. Manche EU-Politiker befürchten einen Zollkonflikt. Dagegen spricht: China investiert längst in Europa. Im ungarischen Szeged baut das chinesische Unternehmen BYD ein Werk für E-Autos.
Weniger gut läuft es in der Steiermark. Der Autobauer Magna-Steyr verbuchte heuer einen herben Rückschlag bei der E-Mobilität. Im Vorjahr wurden noch 10.000 E-Autos für den US-Konzern Fisker hergestellt, doch jetzt steckt dieser in der Krise. Die Österreich-Tochter ist schon pleite und das Minus bei Magna groß. Die „Abschreibungen und Restrukturierungskosten“ belaufen sich auf 316 Millionen Dollar im ersten Quartal 2024, Magna baut 500 Jobs ab. Im Interview mit dem US-Magazin „Autoweek“ zeigt sich Magna-Steyr-Chef Roland Prettner dennoch optimistisch: „In den letzten zwölf Monaten haben wir sehr starke Aktivitäten von allen chinesischen Herstellern gesehen, und sie kontaktieren uns, um Möglichkeiten zu erkunden.“ Denn so könnten sie den europäischen Markt ohne Strafzölle bedienen.
Mikrowelleneffekt beim E-Auto
Im Autohaus fremdeln noch viele mit E-Pkw. 52 Prozent der Österreicher wollen bei ihrem nächsten Auto auf ein Benzin- oder Dieselfahrzeug setzen, heißt es in einer Studie vom Beratungsunternehmen Deloitte. Aber rein rechnerisch ist der Wendepunkt bereits erreicht, verlautet der Finanznachrichtendienst Bloomberg. Und zwar seit 2020. Sobald fünf Prozent der gekauften Neuwagen elektrisch sind, beginnt die Massenakzeptanz, nach der sich die technologischen Präferenzen schnell ändern. Weltweit haben 31 Länder die magischen fünf Prozent überschritten. Norwegen schon 2013, dort sind mittlerweile 80 Prozent aller Neuwagen elektrisch. Elektroautos würden eine ähnlich rasante Adaptionskurve wie die Mikrowelle erfahren. Auch diese habe sich anfangs eher schleppend verbreitet, dann aber enormen Anklang gefunden.
Der Umbruch ist also da, das ist allen Beteiligten klar. Ein Teil der österreichischen Industrie investiert, transformiert, und das ziemlich selbstbewusst. Ein anderer versucht das noch funktionierende Geschäftsmodell bis zur letzten Sekunde auszukosten und den Wandel zu verzögern. Die Interessensvertretungen und die ÖVP stellen sich bisher lautstark hinter letztere Gruppe. Das verärgert wiederum die erste Gruppe. Denn das Herumlavieren und Infragestellen eben vereinbarter Ziele kostet Geld und verzögert geplante Projekte und Investitionsentscheidungen, wie die Batteriezellfabrik von Stellantis und Mercedes-Benz in Kaiserslautern. Und vergrößert den Vorsprung der internationalen Konkurrenz.
In Wien-Aspern ist trotz allem am 19. Juli endgültig Schluss. „Ich bin traurig“, erzählt eine der wenigen Frauen, während sie zu ihrem Auto auf dem halb leeren Parkplatz geht. Ihr Kollege fügt hinzu: „Na ja, zumindest die Abfertigung ist nicht schlecht, und das Pendeln fällt weg.“ Die Kollegen von der Fahrgemeinschaft warten schon hinter ihm im Auto. Der Anteil an Galgenhumor in der Produktionshalle sei groß, erzählt Betriebsrat Rohm. Die unter 40-jährigen Facharbeiterinnen und -arbeiter haben Angebote. Alle paar Tage erzählt jemand von einem neuen Job. Aber der Großteil der Belegschaft ist langgedient und jenseits der 50 . Manche können in die Frühpension, andere machen eine Ausbildung, und einige hier am Parkplatz in Aspern gehen erst einmal auf Urlaub.
Mitarbeit: Julian Kern
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.
Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.