Außenansicht einer der Komenský-Schulen in Wien
Bildung

Forderung nach „Volksgruppenschule“ für Wien

Die Vertreter der autochthonen Volksgruppen fordern den Aufbau einer „Volksgruppenschule“ in Wien. Als Vorbild dient die Komenský-Schule. Entscheidend ist der politische Wille.

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„Dobrý den“ hallt es durch die Gänge der Komenský-Schule im 3. Wiener Gemeindebezirk. Ein Kind bahnt sich mit den Worten „Achtung, ich brauch Platz!“ seinen Weg durch das Stiegenhaus. Betreut und gelehrt wird hier zweisprachig. Seit über 140 Jahren auf Deutsch und Tschechisch und seit den 1990er Jahren auch auf Slowakisch, vom Kindergarten bis zur Matura. Der Kindergarten wird zusätzlich auf Ungarisch geführt. 

Was für die Kinder der tschechischen und slowakischen Volksgruppen eine Selbstverständlichkeit ist, bleibt Kindern der anderen vier autochthonen Volksgruppen in Wien momentan noch vorbehalten. Anders als etwa in Kärnten und im Burgenland, gibt es in Wien für Kroaten, Roma, Slowenen und Ungarn keine Möglichkeit, ihre Bildungslaufbahn zumindest bis zur Matura durchgehend in ihrer jeweiligen Erstsprache zu absolvieren. 

Obwohl österreichweit die meisten Mitglieder der autochthonen Volksgruppen in der Hauptstadt leben. Und Österreich sich rechtlich zur Förderung und Erhaltung der Volksgruppensprachen verpflichtet hat.

Autochthone Volksgruppen

Die Volksgruppen der Kroaten, Roma, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn gelten in Österreich als „autochthon“ (einheimisch, alteingesessen). Sie hatten bereits während der Zeit der Habsburgermonarchie, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 zerfallen ist, ihren Lebensmittelpunkt auf dem Gebiet des heutigen Österreichs. 

Unterstützung für eine „Volksgruppenschule“

Dafür scheint es auch auf höherer Ebene ein Problembewusstsein zu geben. Im Parlament trafen vergangenen Dienstag im Rahmen der sogenannten Dialogplattform Volksgruppenvertreter auf Abgeordnete. Die Vertreter der Kroaten, Roma, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn tauschen sich einmal pro Jahr mit den jeweiligen Volksgruppensprecher:innen der Parteien unter dem Vorsitz des Nationalratspräsidenten aus. 

Seit der Schaffung der Plattform 2021 ist ein wiederkehrendes Thema die Förderung und Erhaltung der Volksgruppensprachen. So auch beim jüngsten Aufeinandertreffen. Neben einer Reform des bald 50 Jahre alten Volksgruppengesetzes forderten die Volksgruppenvertreter unter anderem eine „offensive Sprachenpolitik“, wie es Bernard Sadovnik, Vertreter der slowenischen Volksgruppe, formulierte. Darunter verstehen Sadovnik und seine Kollegen die Errichtung einer „Volksgruppenschule“ in Wien, wo Betreuung und Unterricht zweisprachig auf Deutsch und Kroatisch, Roma, Slowenisch oder Ungarisch stattfinden. 

Dialogplattform Volksgruppen im Parlament am 25. März 2025

Die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten zeigten für dieses Anliegen Verständnis. 

Als Vorbild nennen die Volksgruppenvertreter immer wieder die Komenský-Schule. 

Karel Hanzl ist darauf sichtlich stolz, als profil ihn in der Komenský-Schule antrifft. Der Vertreter der tschechischen Volksgruppe hat selbst diese Schule besucht, genauso wie seine Kinder und Enkel. Im Brotberuf leitet er eine Tischlerei in Wien. Im Nebenberuf führt er ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender die Geschicke des Schulvereins Komenský. Der Schulverein betreibt die gleichnamigen, privaten Bildungseinrichtungen an zwei Standorten. Im laufenden Schuljahr besuchen insgesamt 570 Kinder und Jugendliche verschiedener Herkunft Kindergarten, Volksschule, Mittelschule und Realgymnasium. 

Karel Hanzl, Vertreter der tschechischen Volksgruppe und Obmann des Schulvereins Komenský

Dem Vorhaben seiner Kollegen steht Hanzl positiv gegenüber: „Wir unterstützen das Projekt natürlich mit unserem Know-How.“ Man sei bereits in Verhandlungen über ein passendes Gebäude, ebenfalls im 3. Bezirk. Zuvor müssten jedoch die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die notwendigen Finanzmittel langfristig zu sichern. 

Bildungssprache statt Geheimsprache

Wie groß der Bedarf für zweisprachige Bildung in den Volksgruppensprachen tatsächlich ist, lässt sich nicht genau feststellen. Die letzten Erhebungen der Statistik Austria zur Anzahl und Wohnort von Volksgruppenangehörigen liegen weit zurück. Sie stammen aus dem Jahr 2001 und deuten darauf hin, dass davon die meisten in Wien leben, nämlich 23.300 von österreichweit 82.500. Die ungarische Volksgruppe, die auch österreichweit die meisten Mitglieder zählt, liegt mit rund 10.600 Personen in Wien auf Platz eins. Dahinter die Tschechen, Kroaten, Slowaken, Slowenen und Roma. 

Bei der zweifachen Mutter Sara G. stoßen die Pläne jedenfalls auf Begeisterung. Die Kärntner Slowenin ist nach der Matura an einem zweisprachigen Kärntner Gymnasium für ihr Studium nach Wien übersiedelt und geblieben. Die heute 40-Jährige ist eine von schätzungsweise 1.400 Mitgliedern der slowenischen Volksgruppe in Wien, viele davon aus Kärnten. Dort sind vor allem slowenische Ortschaften von Abwanderung betroffen. Das zeigt eine Studie des Meinungsforschungsinstituts OGM aus dem Jahr 2022. 

Im Zeitraum von 20 Jahren haben Ortschaften mit einem überdurchschnittlich hohen slowenischen Bevölkerungsanteil rund sechs Prozent ihrer Gesamtbevölkerung verloren. Ortschaften, in denen weniger als 15 Prozent Slowenen leben, haben im selben Zeitraum hingegen leichte Zuwächse verzeichnet. Der Studie zufolge zieht es vor allem junge, gut ausgebildete Frauen nach Klagenfurt, Wien und Graz. 

Am Telefon erzählt die Unternehmensjuristin Sara G. profil von einem „ständigen Kampf“, den sie führe, damit auch ihre Kinder in Wien zweisprachig aufwachsen können. Sie sei die Einzige, die regelmäßig mit ihren fünf und sieben Jahre alten Kindern Slowenisch spreche. Das führe dazu, dass Slowenisch von ihren Kindern als „Geheimsprache“ wahrgenommen werde: „Heute finden sie das noch cool, aber in der Pubertät wird das anders ausschauen.“ 

Das ältere Kind besucht zusätzlich zum Regelunterricht an einer öffentlichen Volksschule einmal pro Woche einen zweistündigen Slowenisch-Unterricht am späten Nachmittag. Der Zusatzunterricht ist Teil des öffentlichen Schulwesens, daher kostenlos und auch im Zeugnis vermerkt – allerdings gehe aus dem Vermerk nicht hervor, um welche Sprache es sich handle. Ein kleines Detail, das jedoch sinnbildlich für die geringe Sichtbarkeit von Volksgruppen und deren Sprachen steht. Sara G. wünscht sich, dass auch in Wien Slowenisch zur Bildungssprache wird und die Sprache somit einen höheren Stellenwert erfährt. 

Bis auch ein selbstverständliches „Dober dan!“ durch die Gänge eines Wiener Schulgebäudes hallt, könnte es aber noch dauern. 

Politischer Wille entscheidend

Um die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die auch eine langfristige Finanzierung und den Erhalt einer „Volksgruppenschule“ in Wien ermöglichen, ist nun die Politik am Zug.

Für eine „Volksgruppenschule“ in Form einer AHS wäre primär der Bund zuständig. Ob die zuständigen Regierungsmitglieder eine solche Schule befürworten, war nicht konkret in Erfahrung zu bringen. 

„Die Weitergabe der Volksgruppensprachen an die Jugend ist wesentlich für die Volksgruppen. Die Bundesministerin unterstützt daher die Forderungen, Bildungsangebote in Volksgruppensprachen zu schaffen“, heißt es aus dem Büro von Kultusministerin Claudia Plakolm (ÖVP) auf Anfrage. Sie spielt den Ball an Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos), um zu klären „ob [das Bildungsangebot] tatsächlich eine Schule sein kann“ und weist darauf hin, dass im Regierungsprogramm keine „Volksgruppenschule“ vorgesehen ist. Dort ist die vage Rede von der „Weiterentwicklung der Bildungsangebote in Volksgruppensprachen“. 

Aus Wiederkehrs Büro heißt es sinngemäß, man bekenne sich zu den autochthonen Volksgruppen, da diese die Gesellschaft bereichern, ein Miteinander fördern und die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen würden. Die Volksgruppenvertreter werden daher Ende April zu einem Runden Tisch eingeladen, wo „aktuelle Themen und Anliegen“ besprochen und „gemeinsam Strategien zur Förderung der kulturellen Vielfalt im Bildungswesen“ entwickelt werden sollen. Neben Wiederkehr führen auch Sadovnik und Hanzl ins Treffen, dass mit dem Erlernen der autochthonen Volksgruppensprachen auch die grenzübergreifende wirtschaftliche Zusammenarbeit profitiere. 

In der Wiener Landespolitik stoßen die Volksgruppenvertreter mehrheitlich auf offene Ohren. Die Wiener Neos unter Federführung von Bildungsstadträtin Bettina Emmerling, als Wiederkehrs Nachfolgerin für Wiener Kindergärten und Pflichtschulen zuständig, befürworten den Vorschlag auf Anfrage. Ebenso sprechen sich die Wiener Landesparteien der SPÖ, Grüne und KPÖ/Links grundsätzlich positiv aus. Das Team HC Strache ist dagegen. Die ÖVP verweist auf die Zuständigkeit des Bundes, die FPÖ reagierte nicht auf eine Anfrage. 

Mehr Ziel als Recht

Im Fall von Sara G. und ihren Kindern bedeutet das konkret: bitte warten. 

Sollte der notwendige Wille seitens der Politik nicht aufgebracht werden, kann eine neue „Volksgruppenschule“ wohl nicht auf rechtlichem Weg durchgesetzt werden.

Nach Ansicht von Emma Lantschner, Expertin für Volksgruppen und Minderheiten an der Universität Graz, lässt sich aus der bestehenden verfassungsrechtlichen Lage zwar kein subjektives Recht auf eine „Volksgruppenschule“ in Wien ableiten. Dennoch habe sich die Republik durch die Verfassung zum Ziel gesetzt, die Sprache und Kultur, den Bestand und die Erhaltung der Volksgruppen zu sichern und zu fördern. Die Expertin verweist außerdem auch auf das von Österreich ratifizierte Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats. Demnach sollte bei entsprechendem Bedarf auch außerhalb des traditionellen Siedlungsgebiets die jeweilige Sprache erlernt und unterrichtet werden können. 

Die Befürchtung, dass ihre Kinder durch den Besuch einer „Volksgruppenschule“ in einer Parallelgesellschaft aufwachsen, hätte Sara G. übrigens nicht. „Ich bin auch in ein slowenisches Gymnasium in Kärnten gegangen und nicht segregiert aufgewachsen. Man hat ja auch ein Leben außerhalb der Schule mit Freunden und Freizeit.“ Wie Karel Hanzl sieht es auch Sara G. viel mehr als „Bereicherung, Bildung in mehreren Sprachen genießen zu können.“ 

Laura Schatz

Laura Schatz

von Februar bis März 2025 Volontärin im Digitalteam und im Auslandsressort.