Warum Donald Trump die größte Insel der Welt will
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Wenn Aqqalu Jerimiassen am Morgen aufsteht, dann muss er den Motor seines Autos 15 Minuten warmlaufen lassen, damit er anspringt. Draußen hat es minus 29 Grad.
Jerimiassen und seine Frau leben in Avannaata, einer der nördlichsten Kommunen der Welt. Sie ist größer als Deutschland, hat aber nur 11.000 Einwohner. Wenn das Eis im Winter gefriert, sind die Siedlungen an der Küste mit ihren bunten Holzhäuschen nur per Flugzeug erreichbar.
Zwei Mal im Jahr reist Aqqalu Jerimiassen für mehrere Wochen nach Nuuk, die 560 Kilometer südlich liegende Hauptstadt Grönlands. Der 38-Jährige ist einer von 31 Abgeordneten im Inatsisartut, dem Parlament. Von 2018 bis 2019 war er Minister für Industrie und Energie gewesen, ein bedeutendes Portfolio, wenn man bedenkt, was für ein Schatz unter der Eisdecke seines Landes schlummert.
Die ganze Welt buhlt um Grönlands Seltene Erden, Schlüsselrohstoffe für die Energiewende und Digitalisierung.
Aber auch abseits der Rohstoffe wird die Insel, die weitgehend autonom ist, aber völkerrechtlich zum Königreich Dänemark gehört, immer wichtiger. Das Abtauen der Gletscher legt nicht nur Bodenschätze frei, sondern ermöglicht auch neue Seewege zwischen Asien, Europa und Amerika. Die Arktis ist längst ein Schauplatz für den Wettbewerb der Großmächte geworden. Donald Trump, der designierte US-Präsident, will bei diesem Wettlauf der Erste sein. Anfang Jänner hat er völlig überraschend angekündigt, sich die Insel einverleiben zu wollen. Seitdem fragen sich alle: Meint er das wirklich ernst?
In seiner ersten Amtszeit wollte Trump Grönland noch kaufen. Immerhin hatten die USA im 19. Jahrhundert ja auch Alaska vom russischen Zarenreich erworben. Damals noch für rund sieben Millionen Dollar in Gold. Dänemark wischte den Deal vom Tisch, aber jetzt, wo Trump vor einer zweiten Amtszeit steht, kommt das Thema wieder hoch.
Am 7. Jänner trat Trump in Florida vor die Kameras: „Kein Mensch weiß, ob Dänemark Grönland rechtlich überhaupt besitzt. Und wenn sie es tun, sollten sie Grönland uns geben. Wir brauchen es für unsere Sicherheit.“ Auf Nachfrage wollte er auch militärische Gewalt nicht ausschließen, also de facto eine Annexion der größten Insel der Welt.
Wir brauchen Grönland für unsere Sicherheit
„Grönland ist keine Immobilie"
Die Wortmeldung sendete Schockwellen in die westliche Welt. Würde Trump Dänemark überfallen, einen der loyalsten Partner innerhalb der NATO?
„Das ist doch völlig absurd“, sagt Aqqalu Jerimiassen, der grönländische Abgeordnete, „Trump mag ein Geschäftsmann sein, aber Grönland ist keine Immobilie.“ Er wirkt gelassen, während er von den vergangenen Wochen erzählt.
Grönland ist ein Teil des Königreichs Dänemark und damit auch der NATO. Die Grönländer verfügen über kein eigenes Militär. Laut Verfassung sind die dänischen Streitkräfte für die Verteidigung zuständig. Seit dem Zweiten Weltkrieg bestehen außerdem Militärabkommen mit den Amerikanern. Washington fürchtete einst, dass Adolf Hitler Grönland als Ausgangsbasis für eine Offensive gegen die USA nutzen könnte. Seitdem verfügt Washington über Stützpunkte.
„Die USA sind unsere Alliierten. Wenn sie mehr Militärpräsenz wollen, können sie uns freundlich fragen, anstatt uns zu überfallen. Sonst würden sie riskieren, ein Pariastaat wie Putins Russland zu werden“, sagt Jerimiassen.
Aqqalu Jerimiassen
Der 38-Jährige war zwischen 2018 und 2019 Minister für Erwerb und Energie und ist heute einer von 31 Abgeordneten im grönländischen Parlament. Seine Partei "Attasut" setzt sich für die Beibehaltung der Union mit Dänemark ein.
Die Grönland-Geschichte wirkt bizarr. Gleichzeitig zeigt sie eindrücklich, wie Donald Trump schon jetzt mit der internationalen Ordnung bricht. Sie erzählt aber auch, wie sich Grönland vom alten Kolonialherrn Dänemark zu emanzipieren versucht. Ein Kampf, für den sich bis dato so gut wie niemand interessiert hat.
Das grönländisch-dänische Verhältnis ist kompliziert. Einerseits brauchen die Grönländer die dänische Regierung, die ihm Rahmen einer Pauschale etwa ein Drittel zum jährlichen Haushaltsbudget beisteuert. Andererseits sind die Narben aus der Kolonialzeit nie verheilt. Erst vor einem Jahr kam ein Skandal ans Licht. Weil Dänemark der Geburtenanstieg in Grönland zu teuer wurde, setzten Ärzte Frauen und jungen Mädchen bis in die 1980er-Jahre ohne deren Wissen Spiralen zur Verhütung ein. „Eine Kommission arbeitet dieses Verbrechen gerade auf. Sicher ist aber jetzt schon: Ohne diese Zwangsmaßnahme würde die Bevölkerung heute nicht bei 56.000 Menschen liegen, sondern deutlich höher, wahrscheinlich doppelt so hoch“, sagt der Kulturhistoriker Ebbe Volquardsen von der Universität Grönland, der zur Kolonialgeschichte forscht.
Ebbe Volquardsen
Der Kulturhistoriker forscht an der Universität Grönland in Nuuk zum kolonialen Erbe. „Ohne die Zwangsmaßnahme würde die Bevölkerung heute nicht bei 56.000 Menschen liegen, sondern deutlich höher, wahrscheinlich doppelt so hoch"
Die Mehrheit der Grönländer wünscht sich Unabhängigkeit von Dänemark.
Volquardsen sagt auch: „Die Mehrheit der Grönländer wünscht sich Unabhängigkeit von Dänemark. Es wird weniger diskutiert, ob das stattfinden soll, sondern wann und wie.“
Aber was passiert, wenn dieses große Land mit der Population einer Kleinstadt plötzlich allein dasteht?
Aqqalu Jerimiassen, der Abgeordnete aus dem Parlament, macht sich keine Illusionen. Allein mit Fischexporten könnte Grönland sich wirtschaftlich nicht selbst erhalten. Beim Bergen der Bodenschätze ist man auf ausländische Investoren angewiesen, weil der Bau von Häfen und Infrastruktur ein teures Unterfangen ist. Das demografische Ungleichgewicht auf der Insel ist außerdem eine tickende Zeitbombe. Weil zu wenig Junge einzahlen, ist das Pensionssystem massiv unterfinanziert.
Jerimiassens Partei „Atasut“ (Festhalten / Verbindung) gilt als die einzige im grönländischen Parlament, die sich für einen Verbleib bei Dänemark ausspricht. Das links-grüne Bündnis rund um den seit 2021 regierenden Ministerpräsidenten Múte B. Egede hingegen fordert, „die Fesseln des Kolonialismus“ zu beseitigen. In seiner diesjährigen Neujahrsansprache sagte der 37-jährige Regierungschef: „Es ist an der Zeit, dass wir selbst einen Schritt unternehmen und unsere Zukunft gestalten.“
Aber wie diese Zukunft aussieht, ob sie eine komplette Selbstständigkeit bringt oder eine lose Personalunion mit Dänemark, ist derzeit völlig unklar. In Bezug auf Trumps Annexionsfantasien hat Egede hingegen eine klare Position. In einem Interview mit dem US-Sender Fox News sagte er nur: „Ich denke, es ist wichtig klarzustellen: Grönland möchte Kooperation, Grönland möchte eine starke Partnerschaft. Aber Grönland möchte nicht Teil der USA sein."
Das US-Militär ist bereits in Grönland präsent
Jerimiassen hält es für naiv, sich überhastet von Dänemark loszusagen. „Es gibt Regionen im Nordosten Grönlands, in die nicht einmal wir, die indigene Bevölkerung, je einen Fuß gesetzt haben. Jede Großmacht der Welt könnte dort einfach einfallen und ihre Flagge hissen. Ohne eigenes Militär würden wir es vermutlich nicht einmal bemerken“, lacht er. Auch Trump könnte das jederzeit tun.
Die USA unterhalten seit den 1950er- Jahren einen Militärstützpunkt namens „Pituffik Space Base“ in Grönland. Inklusive einer Weltraumüberwachungsstation sowie einem Frühwarnsystem für ballistische Raketen. Die USA könnten jederzeit ihre maritime Präsenz ausbauen. Warum also der Wunsch, das gesamte Land zu kontrollieren?
Vielleicht, weil es längst nicht nur um Grönland geht. Auf der Pressekonferenz am 7. Jänner spielte Trump auch mit der Idee, das Nachbarland Kanada zum 51. Bundesstaat zu machen und den Panamakanal zu annektieren. Dabei handelt es sich um eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten, die einst von den USA gebaut und kontrolliert, in den 1970er-Jahren aber an Panama zurückgegeben wurde. Ähnlich wie bei Grönland schloss Trump auch da militärische Gewalt nicht aus.
Vorerst schickt Trump aber nicht Soldaten, sondern seine Familie
Vorerst schickt Trump aber nicht Soldaten, sondern seine Familie. Vergangene Woche flog sein ältester Sohn Donald Junior nach Nuuk, allerdings nur privat und ohne Regierungsmitglieder zu treffen.
In der 20.000 Einwohner zählenden Hauptstadt war der Besuch über Tage hinweg das Gesprächsthema Nummer eins. Ein Mann stand dabei im Mittelpunkt. Jørgen Boassen, ein Box-Lehrer und Trump-Fan, der die Republikaner im US-Wahlkampf unterstützt hat. Boassen empfing Trumps Sohn am Flughafen und postete Selfies mit ihm auf Facebook.
„Er ist Teil einer Inszenierung und eines PR-Stunts“, glaubt der Universitätsprofessor Ebbe Volquardsen, der das Medienspektakel beobachtet hat, „denn in Grönland gibt es keine Bewegung von Trump-Anhängern.“ Das Trump-Team habe an Schaulustige und zum Teil auch sozial Benachteiligte Mützen verteilt und sie im Anschluss in ein Restaurant zum Essen eingeladen. „In den USA will Trump jetzt suggerieren, dass die Grönländer Amerikaner werden wollen. Aber das stimmt allein schon deswegen nicht, weil sie dann den nordisch-skandinavischen Wohlfahrtsstaat verlieren würden“, glaubt Volquardsen.
So sieht das auch Jerimiassen. „Wenn Donald Trump wüsste, was für ein Sozialsystem wir hier haben, würde er uns für eine kommunistische Insel halten“, lacht er. Für die Grönländer sei es „undenkbar“, Teil der USA zu werden. Gleichzeitig glaubt er, dass es eine bessere Kooperation geben muss. Allerdings auf Augenhöhe. Die Verhandlungsbasis war noch nie besser als jetzt. „Die nächsten vier Jahren werden aufregend werden“, hofft er.
Franziska Tschinderle
schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.