Wie Disney zum Ziel eines rechten Kulturkampfes wurde
Es ist Februar 2023, als Ron DeSantis ein Manöver wagt, das so gar nicht zum wirtschaftsliberalen Kurs seiner Partei passt: Der Republikaner gängelt öffentlich einen Privatkonzern und droht gar damit, ihn unter staatliche Kontrolle zu stellen sowie ihm Steuerprivilegien zu entziehen. Ronald Reagan, die Galionsfigur der amerikanischen Konservativen, würde sich im Grab umdrehen.
Ron DeSantis aber erntet Zuspruch von der Basis. „Mit dem heutigen Tag hat das Unternehmens-Königreich ein Ende“, verkündete er unter dem tosenden Applaus seiner Anhänger. Und: „Es gibt einen neuen Sheriff in der Stadt.“
Der selbst ernannte „Sheriff“ ist Gouverneur von Florida, und das „Königreich“ ist der weltberühmte Mickey-Maus-Konzern „Disney“ – bekannt für legendäre Kinderfilme und Vergnügungsparks. Disney ist mit 70.000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber und Steuerzahler in Florida, jenem US-Bundesstaat, dem DeSantis seit 2019 als Gouverneur, also eine Art Regierungschef, vorsteht.
Der Vergnügungspark „Disney World“ in Orlando, Florida, hatte 2019 mehr als 21 Millionen Besucher und ist damit der meistbesuchte Freizeitpark der Welt. Disney ist außerdem für seine großzügigen Parteispenden an die Republikaner bekannt. Eigentlich müsste das einen wie DeSantis freuen. Aber seit mehr als einem Jahr spielt all das keine Rolle mehr. Der ultrakonservative Politiker hat einen politisch motivierten Rachefeldzug gegen Disney losgetreten, und es sieht ganz danach aus, dass der nicht so bald endet.
Der Grund dafür ist für das freiheitsliebende Amerika eher ungewöhnlich: Die Konzernspitze von Disney hatte es sich herausgenommen, ein von Ron DeSantis erlassenes Schulgesetz zu kritisieren. Damit habe Disney „eine rote Linie“ überschritten, so der Gouverneur.
Was war passiert? Von Anfang an.
Der 44-jährige Ron DeSantis gilt als neuer Star der konservativen Rechten in den USA. Er ist ein Ziehsohn von Donald Trump, erwächst ihm parteiintern aber immer mehr zum Rivalen. DeSantis hat seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 zwar noch nicht verkündet, aber in den USA ist es ein offenes Geheimnis, dass er Ambitionen auf das Weiße Haus hat. Und was bietet sich dafür besser an als die gute alte Erzählung von Gut und Böse, das Narrativ, das sich in so gut wie jeder Walt-Disney-Geschichte findet?
Gut, das ist für Ron DeSantis die heteronormative Welt, in der ein Mann und eine Frau ohne staatliche Kontrolle ihre Kinder großziehen. Böse, das sind Lehrer, die ihren Schülern erzählen, dass es auch davon abweichende Lebensrealitäten gibt: lesbische Mütter, schwule Väter oder Kinder, die transident sind, also im falschen Körper geboren.
Im Frühjahr 2022 hat DeSantis deswegen ein viel diskutiertes Gesetz verabschiedet. Offiziell trägt es den Namen „Parental Rights in Education“ (Elternrechte in der Bildung), aber seine Kritiker sprechen im Volksmund vom „Don’t say gay“-Gesetz (Sag nicht schwul). Dieses verbietet es, Homosexualität und Gender-Themen im Unterricht zu thematisieren, und zwar „in einer Weise, die nicht alters- oder entwicklungsgemäß“ ist. Was genau das im Detail bedeutet, ist Auslegungssache, und genau das macht das Gesetz so umstritten. Zu Beginn waren nur Kinder zwischen fünf und neun Jahren betroffen. Mittlerweile hat DeSantis das Gesetz auch auf höhere Schulstufen ausgeweitet.
Nach der Verabschiedung des Gesetzes vor einem Jahr gab es eine Welle des Protests, dem sich auf Druck seiner Mitarbeiter auch die Konzernspitze von Disney anschloss. Diese veröffentlichte eine Erklärung, in der sie das neue Gesetz verurteilte und den Gesetzesgeber aufforderte, es zurückzunehmen. In einem Mail an die Mitarbeiter kündigte der damalige Vorstandschef Bob Chapek an, seine Parteispenden für die Republikaner einzustellen, und positionierte sich klar: „Ich und das gesamte Führungsteam stehen unmissverständlich hinter unseren LGBTQ+-Mitarbeitern, ihren Familien und ihren Gemeinschaften. Und wir setzen uns dafür ein, ein integrativeres Unternehmen und eine integrativere Welt zu schaffen.“
Seitdem nutzt DeSantis Disney als Prellbock und wohl auch als Testphase für den herannahenden Wahlkampf. Dafür ist er bereit, die bisher so harmonisch verlaufene Beziehung zum Unterhaltungsriesen komplett zu kappen. Seit 1967 verwaltet Disney seinen Vergnügungspark in Florida, der sich auf über 100 Quadratkilometer erstreckt, selbst. Dazu gehören auch Wasserparks, Themenhotels, mehrere Golfplätze, ein Camping-Resort sowie das Einkaufszentrum „Disney Springs“.
DeSantis will diese wirtschaftliche Sonderzone, die auch Steuerprivilegien einschließt, abschaffen oder – so weit juristisch möglich – stark einzuschränken, etwa indem er das Verwaltungsgremium mit Parteifreunden und Ideologen besetzt. Disney lässt sich davon nicht beeindrucken und hat bereits klargemacht, dass man
deswegen nicht von der Kritik am homophoben Gesetz abrücken werde. Daraufhin eskalierte DeSantis vergangene Woche den Streit. Er dachte öffentlich darüber nach, auf den Freiflächen neben „Walt Disney World“ ein Gefängnis für Schwerverbrecher zu errichten.
Kampfbegriff Woke
Was auf den ersten Blick wie eine bizarre Comedy-Show wirkt, ist in Wahrheit Teil einer strategischen Wahlkampftaktik der Republikaner, die den Kampf gegen politische Korrektheit seit mehreren Jahren erfolgreich zum Thema macht. DeSantis ist ein Vorkämpfer an der Kulturfront. Mit seinen Äußerungen macht er Schlagzeilen weit über die Grenzen Floridas hinaus. Auch in Europa schlagen Rechtspopulisten längst Kapital aus der Stigmatisierung sexueller Minderheiten. Vergangene Woche etwa trommelte die FPÖ gemeinsam mit weiteren rechten Gruppierungen zu Protesten gegen die Kinderbuchlesung einer Dragqueen in Wien zusammen. Zu sehen waren Banner mit dem Schriftzug „Kinder schützen ist kein Verbrechen“ und „Keine Genderindoktrination mit meinen Steuern“.
Konservative, Rechte sowie christliche Fundamentalisten haben den Kampf gegen die Homo-Ehe verloren und wittern nun in der Debatte rund um Gender-Themen eine zweite Chance, Gesellschaftspolitik zu betreiben. Sie schüren die Vorstellung, dass eine linke Minderheit mit ihrer „woken“ Ideologie kleine Kinder indoktrinieren wolle. Das allein ist nichts Neues. Das Narrativ, dass gleichgeschlechtliche Paare eine Gefahr für Kinder seien, ist ein Stigma, das sich über Jahrzehnte gehalten hat und dessen sich in Österreich insbesondere die ÖVP bediente.
Blaupause für Europa
Heute ist es die FPÖ, die auf den Zug aufspringt. Wer verstehen will, warum in Wien Identitäre und FPÖ-Wähler gleichermaßen gegen Männer in Frauenkleidung protestieren, der muss nach Disneyland blicken. Die „New York Times“ bezeichnet das Florida von Ron DeSantis gar als ein „Labor für den post-Trump-Konservativismus in den USA“. Der Streit zwischen DeSantis und dem Disney-Konzern ist eine Blaupause für konservative Rechte in Europa.
Während Rechtspopulisten in Europa noch über das Gender-Sternchen streiten oder darüber, ob Transpersonen am Sportunterricht teilnehmen dürfen, hat DeSantis, ein studierter Jurist, längst Tatsachen geschaffen und Gesetze verabschiedet. Es sind mittlerweile so viele, dass man leicht den Überblick verliert, aber im Kern drehen sie sich um dieselbe Frage: Was sollen Kinder in den Schulen über Rassismus und Sklaverei, über lesbische, schwule, transgender und queere Menschen lernen – und was nicht?
In den USA tobt ein Kulturkampf um diese Frage, und die Republikaner stehen an vorderster Front. Das konservative Texas erließ ein Gesetz, das „patriotische Bildung“ fördern soll. Es regelt, wie an Schulen über Sklaverei gesprochen werden darf. Im Bundesstaat Missouri, ebenfalls eine Hochburg der Republikaner, verbietet ein Gesetz, Institutionen als sexistisch, rassistisch, privilegiert oder unterdrückt darzustellen. Und in Florida hat DeSantis den Kulturkampf auf die Schulen und Kindergärten ausgeweitet – auf Bibliotheken, Sporthallen und Bastelgruppen. Lehrer, die im Unterricht über sexuelle Identität und Orientierung sprechen, also zum Beispiel die Tatsache, dass Schwule und Lesben existieren, laufen Gefahr, von „besorgten“ Eltern verklagt zu werden. DeSantis spricht ihnen Mut zu, diese „Indoktrinierung“ nicht länger hinzunehmen: „Wir werden dafür sorgen, dass Eltern ihre Kinder in den Kindergarten schicken können, ohne dass ihnen etwas von diesem Zeug in den Lehrplan eingeimpft wird.“
Bereits im Juni 2021, also lange vor dem Zwist mit Disney, erließ er ein Gesetz, das trans Mädchen vom Mädchensport verbannte. „Wir halten uns an die Biologie und nicht an die Ideologie, wenn wir Sport machen“, sagte er damals. Dem folgte der „Stop Woke Act“, ein Gesetz, das staatliche Lehrkräfte daran hindern soll, über die strukturelle Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts zu sprechen. „Wir werden es nicht zulassen, dass unser Steuergeld dafür ausgegeben wird, dass Kinder unser Land hassen“, war seine Erklärung dafür.
Aber kein Gesetz wurde so vehement diskutiert wie die unter dem Schlagwort „Don’t say Gay“ bekannt gewordene Schulreform. Wohl auch deswegen, weil der Gesetzestext viel Interpretationsspielraum bietet. Angenommen, eine Kindergarten-Klasse wird darum gebeten, ein Bild ihrer Eltern zu malen. Dürfen jene Kinder, die zwei Mütter haben, dann ihre Eltern zeichnen? Wie reagiert der Lehrer beziehungsweise die Lehrerin darauf? DeSantis hat es geschafft, dass solche urpersönlichen Fragen plötzlich die große Politik dominieren.
Seine Kritiker warnen, dass derartige Gesetze das trans- und homophobe Klima weiter anheizen. Die Organisation „Equality Florida“ ließ verlauten, DeSantis habe die Schulen weniger sicher für Kinder gemacht. „Er hat den Ruf unseres Staates als einladender und integrativer Ort für alle Familien beschädigt und Florida zum Gespött und zum Ziel landesweiten Hohns gemacht“, so die Organisation weiter. US-Präsident Joe Biden bezeichnete das Gesetz als „hasserfüllt“.
Und dann mischte sich Disney ein und zog prompt den Zorn der Republikaner auf sich, jener Partei, der der Konzern jahrelang üppige Parteispenden zugeschoben hatte.
Das allein ist bemerkenswert. Walt Disney, der Gründer des Unternehmens, war ein strammer Republikaner. Heute weiß man: Er hat als Informant für das FBI gearbeitet und mutmaßliche Kommunisten in seiner Firma denunziert. Den Schauspieler Tommy Kirk ließ er einst feuern, nachdem der sich als schwul geoutet hatte.
Und ausgerechnet seine Firma wird heute als „zu woke“ bezeichnet.
Ob DeSantis das wirklich glaubt, ist schwer zu sagen. Sein erstes Ziel, mit einer leicht zu verstehenden Provokation in die landesweiten Schlagzeilen zu kommen, hat er erreicht. Und genau das braucht er im Moment dringend. Einer seiner Nachteile gegenüber dem Konkurrenten Donald Trump ist nämlich sein mangelnder Bekanntheitsgrad.