CORONA-GIPFEL IM BUNDESKANZLERAMT: ANSCHOBER / KURZ / KOGLER

3,3 Milliarden Euro für Österreich

Corona-Hilfen: Die EU-Regierung bezahlt rund 313 Milliarden Euro aus. Warum schlägt die Regierung Kurz nicht motiviert zu?

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Man stelle sich vor, jede Österreicherin und jeder Österreicher würde vom Finanzamt Geld geschenkt bekommen. Und zwar eine ganz ordentliche Summe. Man müsste nur ein wenig Papierkram erledigen, um ans Geld zu kommen. Beispielsweise darlegen, wofür man es zu verwenden gedenkt. Überdies müsste man die eigenen Familienmitglieder befragen, welche Vorstellung sie hegen, was damit anzufangen sei. Das wäre aber auch schon alles an Vorbereitungsarbeit.

Klingt absurd, ist es auch, zumindest auf der Ebene von Einzelpersonen. Ganz anders jedoch bei den Mitgliedstaaten der EU. Sie bekommen tatsächlich bald viel Geld geschenkt. Die stolze Gesamtsumme beträgt rund 313 Milliarden Euro, die an EU-Regierungen ausbezahlt werden. 3,3 Milliarden davon sind für Österreich vorgesehen. Zum Vergleich: Das entspricht etwas mehr als einem Zehntel der heimischen jährlichen staatlichen Gesundheitsausgaben. Die Gelder sind nicht rückzahlbare Zuschüsse, also eben, salopp gesagt, Geschenke. 

Der großzügige Geber ist die EU, genauer die EU-Kommission, quasi die Regierung der Union in Brüssel unter der konservativen Deutschen Ursula von der Leyen. Die Behörde hat im Lauf des vergangenen Sommers einen historisch beispiellosen Unterstützungsplan für die Mitgliedsstaaten aus der Taufe gehoben. Bei der „Europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität“, so der offizielle Name, handelt es sich um das größte Konjunkturpaket aller Zeiten. Damit soll der EU-Wirtschaft, die von der Corona-Krise schwer getroffen ist, bis zum Jahr 2026 auf die Beine geholfen werden. Es werden Projekte und Reformen finanziert, die für neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum sorgen. Im Schnitt soll der Aufbauplan laut Berechnung der Kommission zu zwei Prozent zusätzlichem Wachstum führen.

Doch obwohl Österreich zu den EU-Staaten zählt, die wirtschaftlich am härtesten von der Corona-Krise getroffen wurden (siehe Grafik), zeigt die türkis-grüne Bundesregierung bisher wenig Interesse am Milliardengeschenk aus Brüssel. In anderen Hauptstädten werden längst vielhundertseitige Pläne geschmiedet, was man mit dem Geld anfangen könnte. Oder es finden aufsehenerregende Debatten statt: In Italien etwa zerbrach wegen eines Streits um den EU-Plan sogar die Regierung von Premier Giuseppe Conte, der inzwischen von Mario Draghi abgelöst wurde.

In Wien hingegen bleibt es still um den EU-Aufbauplan, nicht nur in der öffentlichen Diskussion. Österreich zählt auch zu den langsamsten EU-Staaten, was die vorbereitenden Arbeiten betrifft. Überdies muss sich die Regierung Kritik gefallen lassen, bei der Einbindung der sogenannten Stakeholder zögerlich und schleppend zu agieren. Die Kommission schreibt den 
Mitgliedstaaten nämlich vor, dass Akteure wie Bundesländer und Gewerkschaften bei der Entscheidung über die Verwendung der Gelder miteingebunden sein müssen.

Zusammengefasst: Die Aussicht auf drei Milliarden Euro scheint die Regierung des Sebastian Kurz (ÖVP) bisher nicht zu übermäßigem Engagement zu motivieren. Warum, ist nicht ganz klar. Konkret zuständig für den EU-Aufbauplan auf österreichischer Ebene sind zwei ÖVP-Minister, Finanzminister Gernot Blümel und Europa-Ministerin Karoline Edtstadler.

Jedenfalls gilt der Plan, der vor einem halben Jahr verabschiedet wurde, als wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel der Europäischen Union. Während vergangener Krisen hatte die EU stets auf Austerität gesetzt, also darauf, dass krisengeschüttelte Regierungen sparen sollen, um das Vertrauen internationaler Investoren wiederzugewinnen. In Griechenland während der Euro-Krise etwa hatte die Sparpolitik, die von Brüssel als Gegenleistung für EU-Kredite erzwungen worden war, für viel Widerstand gesorgt. Nun gilt der neue, Hunderte Milliarden schwere Corona-Aufbauplan ein Stück weit als Eingeständnis der europäischen Staatenlenker, dass Sparen allein nicht aus einer Krise herausführt. Es braucht auch Investitionen, also Geld für neue Wirtschaftstätigkeit, so der Grundgedanke hinter dem EU-Aufbauplan. Österreich jedoch stand bei dessen Konzeption von Anfang an auf der Bremse. Bundeskanzler Kurz verbündete sich im vergangenen Frühsommer mit den Regierungschefs der Niederlande, Dänemarks und Schwedens zu den sogenannten „sparsamen Vier“. Gemeinsam wollte man den EU-Plan abschwächen, was letztlich nicht gelang.

Nun ist er in Kraft. Seit Oktober können Regierungen Reformen und Projekte bei der Kommission einreichen, die aus ihm finanziert werden soll. Die Frist läuft noch bis 30. April. Danach prüft die Kommission, ob alle Voraussetzungen erfüllt sind. Denn es gelten einige Regeln: So müssen mindestens 37 Prozent der Projekte eines Landes im Zusammenhang mit Klimaschutz stehen; weitere 20 Prozent müssen in die Förderung von Digitalisierungsprojekten fließen; außerdem müssen soziale Ziele berücksichtigt sein.

Ein Land kann also nicht einfach irgendwelche Vorhaben einreichen. Umso verwunderlicher ist, dass Österreichs Regierung bisher nichts getan hat. „19 Mitgliedstaaten haben bereits Entwürfe ihrer Pläne oder weite Teile davon vorgelegt“, teilt eine Sprecherin der EU-Kommission auf profil-Anfrage mit. Bleiben acht Nachzügler – unter ihnen findet sich Österreich. Mehr noch: Wie profil aus Brüsseler Kreisen erfahren hat, haben die meisten Nachzügler zumindest Vorgespräche mit der Kommission geführt oder unfertige Entwürfe abgeliefert. Lediglich drei Länder haben bisher noch gar nichts getan: Neben dem kleinen Luxemburg, das kaum ins Gewicht fällt, wären das Irland und Österreich. 

Dementsprechend steigt der Druck auf die türkis-grüne Regierung. Kritik in Sachen EU-Aufbauplan kommt beispielsweise von SPÖ-Politikern und Gewerkschaftern. Man habe „bereits im Dezember in einem Schreiben an den Bundeskanzler Forderungen formuliert“, sagte letzte Woche auf Radio Ö1 Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) – nichts sei geschehen. Doch nicht nur rote Gewerkschafter, auch ÖVP-Parteifreunde klingen zusehends nervös. „Bereits im November 2020 forderten die Länder die Einbindung in die Erstellung dieses Reformplans“, teilt auf profil-Anfrage Hermann Schützenhöfer (ÖVP) schriftlich mit, der steirische Landeshauptmann und zugleich derzeitige Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz. Laut dem Landeshauptmann trafen sich Schützenhöfer und Edtstadler am vorvergangenen Freitag zum Gespräch in Sachen Aufbauplan. „Dort habe ich einmal mehr klargemacht, dass Zusammenarbeit das Um und Auf ist. Es ist wichtig, dass die Länder eingebunden werden, wofür diese Mittel verwendet werden.“

Akteure wie Bundesländer und Gewerkschaften werfen sich ins Zeug für den EU-Aufbauplan, weil sie dabei durchaus einiges mitzureden haben. So sehen es zumindest die Pläne der EU-Kommission vor. „Die Kommission hat alle Mitgliedstaaten aufgerufen, mit Sozialpartnern und anderen relevanten Stakeholdern in einen breiten politischen Dialog zu treten, um den Aufbauplan vorzubereiten“, erklärt eine Kommissionssprecherin gegenüber profil. Stakeholder: Das wären etwa Bundesländer, Gemeinden, Gewerkschaften, Jugendorganisationen oder zivilgesellschaftliche Initiativen wie Umweltschutz-NGOs. In den Einreichungen, die an Brüssel geschickt werden, muss jeweils Bericht darüber erstattet werden, „inwiefern die Inputs von Stakeholdern berücksichtigt wurden und inwiefern sich dies im Plan widerspiegelt“, heißt es in einem Erklärdokument der Kommission für die EU-Staaten.

Wie das in der Praxis abläuft, führt beispielsweise Portugals Regierung vor. Dort wurde ein Prozess („Aufbauplan in Diskussion“) gestartet, in dessen Rahmen zahlreiche digitale Seminare zu Themen wie Waldschutz, Wohnungsbau, Armutsbekämpfung oder digitale Innovation stattfinden. Neben den jeweils zuständigen Fachministern nehmen etwa Unternehmensrepräsentanten, Arbeitnehmervertreter und Abgesandte von Universitäten an ihnen teil – und denken sich Projekte aus. 

Und in Österreich? Hierzulande wurde lediglich – obwohl das Land derart spät dran ist – im Rahmen einer Online-Infoveranstaltung eine Website samt E-Mail-Adresse präsentiert („[email protected]“). Dorthin können Vertreter von Bundesländern, Kammern, Gemeinden und NGOs ihre Ideen übermitteln. „Der Finanzminister versucht, die Einrichtung einer Mailadresse als angebliche Einbeziehung der Sozialpartner zu verkaufen“, sagt Thomas Kattnig von der Gewerkschaft „Younion“, „und das mitten in der größten Wirtschaftskrise der Zweiten Republik“. In eine ähnliche Kerbe schlägt die Umweltschutzorganisation WWF. Dies sei „eine Scheinbeteiligung mittels Mail-Adresse und einiger weniger unverbindlicher Gesprächsrunden“.

Dabei gäbe es viele gute Ideen, wie man die Brüsseler Milliarden nutzen könnte. Umweltorganisationen wie der WWF wünschen sich etwa Flusssanierungen; der heimische Städtebund will mehr öffentliche Verkehrsmittel für Österreichs Städte; der ÖGB plädiert für eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und mehr Laptops für Schulen; Österreichs Wirtschaftskammer fordert Forschungsgelder für Wasserstofftechnologien. Doch inwieweit die Ideen, die per E-Mail an Blümel und Edtstadler herangetragen werden, tatsächlich ernsthaft erwogen und bearbeitet werden, bleibt vorläufig offen. „Ganz generell haben wir bei bisherigen Gesprächen über den EU-Aufbauplan mit Regierungsvertretern und Ministerialbeamten mitunter den Eindruck gewonnen, dass der EU-Aufbauplan in der Prioritätenliste eher hinten steht“, sagt David Hafner, der beim ÖGB zuständig für EU-Agenden ist. Hafner äußert außerdem eine Befürchtung: Am Ende könnte Österreichs Regierung lediglich Projekte einreichen, die ohnehin bereits fix eingeplant seien, etwa bestimmte ÖBB-Bahnstreckenausbauten. Nachdem jedoch derartige Projekte so oder so zustande kommen – unabhängig vom EU-Aufbauplan –, wäre der Effekt auf zusätzliche Beschäftigung und Wachstum gleich null. 

Die EU-Kommission will zu all der Kritik in Sachen Österreich nichts sagen: „Wir bitten um Verständnis, dass wir uns nicht zum Inhalt der Gespräche mit einzelnen Mitgliedstaaten äußern.“ Und die Regierung? Dort kann man die Kritik nicht nachvollziehen, wie eine schriftliche Stellungnahme aus dem Büro von Gernot Blümel zeigt. Es sei „ein Konsultationsprozess gestartet worden, der von Frau Bundesministerin Edtstadler persönlich geführt wird“, heißt es. Im Rahmen dessen habe Edtstadler „persönliche Termine mit VertreterInnen von Arbeiterkammer, Gemeindebund bis hin zu NGOs absolviert“. Auch die Bundesländer seien im „Konsultationsmechanismus vollumfänglich eingebunden“.

Zur Kritik, dass Österreich spät dran sei, heißt es aus dem Finanzministerium, dass viele Details im EU-Plan erst im vergangenen Dezember fixiert worden seien. Daher habe „Österreich den Konsultationsprozess zu einem Zeitpunkt gestartet, an dem alle Parameter klar vorlagen und alle Stakeholder in Kenntnis aller Rahmenbedingungen ihren Beitrag leisten können.“ 

Bleibt noch die Frage, welche Investitionen aus Sicht der Regierung für den EU-Aufbauplan infrage kommen. Hier nennt der Sprecher des Finanzministeriums unter anderem „Themen wie Breitbandausbau, Digitalisierung im Bildungsbereich, Verwaltungsmodernisierung, Dekarbonisierung im öffentlichen Verkehr (…) sowie Maßnahmen zur Steigerung der Biodiversität“. Wird sich das alles ausgehen? „Der Plan wird spätestens am 30. April an die Europäische Kommission übermittelt.“