Wirtschaftsdiplomatie in Abu Dhabi: ÖBAG und Wirtschaftsministerium auf Milliarden-Mission
Audienz in Abu Dhabi: Wirtschaftsminister Hattmansdorfer und ÖBAG-Chefin Hlawati reisten anlässlich der Milliardenfusion rund um die heimische Borealis in die Vereinigten Arabischen Emirate. Aber welche Rolle spielt eigentlich Ex-OMV-Boss Rainer Seele bei Österreichs größtem Unternehmensdeal?
Diesmal reiste die Wirtschaftsdelegation aus Österreich weder mit 28 Lipizzanern, noch mit René Benko an. Wie damals, 2019, unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Ex-OMV-Chef Rainer Seele. Neapolitano Theodorsta, der weiße Prachthengst der Spanischen Hofreitschule blieb als Gastgeschenk für die Tochter des heutigen Herrschers von Abu Dhabi und damaligen Kronprinzen Muhammad bin Zayid Al Nahyan dort. Überbringerin des Geschenks war die heimische OMV-Petrochemietochter Borealis.
Um ebendiese Borealis geht es aber sechs Jahre später, beim dieswöchigen Besuch der österreichischen Wirtschaftsdelegation rund um Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfert (ÖVP), der Chefin der Österreichischen Beteiligungs-AG (ÖBAG) Edith Hlawati und OMV-Finanzchef Reinhard Florey in Abu Dhabi. Sie soll ja, wie profil mehrfach berichtete, 2026 in den Mega-Chemiekonzern Borouge Group International (BGI) aufgehen. Wenn der Deal durch ist, soll das Unternehmen mit einem Marktwert von über 40 Milliarden Euro der viertgrößte Chemiekonzern für Polyolefine weltweit werden. Diese Kunststoffe finden sich in Verpackungsmaterialien, sie ummanteln aber auch besonders leistungsstarke Tiefsee- und Glasfaserkabel, die harschen Witterungsbedingungen widerstehen müssen.
Bei dieser Reise verzichtet die Wirtschaftsdelegation auf prunkvolle Showeinlagen der Spanischen Hofreitschule, aber keinesfalls auf symbolträchtige Gesten und Respektbekundungen. Es ist kein Zufall, dass die erste Auslandsreise des Wirtschaftsministers – nach der Stippvisite in Brüssel – in die Vereinigten Arabische Emirate (VAE) führt. „Die Region ist höchst relevant für unsere Handelspolitik und steht ganz oben auf der Agenda“, sagt Hattmannsdorfer. Neben der Fusion mit Österreich-Beteiligung der Chemiekonzerne Borealis, Bourouge und Nova Chemicals zur großen BGI geht es bei der Reise auch um das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Emiraten. Das offizielle Österreich will dabei eine besonders aktive Verhandlerrolle spielen. Der Tenor: In einer Welt voller geopolitischer Risiken, wirtschaftlicher Unsicherheiten und potenzieller Feinde braucht Österreich gute Freunde mit viel Geld und Macht.
Mit 10 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 83.600 Quadratkilometern sind die sieben Vereinigten Arabischen Emirate im Arabischen Golf vergleichbar mit Österreich. Die Geschäftsbeziehungen mit der ölreichen Golfregion führen in die Zeit des SPÖ-Kanzlers Bruno Kreisky zurück. Das Handelsvolumen zwischen Österreich und den Emiraten beträgt heute eine Milliarde Euro und die Handelsbilanz fällt mit 800 Millionen Euro Exportvolumen deutlich zugunsten Österreichs aus. 150 österreichische Firmen sind hier tätig. Der heimische Anbieter für Schalungen und Gerüste Doka baute zum Beispiel am Burj Khalifa in Dubai mit. Mit 828 Metern ist es der höchste Wolkenkratzer der Welt. Strabag baut im Auftrag der staatlichen ,,Dubai Electricity and Water Authority'' ein Pumpspeicherkraftwerk.
Der Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park ist mit einer Fläche von 127 Quadratkilometern der größte Solarpark der Welt.
Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Denn während Österreich ein massives Budgetloch stopfen muss, liegt in emiratischen Staatsfonds sehr viel Geld, das ausgegeben werden will. Die finanzielle Investitionskraft wird derzeit mit 1,6 bis 1,9 Billionen US-Dollar beziffert. Während Österreichs Wirtschaft heuer voraussichtlich um 0,3 Prozent schrumpft, erwarten die Emirate laut dem Internationalen Währungsfonds ein Wirtschaftswachstum von 4,1 Prozent. Die österreichisch-abu-dhabische Beziehung muss auch durch die Brille dieses finanziellen Ungleichgewichts betrachtet werden.
Seit Jahren wappnet sich die Region, die durch den Export von Erdöl reich geworden ist, für den Tag, an dem das letzte Ölfass abgefüllt wird. Es fließen derzeit Milliarden in Solarparks und Atomkraftwerke für fossilfreie Energie, für Wasserstoff und für Datenzentren. Abu Dhabi hat vor drei Jahre eine eigene Universität für Künstliche Intelligenz eröffnet und dafür lokal und weltweit die besten Programmierer und Softwareingenieure eingekauft. Hier unterrichtet zum Beispiel der Technik-Chef der Dating-App Tinder. Erdöl soll künftig nicht mehr so viel verbrannt, sondern zu hochwertigem Kunststoff veredelt werden. Abu Dhabi will zum Weltmarktführer für Petrochemie werden und investiert Milliarden in diesen Industriezweig. Und hier kommt der jüngste Borealis-Deal ins Spiel.
Alte Bekannte
Der Adnoc-Tower in Abi Dhabi zählt 65 Stockwerke und ist 342 Meter hoch. Es ist der Firmensitz der Abu Dhabi National Oil Company. Mit einem Umsatz von rund 60 Milliarden US-Dollar ist sie einer der größten Öl-Produzenten der Welt und ist mittels Syndikatsvertrag mit 24,9 Prozent an der heimischen, teilstaatlichen OMV beteiligt. Als Ex-OMV-Chef Rainer Seele durch die Lobby des eindrucksvollen Towers spaziert, haben der Wirtschaftsminister, die ÖBAG-Chefin und der OMV-Finanzvorstand gerade ein eineinhalbstündiges, „sehr interessantes und sehr offenes Gespräch“, wie der Wirtschaftsminister später erzählen wird, mit dem Adnoc-Chef und Industrieminister Sultan Ahmed Al Jaber hinter sich.
„Ein Mann ohne Geheimnisse ist doch nicht mehr interessant.“
Ex-OMV-Chef Rainer Seele
über seine Rolle bei Adnoc
Seele saß, wie profil erfuhr, bei diesem Gespräch im Raum. Diesmal aber nicht auf Seiten der österreichischen Vertretung, sondern auf der Seite Adnocs. Seit gut drei Jahren lebt Seele in Abu Dhabi und ist Berater des Adnoc-Vorstands und Industrieministers. Immer wieder wurde über seine Rolle in den gut zwei Jahre andauernden Verhandlungen rund um den Borealis-Deal spekuliert. Und immer wieder winkten OMV und ÖBAG auf Nachfrage ab. Als profil, „Kurier“ und „die Presse“, die an dieser Reise teilnehmen, wissen wollen, was er denn nun hier genau mache, antwortet Seele nur: „Ein Mann ohne Geheimnisse ist doch nicht mehr interessant.“
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (l.) und Adnoc-Chef und Abu Dhabis Infrastrukturminister Sultan Al Jaber. Am Gespräch rund um die Fusion der beiden Petrochemie-Konzerne Borealis und Borouge in Abu Dhabi nahmen nicht nur die Chefin der ÖBAG Edith Hlawati und OMV-Finanzchef Reinhard Florey teil. Auch der abgesetzte Ex-OMV-Chef Rainer Seele war anwesend.
Man muss die Involvierung des ehemalige OMV-Chefs geschichtlich betrachten: Seele verantwortet zwei Ereignisse, die die Firmengeschichte der OMV nachhaltig prägen sollten. Er straffte nicht nur die Beziehungen zur russischen Gazprom und zu Russland, indem er den mittlerweile aufgelösten Gasliefervertrag vorzeitig bis 2040 verlängerte – und auch gleich die Gas-Liefermengen deutlich erhöhte.
Der promovierte Chemiker wurde auch zum Architekten der Petrochemie-Strategie der OMV. Die Borealis sollte den Konzern in eine nachhaltigere Zukunft führen, in der Erdöl nicht mehr verbrannt, sondern veredelt, extrahiert und zu hochwertigen Kunststoffen verarbeitet wird. Unter Seele übernahm die OMV im Jahr 2020 vom Abu Dhabi Investmentfonds Mubadala die Mehrheit an Borealis, indem sie ihre Beteiligung von 36 auf 75 Prozent aufstockte. Heute geht Seele offenbar bei Adnoc ein und aus und darf auf die Dienste eines Firmenwagens und Chauffeurs zurückgreifen.
Größtes Unternehmen Österreichs
Zurück zur eigentlichen Firmenfusion und ihre Bedeutung für Österreich: Zwei Jahre lang verhandelten Adnoc, OMV und ÖBAG den Zusammenschluss der Petrochemie-Töchter Borealis und Borouge. Wie profil immer wieder berichtete, war die Zusammenführung der Unternehmen alles andere als einfach und friktionsfrei. Für Österreich war es dennoch kein schlechtes Geschäft. „Es ist der größte Deal, den die ÖBAG je gemacht hat und wohl auch der komplexeste. Borouge International wird in einer Liga mit BASF spielen“, sagt ÖBAG-Chefin Hlawati. So ehrlich muss man sein: Die OMV hätte aus eigener Kraft weder die Finanzbeteiligung an einem so großen Chemiekonzern gestemmt. Noch kann Österreich mit günstigen Rohstoffen für die energieintensive Erzeugung oder einem direkten Zugang zu Wachstumsmärkten aufwarten.
Ein Großteil der Produktion wird künftig in Abu Dhabi stattfinden. Die Firmenzentrale und damit die Steuerlast von BIG bleiben aber in Wien. OMV und Adnoc werden jeweils 46,94 Prozent am neuen Konzern halten, der Rest ist in Streubesitz. 1,6 Milliarden Euro hat die OMV für den Deal selbst zugeschossen, um mit Adnoc gleichzuziehen. Denn Borouge, das bereits an der Börse von Abu Dhabi notiert ist, war größer und deutlich höher bewertet als die heimische Borealis. 60 Milliarden Euro an Eigen- und Fremdkapital fließen in das Chemie-Konglomerat. Um 9,4 Milliarden Euro wird die neue Borouge International zudem die kanadische Nova Chemicals erwerben. Der Kauf soll über eine Brückenfinanzierung erfolgen, die später über eine Kapitalerhöhung von rund vier Milliarden Euro zum Teil refinanziert werden soll. Das könnte die Anteile von OMV und Adnoc leicht verwässern.
2027 soll der neue Konzern dann an der Wiener Börse zweitgelistet werden. Das Forschungszentrum in Linz wurde vertraglich festgeschrieben. Außerdem laufen die Verträge für die Raffinerien in Schwechat und Burghausen bis zum Jahr 2048. Und die jährliche Dividende für die OMV, die über die ÖBAG zum Teil an die Republik weiterfließt, soll eine Milliarden Euro betragen. Ab 2027 soll dann das Zweitlisting an der Wiener Börse erfolgen.
Ungleiche Partner
Dennoch wird der Deal auch kritisch betrachtet. Auf die Sorge der Gewerkschaften vor einem Abfluss von Arbeitsplätzen von Österreich nach Abu Dhabi oder an anderen Standorten von BIG reagiert die OMV-Führung bisher ausweichend. Mit Adnoc hat die OMV außerdem beim neuen Tochterunternehmen nicht nur ihre eigenen Konzernmutter als Gegenüber, sondern einen finanziell viel besser aufgestellten Partner. Zwar hat Adnoc der einseitigen Kapitalerhöhung von 1,6 Milliarden Euro durch die OMV zugestimmt. Und bei der rund vier Milliarden Euro schweren zweiten Kapitalbeschaffung durch Investoren, die für das Zweitlisting an der Wiener Börse notwendig sind, wollen weder OMV noch Adnoc mitziehen.
Aber was passiert, wenn der emiratische Weltkonzern in einigen Jahren wieder investieren und Kapital zuschießen will? Verliert die OMV dann Anteile und damit Einfluss, wenn sie nicht die nötigen Finanzmittel hat, um mitzuziehen? „Die nun verhandelten Rechte der OMV gelten bis zu einer Grenze von rund 30 Prozent und die OMV kann nicht gegen ihren eigenen Willen auf einen Anteil von unter 30 Prozent sinken“, erklärt Finanzvorstand Reinhard Florey. Auch das habe man vertraglich vereinbart.
Schon am Mittwoch besucht Adnoc-Chef Al Jaber übrigens Wien. Wenn es um Milliarden geht, sind gute Beziehungen eben alles.
Transparaenzhinweis: Die Reise in die Arabischen Emirate erfolgte auf Einladung des Wirtschaftsministeriums, das einen Teil der Reisekosten trägt.