Agentin Ninas langer Schatten
Wer die großen heimischen Skandale, Affären und Aufreger der vergangenen Jahre nach Stichworten ordnen möchte, könnte dies gut und gerne anhand der Kontakte und Auftraggeber von Christina W. versuchen. Die deutsche Privatagentin mit Stasi-Vergangenheit - Codename "Nina" - stand hierzulande unter anderem in Verbindung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), sie arbeitete für den ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch, und sie werkte für den Glücksspielkonzern Novomatic. Dazu kam eine Reihe weiterer illustrer Projekte und Auftraggeber -bis das System Nina im Frühjahr 2016 jäh platzte.
Deutsche Ermittler waren der heute 73-Jährigen auf die Schliche gekommen. Sie hatte einem Komplizen - einem Kriminalkommissar - Geld für illegale Abfragen am Polizeicomputer gegeben. Es kam zu Hausdurchsuchungen, die Beteiligten wurden festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt. Nicht einmal ein halbes Jahr später war die Anklageschrift fertig, noch im Herbst 2016 startete der Gerichtsprozess. Anfang 2017 wurden Christina W. sowie der Kommissar nach Geständnissen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt - unter anderem wegen Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit. Das ist nun drei Jahre her. Christina W. ist - laut Auskunft eines ihrer Anwälte -bereits wieder aus dem Gefängnis entlassen worden. In Österreich sind die Ermittlungsbehörden hingegen immer noch am Arbeiten. Stand zunächst hauptsächlich die Verbindung von Christina W. zu einem BVT-Mitarbeiter im Fokus, weitete sich der Ermittlungsradius sukzessive aus.
Wie profil-Recherchen zeigen, führten die untersuchten Spuren die Behörden von rumänischen Ölfeldern bis in ein niederösterreichisches Finanzamt: von der teilstaatlichen OMV, die den Vertrag zu einem millionenschweren Projekt nicht finden konnte, hin zu einem Finanzamtsmitarbeiter, der - als die Ermittler seine Wohnung durchsuchten - einen USB-Stick in der Toilette versenken wollte. Die Fährten reichen nach Moskau, sie führen zum früheren Präsidenten der Finanzaufsicht des Vatikans, und sie deuten auf ein problematisches Nahverhältnis zwischen Detektiven und Amtsträgern hin. Es ist eine Affäre, die die Republik wohl noch länger in Atem halten wird.
Nina und das Öl
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man in der OMV-Zentrale in der Wiener Trabrennstraße eigentlich hellhörig werden müssen: Am 25. November 2016 berichtete die "Schweriner Volkszeitung" über Aussagen des mittlerweile gefeuerten Kommissars, der damals gerade mit Christina W. vor Gericht saß. Der Angeklagte erzählte dem Richter, er habe indirekt vom österreichischen Energiekonzern OMV rund 150.000 Euro bekommen, weil er ein Sicherheitskonzept für Ölförderstätten in Rumänien und für den persönlichen Schutz eines OMV-Managers ausgearbeitet habe. Den Auftrag habe Christina W. vermittelt. Es war ein Teilauftrag im Rahmen eines Projekts namens "Scout", das insgesamt von 2008 bis 2013 laufen sollte.
Der Ex-Kommissar meint vor Gericht: "Ich war total unbeleckt auf diesem Gebiet." Als er Details des Konzepts schilderte, meinte der Richter: "Darauf wäre ich als Ölfirmenvorstand auch von allein gekommen." Die überraschende Antwort des Angeklagten: "Das habe ich auch gedacht, aber so war das." Der damals für Rumänien verantwortliche OMV-Manager Johann Pleininger sei "ein Fachidiot" gewesen und habe von Sicherheit keine Ahnung gehabt. Nun würde man annehmen, dass ein Konzern wie die OMV, der zu 31,5 Prozent dem Staat Österreich gehört, in einem solchen Fall alle Hebel in Bewegung setzen würde, um das - möglicherweise zu viel bezahlte - Geld zurückzuverlangen. Zumindest würde die Compliance-Abteilung die internen Informationen zu diesem Projekt überprüfen. Johann Pleininger war zu diesem Zeitpunkt übrigens bereits in den Konzernvorstand der OMV aufgerückt. Dort ist er Stellvertreter von Generaldirektor Rainer Seele.
Doch wie profil-Informationen zeigen, verfügte die OMV in Wien über keine schriftlichen Unterlagen zum Projekt "Scout". Zumindest erklärte der Compliance-Chef das so gegenüber den Behörden. Es sollte bis 2018 dauern, bis man zumindest von der rumänischen Tochterfirma Petrom entsprechende Unterlagen anforderte. Auch das erfolgte nicht unbedingt aus eigenem Antrieb, sondern weil die Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft Mitte 2018 eine sogenannte Anfangsverdachtsprüfung gestartet hatte.
So kam es, dass man bei der OMV in Wien erstmals am 29. November 2018 Unterlagen zum Projekt "Scout" durchblätterte. Das war ziemlich genau zwei Jahre nach der pikanten Aussage des deutschen Kommissars vor Gericht. Informationen, die profil exklusiv vorliegen, zeigen nun erstmals die genaue finanzielle Größenordnung von "Scout": Insgesamt rund 9,1 Millionen Euro flossen in das umstrittene Sicherheitsprojekt. Den Löwenanteil von 7,5 Millionen Euro zahlte die OMV Exploration &Production GmbH mit Sitz im OMV-Headquarter in der Wiener Trabrennstraße. Diese Tochterfirma hatte Anfang 2008 auch den Projektvertrag abgeschlossen. Erst ab 2011 -in der zweiten Phase von "Scout" - fungierte Petrom in Rumänien als Auftraggeberin.
Können diese Angaben, insbesondere was die Vermögenswerte betrifft, verifiziert werden? Wenn ja, was würde das kosten?“ - Aus einer E-Mail-Anfrage an Christina W.
Was ist - abgesehen von der nur allzu klaren Aussage des deutschen Kommissars vor Gericht - auffällig an dem großzügig dotierten Projekt? Eine kurze Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Als Vertragspartnerin der OMV fungierte keine etablierte Sicherheitsfirma, sondern eine BNH Consulting GmbH mit Sitz in einer Wiener Anwaltskanzlei. Die Firma wurde in einer späteren Projektphase umbenannt. Als Geschäftsführer und Gesellschafter der BNH schien im Firmenbuch kein Sicherheitsfachmann, sondern einer der Anwälte auf. Der OMV wurde das Angebot für das Projekt "Scout" am 14. Jänner 2008 unterbreitet, bereits an diesem Tag dürfte auch eine Vereinbarung erzielt worden sein. Kleiner Schönheitsfehler: Die BNH war da noch gar nicht gegründet. Dies erfolgte erst zwei Wochen später. Einiges deutet darauf hin, dass es sich um eine reine Verrechnungsfirma handelte, die das Geld von der OMV erhielt und dann ihrerseits an Sub-Auftragnehmer weiterverteilte - etwa an Christina W. alias "Nina".
Die Ermittler wollten im Rahmen der Anfangsverdachtsprüfung wissen, wie es zur Beauftragung gekommen war. Die OMV erklärte, diese sei durch den Vorstand erfolgt, ein etwaiger Tenderprozess sei aber nicht dokumentiert beziehungsweise auffindbar. "Die genauen Erwägungen sind heute aufgrund fehlender Dokumentation nicht mehr bekannt." Fehlanzeige auch, was den Vertrag betrifft: Die OMV - immerhin ein international tätiger Milliardenkonzern -teilte den Ermittlern mit, das Papier sei "derzeit" nicht auffindbar. Doch damit noch lange nicht genug der Eigenartigkeiten: Als "Schnittstelle und Kontaktperson" zur Projektfirma BNH fungierte Barbara S. aus Wien. Auch sie stammte nicht unbedingt aus dem Sicherheitsgewerbe. Dafür war sie seit 2007 als Kommunikationsberaterin und Coach für Pleininger tätig, der damals Vorstand bei der Petrom geworden war. S. verrechnete für diese Beratung - separat vom Projekt "Scout" - von Oktober 2007 bis September 2008 insgesamt rund 69.000 Euro. Nicht schlecht für ungefähr ein Jahr. Der Stundensatz von 300 Euro sorgte bei den Ermittlern im Rahmen der Anfangsverdachtsprüfung für leichtes Stirnrunzeln.
Neben Barbara S. fungierte auch Privatagentin Christina W. als Ansprechpartnerin für die OMV im Rahmen des Projekts. Sie habe -laut OMV-Angaben gegenüber den Ermittlern -"von Zeit zu Zeit Kontakt" mit Pleininger gehabt. Keinen Kontakt habe Pleininger hingegen zu einem BVT-Mitarbeiter gehabt, der eine zentrale Ansprechperson von W. in Österreich war und seit Auffliegen der Affäre unter Korruptionsverdacht steht. Dies erklärte die OMV jedenfalls den Ermittlern. Der Konzern bestätigte jedoch, dass der BVT-Mitarbeiter "Mitglied des Teams" gewesen sei, das "für die BNH" tätig gewesen sei. Mit dem -mittlerweile verurteilten -deutschen Kriminalkommissar wirkten somit gleich zwei aktive Amtspersonen am Projekt "Scout" mit.
Wenn ein Konzern wie die OMV ein Sicherheitsprojekt auf den Weg bringt, bei dem mitunter Monatsrechnungen von jenseits der 200.000 Euro anfallen, würde man davon ausgehen, dass der Sicherheitschef des Konzerns entsprechend eingebunden ist. Dieser hatte im konkreten Fall jedoch nur die mäßig ehrenvolle Aufgabe, die Zahlungen freizugeben, sobald sie von Pleininger einer "Plausibilitätsprüfung" unterzogen worden waren. Von jenem Pleininger, der -dem deutschen Kommissar zufolge - von Sicherheitsthemen keine Ahnung gehabt habe. Der Leiter der Sicherheitsabteilung soll sich "grundsätzlich kritisch" über die Zusammenarbeit mit der BNH gezeigt haben. Die OMV versuchte gegenüber den Ermittlungsbehörden abzuwiegeln: Die Kritik sei "nicht substantieller Natur". Der Sicherheitschef sei lediglich nicht "in der von ihm gewünschten Tiefe" in das Projekt "Scout" integriert gewesen. "Aufgrund des besonderen Geheimhaltungsinteresses sollten OMV-Mitarbeiter in das Projekt Scout nur peripher integriert werden. Dies rief bei ihm - als Leiter der Sicherheitsabteilung - Unverständnis und Unzufriedenheit hervor." Folgt man dieser bemerkenswerten Argumentation, dann hätten die Projektverantwortlichen bei der OMV Agentin Nina und Konsorten mehr vertraut als dem eigenen Sicherheitschef. Worum ging es nun eigentlich im Projekt "Scout"? Im Rahmen der Anfangsverdachtsprüfung erklärte die OMV, die BNH habe Erdöldiebstähle in Rumänien klären und ein Sicherheitskonzept erstellen sollen. Umfasst seien "Observations-und Aufklärungsleistungen vor Ort","Recherchetätigkeiten zu Personen und Unternehmen" und die "Entwicklung eines Konzeptes" zum Schutz von Pleininger und dessen Familie gewesen, die in Rumänien ernstzunehmende Drohungen erlebt hätten. Mit angeblichen Morddrohungen begründete die OMV auch, man habe nicht gewollt, dass Berichte im Unternehmen im Umlauf seien. Es habe aber etwa alle zwei Monate eine Berichterstattung stattgefunden.
Die OMV erklärte gegenüber den Ermittlungsbehörden mehrmals, dass man sich nicht geschädigt fühle. Die beauftragten Unternehmen hätten Leistungen erbracht, die Diebstähle seien eingedämmt worden.
profil liegen Projektunterlagen vor, welche die OMV dann doch in den Archiven der Petrom finden konnte. Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um eine bemerkenswerte Menge von einigen Hundert Seiten. Auf den zweiten Blick wirken viele der Unterlagen als Leistungsnachweise für ein Millionenprojekt jedoch überraschend unstrukturiert. Oft fehlt das Datum. Einige Berichte finden sich auch gleich mehrmals -offenbar in unterschiedlichen Bearbeitungsstufen und Sprachen - in den Ringmappen. Möglicherweise sind hier auch Berichtsentwürfe in verschiedenen Stadien hineingerutscht.
Es gibt viele Fotos -vor allem von Ölförderanlagen, Tanks und Pipelines -mit wenig Text. In einem dieser Berichte wird darauf verwiesen, dass in einem Gebiet unter anderem deshalb Öldiebstahl möglich sei, weil die Förderstellen nicht mit Zäunen gesichert seien. Ein Foto zeigt dann demonstrativ, wie eine gut eingezäunte Ölquelle aussehen sollte (siehe Faksimile). Dieses Papier stammt - dem Titel nach - aus dem November 2010. Da war das Millionenprojekt "Scout" bereits fast drei Jahre lang am Laufen. Weshalb waren derart offensichtliche Kinderkrankheiten wie nicht eingezäunte Förderstellen da nicht schon längst behoben?
In einer anderen Unterlage, die sich gleich fünf Mal in unterschiedlichen Fassungen und Sprachen in den Ordnern findet, sind auch Fotos von einem landwirtschaftlichen Betrieb enthalten. Angemerkt wurde, dass dort keine illegalen Öl-Aktivitäten stattfinden würden. Unter einem der Fotos, auf dem in der Ferne Tiere zu erkennen sind, steht der lakonische Bildtext: "The cows".
profil hat bei der OMV nachgefragt. Der Ölkonzern bestätigte, dass eine Anfangsverdachtsprüfung erfolgt sei. "Die Staatsanwaltschaft kam zum Ergebnis, dass kein Anfangsverdacht vorlag. Es wurde daher auch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sicherheitsprojekte unterliegen strenger Vertraulichkeit, denn nur ein verantwortungsvoller Umgang kann eben Sicherheit gewährleisten."
All die beschriebenen Auffälligkeiten waren der österreichischen Justiz also zu wenig, um ein formelles Ermittlungsverfahren einzuleiten. Der Fall wurde Mitte 2019 -somit ungefähr nach der Dauer eines Jahres -zurückgelegt. Bemerkenswert ist, dass die Einholung der Auskünfte zwischen OMV und Ermittlern über mehrere Monate hin und her ging. Es handelte sich somit um ziemlich lange Nicht-Ermittlungen. Der große Vorteil für die Betroffenen an dieser bemerkenswerten Vorgehensweise: Niemand scheint dabei als Beschuldigter auf.
Nina und die Daten
Formelle Ermittlungen hat die WKStA in Bezug auf einen anderen Aspekt der Causa W. angestellt - und zwar durchaus intensiv. Wie profil herausgefunden hat, reicht die Kette der Beschuldigten dabei vom Finanzamt im beschaulichen Städtchen Scheibbs in Niederösterreich bis zum ehemaligen Präsidenten der Finanzaufsicht des Vatikans.
Letzterer heißt René Brülhart, ist Jahrgang 1972, stammt aus der Schweiz und ist eine große Nummer in der internationalen Finanzszene. Von 2004 bis 2012 leitete er die Financial Intelligence Unit Liechtensteins -jene Behörde, die Geldwäsche bekämpfen soll. Danach war er zunächst Direktor der Vatikanischen Finanzaufsicht, bevor er 2014 vom Papst zu deren Präsidenten ernannt wurde. Das Amt hatte Brülhart bis 2019 inne.
Der Job in Rom war jedoch nicht die einzige Beschäftigung des Schweizers, der seit Jahren ein Beratungsunternehmen betreibt. Brülhart dürfte auch mit Christina W. in Kontakt gestanden sein. Jedenfalls ordnen ihm die Ermittler ein E-Mail an die Privatagentin vom 24. Juli 2015 zu. Darin ging es um Alexey K., einen russischen Geschäftsmann, der sich in Österreich niedergelassen habe. Laut vorliegenden Unterlagen hieß es in dem E-Mail: "Im Rahmen des Niederlassungsprozesses musste K. seine Vermögenssituation gegenüber der österreichischen Einwanderungsbehörde (MA 35) umfassend darlegen und soll angeblich Vermögenswerte im Umfang von EUR 40 Mio. deklariert haben. Diese sollen insbesondere durch zwei Investments in US Funds bestehen. Zudem soll K. 2014 eine Steuererklärung eingereicht haben. Können diese Angaben, insbesondere was die Vermögenswerte (Umfang und Inhalt) betrifft, verifiziert werden (am besten mit Unterlagen)? Wenn ja, was würde das kosten?"
Tags darauf soll W. geantwortet haben, dass die Anfrage nur ein bestimmter BVT-Mitarbeiter ausführen könne, den auch Brülhart kennen würde. Dieser BVT-Mitarbeiter, gegen den ebenfalls ermittelt wird und der sämtliche Vorwürfe bestreitet, erstellte zwei Tage später über eine Zugangsadresse des Innenministeriums sechs Firmenbuchabfragen zu dem russischen Geschäftsmann in unterschiedlichen Schreibweisen. Am 3. August 2015 soll W. dann Brülhart ein Foto eines Kostenvoranschlags für die Steuererklärungen der letzten fünf Jahre übermittelt haben. In einer zweiten Nachricht merkte sie an, dass sich der BVT-Mitabeiter darum gekümmert habe und Brülhart für dessen Mühen noch etwas draufschlagen solle. Der BVT-Mitarbeiter soll die Kosten mit 4500 beziehungsweise 5000 Euro betitelt haben.
Doch wie kommt ein BVT-Mitarbeiter zu Finanzdaten ? Dazu prüften die Ermittler folgenden Verdacht: Der BVT-Bedienstete soll mit einem früheren Kollegen und damaligen Geschäftsführer einer Wiener Detektei befreundet gewesen sein. Der Detektiv wiederum sei mit einem Mitarbeiter des Finanzamts Scheibbs in Verbindung gestanden. Tatsächlich haben - Ermittlungsergebnissen zufolge - dieser Mitarbeiter und ein zweiter Kollege am Finanzamt am 6. und 7. August 2015 Abfragen zum Russen K. im System der Finanzverwaltung vorgenommen -und zwar zu den Steuerjahren 2010,2011,2012,2013 und 2014.
Als die Ermittler am 18. Juli 2017 beim Mitarbeiter des Finanzamts zwecks Hausdurchsuchung vorstellig wurden, kam es zu einem bemerkenswerten Vorfall: Der Mann nahm einen bereits sichergestellten USB-Stick unbemerkt vom Wohnzimmertisch, zerbrach ihn und versuchte laut Ermittlungsakten, "die Teile unter Betätigung der Tastenspülung im Abfluss der WC-Anlage zu entsorgen". Doch das kühne Vorhaben misslang: Die Ermittler konnten den Stick später auswerten und sollten darauf unter anderem einen Zeitungsbericht finden, in dem auf Christina W. Bezug genommen wurde.
Drei Tage nach der Hausdurchsuchung klickten bei dem Finanzamtsmitarbeiter, der alle Vorwürfe bestreitet, die Handschellen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen. Im Anhalteprotokoll wurde unter anderem vermerkt: "Silberfarbene Uhr, beschriftet mit ROLEX". Erst einen Monat später konnte der Beschuldigte die U-Haft wieder verlassen. Im September 2018 ersuchte die WKStA übrigens die russische Generalstaatsanwaltschaft, einen Teil der Ermittlungen zu übernehmen, und zwar jene gegen zwei Russen, die als Drahtzieher hinter der mutmaßlichen Auskundschaftung von K. vermutet werden. Es soll sich um ehemalige Geschäftspartner handeln, von denen sich K. getrennt habe. In dem offiziellen Schreiben ist auch René Brülhart als Mitbeschuldigter bezeichnet (siehe Faksimile).
Ein Anwalt Brülharts weist auf profil-Anfrage sämtliche Vorwürfe gegen seinen Mandanten entschieden zurück. Brülhart stelle "hohe Anforderungen an die Integrität und Vertraulichkeit seiner Arbeit. Für ihn war und ist es deshalb selbstverständlich, dass sämtliche Tätigkeiten stets ausschließlich auf legale Art und Weise durchgeführt werden". Brülhart habe kein Mandat gehabt und niemanden beauftragt, Steuererklärungen von K. zu organisieren, und habe solche -oder Daten daraus - weder erhalten noch weitergegeben und auch niemanden bezahlt. Die beiden russischen Verdächtigen seien Brülhart nicht bekannt. Auch sei ihm nicht bekannt, dass er als Beschuldigter geführt werde.
Die WKStA hat ihre Ermittlungen in diesem Teilaspekt der Causa W. mittlerweile abgeschlossen und einen sogenannten Vorhabensbericht an die Oberstaatsanwaltschaft Wien übermittelt. In Bezug auf andere Sachverhalte laufen die Ermittlungen noch, insgesamt gibt es zwölf Beschuldigte. profil hat auch bei Christina W. nachgefragt. Einer ihrer Anwälte teilte mit, sie sei gesundheitlich nicht in der Lage, sich mit der angefragten Materie zu befassen. In Bezug auf sämtliche Vorwürfe in Österreich gilt in vollem Umfang die Unschuldsvermutung.
Die Abfragen in Bezug auf den Russen K. sind übrigens nicht die einzigen potenziell verdächtigen Vorgänge, die den Ermittlern in Bezug auf das Finanzamt Scheibbs untergekommen sind. Vom erwähnten Finanzamtsmitarbeiter wurden unter anderem auch auf Daten eines Wirtschaftsprüfers zugegriffen, der als Gutachter in zahlreichen prominenten Strafverfahren aktiv ist. Dieser meinte, es solle vorkommen, dass persönliche Umstände von Sachverständigen ausspioniert würden.
Ein anderer Finanzbediensteter teilte einem Mitarbeiter eines Autohauses, den er vom Fußballspielen kannte, auf WhatsApp-Anfrage das Einkommen eines Kollegen mit. Der Autohaus-Mitarbeiter fühlte sich offenbar firmenintern benachteiligt. Nach erhaltener Auskunft schrieb er: "Ok gemma mal essen junge".
Bemerkenswert scheint der betont freundschaftliche Umgang zwischen einigen Finanzbeamten und dem Leiter einer regionalen Bankfiliale. Letzterer soll öfter Frühstücksgast im Amt gewesen sein. Die Ermittler stießen auf regen E-Mail-Verkehr, in dem sich der Banker mit Finanzamtsmitarbeitern zu den Steuerangelegenheiten anderer Personen austauschte. Einer Aussage zufolge soll der Filialleiter für Kunden die Arbeitnehmerveranlagung erledigt haben - dies offensichtlich auf dem ganz kurzen Weg und mit besten Beziehungen. In einem Mail vom 22. Dezember 2016 fragte der Banker in Bezug auf einen Auszahlungsantrag nach, ob noch Informationen benötigt würden. Nachsatz: "Kundin benötigt dringend KOHLE".
Ein Sprecher des Finanzministeriums erklärt auf profil-Anfrage, das Verfahren sei nach wie vor bei der WKStA anhängig. "Über den aktuellen Stand der Ermittlungen haben wir keine Kenntnis, wiewohl wir uns laufend danach erkundigen."
Vielleicht gibt es ja bald Neuigkeiten.
Update 17. Dezember 2021:
Neuigkeiten gibt es in der Tat, und zwar zu einem Teil der Vorwürfe rund um das Finanzamt Scheibbs: In Bezug auf jene Verdachtsmomente, die zwar in Zusammenhang mit der Causa "Nina" aufgeflogen sind, aber nichts mit der Privatagentin selbst zu tun haben, hat die WKStA zwischenzeitlich gegen drei Personen Anklage erhoben. Das Gerichtsverfahren läuft derzeit am Landesgericht St. Pölten.
Nicht umfasst von der Anklage ist der beschriebene Verdacht bezüglich Finanz-Abfragen zum erwähnten russischen Geschäftsmann. Dieser Aspekt der Causa um die deutsche Privatschnüfflerin ist Teil eines kürzlich von der WKStA an die Oberstaatsanwaltschaft Wien erstatteten Vorhabensberichts, wie ein WKStA-Sprecher auf profil-Anfrage bestätigte.