Die Akte Meinl: Der Fall Lagun
- Die ukrainische Einlagensicherung musste 590.000 Delta-Sparer mit umgerechnet rund 575 Millionen US-Dollar entschädigen.
- Die Bilanz der Privatbank sei ein „Fake“ gewesen, sagt die frühere ukrainische Notenbank-Chefin Valeria Gontareva.
Mykola Lagun war im ukrainischen Geldgeschäft einst eine große Nummer. Gründer und Hauptaktionär der Kiewer Delta Bank (70 Prozent), welche er im Februar 2006 gleichsam auf die grüne Wiese gestellt hatte. In nicht einmal einer Dekade war es Lagun (alternative Schreibweise Lahun) gelungen, die Delta Bank zu einem der größten Kreditgeber der Ukraine zu formen. 2014 zählte das Geldhaus nach eigener Darstellung rund 6500 Mitarbeiter, 222 Filialen und vier Millionen Kunden. Für die ukrainische Zentralbank war die Delta Bank JSC eine von acht „systemrelevanten“ Einrichtungen – sie stand in einer Reihe mit multinationalen Playern wie UniCredit, Raiffeisen und Sberbank. Laguns englischsprachiger Wikipedia-Eintrag spart konsequenterweise nicht mit Lob und Auszeichnungen: „Financier of the Year“, „Banker of the Year“, „Most Solvent Banker of the Year“, „Most Recognizable Banker of the Year“. Der hymnische Wikipedia-Eintrag reißt Mitte 2014 ab.
Notkredite für Delta Ende 2014
Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Delta Bank noch im Herbst 2014 zu schlingern begann. Die Annexion der Krim durch Russland und der bewaffnete Konflikt im Osten des Landes hatten dem ukrainischen Finanzsektor im Jahresverlauf 2014 schwer zugesetzt, der in den Krisenregionen exponierten Delta Bank zumal. Internationale Investoren waren in Scharen davongelaufen, die Währung Hrywnja war massiv unter Druck geraten, die Liquidität knapp geworden.
Die Zentralbank gewährte Delta Ende 2014 Notkredite, um den Laden am Laufen zu halten, ehe sie am 3. März 2015 die Zahlungsunfähigkeit der Bank öffentlich machte: „Delta Bank JSC declared insolvent.“ In weiterer Folge musste die staatliche ukrainische Einlagensicherung (Deposit Guarantee Fund, kurz DGF) umgerechnet rund 575 Millionen US-Dollar in die Hand nehmen, um annähernd eine halbe Million betroffener Sparer zu entschädigen.
Geht es nach der früheren ukrainischen Zentralbank-Gouverneurin Valeria Gontareva, dann waren nicht nur äußere Umstände für den Niedergang der Delta Bank verantwortlich.
„Herr Lagun, Ihre Bilanz ist ein Fake“
„Ich erinnere mich an eine Bank, die absolut einzigartig war“, rekapituliert die damalige ukrainische Nationalbank-Gouverneurin Valeria Gontareva. „Delta Bank. Die Bilanz war nichts als ein Fake. Ich erinnere mich auch an ein Meeting mit dem Aktionär der Bank, Herrn Lagun. Wir sagten: ,Herr Lagun, ihre Bilanz ist ein Fake, da stehen 246 Millionen US-Dollar, die es nie gegeben hat.‘ Schließlich sagte er: ,Ja‘.“ (ein Interview mit Valeria Gontareva finden Sie hier:
2016 berichtete die „Kiew Post“ unter Berufung auf Erkenntnisse des DGF, dass bei der Delta Bank im Vorfeld der Insolvenz rund 250 Millionen US-Dollar verschwunden waren. Das Geld war 2011/2012 zunächst auf Korrespondenzbankkonten bei drei ausländischen Banken überwiesen worden, ehe drei Briefkästen auf den Britischen Jungferninseln es „absaugten“. Eine dieser drei Banken: Die Meinl Bank, über welche laut DGF 87,3 Millionen US-Dollar gelaufen waren.
Das dem Rechercheverbund vorliegende Material gibt Einblick in die Geschäftsbeziehung zu Meinl. Am 25. September 2011 eröffnete die ukrainische Delta Bank ein Konto bei der Meinl Bank in Wien. Ein Jahr später, am 22. Oktober 2012 schloss die Kiewer Privatbank mit der Meinl Bank einen „Verwahrungs- und Verpfändungsvertrag“ ab, dem zufolge die Ukrainer eine Cash-Einlage in der Höhe von 50 Millionen US-Dollar zugunsten einer „Silisten Trading Ltd.“ verpfändeten. Das Geschäft wurde ganz oben eingefädelt, in den Kontoeröffnungsunterlagen der Meinl Bank wurden die damalige Delta-Bank-Vorstandsvorsitzende Olena Popova und ihr Stellvertreter Vitaliy Masyura als Zeichnungsberechtigte erfasst – beide enge Vertraute von Bankier Lagun.
Geschäft in den Büchern nicht abgebildet
Die Silisten Trading Ltd. mit Sitz in Tortola auf den Britischen Jungferninseln war laut dem „Certificate of Incorporation“ am 2. September 2011 gegründet worden. Als „beneficial owner“ registrierte die Meinl Bank einen weiteren Ukrainer, Angestellter der Delta Bank, vertreten durch eine zyprotische Treuhänderin, die damals wie heute etlichen Zweckgesellschaften mit Adressen in Nikosia als „Direktorin“ dient.
Am 22. Oktober 2012 schloss die Meinl Bank auch einen zweiten Vertrag ab: Silisten Trading erhielt einen Kredit in der Höhe von zunächst 50 Millionen US-Dollar. Die Offshore-Firma wollte damit angeblich in Staatsanleihen investieren. Risiko für die Meinl Bank: null. Die Delta Bank bürgte ja für den Kredit.
In den Büchern der Kiewer Bank wurde das Geschäft so allerdings nicht abgebildet. Für die ukrainische Finanzaufsicht war nur ein Dollarguthaben bei Meinl zu sehen; nicht aber, dass es zugunsten eines Briefkastens mit schattiger Eigentümerstruktur und diffusem Geschäftszweck verpfändet war.
Silisten Trading unterhielt drei Konten bei der Meinl Bank, über welche sehr viel Geld bewegt wurde.
151 Transaktionen im Volumen mehrerer hundert Millionen Dollar
Zwischen Dezember 2012 und Dezember 2014 verzeichneten diese Konten insgesamt 151 Transaktionen im Volumen mehrerer hundert Millionen US-Dollar. Von einem der Konten wanderten beispielsweise 84,5 Millionen US-Dollar in sechs Tranchen an ein lettisches Konto lautend auf Silisten Trading. Ein zweites Silisten-Konto bei Meinl verzeichnete in drei Jahren Gutschriften in der Höhe 337,39 Millionen US-Dollar, zugleich aber Zahlungsausgänge in der Höhe von 456,98 Millionen US-Dollar.
Am 31. Dezember 2014 war dieses Konto dick im Minus. Der karibische Briefkasten Silisten Trading Ltd., in welchem eine zypriotische Treuhänderin die Interessen ukrainischer Geschäftsleute vertrat, stand bei der Meinl Bank nach drei Jahren des gemeinsamen Weges mit 85,8 Millionen Dollar in der Kreide.
Warum schlussendlich deutlich höhere Volumina bewegt wurden, als die ursprünglich vereinbarten 50 Millionen US-Dollar, ist unklar. Das vorliegende Material gibt darüber keine Auskunft.
Die AAB Bank wollte sich zu dieser Geschäftsverbindung mit Hinweis auf das Bankgeheimnis nicht äußern.
Am 3. März 2015 erklärte ukrainische Zentralbank Delta für zahlungsunfähig. Wie die staatliche Einlagensicherung später herausfand, wies die Kiewer Bank zum Zeitpunkt ihres Zusammenbruchs Guthaben bei der Meinl Bank in einer Höhe von 87,3 Millionen US-Dollar aus.
Keine Originaldokumente mehr auffindbar
Die ukrainischen Nachlassverwalter konnten das Geld zwar sehen, aber nicht darauf zugreifen. Sie erfuhren aus Wien, dass das Geld auf dem Korrespondenzbankkonto als Sicherheit für einen Kredit an eine Silisten Trading Ltd. gedient habe, die schlagend geworden sei. Und das bereits am 19. Jänner 2015 – zu einem Zeitpunkt also, als die Delta Bank bereits in Schieflage war.
Die „Kiew Post“ berichtete 2016, dass in der Kiewer Bank zu den Geschäften keine Originaldokumente mehr auffindbar waren.
In einem Interview mit der ukrainischen „Pravda“ im Juli dieses Jahres versuchte Lagun, einige Dinge zurechtzurücken. Er legte Wert auf die Feststellung, dass alle seine Handlungen legal gewesen seien und nur darauf abgezielt hätten, die Bank in der Krise mit Kapital auszustatten. „Das Bankgeschäft war mein Hauptgeschäft, ich hatte keine anderen Projekte. Es wäre unlogisch und dumm gewesen, mein wichtigstes Asset zu schädigen.“ Die Delta Bank sei damals laufend intensiv geprüft worden, er habe keinen einzigen Bericht über systematische und grobe Verstöße auf den Tisch bekommen. „Es gab kein System von Rechtsverletzungen in der Bank."