[Exklusiv] Die Akte Erich Rebasso: Protokoll einer unglaublichen Affäre
- Der 2012 ermordete Wiener Rechtsanwalt Erich Rebasso wusch in großem Stil Geld für russische Klienten
- Wie Recherchen eines internationalen Journalisten-Kollektivs belegen, schleuste er über ein einziges Wiener Raiffeisen-Konto in kaum mehr als einem Jahr rund 100 Millionen Dollar zu Offshore-Firmen mit Sitz in Panama und auf den Britischen Jungferninseln.
- Das Geld stammte auch aus organisierter Kriminalität.
- Rebasso zeigte sich und seine Klienten schlussendlich selbst an. Doch die österreichischen Behörden blieben untätig.
Dies ist die Geschichte eines Rechtsanwalts, der sich auf eine geschäftliche Liaison eingelassen hatte, aus welcher er nicht mehr herausfinden sollte.
Als Erich Rebasso am Nachmittag des 27. Juli 2012 sein Büro in der Wiener Innenstadt verlässt, kann er nicht wissen, dass eine Geschichte einem grausamen Ende zugeht. Seine Geschichte. Sie hat fünfeinhalb Jahre zuvor mit einem banalen Geschäftstermin in Moskau begonnen. Alles ist lange Zeit gut gelaufen, er hat ordentlich Geld verdient. Doch als Rebasso an jenem Tag in der Tiefgarage am Georg-Coch-Platz auf sein Auto zugeht, lauern ihm zwei Russen auf. Drei Wochen später wird sein Leichnam in einem Wald im Wiener Umland gefunden.
Rebasso war spätestens ab Ende 2006 tief in Geldwäscherei verstrickt. Von seiner Kanzlei aus schleuste er im Auftrag russischer Klienten über ein Wiener Raiffeisen-Konto mindestens 100 Millionen US-Dollar zu Empfängern in Offshore-Destinationen.
Das Geld stammte zu einem erheblichen Teil – womöglich zur Gänze – aus Betrugshandlungen in Russland.
Erich Rebasso war einer von vielen internationalen Dienstleistern, die gut daran verdienten, bestimmten Leuten bei der Verbringung von Vermögen aus Russland zu helfen. Er überwies Millionen von einem Konto zum anderen, von einem Land in das andere, bis es schwer war überhaupt noch zu sagen, woher oder woraus genau das Geld stammte. Dafür benötigte er lediglich seinen guten Namen, eine kleine Wiener GmbH und ein Konto bei seiner langjährigen Wiener Hausbank, der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien.
Das ist eines der Erkenntnisse einer aufwändigen länderübergreifenden Recherche, welche die international tätige Recherche-Plattform Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) koordinierte. Mehr als 50 Journalisten von zwei Dutzend Medien arbeiteten sich monatelang durch umfangreiches Material, welches OCCRP und der litauischen Website 15min.lt zugespielt worden war. Aus Österreich waren profil und „Addendum“ beteiligt, dazu unter anderem auch „Süddeutsche Zeitung“, der britische „Guardian“ und der Schweizer „Tagesanzeiger“.
Ausgangspunkt des Projekts „Troika Laundromat“ war ein enormes Datenleck bei der litauischen Privatbank AB Ukio Bankas. Den Journalisten lagen mehr als 1,3 Millionen Transaktionsdaten zur Auswertung vor, dazu umfangreiche Korrespondenz, Verträge, Rechnungen.
Die Ukio Bankas war 2013 auf Geheiß der litauischen Finanzaufsicht geschlossen und in Konkurs geschickt worden. Aus dem vorliegenden Material lässt sich ablesen, dass rund um 1989 gegründete Privatbank ein Schattenfinanzsystem entstanden war, das allem Anschein nach dem Zweck diente, Milliarden US-Dollar aus Russland diskret zu Begünstigten mit Adressen in Offshore-Destinationen zu verschicken.
Und mittendrin: Erich Rebasso.
Laut den von profil und „Addendum“ ausgewerteten Daten mit Österreich-Bezug transferierte der Wiener Rechtsanwalt im Zeitraum Dezember 2006 bis Februar 2008 über ein einziges Raiffeisen-Konto insgesamt 95,96 Millionen US-Dollar russischen Ursprungs zu neun Empfängern, die allesamt Konten bei der litauischen Ukio Bankas hatten. Und das ist nur der bisher sichtbare Teil der Transfers. Tatsächlich bewegte der Anwalt ungleich höhere Summen.
Es waren keine gewöhnlichen Geschäftsbeziehungen. Rebasso wusch Geld – und zwar im großen Stil. Die Recherchen legen den Schluss nahe, dass der Rechtsanwalt lange nicht verstand, worauf er sich eingelassen hatte. Als er dies zu realisieren begann, war es bereits zu spät.
„Dass mein verstorbener Bruder Erich Rebasso Ende 2006 von – wie wir heute wissen – kriminellen russischen Klienten getäuscht, solcherart instrumentalisiert und als Treuhänder – dies zweifellos ohne sein Wissen – in Geldwäsche-Handlungen verstrickt wurde, ist eine in höchstem Maße betrübliche Tatsache, die mir kurz nach seinem Tod im Sommer 2012 zur Kenntnis gelangte“, schreibt Michael Rebasso, Erichs Bruder, auf Anfrage des Recherchekollektivs in einer Stellungnahme.
Dies ist auch die Geschichte eines Wiener Rechtsanwalts, der sich so tief in dubiose Machenschaften verstricken ließ, dass er sich und seine Auftraggeber schlussendlich anzeigte.
Die Causa gewährt auch einen Einblick in die Welt der Organisierten Kriminalität, die sich zumindest in jener Zeit der Finanzmärkte bediente, ohne dass ihr der Staat beikommen hätte können – oder wollen. Auch die österreichischen Behörden agierten im Geldwäsche-Fall Rebasso eher lustlos.
profil hat sich entschlossen, diese Geschichte in ihrer gesamten Tiefe in dreizehn Kapiteln abzubilden. Für einen Überblick über die wichtigsten Eckpunkte der Akte Rebasso klicken Sie bitte hier.
I. Das erste Treffen
Am 17. November 2006 lernt Erich Rebasso in der russischen Hauptstadt einen Vlatcheslav D. kennen. Für den Anwalt ein Termin wie viele andere, vermittelt von einem österreichischen Freund und Klienten, der in diesen Tagen in Russland mit Nahrungs- und Genussmitteln handelt.
Zu diesem Zeitpunkt verdingt Rebasso sich seit rund einem Jahrzehnt im Beratungsgeschäft – und das zunehmend gut. Der damals 43-Jährige hat sich auf die Betreuung vermögender russischer Klientel spezialisiert. Für sie errichtet er in seiner Wiener Kanzlei Verträge, gründet, verwaltet und liquidiert Gesellschaften und dient seinen Mandaten als Treuhänder. Rebasso eilt ein exzellenter Ruf voraus: Er arbeitet schnell, zuverlässig, sachkundig und diskret. Er spricht mehrere Fremdsprachen fließend, so auch Russisch.
An jenem Freitag in Moskau stellt sich Vlatcheslav D. mit seiner Visitenkarte vor: Er sei Aktionär einer Gruppe russischer „Versicherungsunternehmen“, die russischen Kunden unter anderem bei der „Durchführung von Auslandsüberweisungen“ behilflich sei. Das Geld werde in Russland übernommen, gesammelt und anschließend an einen Treuhänder im Ausland weitergegeben, dessen einzige Aufgabe es sei, die eingehenden Beträge ausgewählten Zahlungsempfängern zuzuleiten – ein seltsam klingendes Geschäft.
Rebasso selbst wird diese Begegnung in Moskau in einem bisher unveröffentlichten Schriftsatz an die Adresse des österreichischen Bundeskriminalamts Ende 2008 so rekonstruieren: „Erklärt wurde mir dieser bei erster Betrachtung merkwürdig erscheinende Vorgang damit, dass bei der Durchführung von Auslandsüberweisungen aus der Russischen Föderation erhebliche bürokratische Voraussetzungen zu erfüllen bzw. Hürden zu überwinden sind, deren Einhaltung oftmals mit den zeitlichen Anforderungen an den Zahlungsverkehr des realen Geschäftslebens nicht in Einklang zu bringen ist.
Für bestimmte Finanzdienstleistungsunternehmen gibt es diesbezüglich allerdings Erleichterungen, die es ermöglichen, einfachere und raschere Abwicklungen vorzunehmen. Da ich aus meiner eigenen Erfahrung mit Honorarzahlungen russischer Klienten um die Situation im Zusammenhang mit dem Auslandszahlungsverkehr aus der Russischen Föderation gut bescheid wusste, erschien mir die Erklärung von Herrn D. plausibel und nachvollziehbar und ich erklärte mich gegen angemessene Honorierung bereit, dieses Mandat anzunehmen.“
Zweifel hin, Honorar her. Nur wenige Tage nach dem Treffen wird Rebasso Treuhänder von drei „Finanzdienstleistern“ mit Sitz in der russischen Teilrepublik Dagestan. Von Vlatcheslav D., seinem Erstkontakt, hat er weiterhin nur eine Visitenkarte – mehr wird er auch nie zu sehen bekommen.
II. Der Treuhänder
Kurz nach dem Moskauer Treffen erhält Rebasso erstmals Geld seiner neuen russischen Klienten. Es landet auf einem bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien eingerichteten Bankkonto, auf welches nur er Zugriff hat. Es wird in US-Dollar geführt und hat die Nummer 351-07.721.657. Erich Rebasso ist schon länger Kunde der Bank, dieses bestimmte Konto hat er aber erst am 31. Oktober 2006 eingerichtet.
Das Konto gehört einer kleinen Wiener GmbH, welche Rebasso seit einiger Zeit nahezu unbewegt und funktionslos im Regal stehen hat: eine Schulhof Investigation GmbH mit Sitz in seiner Kanzlei in der Wiener Innenstadt. Die Schulhof GmbH ist Anfang der 1990er-Jahre von einem Wiener Kriminalbeamten als Detektei und Bonitätsauskunftei gegründet worden. Als Rebasso dort 2004 die Geschäftsführung und später alle Anteile übernimmt, ist die Firma längst nicht mehr operativ, der betagte Gründer im verdienten Ruhestand (er verstarb 2015 und hatte mit den geschilderten Vorgängen nie zu tun).
Mit den ersten Zahlungseingängen erhält Rebasso auch Anweisungen per E-Mail, wie er weiter zu verfahren hat. Der Absender heißt Nazir M., sitzt in Russland und nutzt eine anonymisierte E-Mail-Adresse. Für Rebasso ist er als „Pusk22“ sichtbar. Was der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht weiß, allerdings auch nicht hinterfragt: Woher kommt das Geld überhaupt?
III. Der Betrug am Moskauer Flughafen
Scheremetjewo ist der größte von drei Flughäfen in Moskau, rund 40 Millionen Passagiere werden hier jedes Jahr abgefertigt. Ein Ort, an dem riesige Summen bewegt werden – vor allem für Treibstoff.
Hier wollte die organisierte Kriminalität mitschneiden. Im Jahr 2008 begann die Moskauer Steuerbehörde jedenfalls einen Betrugsfall zu untersuchen: Fünf Jahre lang hatte der Flughafen Scheremetjewo Kerosin zu drastisch überhöhten Preisen bei Geschäftsmännern eingekauft, die sich dafür eines Netzes aus Scheinfirmen und Treuhändern bedienten.
Allein in den Jahren 2006 und 2007 sollen diese rund 200 Millionen US-Dollar ergaunert haben, wie OCCRP im Jahr 2012 unter Berufung auf Erkenntnisse der Steuerbehörde berichtete. Darüber hinaus war der russische Staat um Steuereinnahmen von mehr als 40 Millionen US-Dollar geprellt worden Im Zuge ihrer Ermittlungen stellte die Moskauer Finanz unter anderem auch fest, dass ein Großteil der Scheremetjewo-Beute bei zwei russischen „Versicherungsgesellschaften“ gelandet war.
Beide waren Klienten von Erich Rebasso.
Ein durch OCCRP-Recherchen öffentlich gewordenes amtliches russisches Dokument aus dem Jahr 2010 nannte bereits damals eine „SHULHOV INVESTIGATION GMBH 1010 AURIA“, mit Konto bei der „RAIFFESENBANK, VIENNA“ explizit als eine der zahlreichen Begünstigten aus dem so genannten „fuel fraud“ (siehe Faksimile).
In anderen Worten: Die russischen Klienten, die der Wiener Anwalt kaum kannte und die per E-Mail Zahlungsanweisungen verschickten, waren Gauner.
IV. Eine gelangweilte Justiz
Es deutet einiges darauf, dass Rebasso bis zuletzt nicht durchschaute, in was er da hineingeraten war. Dass er und seine österreichischen Bankverbindungen für kriminelle Aktivitäten missbraucht worden waren, erkannte er allerdings sehr wohl. Im Dezember 2008 wandte sich der Anwalt mit besagter Sachverhaltsdarstellung an das Bundeskriminalamt. Dieses leitete den Schriftsatz an die Staatsanwaltschaft Wien weiter, die daraufhin routiniert einen Akt anlegte.
Aber was passierte dann? Gingen die österreichischen Behörden dem Verdacht nach? Fanden sie Hinweise, dass hier Geld für russische Auftraggeber gewaschen wurde? Hatten nicht bereits 2008 die russischen Behörden begonnen zu ermitteln? Wurde die russische Seite überhaupt informiert? Die Staatsanwaltschaft Wien ließ das Ersuchen um Stellungnahme unbeantwortet.
In seiner Sachverhaltsdarstellung vom 29. Dezember 2008, welche dem Rechercheverbund vorliegt, bezichtigte Rebasso seine russischen Klienten des Betrugs, des schweren Betrugs und der Urkundenfälschung. In letzter Konsequenz belastete er sich damit auch selbst – wenngleich er beteuerte, „für kriminelle Zwecke instrumentalisiert worden“ zu sein.
„Mein Bruder war der Erste, der Ende 2008 im Wege einer umfassenden Sachverhaltsdarstellung an das Bundeskriminalamt um eine Aufarbeitung der Vorgänge durch die Justiz bemüht war, nachdem er erkannt hatte, dass er und seine Gesellschaft für kriminelle Ziele missbraucht worden waren“, schreibt Rebassos Bruder Michael, auch er ein in Wien tätiger Rechtsanwalt. „Die Polizeibehörden und die Staatsanwaltschaft Wien haben den Sachverhalt etwa zwei Jahre lang geprüft und die Ermittlungen eingestellt.“
Am 3. Dezember 2010, zwei Jahre nach seiner Anzeige, ereilte Erich Rebasso eine dürre Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Die Behörde war zu dem Schluss gekommen, dass der Anwalt „seinen Obliegenheitspflichten im ausreichenden Umfang nachgekommen“ war, dies „insbesondere betreffend die Überprüfung der Identität seiner Mandanten“. Für die Verfolgung von Russen, die in Russland Straftaten verübt hatten, sah sich die StA nicht zuständig: „Einstellung mangels österreichischer Zuständigkeit zur Strafverfolgung; Auslandstaten von Ausländern“, wie es in der Einstellungsbenachrichtigung der Staatsanwaltschaft heißt (siehe Faksimile).
Es müssen hartnäckige Ermittler am Werk gewesen sein: Die Behörde hatte es in zwei Jahren nicht einmal geschafft, das Geburtsdatum von zwei der angezeigten Russen in Erfahrung zu bringen.
Eineinhalb Jahre danach war Erich Rebasso tot.
V. Wenn Millionen reisen
Die Kontodaten aus dem Ukio-Leak ergeben kein vollständiges Bild. Sie machen nur Bewegungen von und zu Konten sichtbar, die bei der Ukio Bankas mit Sitz in Kaunas eingerichtet waren, liefern also den Ausschnitt eines größeren Ganzen. Die Rechercheergebnisse lassen keinen Zweifel daran, dass Rebasso über seine Schulhof GmbH auch Zahlungsempfänger bei anderen Banken bediente.
Doch selbst dieser Ausschnitt lässt erahnen, worauf der Anwalt sich da Ende 2006 eingelassen hatte.
„Die Transaktionen wurden im November 2006 begonnen und nahmen relativ bald einen größeren Umfang an, als ich dies erwartet hatte“, notierte Rebasso im Dezember 2008 in seiner Anzeige an das Bundeskriminalamt (siehe Faksimile).
Was auch immer seine russischen Auftraggeber unter „Organisation von Auslandsüberweisungen“ verstanden haben mögen, was auch immer Rebasso darunter verstanden haben mag: Er drehte vom Start weg ein großes Rad:
* Am 13. Dezember 2006, also nur wenige Tage, nachdem Rebasso die Vertretung seiner russischen Klienten übernommen hat, verzeichnet ein litauisches Bankkonto einen Zahlungseingang in der Höhe von gleich einmal 1,377 Millionen Dollar. Geführt wird das Konto bei der Privatbank Ukio in Kaunas, als Kontoinhaber scheint eine Industrial Trade Corp. (ITC) auf. Sie hat ihren Sitz in Panama City, Panama, verwaltet wird sie von einem Rechtsanwalt, dessen Name in hunderten anderen panamaischen Gesellschaften auftaucht. Am 14. Dezember 2006 langen auf dem litauischen ITC-Konto weitere 992.980,57 Dollar ein, am 15. Dezember 877.997,22 Dollar und am 18. Dezember 566.031,62 Dollar. Nur zwei Wochen später, das Jahr 2006 ist zu Ende gegangen, hat der panamaische Briefkasten 8,5 Millionen US-Dollar aus Wien erhalten. Auftraggeber ist in allen Fällen: Mag. Erich Rebasso, Schulhof Investigation GmbH, RLB-Konto Nummer 351-07.721.657. Als Zahlungsreferenz verwendet der Anwalt stets dieselbe Formulierung: „For sale and purchase of bills Industrial Trade Corp“ („bills“ steht für „Rechnungen“ oder auch „Wechsel“).
* Ab 20. Dezember 2006 wird ein weiteres Ukio-Konto bedient, es gehört einer Aumento Ltd., registriert in Tortola, British Virgin Islands. Bis Mitte März 2007 wird das Konto Eingänge in einer Höhe von insgesamt 4,2 Millionen US-Dollar verzeichnen. Alle Zahlungsanweisungen kommen von der Schulhof GmbH, die in den Datensätzen der litauischen Bank zuweilen auch als „Schulhofe“ oder „Shulhof“ geführt wird. Rebassos immergleicher Überweisungszweck: „Pmt for furniture“, also „Zahlung für Möbel“.
* Am 9. Februar 2007 schickt Erich Rebasso 445.915,36 US-Dollar an eine Adbridge Corp., deren Direktoren Adressen in Lettland und auf den Britischen Jungferninseln haben. Als Eigentümer scheint eine Holding in Zypern auf. Diese Adbrige Corp. wird später auch einen Eintrag in der „Offshore-Leaks“-Datenbank des International Consortium of Investigative Journalists erhalten – als einer von tausenden Briefkästen, die in den „Panama Papers-“ und „Paradise Papers“-Enthüllungen eine Rolle spielen.
Auch diese Adbridge Corp. hat 2007 ein Konto bei der Ukio Bankas in Litauen. Wofür Erich Rebasso im Februar annähernd eine halbe Million Dollar überweist? Laut dem elektronischen Ukio-Buchungssatz bezahlt er „fruits, vegetables, transport services“, also Obst, Gemüse und Transportleistungen.
Um den Jahreswechsel 2006/2007 vergeht kaum ein Tag, an dem der Anwalt nicht hunderttausende Dollar, an manchen Tagen sogar Millionen zu den Offshore-Empfängern und ihren litauischen Konten verschiebt. Als Zahlungsreferenzen übernimmt er, was ihm seine Auftraggeber diktieren: Rebasso begleicht behauptete Rechnungen für „Obst und Gemüse“, für „Konsumgüter“, „elektronische Teile“, „Baumaterial“, „Möbel“ und/oder „Services“ aller Art.
Zu Gesicht bekommt er all diese Waren und Dienstleistungen nie. Das Einzige, das Rebasso sieht, sind Eingänge auf seinen Bankkonten und wiederkehrende elektronische Zahlungsanweisungen von Nazir M., den er nur als „Pusk22“ wahrnimmt und dem er noch nie begegnet ist.
VI. Eine Bank zeigt Nerven
Es ist Mitte März 2007, als in der Raiffeisenlandesbank (RLB) Niederösterreich-Wien erstmals so etwas wie Hektik aufkommt. Erich Rebasso ist seit vielen Jahren ein gern gesehener Kunde der Bank, er hat dort im Laufe der Jahre mehrere Konten unterhalten. Doch der Zahlungsverkehr auf einem dieser Konten gibt der RLB zunehmend Rätsel auf: Es ist das Dollar-Konto 351-07.721.657 der Schulhof GmbH, eröffnet am 31. Oktober 2006.
Nach den vom Rechercheverbund ausgewerteten Ukio-Transaktionsdaten überwies Erich Rebasso von diesem einen Raiffeisen-Konto allein zwischen Dezember 2006 und Anfang März 2007 insgesamt 23,9 Millionen US-Dollar an Offshore-Firmen. Ganz offensichtlich waren deren litauischen Konten aber nicht die einzigen, die er alimentierte. Er verschob in diesem Zeitraum sehr viel mehr Geld zu Empfängern außerhalb des sichtbaren Ukio-Konten-Universums. Dies ergibt sich schlüssig aus einer Mitteilung der RLB selbst, die den Anwalt viereinhalb Monate nach Einrichtung seines Dollar-Kontos ereilte.
* Am 13. März 2007 wendet sich die RLB-Rechtsabteilung in einem Brief an Erich Rebasso, unterschrieben haben diesen zwei Juristen des Hauses. Die Referenten beziehen sich auf interne Meldungen der Kollegen aus dem Zahlungsverkehrs-Departement. Sie sind alarmiert über die Vorgänge auf Rebassos Konto 351-07.721.657 und begehren vom Adressaten Auskunft darüber, was es mit dem „starken Anstieg der Transaktionsbeträge“ auf sich habe. Rebasso hat das Schreiben zwei Tage später auf dem Tisch.
Nach den Aufzeichnungen der Bank hat dieses am 31. Oktober 2006 eingerichtete Konto allein in den ersten zwei Monaten seines Bestehens Zahlungseingänge in einer Höhe von 22,3 Millionen Dollar und Zahlungsausgänge in einer Höhe von 21,4 Millionen US-Dollar verzeichnet. In den ersten vier Monaten sei das Konto sogar mit 92,3 Millionen US-Dollar im Haben und mit 89,8 Millionen US-Dollar im Soll gewesen, schreibt die RLB-Rechtsabteilung im März 2007 an Rebasso (sehr viel mehr Geld also, als die jetzt vorliegenden Ukio-Datensätze zeigen).
Die Bank will nun wissen, in wessen Namen der Anwalt da als Treuhänder agiert – und begründet das in ihrem Schreiben „mit den stark angestiegenen Transaktionsbeträgen im Soll- und Habenbereich“ und damit, dass die Gelder „letztendlich zu Offshore-Destinationen weitergeleitet“ würden.
* Rebasso lässt sich darob nicht aus der Spur bringen. Noch bevor er seiner Bank antwortet, schickt er am 16. März 2007 auf einen Schlag 571.300 US-Dollar nach Litauen. Das Geld ist für eine Nixford Capital Corp. mit einem Postfach in Tortola, British Virgin Islands, bestimmt. Überweisungszweck: „transfer for consumer goods“. Konsumgüter.
* Am 23. März 2007 nennt Rebasso der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien in einem Antwortschreiben die Namen von drei russischen Firmen, für die er seit Ende 2006 treuhändig den „Auslandszahlungsverkehr“ abwickelt. Diese drei Namen wird er später auch in seiner Selbstanzeige anführen, in welcher von schwerem Betrug und Urkundenfälschung die Rede ist:
– OOO OSO (ausgeschrieben und in sinngemäßer deutscher Übersetzung: „Vaterländische Versicherungsgesellschaft“). – OOO USB Foliant („Universaler Versicherungsbroker Foliant“. – OOO NSO („Nationale Versicherungsgesellschaft“).
Registriert sind diese Gesellschaften ausnahmslos in der für ihre rauen Sitten bekannten russischen Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus. Rebasso übermittelt seiner Hausbank Auszüge aus dem russischen Handelsregister, Gewerbeberechtigungsnachweise seiner Klienten sowie die Mandatsverträge, welche die Zusammenarbeit mit ihm regeln. Weiterführende Recherchen hat Rebasso zu diesem Zeitpunkt selbst nicht angestellt.
Er verschweigt der Bank, dass er von seinem russischen Auftraggeber Vlatechslav D. nie mehr als eine Visitenkarte bekommen und auf die Feststellung seiner Identität verzichtet hat.
Er verschweigt auch, dass er seine Zahlungsanweisungen ausnahmslos von einem anonymen E-Mail-Account erhält. Die Leute dahinter kennt er nicht persönlich.
Was Rebasso zudem verschwieg, sehr wahrscheinlich aber schlicht nicht wusste: Die Gesellschaften OSO und NSO, welchen er als Treuhänder diente, waren zu diesem Zeitpunkt bereits in die Kerosin-Betrügereien am Flughafen Scheremetjewo verstrickt. So steht es zumindest in einem russischen Gerichtsdokument aus dem Jahr 2010, das auf die Ermittlungen der Moskauer Steuerbehörde Bezug nimmt. Und da steht auch, dass die russische Versicherungsaufsicht der Firma NSO am 1. Juli 2005 tatsächlich eine Lizenz zum Betrieb von Versicherungsgeschäften erteilt, diese aber ein Jahr darauf, am 7. Juli 2006, auch schon wieder entzogen hatte. Also noch bevor Rebasso überhaupt als Treuhänder verpflichtet worden war.
NSO-Geschäftsführer war zu dieser Zeit übrigens ein Maxim V. Dieser wurde 2011 wegen Raubmordes an zwei Prostituierten in Russland zu 19 Jahren Haft verurteilt.
Die beteiligten Medien haben die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien mit den Ergebnissen ihrer Recherchen und den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen konfrontiert. Wie wurden die von Rebasso übermittelten Informationen zu seinen russischen Klienten intern verarbeitet? Hat die Bank dazu eigene Recherchen angestellt und/oder spezifische Maßnahmen gesetzt? Gab es je eine Geldwäscheverdachtsmeldung an die Adresse des Bundeskriminalamts?
Die Sprecherin der Bank, Michaela Stefan, übermittelte auf Ersuchen eine schriftliche Stellungnahme, die wir der guten Ordnung halber vollständig und unkommentiert veröffentlichen: „Aus rechtlichen Gründen (Bankgeheimnis gemäß §38 Bankwesengesetz) ist es der RLB NÖ-Wien untersagt, auf Daten einer Geschäftsbeziehung mit Kunden einzugehen (oder ob jemand Kunde ist). Das Bankgeheimnis gilt zeitlich unbefristet. Die RLB NÖ-Wien schützt sich jedoch wie andere Banken auch vor Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung durch ein Bündel ineinandergreifender Maßnahmen mit dem Ziel, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung innerhalb ihrer Organisation vorzubeugen. Die RLB NÖ-Wien hat im von Ihnen genannten Zeitraum die jeweils geltenden gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erfüllt und tut das auch heute.“
VII. In einem Land vor unserer Zeit
Tatsächlich war die Welt in Österreich um 2006/2007 herum noch eine andere. Geldwäsche – also die Verschleierung der Herkunft von Vermögen, das aus schweren Verbrechen stammt – war zwar damals schon strafbar, das Problembewusstsein auf Ebene der Rechtsanwälte, Banker und vieler anderer Berufsgruppen allerdings nicht annähernd so ausgeprägt wie heute. Zudem fehlte es schlicht an tauglichen Kontrollstrukturen und umfassenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Die mittlerweile üppig ausgestatteten „Compliance“-Abteilungen der Banken mit ihren gefürchteten „Geldwäschebeauftragten“ zum Beispiel sind mit den damaligen Einrichtungen der Geldhäuser nicht annähernd zu vergleichen.
Die Finanzmarktaufsicht, die heute die Einhaltung der Sorgfaltspflichten im Geldverkehr zu überwachen und deren Missachtung zu sanktionieren hat, war damals dafür noch nicht einmal zuständig (genau genommen war bis 2012 überhaupt niemand dafür zuständig). Und über all dem lag das schier undurchdringliche österreichische Bankgeheimnis.
Ende 2009 veröffentlichte die „Financial Action Task Force on Money Laundering“ der OECD einen vernichtenden Bericht zu den Usancen im Lande. Das Bankgeheimnis, resümierte die FATF damals, sorge dafür, dass Österreich „ein attraktiver Anlageort für Geld aus kriminellen Quellen sei.“
„Bei der Frage, inwieweit mein Bruder bei Übernahme der Treuhandschaft im Jahr 2006 berufsrechtliche Pflichten verletzt haben könnte, ist insofern Vorsicht geboten, als wir diese Frage korrekterweise nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen dürfen,“ schreibt Michael Rebasso. „Im Bereich der Geldwäscheprävention hat sich in den vergangenen zwölf Jahren sehr viel verändert. So sind das gesetzliche Regelwerk laufend strenger und die behördliche Aufsicht durch Rechtsanwaltskammern und FMA engmaschiger geworden. Zwischen 2006 und 2019 liegen nicht weniger als acht Novellen der maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung.“
profil hat die Finanzmarktaufsicht vor Veröffentlichung über die Rechercheergebnisse informiert. „Dieser Fall zeigt, wie wichtig es war, dass der österreichische Gesetzgeber auf Basis des 2009 vorgelegten FATF-Länderberichtes Österreich 2010 ein umfangreiches Maßnahmenpaket zum Kampf gegen Geldwäsche beschlossen hat“, erklärt dazu der Mediensprecher der Finanzmarktausicht Klaus Grubelnik. „Auf Basis dieses Paketes konnte die FMA 2011 eine eigene Abteilung zur Prävention der Geldwäsche auf dem österreichischen Finanzmarkt aufbauen und der Gesetzgeber hat ihr mit 1. Jänner 2012 auch die einschlägige Prüfkompetenz erteilt.“
VIII. Einmal gefrorenen Hering, bitte!
Welche Schlüsse die RLB aus dem Briefwechsel mit ihrem Kunden Rebasso im März 2007 auch gezogen haben mag – die Geschäfte liefern vorerst weiter.
* Am 25. April 2007 langen auf einem Ukio-Konto 350.000 US-Dollar aus Wien ein, tags darauf noch einmal 500.000 US-Dollar. Geschickt hat das Geld Erich Rebasso, geführt wird das litauische Konto für eine Tedesco Invesment Limited. Dahinter stehen Treuhänder mit Adressen in London und auf den Virgin Islands (auch diese Gesellschaft bekommt später einen Eintrag in der „Offshore-Leaks“-Datenbank).
In Summe schiebt Rebasso an diesen zwei April-Tagen 850.000 Dollar über den Tisch – wofür? „Frozen herring“, wie es in den Ukio-Buchungssätzen heißt. Gefrorener Hering.
Ein Wiener Rechtsanwalt überweist einfach mal so hunderttausende US-Dollar an eine Offshore-Gesellschaft mit Bankverbindung in Litauen – für gefrosteten Fisch. Das hat es in der Geschichte dieses Berufsstandes so auch noch nicht allzu oft gegeben.
IX. Kein Weg zurück
Es ist wohl anzunehmen, dass Rebasso alsbald erkannte, dass er sich da in etwas involvieren hatte lassen. Allem Anschein nach kam er aus der Nummer auch nicht mehr einfach so raus.
* Irgendwann Mitte 2007 taucht ein Russe in Rebassos Kanzlei auf. Er stellt sich mit seinem Reisepass als Alfis M. vor, ist nach eigener Darstellung ein früherer Geschäftspartner von Vlatecheslav D. (dem Mann, mit der Visitenkarte) und nunmehr geschäftsführender Gesellschafter einer „Investment Financial Company“ mit Sitz in Moskau. Auch M. ist auf der Suche nach einem Treuhänder, der ihm den Auslandszahlungsverkehr besorgt.
Rebasso akzeptiert, M. wird sein Klient.
Um die erwarteten Zahlungen von Alfis M. zu administrieren, eröffnet Rebasso am 21. September 2007 zu seinen bestehenden RLB-Konten drei zusätzliche Treuhandkonten, eines im Euro, eines im US-Dollar und eines im Russischen Rubel.
Wieder begnügt der Anwalt sich damit, Aufträge auszuführen, die ihm von Unbekannten im Wege anonymer E-Mails übermittelt werden. „Bezüglich dieser Konten erhielt ich die laufenden Aufträge stets von Frau Tatyana P. (angeblich am 30. 8. 1983 geboren, Geburtsdatum von mir allerdings nicht überprüft)“, schreibt Rebasso dem Bundeskriminalamt Ende 2008 in verblüffender Offenheit.
Mittlerweile ereilen ihn nicht mehr nur E-Mails von „pusk22“, sie kommen auch von „pusk111“ und einem Account, der überhaupt nur aus einer Ziffernfolge besteht: „2239217“.
„Während das Rubel-Konto bis zuletzt schlussendlich bewegungslos blieb, wurden über das USD- und das EUR-Konto phasenweise bis zur Beendigung der gesamten Zusammenarbeit durch mich Ende Februar 2008 erhebliche Umsätze transferiert. Beendet habe ich diese Tätigkeit Ende Februar, neben anderen Gründen in erster Linie deshalb, weil der Umfang meine Kontrollmöglichkeiten überfordert hat und ich diesen Zustand nicht weiter aufrecht erhalten wollte“, so Rebasso in seiner Selbstanzeige (siehe Faksimile).
Der Anwalt gestand also ein, dass er spätestens Anfang 2008 davor stand, die Kontrolle über die Ein- und Ausgänge auf seinen Konten zu verlieren. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.
X. Genug ist genug
Rebasso musste die Geschäfte im Februar 2008 auch deshalb abbrechen, weil es der RLB Niederösterreich-Wien zu viel geworden war. Die Bank hatte offenbar die Reißleine gezogen und ihren Kunden vor die Wahl gestellt, die Transaktionen per sofort einzustellen oder sich um eine neue Hausbank umzusehen. Die RLB wollte das nicht kommentieren.
Nach profil-Recherchen soll Rebasso in einem Gespräch mit leitenden Bankangestellten im Februar 2008 unter anderem darauf hingewiesen worden sein, dass er jedenfalls eine „Banklizenz“ benötige, wenn er so weitermachen wolle.
Und das hatte möglicherweise mit folgenden Transaktionen zu tun:
* Laut den Ukio-Datensätzen tätigt Rebasso im Zeitraum 27. Dezember bis 19. Februar 2008 die bis dahin größten (sichtbaren) Transfers und das in atemberaubender Kadenz: In nur eineinhalb Monaten transferiert er in nicht weniger als 106 Einzelüberweisungen insgesamt 68,3 Millionen US-Dollar auf ein einziges litauisches Ukio-Konto. Empfänger ist stets eine Vantrel Invest Limited mit Sitz in einer Steuerberatungskanzlei in Auckland, Neuseeland. Als Zahlungsreferenz führt Rebasso ausnahmslos die kryptische Formulierung „Pmt for mobile phone by contract“ an. Mobilfunk-Verträge?
* Am 19. Februar 2008 verzeichnet das litauische Vantrel-Konto einen letzten Zahlungseingang – 680.000 Dollar, angewiesen von „ErichRebassoAnderkontoWien“.
Seit Aufnahme der Geschäftsbeziehung mit den Russen hat Rebasso nun dokumentierte 150 Überweisungen im Volumen von 95,96 Millionen US-Dollar zu neun Ukio-Konten getätigt. Nun ist ein- für allemal Schluss. Zumindest glaubt Rebasso das.
XI. Wo ist unser Geld?
Ab dem Frühsommer 2008 ereilen ihn immer neue Nachrichten von Absendern, die ihm völlig unbekannt sind. Es handelt sich um Kleinanleger aus Russland, die allem Anschein nach in ihrer Heimat einem Betrug aufgesessen sind. Sie haben im Wege von Online-Finanzplattformen in ein vermeintliches „Anlageprogramm“ investiert und sind nun auf der Suche nach ihrem Kapital. In seiner Selbstanzeige vom 29. Dezember 2008 schildert Rebasso das Vorgefallene so: „Im Juni 2008 habe ich schließlich per E-Mail verschiedenste schriftliche Beschwerden darüber bekommen, dass vermeintliche Geldanleger im Rahmen eines angeblichen Anlageprogramms ,Finlist Forex Fund“ auf die oben erwähnten Fremdgeldkonten Geldbeträge überwiesen hätten und nicht wüssten, was in weiterer Folge mit ihrem Geld geschehen sei. Die Personen, mit denen die Beschwerdeführer ursprünglich zu tun hatten, seien untergetaucht und nicht mehr erreichbar.“
Rebasso muss entsetzt feststellen, dass auch das Geld dieser Anleger auf seinen Raiffeisen-Konten gelandet und von ihm im Sinne seiner Auftraggeber weiterverteilt worden ist. Rein, raus.
„Ich habe versucht herauszufinden, wer die Geschädigten in welcher Weise dazu gebracht hat, ihr Geld auf mein Fremdgeldkonto zu überweisen. Wie sich für mich letztlich herausgestellt hat, dürfte es sich bei den Beschwerdeführern um eher einfältige, nicht besonders vermögende Personen handeln, die mit Internet-Inseraten geködert und letztlich dazu gebracht wurden, Gelder zu überweisen. Zu meiner Bestürzung musste ich feststellen, dass meine Kontonummer mit meinem Namen zu diesem Zweck offenbar im Internet veröffentlicht war. Personen, die sich darauf gemeldet haben, wurden offensichtlich Veranlagungsverträge mit der Sostegno GmbH, meiner Gesellschaft, angeboten, und mit gefälschten Unterschriften meiner Person und gefälschten Firmenstempeln versehene Vertragsurkunden zur Verfügung gestellt. Diese Personen haben offenbar im Vertrauen darauf, einen Vertrag mit mir abgeschlossen zu haben, Gelder überwiesen, die ihnen auf diese Wege entzogen wurden.“
XII. Ein Ende mit Schrecken
Rebasso erkennt schließlich, dass er von einem oder mehreren Klienten aufs Kreuz gelegt wurde. Von wem genau, weiß er nicht. Er weiß auch nach wie vor nichts von der Geschichte mit dem Treibstoff-Betrug am Moskauer Flughafen. Der Anwalt muss sich aber eingestehen, dass er und seine österreichische Bankverbindung als Durchlauferhitzer dienten, um ergaunertes Geld aus einem Anlagebetrug aus Russland auszuleiten. „Ich habe in gänzlicher Unkenntnis der hinter meinem Rücken in missbräuchlicher Ausnützung der Informationen über das Bestehen meiner Fremdgeldkonten über sämtliche eingehenden Gelder nach Anweisung meiner Klienten, die ich regelmäßig von den E-Mail-Adressen 2239217 und pusk111 erhalten habe, disponiert. Andere Aufträge habe und hätte ich selbstverständlich nicht durchgeführt“, schreibt Rebasso dem Bundeskriminalamt am 29. Dezember 2008.
Zuvor hat er offenbar noch versucht, zumindest einen seiner Auftraggeber dazu zu verpflichten, den entstandenen Schaden gegenüber den Kleinanlegern gutzumachen. Vergeblich.
Rebassos Selbstanzeige schließt mit den Worten: „Ich bedaure es außerordentlich, offenbar für kriminelle Ziele instrumentalisiert worden zu sein und stelle anheim, die Angelegenheit der gebotenen strafrechtlichen Überprüfung zuzuführen oder gegebenenfalls an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Russischen Föderation via Interpol weiterzuleiten.“ (siehe Faksimile F5)
Am 27. Juli 2012 wird der Rechtsanwalt nach dem Verlassen seines Wiener Büros in der Tiefgarage am Georg-Coch-Platz von zwei russischen Staatsbürgern, Pavel V. und Alexander M. (zwei frühere Polizisten), überwältigt und gekidnappt. Er bleibt zunächst unauffindbar. Kurz nach seinem Verschwinden geht bei der Familie eine Lösegeldforderung ein: Die Entführer fordern 435.000 Euro Lösegeld. Zu einem Deal kommt es letztlich nicht. Am 16. August 2012 wird Rebassos Leiche in einem Waldstück bei Königstetten im Bezirk Tulln gefunden. Rebasso ist unter Gewalteinwirkung gestorben, wie die Gerichtsmedizin später feststellen wird. Ersticken infolge eines gebrochenen Schildknorpels.
Rebassos Todesumstände sind bis heute ebenso unklar, wie das Motiv der Täter. Handelten Sie aus eigenem Antrieb, weil sie Opfer des Anlagebetrugs geworden waren? Oder doch im Auftrag Dritter?
Die (mutmaßlichen) Täter wurden wenig später in Russland ausgeforscht, verhaftet, angeklagt und zu acht respektive neun Jahren Haft verurteilt (einer der beiden soll mittlerweile wieder auf freiem Fuß sein). Dies allerdings nur in Zusammenhang mit der versuchten Erpressung des Lösegelds. Die Umstände der Entführung und des Todes wurden aufgrund einer komplexen juristischen Gemengelage zwischen Österreich und Russland bis nicht aufgearbeitet. Dieser Fall liegt nach wie vor unerledigt bei der Staatsanwaltschaft Wien, die einen aufrechten internationalen Haftbefehl gegen die Täter erwirkt hat. Die Russische Föderation liefert Staatsbürger grundsätzlich nicht zur Strafverfolgung ans Ausland aus.
XIII. Das Geld anderer Leute
Rebassos Sostegno GmbH hat seinen Tod überdauert. Wenn auch nur auf dem Papier. Sein Bruder Michael Rebasso wurde vom Handelsgericht Wien 2012 zunächst als Notgeschäftsführer eingesetzt, ehe dieser die Liquidation der Gesellschaft einleitete (die bis heute nicht endgültig vollzogen ist). „Mir sind keine Umstände bekannt geworden, die darauf hindeuten, dass verdächtige Geldmittel oder sonstige Werte zweifelhafter Herkunft im Vermögen dieser Gesellschaft verblieben wären“, erklärt Michael Rebasso, hält zugleich aber fest: „Diese Gesellschaft hat dezidiert fremde Gelder in Empfang genommen und nach Weisung der Auftraggeber weitergeleitet, all dies mehr als vier Jahre, bevor ich in die Verantwortung als Notgeschäftsführer berufen wurde.“
Nach Erich Rebassos Ableben gingen die Sostegno-Gesellschaftsanteile auf seine Kinder über. Die Konten der Gesellschaft hatten da schon einige Zeit keine nennenswerten Bewegungen mehr verzeichnet. Und bis auf einige tausend Euro war auch lange nichts mehr da.
Lesen Sie weiters:
Lesen Sie dazu auch hier den Fall des Wiener Anwalts Rebasso in fünf Minuten
Eine Kurzfassung der aufwändigen Recherchen zum Fall Rebasso finden Sie hier.
Die Geschichte zum Projekt „Troika Laundromat“, das im Zentrum der internationalen Recherchen von OCCRP steht, finden Sie hier.