Alles bleibt teurer
0,5 Prozentpunkte also. Der Rat der Europäischen Zentralbank hat vergangene Woche das beschlossen, was zu beschließen war. Erstmals seit mehr als einer Dekade werden die Leitzinsen wieder angehoben, ab 27. Juli verändern sich die drei EZB-Referenzzinssätze um jeweils 0,5 Prozentpunkte. Der sogenannte Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte, landläufig der EZB-Leitzins, steht fortan bei 0,5 Prozent – damit gilt die im März 2016 eingeleitete Nullzins-Phase formell als beendet. Wobei das jetzt mehr eine sprachliche Nuance ist. Denn die Zinsen verharren ja weiter nahe der Null.
Die EZB will, sie muss, eine ausufernde Inflation bekämpfen, deren Zustandekommen sie freilich mitverantwortet – wobei die „ultralockere“ Geldpolitik der vergangenen Jahre natürlich nur einen Teil des Phänomens beschreibt. Ohne Pandemie und Ukraine-Krieg hätten wir im Juni 2022 eher keine Teuerungsrate von gleich 8,7 Prozent (gegenüber Juni 2021) gehabt.
Kann man mit einem Leitzins von demnächst 0,5 Prozent eine Inflationsrate jenseits der acht Prozent (in Estland, Lettland und Litauen waren es zuletzt sogar mehr als 20 Prozent) bekämpfen? Natürlich nicht. 0,5 Prozent hatte die EZB zuletzt 2013 im Angebot, damals lag die Inflationsrate in der Eurozone bei durchschnittlich 1,3 Prozent; die globalen Lieferketten waren da allerdings noch intakt, und Putin hatte noch nicht einmal die Krim annektiert.
Um das selbst gesteckte „Inflationsziel“ von zwei Prozent wieder zu erreichen, muss die EZB die Zinsen in naher Zukunft weiter anziehen, die Führungsebene um Christine Lagarde hat das auch angekündigt – wenngleich der Spielraum begrenzt ist.
Während die Verbraucherpreise reihum sprunghaft angestiegen sind, kann die EZB die Zinsen jetzt nicht sprunghaft erhöhen. Zieht sie diese zu schnell zu hoch, um so die Kreditnachfrage zu drosseln, fallen wir so oder so in eine Rezession; ganz gleich, ob dann noch russisches Gas fließt oder nicht. „Schuldenkrise“ – der Begriff fällt neuerdings wieder öfter in Verbindung mit hoch verschuldeten Staaten wie Italien und Griechenland (dass die EZB zeitgleich das situative Anleihenkaufprogramm „Transmission Protection Instrument“ angekündigt hat, um bedrohten Staaten gegebenenfalls beizuspringen, verdeutlicht die Not).
Die steigenden Leitzinsen werden die Bankzinsen mitziehen. Auf der Einlagenseite bleibt der Abstand zur Teuerungsrate aber erst einmal viel zu groß, um dem fortschreitenden Vermögensschwund wirksam entgegenzutreten – man wird nur etwas langsamer ärmer. Das war nicht immer so. Es gab immer wieder auch Phasen (in den frühen Nullerjahren zum Beispiel), in welchen die Zinsen teils deutlich über der Inflationsrate lagen, was Sparerinnen und Sparer zugutekam. Aber damit ist jetzt auch niemandem geholfen. An dieser Stelle folgt der knappe Hinweis, dass die Auseinandersetzung mit alternativen Anlageformen nicht schaden kann.
Auch Kredite werden teurer (das tun sie bereits, das ist auch das eigentliche Ziel der Übung), wobei sie vergleichsweise billig bleiben. So gesehen leistet die Inflation auch weiterhin einen Beitrag zur Schuldenentwertung. Einerseits. Andererseits schlagen steigende Kreditzinsen unmittelbar auf die Liquidität der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer durch.
Das Gros der Finanzierungen im Land ist variabel verzinst, auch im Immobiliensektor. Das trifft zunächst einmal die Wirtschaftstreibenden, die auf den wiederkehrenden Einsatz von Betriebsmittelkrediten angewiesen sind. Es trifft aber auch private Wohnbaukreditnehmer und Immobilieninvestoren (mit den Unwägbarkeiten auf dem Immobilienmarkt haben wir uns erst kürzlich beschäftigt).
Weil aber jeder, der es kann, versuchen wird, die steigenden Finanzierungskosten weiterzugeben, können höhere Zinsen die Teuerung, die sie eigentlich bekämpfen sollen, sogar anheizen – zumindest vorübergehend.
Inflation – das Phänomen wird uns noch einige Zeit beschäftigen.