Ökonom Altzinger: "Ungleichheit gefährdet die politische Stabilität"
profil: Die Oxfam-Studie zur Vermögensverteilung ist diese Woche häufig zitiert worden. Es gab auch Zweifel an den Daten und an der Methodik. Wie schätzen Sie die Ergebnisse ein? Wilfried Altzinger: Die Oxfam-Studie hat festgehalten, dass das reichste Prozent der Welt knapp mehr als 50 Prozent des globalen Vermögens besitzt. Oxfam hat das bestmögliche Datenmaterial verwendet, das es momentan gibt. Eine Studie der Universität Linz kommt zu dem Ergebnis, dass das reichste Prozent in Österreich 37 Prozent des Vermögens besitzt, das entspricht der höchsten Vermögenskonzentration im EURO-Raum.
profil: Wie viel sagt die Vermögensverteilung über die Lebensrealität der Menschen aus? Altzinger: Man kann davon nicht unmittelbar auf die Lebensrealität der Menschen schließen. Die Frage ist immer: Wie viel Einkommen generiert mein Vermögen? Vermögen kann man nutzen, es kann Rendite bringen oder eine Absicherung sein. Es verleiht aber auch Macht. Habe ich ein sehr großes Vermögen, habe ich bei politischen Entscheidungen auch mehr Gewicht.
profil: Einerseits nimmt die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung weiter zu, andererseits ist es in den letzten Jahren gelungen, die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben zu reduzieren. Wie passt das zusammen? Altzinger: Relativ einfach. Der Grund, warum jetzt relativ viele Menschen der extremen Armut entkommen konnten, ist vor allem das Wirtschaftswachstum in Indien und China. Dieses Wachstum kam jedoch in ungleich höherem Ausmaße den Besserverdienenden zugute, ihr Einkommen wuchs im Verhältnis viel stärker an. Die Einkommensverteilung in China ist in den vergangen 20 Jahren dramatisch angestiegen und ist heute weltweit gesehen so ungleich wie nie zuvor.
Je globaler ökonomisch agiert wird, desto globaler müssen auch die Ansätze zur Regulierung sein
profil: Ist Kapitalismus also nicht das beste Mittel gegen Armut, wie manche behaupten? Altzinger: Das würde ich bezweifeln. Je globaler ökonomisch agiert wird, desto globaler müssen auch die Ansätze zur Regulierung sein, wenn der Wohlstand gerecht verteilt werden soll. Die Verteilung von Einkommen wird vor allem in Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestimmt, aber natürlich auch durch die öffentliche Regulierungs- und Steuerpolitik. Die Lohnquote (Anm.: Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen) sinkt in allen OECD-Staaten. Eine der wesentlichen Ursachen ist sicher, dass sich die Verhandlungsstärke sehr zugunsten der multinationalen Unternehmen verändert hat. Die Ausgleichsmechanismen innerhalb der Nationalstaaten sind im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft mehr und mehr zerfallen.
profil: Was sind ihrer Meinung nach die Hauptfaktoren, die dazu führen, dass Vermögen immer ungerechter verteilt wird? Altzinger: Einerseits liegt dies an der hervorragenden Ertragssituation von global agierenden Unternehmen, welche allerdings verbunden ist mit niedrigen Arbeitskosten sowie einer großzügigen Standortpolitik der jeweiligen Nationalstaaten; und andererseits haben multinationale Unternehmen aufgrund ihrer sehr komplexen Organisationsstrukturen vielfältige Möglichkeiten zur globalen Steuerminimierung. So zahlen multinationale Unternehmen wie Google und Amazon wenige bis gar keine Steuern mehr. Weltweit sind rund 2000 Unternehmen für 80 Prozent des Handels zuständig, ihr Anteil an der globalen Steuerleistung geht jedoch stärker und stärker zurück. Klein- und Mittelunternehmen sind von dieser Art der 'Steuervermeidung' natürlich ausgeschlossen, was zu einem extrem unfairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen führt. Das betrifft Länder wie Österreich ganz besonders, wo es viele KMUs gibt.
Der Standortwettbewerb zwischen den einzelnen Staaten erschwert eine globale Koordinierung
profil: Wird sich die Situation in den nächsten Jahren noch weiter zuspitzen? Altzinger: Der sinkende Anteil der multinationalen Unternehmen am Steueraufkommen wird uns in den kommenden Jahren noch sehr viel mehr beschäftigen. Da sehe ich enorme Probleme auf uns zukommen. Nationalstaaten betreiben mit ihrer Standortpolitik einen Steuerwettbewerb bei der Entlastung von Unternehmenssteuern und sind somit zunehmend mehr auf die Einnahmen durch Lohnsteuer und Mehrwertsteuer angewiesen; diese Steuern betreffen die Reichsten der Welt aber nur wenig. Die zunehmend stärkere Belastung des Faktors Arbeit bei gleichzeitiger Entlastung des Faktors Kapital ist nicht nur beschäftigungs- und verteilungspolitisch problematisch, sondern gefährdet mittelfristig auch die politische Stabilität.
profil: Wie kann man dem entgegenwirken? Altzinger: Die OECD hat bereits 2014 einen Vorschlag zur internationalen Koordinierung von Maßnahmen zur Reduktion von Steuervermeidung erarbeitet. Automatischer Informationsaustausch und erhöhte Transparenz stehen dabei im Mittelpunkt. Das Problem ist die Umsetzung solcher Maßnahmen. Der Standortwettbewerb zwischen den einzelnen Staaten erschwert eine globale Koordinierung massiv.
profil: Obwohl den Nationalstaaten laut Oxfam durch Steuervermeidung jährlich Milliarden entgehen. Altzinger: Im Endeffekt leiden alle Staaten darunter und manche großen ökonomischen Player wie Japan, China, Deutschland, Frankreich und die USA zeigen durchaus ein Interesse Steuervermeidungsmöglichkeiten wieder unter Kontrolle zu bringen. Auch wenn es vehemente Widerstände gegen derartige Maßnahmen gibt, die Alternative dazu könnte nur ein weiterer Anstieg der Vermögens- und Einkommensungleichheiten sein und damit eine Destabilisierung unserer demokratischen Gesellschaftsstrukturen. Und dies sollten wir doch zu verhindern wissen.
Wilfried Altzinger ist Makroökonom an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Er leitet das Forschungsinstitut "Economics of Inequality".