Gerhard Christiner, technischer Direktor des Übertragungsnetzbetreibers Austrian Power Grid (APG), hofft auf einen Beschluss der beiden Gesetze noch vor Ende dieser Legislaturperiode.
Netzausbau

APG-Vorstand Christiner: „Uns rennt die Zeit davon“

Seit Monaten wartet die Energiewirtschaft auf zwei Gesetzespakete, die für die Energiewende unerlässlich sind. Beim Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) macht sich Ungeduld breit.

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Einheitliche Ladegeräte, höhere Klimabonus-Beträge sowie eine erleichterte Übergabe von Familienbetrieben: diese drei Vorhaben sind nur eine Auswahl der Gesetze, die vergangenen Woche im Parlament beschlossen wurden. Gar nicht erst auf die Tagesordnung geschafft haben es zwei Gesetze, deren Namen ziemliche Zungenbrecher sind: Das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungs-Gesetzt (EABG) und das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG). Bei der Austrian Power Grid (APG), die in Österreich für die Übertragungsnetze zuständig sind, wartet man mit zunehmender Ungeduld auf diese beiden Gesetzesvorhaben. Denn: Der europaweite Ausbau von Photovoltaikanlagen, Windräder und Co. schreitet schneller voran als der Ausbau der dafür notwendigen Stromnetze. Und das führt zu immer größeren Problemen.

Herr Christiner, Sie drängen regelmäßig auf den Beschluss dieser beiden Gesetze. Wie groß ist denn Ihre Geduld noch?
Gerhard Christiner
Geduld müssen wir haben, wir sind das auch gewohnt. Wir trommeln ja seit Jahren, dass die rechtlichen Grundlagen für eine planbare Genehmigung von großen Infrastrukturprojekten nicht mehr zeitgemäß sind, um die großen politischen Ziele für eine rasche Umsetzung der Energiewende zu erreichen.
Weil in Österreich die Stromproduktion schneller ausgebaut wird als die Netze – etwa mit Maßnahmen wie der Befreiung von der Umsatzsteuer beim Kauf einer Photovoltaikanlage.
Christiner
Genau. Die große Sorge, die wir haben: Wir gehen bald in Neuwahlen und verlieren mindestens ein Jahr, wenn die notwendigen Gesetze zum beschleunigten Netzausbau nicht noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden.
Brechen wir diese beiden Gesetze herunter: Das EABG soll ja vor allem die Genehmigungsverfahren von Photovoltaik- und Windkraftwerken sowie den Bau der dazugehörige Netzinfrastruktur verkürzen. Verantwortliche in den Bundesländern – konkret der Umweltlandesrat von Oberösterreich Stefan Kaineder (Grünen) – meinen, man könne per Weisung bereits jetzt solche Projekte priorisieren und die Verfahrensdauer damit beschleunigen. Wieso dann die Eile beim EABG?
Christiner
Im Behördenverfahren, wenn es um die Umweltverträglichkeitsprüfung geht, ist eine professionelle Abwicklung jedenfalls wichtig und spart Zeit. Da waren die zuständigen Behörden beim Projekt Zentralraum Oberösterreich (neuer 220-Kilovolt-Versorgungsring; Anm.) – ein wesentliches Projekt für die Dekarbonisierung der Stahlindustrie – besonders professionell, das Verfahren wurde sorgfältig und so schnell es derzeit möglich ist abgearbeitet. Wenn es dann aber vor Gericht geht – und so ist das nun einmal, jedes große Leitungsprojekt hat auch seine Gegner – zählt die Qualität der Gesetze. Für einen zügigen Netzausbau brauchen wir jedenfalls mehr rechtliche Klarheit und Unterstützung.

Die Voestalpine möchte 2027 diesen neuen Elektrolichtbogenofen in Betrieb nehmen und der Zeitpuffer, den wir eingeplant hatten, ist aufgrund der langen Verfahrensdauer aufgebraucht.

Gerhard Christiner, Technischer Vorstand Austrian Power Grid (APG)

Wohl auch um Verzögerungen wie bei der Salzburgleitung (allein die Verfahrensdauer betrug mehr als sechs Jahre; Anm.) zu verhindern?
Christiner
Richtig und beim aktuellen Projekt in Oberösterreich warten wir auch schon wieder ein Jahr. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Beschwerden (eine Bürgerinitiative sieht ein Natura 2000-Gebiet gefährdet und will, dass es unberührt bleibt oder die Stromleitung in der Erde geführt wird; Anm.) die aufschiebende Wirkung wieder zuerkannt. Das Gericht hat uns ein 40-seitiges Erkenntnis geschickt, in dem steht: „Hätte der nationale Gesetzgeber wirklich das Interesse, dass die Klimaziele wichtiger sind als einzuhaltende Naturschutzbestimmungen, Artenschutzbestimmungen etc., dann hätte er das wohl in ein entsprechendes Gesetz gegossen.“ – was er bis heute nicht getan hat.
Ist die Inbetriebnahme der Elektrolichtbogenöfen der Voest ab dem Jahr 2027 in Gefahr?
Christiner
Wir müssen bauen. Uns rennt die Zeit davon. Die voestalpine möchte 2027 diesen neuen Elektrolichtbogenofen in Betrieb nehmen und der Zeitpuffer, den wir eingeplant hatten, ist aufgrund der langen Verfahrensdauer aufgebraucht. Ein weiterer Zeitverzug würde somit zu Lasten des Projektes gehen.
Die Regierung zögert auch beim Elektrizitätswirtschaftsgesetz. Die Netzbetreiber sind beispielsweise bisher nicht dazu verpflichtet, Informationen zum Netz zur Verfügung zu stellen. Das führt in manchen Teilen Österreichs bereits jetzt zu Problemen, wenn man Strom einspeisen möchte. Der Branchenverband sagt, wenn dieses Gesetz nicht noch vor dem Sommer beschlossen wird, verlieren wir drei bis vier Jahre im Photovoltaik-Ausbau. Teilen Sie diese Sorge?
Christiner
Das alte Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWOG) ist über 20 Jahre alt. Die Rahmenbedingungen, die das alte ElWOG bietet, sind nicht mehr adäquat. Gerade das besonders wichtige Thema der Digitalisierung beziehungsweise die Datenverfügbarkeit auf allen Ebenen gilt es neu zu regeln.
Eine Ebene darüber – bei den Übertragungsnetzen – haben Sie ein ähnliches Problem. Nämlich, dass günstig erzeugter Strom aus dem Norden Deutschlands teilweise nicht bis nach Österreich kommt, weil es die Nord-Süd-Leitungen nicht schaffen.
Christiner
Wir sprechen hier von Engpässen im Netz. Die Leitungen werden zunehmend bis an ihr Limit betrieben. Um die Überlastung einer Leitung zu verhindern, reduzieren wir die Erzeugung vor dem Engpass, das heißt wir regeln sehr oft Windkraftwerke im Norden ab. Im gleichen Umfang wird die Erzeugung auf der nachgelagerten Seite des Engpasses erhöht. Dafür werden dann in Österreich Gaskraftwerke hochgefahren. Bezahlt werden muss beides – für das Zurückfahren, weil der Erzeuger hätte ja Einspeisen können und ebenso muss dem Gaskraftwerksbetreiber für das Hochfahren bezahlt werden. Zusammengefasst müssen somit die, die abgeregelt werden, als auch die Produzenten, die hochfahren mussten, bezahlt werden, nur weil die aktuellen Leitungskapazitäten zu gering sind. Das sind Zusatzkosten, die wohl in der Energiewende anderwärtig besser investiert werden könnten.
Was kosten diese Notfallmaßnahmen?
Christiner
Im letzten Jahr haben wir dafür 138 Millionen Euro bezahlt.

Wir haben bei 70 Terawattstunden 500 Millionen Euro, die volkswirtschaftlich mehr bezahlt werden - und die wir uns sparen würden, wenn wir die Leitungen hätten.

Gerhard Christiner, Technischer Vorstand APG

Wer zahlt das?
Christiner
Diese Kosten werden vom Regulator als Redispatch-Kosten anerkannt und den Netzentgelten zugerechnet. Damit sind sie von den Stromkundinnen und Kunden zu bezahlen.
Heruntergerbrochen auf die Konsumentinnen und Konsumenten – welche weiteren negativen Effekte hat das Fehlen ausreichend starker Stromleitungen?
Christiner
Wir haben im Vorjahr aufgrund der schwachen Leitungen eine Strompreisdifferenz von sieben Euro pro Megawattstunde (MWh) gegenüber Deutschland gehabt. Wir konnten oft günstigen Strom aus dem Ausland nicht importieren und mussten dafür teureren Strom mit Gaskraftwerken national produzieren. Das heißt wir haben bei 70 Terawattstunden (jährlicher Durchschnittsverbrauch in Österreich; Anm.) 500 Millionen Euro, die volkswirtschaftlich mehr bezahlt werden – und die wir uns sparen würden, wenn wir die Leitungen hätten.
Einen so überdimensionalen Ausbau bräuchte es vielleicht gar nicht, wenn der Strom regional verbraucht oder gespeichert werden würde. Sehen Sie hier die Landesenergieversorger stärker in der Pflicht, auszubauen?
Christiner
Ich glaube viele – sowohl in der Gesellschaft als auch von Seiten der politischen Vertreter – haben die ganze Dimension des Umbaus des Energiesystems noch nicht erfasst. Ich muss, um den Bedarf auch in Zukunft zu decken bei erneuerbaren Energiequellen viel mehr Leistung zubauen, um dieselbe Strommenge wie beispielsweise bei einem Gaskraftwerk zu produzieren. Die Produktion von Strom aus PV passiert in Österreich in rund 1000 Stunden, Winderzeugung in rund 2500 Stunden mit der vollen Leistung. Man braucht nur das Burgenland anschauen: Die haben derzeit eine installierte Kraftwerksleistung von mehr als 1700 Megawatt (MW) und eine Verbrauchsspitze von etwas mehr als 350 MW. Wenn dort die Sonne scheint und der Wind weht, wird so viel Strom produziert, dass der Großteil über das Übertragungsnetz der APG abtransportiert werden muss. Dafür muss dieses ausgebaut werden.
Eine andere Lösung wird seit einigen Monaten in Deutschland diskutiert: Das Land in mehrere Strompreiszonen aufzuteilen. Was würde das für Österreich bedeuten?
Christiner
Derzeit ist es ja so, dass die meisten Nationalstaaten aus einer Strompreiszone bestehen. Wenn jetzt also Deutschland mehrere Strompreiszonen hätte, dann wäre der Effekt wohl der, dass der Strom in Norddeutschland billiger wird, weil viel erneuerbarer Strom aus Wind und Photovoltaik vorhanden ist. Im Gegensatz würde der Strompreis in Bayern wohl etwas höher werden, weil auch hier die erforderlichen Nord-Süd Leitungsverbindungen fehlen. Und weil Österreich an Bayern hängt, wird sich unser Strompreis wohl eher an Bayern angleichen.
Ihr Unternehmen investiert heuer rund 445 Millionen Euro und bis 2034 mehr als das zwanzigfache in den Um- und Ausbau der Strominfrastruktur – laut dem IV-nahen Economica Institut für Wirtschaftsforschung mit einem Beschäftigungspotential von 90.000 Jahresarbeitsplätzen. Überzeugt das die Politik nicht, die notwendigen Gesetze für den beschleunigten Ausbau zu beschließen?
Christiner
Ich denke der Netzausbau wäre ein echtes Konjunkturprogramm. Die Bruttowertschöpfung ist im österreichischen Kontext jedenfalls einmalig. Viele andere große Infrastrukturunternehmungen können da nicht mithalten. Gerade in Österreich beschäftigen unsere Ausbaumaßnahmen die Baubranche in einem hohen Umfang, aber auch die Stahlbranche sowie Unternehmen, die auch bei den notwendigen Technologien Marktführer sind. Von den neun Milliarden Euro Bruttowertschöpfung entfallen 6,6 auf Österreich. Es werden rund 90.000 Beschäftigungsverhältnisse geschaffen und auch fiskalische Effekte von 2,8 Milliarden Euro erzielt. Economica hat auch errechnet, dass bei Verzögerung oder Ausfall dieser Investitionen den Gebietskörperschaften jährlich 280 Millionen Euro an Steuern und Sozialabgaben entgehen. Unsere Netzinvestitionen sind somit nicht nur energiewirtschaftlich fundamental für die Energiewende, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Gerade daher braucht es einen gemeinsamen Willen, die notwendigen Gesetze zu beschließen.
Vermissen Sie diesen gemeinsamen Willen?
Christiner
Die Verhandlungen zu diesen Gesetzen sollten im Sinne einer Staatsverantwortung aus dem politischen Tages-Hickhack herausgehalten werden. Dazu ist das Gelingen der versorgungssicheren und leistbaren Energiewende im Sinne des Wirtschaftsstandortes, aber auch unserer Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen zu wichtig.

Zur Person

Gerhard Christiner (55) ist seit 2012 Vorstandsdirektor der Verbund-Tochter Austrian Power Grid (APG). Der studierte Elektrotechniker (TU Wien) ist als technischer Vorstand der APG für das klaglose Funktionieren des Hochspannungsnetzes in Österreich verantwortlich.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.