Arnold Schiefer im Fokus: Von der zweiten Reihe zu Kickls Finanzminister?
Von Marina Delcheva und Josef Redl
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Mehr als drei Monate sind seit der Nationalratswahl vergangen. Arnold Schiefer ist immer noch auf Stimmenfang: Dienstag beim Netzwerken mit ÖVP-Granden in Wien, Mittwoch bei der Neujahrsgala der Oberbank in Linz. Schiefer verhandelt für die Freiheitlichen eine Regierungskoalition mit der ÖVP und lässt schon länger keine Gelegenheit aus, um bei den Wirtschaftsbossen des Landes Stimmung für Blau-Schwarz zu machen. Einzige Ausnahme: Sonntag vergangener Woche war Schiefer in seiner Heimatstadt Gmunden. In der letzten der Raunächte ist im Salzkammergut die Teilnahme am Glöcklerlauf Pflicht, seit vielen Jahren schon.
Arnold Schiefer macht auch Stimmung in eigener Sache. Der 58-jährige Manager gilt als aussichtsreicher Kandidat für den wichtigsten Posten der nächsten Regierung. Er soll als Finanzminister den Haushalt sanieren – sofern dieser Posten an die FPÖ geht. Der Oberösterreicher ist seit vielen Jahren ein wichtiger Strippenzieher. Bis jetzt lag sein politisches Biotop hinter den Kulissen. Nun zieht es ihn auf die Hauptbühne.
Zur ersten Sondierung – damals noch mit Karl Nehammer – kam Herbert Kickl zwei Wochen nach der Wahl mit leichtem Gepäck. Fünf A4-Seiten hatte der FPÖ-Chef dem damaligen ÖVP-Bundeskanzler mitgebracht. Das Papier, das mittlerweile öffentlich ist, trägt nicht die Handschrift des Polemikers Herbert Kickl. Es klingt in weiten Teilen nach dem pragmatischen Verbinder Schiefer: Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz seien weg, Ibiza Geschichte, es sei also Zeit für einen Neustart. Das Dokument enthält neben einem Zeitplan für die Sondierungsgespräche auch eine ganze Reihe schon sehr konkreter Vorschläge, wie man das Budget sanieren könnte – fünf Prozent Einsparungen bis 2026. Wie neue Wachstumsimpulse geschaffen werden könnten – keine neuen Steuern, Senkung der Körperschaftssteuer, also der Steuer auf Unternehmensgewinne, für kleinere Betriebe auf 15 Prozent. Und eine Reihe weiterer Vorschläge wie Bürokratieabbau und ein neues Standortgesetz. Die für die FPÖ sonst so typischen Themen wie Asyl, Migration oder Sicherheit fallen im Vergleich geradezu mager aus.
Schiefer ist nicht nur Mitverfasser dieses Schriftstücks, er ist Kickls Mann für die Zahlen. Nehammer schob das Papier – bildlich gesprochen – wieder zurück. Er hatte versprochen, nicht mit Kickl zu koalieren. Jetzt geht sein Nachfolger, der designierte ÖVP-Chef Christian Stocker, in Regierungsverhandlungen mit den Blauen. Schiefer wird für seine Partei die Bereiche Budget und Finanzen verhandeln. Zugespitzte Formulierungen – sei es über die Russland-Sanktionen, die EU oder das Asylthema – hört man von Schiefer kaum. „Mit der politischen Meinung ist es wie mit der Religion. Das trägt man im Herzen und diskutiert das am Wirtshaustisch. Aber im Tagesgeschäft hat Ideologie nichts verloren, da muss man pragmatisch sein.“
Noch gibt sich Schiefer zurückhaltend, was ein Ministeramt betrifft: „Schauen wir mal, wer was wird. Mein Job für das Wochenende ist es einmal, die Zahlenbasis für den Budgetpfad aufzubereiten.“ Dass er sich der Aufgabe gewachsen sieht, wird im persönlichen Gespräch allerdings schnell klar. Und solche Gespräche hat Schiefer zuhauf geführt. Seit Monaten bearbeitet er die Wirtschaftszirkel des Landes, um für eine FPÖ-Regierungsbeteiligung zu werben. Das Wirtschaftsprogramm der FPÖ mit klarer liberaler Schlagseite stammt aus seiner Feder.
"Im Tagesgeschäft hat Ideologie nichts verloren, da muss man pragmatisch sein.“
Österreichs Budgetdefizit wird heuer auf voraussichtlich auf 4,1 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen und liegt damit deutlich über der von der EU vorgegebenen Maastricht-Grenze von drei Prozent. Mitte Jänner muss der Finanzminister einen Plan nach Brüssel schicken, wie man den aus dem Ruder gelaufenen Staatshaushalt zu sanieren gedenkt. Offiziell hat Schiefer noch keine Funktion im Finanzministerium. Im Zuge der Koalitionsgespräche stimmen sich die Beamten des Hauses allerdings auch mit dem blauen Verhandler ab.
Sanierung in Eigenverwaltung
Die FPÖ möchte ein EU-Defizitverfahren mit Vorgaben und unter EU-Aufsicht um jeden Preis vermeiden. „Das Ziel muss sein, das Budget aus eigener Kraft zu sanieren“, sagt Schiefer. Und das hat auch mit Ideologie zu tun. Man möchte nicht durch Brüssel in seiner Budgetgebarung besachwaltet werden, lautet der Tenor in der Partei. Ohne Kuratel aus Brüssel müsste Österreich im ersten Jahr noch mehr einsparen – fünf bis sechs Milliarden Euro. Der gesamte Konsolidierungsbedarf liegt irgendwo zwischen 18 und 21 Milliarden Euro. Im EU-Konsolidierungsverfahren bekommt man in der Regel etwas mehr Zeit als ohne.
Sowohl der Klimabonus als auch die Bildungskarenz dürften unter Blau-Schwarz gestrichen werden. Ob sich eine Sanierung ausgeht ohne neue Steuern und ohne bei der eigenen Wählerschicht massive Einschnitte vorzunehmen, ist fraglich. Deshalb will sich Schiefer im Vorhinein auch nicht um jeden Preis auf eine konkrete Konsolidierungsvariante festlegen.
Wofür Schiefer politisch steht, ist auch nicht immer so eindeutig. Ehemalige Weggefährten, Kollegen und sogar Funktionäre anderer Parteien finden im Gespräch mit profil lobenden Worte für seine Qualitäten als Manager. Viele Feinde hat sich Schiefer im Lauf seiner Karriere nicht gemacht. „Pragmatismus“ ist das Wort, das am häufigsten fällt, wenn man fragt, wie Schiefer ist.
Schiefer gilt als einer, der sich extrem gut auf andere Menschen einstellen kann. Gerne suche er das Vier-Augen-Gespräch in vertraulicher Atmosphäre, mit dem Du-Wort ist „Nolte“ – so Schiefers Spitzname – nicht sparsam. Soziale Intelligenz nennen es die einen, Opportunismus die weniger wohlmeinenden. „Er ist eine Spielernatur, liebt es, die Fäden im Hintergrund zu ziehen“, sagt einer, der ihn gut kennt.
Neuer Finanzminister?
„Schauen wir mal, wer was wird. Mein Job für das Wochenende ist es einmal, die Zahlenbasis für den Budgetpfad aufzubereiten“, sagt Arnold Schiefer. Derweilen übt er sich noch in Zurückhaltung. Hinter den Kulissen wird er derzeit als aussichtsreichster FPÖ-Kandidat für das Finanzressort gehandelt.
Arnold Schiefer verfügt auch über Erfahrung in der politischen Basisarbeit. Schiefer, er ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft Teutonia, engagierte sich in den Freiheitlichen Schüler- und Studentenorganisationen. Während seines BWL-Studiums dockte er in den 1990er-Jahren bei der Innsbrucker FPÖ an, als Organisationsreferent und Wahlkampfmanager. Als der damalige Stadtparteichef Rudi Federspiel nach Kritik an Jörg Haider im Februar 1998 aus der FPÖ ausgeschlossen wurde, bewarb sich Schiefer als dessen Nachfolger. Er verlor die Abstimmung gegen den erfahreneren Elmar Denz: Das Duell um die Obmannschaft endete ohne Verwundungen. Schiefer blieb als Obmann-Stellvertreter in der zweiten Reihe und zog in den Gemeinderat ein.
In den Nullerjahren managte er die Kabinette der blauen Verkehrsminister Monika Forstinger und Mathias Reichhold und konnte dort die Kurzlebigkeit politischer Karrieren aus nächster Nähe beobachten. Schiefer überlebte nicht nur Forstinger und Reichhold, er stieg in der Ministerialbürokratie bis zum Sektionschef auf und wechselte unter Minister Hubert Gorbach 2005 ins Management der Österreichischen Bundesbahnen. Heute, knapp 20 Jahre später, gibt es kaum eine Führungsposition bei den ÖBB, die Schiefer nicht ausgeübt hat. Er war Projektleiter für den Bau des Wiener Hauptbahnhofes, sanierte die marode ungarische ÖBB-Güterbahntochter MAV Cargo, hatte Vorstandsmandate in mehreren Teilgesellschaften des Konzerns.
Sprungbrett Verkehrsministerium
Einmal hat er sich bei der Karriereplanung verzockt: 2013 zog es den Rastlosen zum Baukonzern Alpine. Wenige Monate später musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Schiefer wechselte in den Vorstand der Hypo Alpe Adria-Abbaugesellschaft Heta. Bis zur nächsten FPÖ-Regierungsbeteiligung. Norbert Hofer installierte seinen Parteifreund 2018 anstelle der roten Aufsichtsratsvorsitzenden Brigitte Ederer in der ÖBB-Konzernholding.
Lang hielt es ihn nicht im Aufsichtsgremium: Im April 2019 übernahm Schiefer den hoch dotierten Posten als ÖBB-Finanzvorstand. Mit dem heutigen, SPÖ-nahen Vorstand Andreas Matthä ist er nach wie vor befreundet. Aus dem Umfeld des Vorstands erzählt man, dass beide in Sitzungen wie ein „altes Ehepaar“ agiert hätten und sich manchmal nur über Blickkontakt ausgetauscht hätten.
Schiefer galt auch als Verfechter einer blau-roten Koalition – zumindest bis zum Frühjahr 2024. „Wir sind nicht die Partei der Großindustriellen und wir haben sicher auch genug Berührungspunkte mit der SPÖ“, sagt er heute dazu. Unter Andreas Babler sei es aber nur noch ums Umverteilen und nicht mehr um Leistung oder Aufstieg gegangen. Und so war nicht nur die FPÖ recht bald ein rotes Tuch für Babler, sondern auch Babler für die FPÖ.
Mastermind im Hintergrund
Seit Jahren steht Schiefer wechselnden FPÖ-Parteichefs als Berater, Experte und Verhandler zur Verfügung, ohne dabei selbst ein öffentliches Amt oder eine Parteifunktion auszuüben. Schon einmal, im Jahr 2017, hat Schiefer eine Koalition mit der ÖVP im Bund verhandelt. Sein Gegenüber in wichtigen Fragen war damals – und auch noch später – der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid. Auch als es um die Staatsholding ÖBAG ging. Seine Chats mit Schmid brachten Schiefer eine Ladung in den Ibiza-U-Ausschuss zum Thema Posten-Deals ein. Ermittlungen wegen einer mutmaßlichen Falschaussage vor dem parlamentarischen Aufklärungsgremium wurden später von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eingestellt.
Chats
Postenvergaben waren auch Thema der Chatpartner Arnold Schiefer und Thomas Schmid, besonders bei der Staatsholding ÖBIB (später ÖBAG).
Eigentlich hatte Schiefer nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos mit der Politik abgeschlossen, zumindest erzählte er das gegenüber Bekannten, die nur anonym mit profil sprechen wollten. Als Statement gegen die Wiener Ibiza-Darsteller Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus trat er aus der Wiener Landesgruppe aus. Und schloss sich dafür der FPÖ Oberösterreich an.
Die Polit-Abstinenz hielt kurz: Schon das Regierungsprogramm in Niederösterreich hat Schiefer 2023 mitgestaltet. Er erzählt Bekannten gerne mit triumphierendem Unterton, zu welchen Zugeständnissen die ÖVP bereit war. Der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek zog ihn nach den Landtagswahlen – als einzigen Nicht-Steirer – Ende 2024 bei den Verhandlungen mit der Volkspartei zurate. Jetzt zieht es ihn selbst ins Zentrum der Macht. „Ich glaube, dass Arnold Schiefer immer so etwas wie einen Lebensplan gehabt hat. Ein hohes politisches Amt ist für ihn nur zur richtigen Zeit, im richtigen Alter und mit der nötigen Erfahrung infrage gekommen“, sagt PR-Berater Christoph Pöchinger, der Schiefer seit gemeinsamen Studientagen kennt.
Es wird wohl noch einiges an Überzeugungsarbeit brauchen, damit die ÖVP erstmals seit 2007 auf das mächtige Finanzministerium verzichtet.
Arnold Schiefer hat schon schwierigere Verhandlungen geführt: Mitte der 1990er-Jahre war er als Fan-Betreuer des Fußballvereins FC Linz dafür zuständig, den harten Kern der Fankurve im Zaum zu halten. Und wer schon einmal zwischen „Stahlfront „91“, „Bierfront Ottensheim“ und „Chaoten Kremstal“ vermittelt hat, ist auf das bevorstehende Match zwischen der Kickl-FPÖ und der Stocker-ÖVP wohl ganz gut vorbereitet.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".
Josef Redl
Wirtschaftsredakteur. Davor Falter Wochenzeitung.