AUA: Kollektivvertrag im Landeanflug
Von Marina Delcheva und Christina Hiptmayr
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Vermutlich erzielte man die Einigung in Runde 21 der Verhandlungen. Selbst die Beteiligten haben mittlerweile den Überblick verloren. Immerhin ziehen sich die Verhandlungen um einen neuen Kollektivvertrag für das AUA-Bordpersonal schon seit Mitte Jänner dahin. Zuletzt nannte man es auch nicht mehr "Verhandlungen", sondern "Gespräche". Gefeilscht um die Gehälter wurde freilich trotzdem. Die kleinere Besetzung der Verhandlungspartner, bestehend aus den AUA-Vorständen Francesco Sciortino und Michael Trestl sowie AUA-Bordbetriebsratschef Rainer Stratberger und Philip Gastinger von der Gewerkschaft vida, ist in den letzten Wochen recht häufig zusammengekommen. Zuletzt hat sich auch AUA-Chefin Annette Mann des Öfteren mit an den Tisch gesetzt.
Seit Jänner ist allerhand passiert, beide Seiten haben einander wenig geschenkt und sich allerhand über die Medien ausgerichtet. Dementsprechend angespannt sind mittlerweile die Beteiligten, und auch die Lufthansa, die AUA-Mutter, war knapp davor, die Geduld mit ihrer Tochter in Wien zu verlieren, wie profil aus Verhandlerkreisen erfuhr. Nun hat man sich also geeinigt. Es gibt bald mehr Geld für das AUA-Bordpersonal. Doch warum war das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zuletzt so belastet? Und wer konnte sich nun mit seinen Forderungen durchsetzen? Die Anatomie einer komplizierten Beziehung.
Über die genauen Forderungen hüllten sich Betriebsrat und Gewerkschaft in der Öffentlichkeit in Schweigen. vida-Vorsitzender Roman Hebenstreit hatte wiederholt erklärt, dass es bei der Bezahlung der AUA-Crews im Vergleich zur Konzernmutter Lufthansa eine eklatante Ungleichbehandlung von bis zu 40 Prozent Unterschied gebe. „Eine Angleichung an die Lufthansa haben wir nie gefordert, dann müssten wir fast das Doppelte verdienen“, sagt Stratberger. Das wäre für die AUA nicht zu stemmen, ist auch der Betriebsrat überzeugt. „Wir wollen eine Annäherung an die Lufthansa-Gehälter und verdienstmäßig die Nummer drei hinter Lufthansa und Swiss werden“, so Stratberger. Auch das Personal bei Lufthansa-Billigairline Eurowings würde besser bezahlt werden: „Würde ich dort gleich viel arbeiten wie bei der AUA, würde ich mit dem Tarifvertrag von heute 25 Prozent mehr verdienen“, ist der Pilot überzeugt.
Das letzte bekannte Angebot des Managements hatte Piloten und Bordpersonal aber nicht überzeugt. Zur Erinnerung: Die AUA-Führung bot rückwirkend ab dem 1. März ein Gehaltsplus von acht Prozent und weitere fünf Prozent jeweils ab Jänner 2025 und 2026 für die rund 3400 Pilotinnen und Flugbegleiter.
Bei der Abstimmung unter den Mitgliedern der Gewerkschaft hatten sich 90 Prozent gegen dieses Angebot entschieden. Das sei eine „Fake-Befragung“ gewesen, weder transparent noch repräsentativ, monierte Günther Ofner, Flughafen-Wien-Vorstand und Luftfahrt-Obmann der Wirtschaftskammer. Die Wahlbeteiligung lag bei 88 Prozent, rund 60 Prozent des etwa 3400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfassenden Bordpersonals sind Mitglieder der Gewerkschaft vida. Unter den Piloten ist der Organisationsgrad höher, beim Kabinenpersonal niedriger. Die Kritik am Abstimmungsprozess kann Betriebsratschef Stratberger nicht nachvollziehen: „Die Gewerkschaft kann nur ihre eigenen Mitglieder befragen, und jedem steht es offen, Mitglied zu werden.“
Das gewählte Prozedere hatte wohl auch rechtliche Hintergründe: Bei der Abstimmung wurde gleichzeitig abgefragt, ob die Mitglieder – im Falle einer Ablehnung des AUA-Angebots – bereit wären, Kampfmaßnahmen mitzutragen. Streiks sind in Österreich in aller Regel gewerkschaftlich organisiert, der Betriebsrat kann nicht dazu aufrufen. Es war jedoch nicht so, dass sich die Parteien unversöhnlich gegenübergestanden wären: „Die Gesprächsbasis zwischen Vorstand, Gewerkschaft und Betriebsrat ist in Ordnung“, sagte Stratberger. Er respektiere das Management, es mache einen guten Job.
Am Donnerstagabend, Punkt 18 Uhr, verkündete die AUA dann die Einigung: Die Gehälter aller Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter und Pilotinnen und Piloten werden in drei Stufen ab April 2024 sowie ab Jänner 2025 und Jänner 2026 um insgesamt durchschnittlich 19,4 Prozent steigen. Die Gesamtlaufzeit wurde bis Dezember 2026 festgelegt. Zusätzlich können im Jahr 2026, abhängig vom Unternehmensergebnis 2025, bis zu zwei weitere Prozentpunkte an Erhöhung erfolgen. Die Gehälter der Co-Pilotinnen und -Piloten werden im Schnitt um zusätzliche elf Prozent steigen. Damit folge man der internationalen Marktentwicklung, heißt es aus dem Unternehmen.
Verhandlungsmacht in Wien
Dass Betriebsrat und Gewerkschaft mitunter recht hoch pokern, liegt auch daran, dass der Standort Wien für die Lufthansa – obwohl erlösschwächer als München oder Zürich – durchaus ein Asset ist. Die Luftfahrt insgesamt leidet in Post-Corona-Zeiten daran, dass Geschäftsreisen markant weniger geworden sind. Die innerdeutschen Linien der Lufthansa sind von dieser Entwicklung massiv betroffen. Urlaubsflüge hingegen steigen kontinuierlich an, und die von Fernweh geplagte Klientel ist, Teuerung hin oder her, auch bereit, mehr Geld auszugeben. Das spielt der AUA, die seit jeher viel touristischer ausgerichtet ist als ihre Konzernmutter, in die Hände. Innerhalb der Lufthansa-Gruppe ist sie die pünktlichste Airline. Dazu kommt, dass die reinen Crew- und Stationskosten – also die Kosten für den Standort in Wien – bei der AUA im Vergleich relativ günstig sind. Innerhalb der Lufthansa-Gruppe gilt die AUA damit als jene Airline, die am günstigsten Flugmeilen produziert, und das sei ihre Existenzberechtigung, erzählen Insider.
Der Flughafen Wien indes gehört zu den teuersten in Europa, für ihn spricht aber, dass er Passagiere sehr schnell umsteigen lässt. Sogar bei transkontinentalen Flügen ist das ab 25 Minuten zu schaffen. Das macht Schwechat zu Europas schnellstem Transferflughafen. Bordbetriebsratschef Rainer Stratberger sieht die Airline insgesamt gut aufgestellt: „Die AUA ist effizient und produktiv. Ich sehe keine Bedrohungen, die es notwendig machen würden, devot in die Gehaltsverhandlungen zu gehen“, sagt der Pilot.
„Die AUA ist effizient und produktiv. Ich sehe keine Bedrohungen, die es notwendig machen würden, devot in die Gehaltsverhandlungen zu gehen.“
Drohgebärden aus dem Management
Nach unzähligen Verhandlungsrunden, Betriebsversammlungen und einem Streik wuchs aber der Druck seitens der deutschen Mutter. Wie profil aus Verhandlerkreisen erfuhr, soll das Management in Deutschland den Abzug eines Langstreckenflugzeugs in den Raum gestellt haben, sollte das Treiben samt Streiks noch länger weitergehen. Auf Nachfrage wollte man sich bei der AUA-Pressestelle dazu nicht äußern. „Bitte um Verständnis, dass wir uns zu den laufenden Gesprächen nicht äußern, wir haben Stillschweigen vereinbart“, hieß es von einer Sprecherin.
Für die Piloten sprechen solche Drohungen aber eine sehr eindeutige Sprache. Denn der Betrieb eines Langstreckenflugzeuges sichert bei der AUA um die 150 Arbeitsplätze. Und ein solches Flugzeug weniger bedeutet eben auch 150 Mitarbeiter weniger.
Dass die Personalvertreter heuer im Klassenkampfmodus sind, ist kein AUA-Spezifikum. Nach der hohen Inflation der vergangenen zwei Jahre waren die Lohnverhandlungen in fast allen Branchen zäh, langwierig, und es wurde – für österreichische Verhältnisse – viel gestreikt. Hinzu kommt, dass die AUA mit einem Gewinn von 127 Millionen Euro (vor Steuern) im Vorjahr das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingeflogen hat. Der Lufthansa dürfte das noch immer zu wenig sein. Denn ein Großteil des Geldes bleibt wohl in Wien, etwa um Kredite für neue Flugzeuge zu bezahlen. Als Cashcow der Gruppe gilt die Swiss-Air, die im Vorjahr umgerechnet 734 Millionen Euro als Gewinn ausgewiesen hat.
Die aktuellsten Zahlen sind auch weniger schmeichelhaft: Die AUA produzierte im ersten Quartal des laufenden Jahres einen Verlust von 122 Millionen Euro (vor Steuern und Zinsen). Gründe für das schlechte Ergebnis: Die gewerkschaftlichen Betriebsversammlungen und die Streiks hätten das Unternehmen rund 24 Millionen Euro gekostet, die daraus resultierende Buchungszurückhaltung wurde mit rund zehn Millionen beziffert, dazu kämen gestiegene Personal- und Standortkosten, wie von der Airline zuletzt selbst kommuniziert.
Nun wurde im Zuge der neuen Kollektivvertragsvereinbarung eine sogenannte Friedenspflicht vereinbart. Diese legt fest, dass während der Laufzeit des Kollektivvertrags keine Betriebsstörungen in Form von Streiks stattfinden dürfen. "Gäste können sich damit über einen verlässlichen Flugplan freuen, Austrian Airlines gewinnt an Planungssicherheit zur Unternehmensentwicklung, was wiederum dem Standort zugute kommt", lässt das Management wissen.
Umbau und Abbau ohne Aufbau
„Abbau, Umbau, Aufbau.“ So lautete die Devise des damaligen Lufthansa-Chefs, dem mittlerweile verstorbenen Wolfgang Mayrhuber. Er war selbst Österreicher, und die AUA-Übernahme soll ihm auch ein persönliches Anliegen gewesen sein. Um die heutigen Entwicklungen bei Österreichs noch immer größter Airline zu verstehen, muss man einen kurzen Blick in ihre Geschichte rund um die Privatisierung werfen. Und die lief alles andere als turbulenzfrei.
Als im Jahr 2008 die rot-schwarze Bundesregierung die Investmentbank Merrill Lynch beauftragte, eine Vollprivatisierung der AUA vorzubereiten, war die noch teilstaatliche Fluggesellschaft fast insolvent. Gleich acht internationale Fluggesellschaften bekundeten Interesse, drei kamen in die engere Auswahl. Letzten Endes bekam die Lufthansa den Zuschlag – die 36.626.875 Aktien wanderten um einen symbolischen Cent je Aktie von der damaligen Staatsholding ÖIAG zur Lufthansa. Der Bund übernahm AUA-Schulden in der Höhe von einer halben Milliarde Euro.
Lufthansa soll von Anfang an der Wunschkäufer der damaligen Staatsholding ÖIAG unter Peter Michaelis und dem damaligen AUA-CEO Alfred Ötsch gewesen sein. Für reichlich Kritik seitens der Mitbieter sorgte außerdem die Tatsache, dass die Schuldenübernahme durch den Steuerzahler erst publik wurde, nachdem Lufthansa als letzter Bieter übrig geblieben war. In den Jahren nach der Privatisierung wurde immer wieder diskutiert, ob dem Bund eine Insolvenz und darauffolgende Sanierung billiger gekommen wäre als die Privatisierung.
Alarmstufe: Rot
Betriebsversammlungen und ein Streik sollen die AUA bisher 24 Millionen Euro gekostet haben.
Zum angekündigten Abbau und Umbau ist es dann auch tatsächlich gekommen. Nur der Aufbau stockt bis heute. Gleich nach der Übernahme baute die AUA rund 1000 Stellen ab. 2012 wurden die AUA-Mitarbeiter unter dem damaligen Vorstand Jaan Albrecht in den deutlich günstigeren Kollektivvertrag der AUA-Tochter Tyrolean übergeführt. Die Eingliederung wurde gerichtlich wieder aufgehoben. Aber die Einigung auf einen neuen Kollektivvertrag für alle und die massive Redimensionierung der Tyrolean brachten dann doch deutliche Einsparungen.
Ab- und umgebaut wurde auch bei der Flotte. Von einst über 100 Flugzeugen, Kurz- und Langstrecke, sind heute noch 67 im Einsatz – davon 10 Langstreckenflieger. Von den vormals über 7000 Mitarbeitern sind heute knapp über 6000 übrig.
Die ehemals staatliche AUA ist so etwas wie eine Mittelklasse-Airline. Sie ist kein übermächtiger Weltkonzern wie ihre Lufhansa-Mutter, aber auch keine Billigflieger-Airline. Das Geschäftsmodell lebt davon, dass Passagiere bereit sind, ein kleines bisschen mehr für guten Service, zuverlässige Verbindungen und keine versteckten Zusatzkosten für Koffer, Sitzplatz oder Check-in am Schalter zu bezahlen. Dieses Geschäftsmodell ist aber fragil und steht unter ständigem Kostendruck. Das gilt ganz besonders für die Economy-Class, wo die AUA in direkter Konkurrenz zu den Billig-Airlines steht.
Auf der anderen Seite konkurriert die AUA vor allem auf den Langstrecken auch mit staatlich subventionierten Airlines aus dem arabischen oder asiatischen Raum, die ähnlichen Service für weniger Geld anbieten können. Das vergangene Jahrzehnt bei der AUA war geprägt von den branchenweit hohen Verlusten der Pandemie-Jahre und Ergebnissen knapp über der schwarzen Null, also gerade noch gewinnbringend. Die Rekordeinnahmen im Vorjahr waren eher die Ausnahme als die Regel.
Haus- und Hof-Airline
Die AUA pflegt bis heute ein besonderes Verhältnis zur heimischen Politik. Wenn Minister auf Staatsbesuch fliegen, dann tun sie das in der Regel mit der AUA. Wenn zum Höhepunkt der Corona-Pandemie 130 Tonnen Schutzausrüstung aus China für die EU-Länder nach Wien eingeflogen werden, dann wird die AUA mit der Lieferung beauftragt. Es ist einerseits dieser alte Glanz der staatlichen Airline. Andererseits ist die AUA auch eine Art Sicherheitsgarantie dafür, dass der Flughafen Wien-Schwechat ein internationales Drehkreuz bleibt.
Andererseits weiß auch die Lufthansa die politische Unterstützung, die der AUA immer wieder zuteilwird, zu schätzen. Deshalb hatte man auch in Frankfurt wenig Interesse daran, zu eskalieren und zu viel Druck aufzubauen. Als 2020 zu Beginn der Corona-Pandemie alle Flugzeuge am Boden blieben und alle Passagiere zu Hause, brauchte die AUA dringend Liquidität. 150 Millionen Euro hat damals der Bund direkt zugeschossen, 150 weitere Millionen kamen von der Lufthansa. Außerdem übernahm der Bund über die Corona-Finanzierungsagentur (Cofag) Kredithaftungen in der Höhe von 300 Millionen Euro. Die Staatshilfe wurde mittlerweile zurückgezahlt. Im Gegenzug sollte Wien als Drehkreuz erhalten bleiben und Inlandsflüge reduziert werden, um CO2 einzusparen. Ohne diese Zuschüsse wäre die AUA aber pleitegegangen. „Die Lufthansa hat das bis heute nicht vergessen“, sagt ein Insider.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".
Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.