Wie die heimische Industrie vom globalen Aufrüsten profitiert
Ganz Europa rüstet auf und gibt zig Milliarden Euro aus, um wehrhafter zu werden. Österreich verdreifacht seine Militärausgaben. Viel Geld fließt auch in die heimische Industrie.
Auf der Straße sind die HX von „Rheinmetall MAN Military Vehicles’’ (RMMV) etwas träge und behäbig. Aber für den Straßenverkehr sind die riesigen, meist olivgrünen Trucks auch gar nicht gedacht. Sie sollen offroad durch Matsch, über Waldböden oder Felder fahren. Sie können Waffen- und Raketenabschusssysteme oder andere Militärlogistik transportieren. Knapp 1000 Lkw unterschiedlicher Bauart kauft das österreichische Bundesheer um eine Milliarde Euro bei RMMV – einem Joint Venture des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall und MAN. Die Trucks sind made in Liesing bei Wien. Aufträge wie jene des Bundesheeres häufen sich hier seit geraumer Zeit.
Der 24. Februar 2022 war ein Wendepunkt in Europas Geschichte; der folgenschwerste seit Langem. Im Morgengrauen rollten die ersten russischen Panzer, die Wochen zuvor schon an der ukrainisch-russischen und ukrainisch-weißrussischen Grenze stationiert wurden, über die ukrainische Grenze. In Europa begann damit wieder ein Krieg, der erste seit dem Jugoslawienkrieg in den 1990er-Jahren, und er dauert nun mittlerweile seit zweieinhalb Jahren an. Ein Ende ist nicht in Sicht. Seine Auswirkungen reichen bis nach Österreich, das zwar neutral, aber auch kaum imstande ist, sich vor militärischen Angriffen von außen zu schützen.
Ganz unbemerkt von der breiten Weltöffentlichkeit geschah an den internationalen Börsen kurz nach diesem 24. Februar 2022 etwas Bemerkenswertes. Rund um den Globus legten an den größten Aktien-Handelsplätzen der Welt plötzlich so gut wie alle Rüstungsaktien massiv zu. Die deutschen Rüstungshersteller Rheinmetall und Hensoldt, Thales aus Frankreich, Lockhead Martin – bei fast allen Militärgüterherstellern stieg der Aktienkurs (siehe Grafik) sprunghaft an. Krieg ist gut fürs Geschäft. Zumindest für alle, die Waffen, Panzerfahrzeuge, Munition oder Militärzubehör herstellen. Anders als die Industrie insgesamt, verzeichnet die Rüstungsindustrie gerade besonders hohe Umsätze.
Denn nicht nur die Ukraine braucht Waffen, Panzer und Flugabwehrsysteme zur Selbstverteidigung gegen das russische Militär. Alle europäischen Länder erhöhen gerade ihre Militärausgaben. Russland, eine mit vielen Ungewissheiten behaftete US-Präsidentschaftswahl im November, Chinas andauernde Drohgebärden gegen Taiwan, der Krieg in Gaza – welche Folgen all das für Europa haben wird, ist ungewiss. Die Bedrohungslage ist heute jedenfalls eine andere.
Ende der Naivität
„Das ist mir jetzt ganz wichtig: Wir kaufen Militärgüter, um uns und unsere Neutralität zu schützen. Wir wollen niemanden damit angreifen“, sagt Generalmajor Harald Vodosek. Er ist für die Beschaffung beim Österreichischen Bundesheer zuständig, und die 1000 RMMV-Trucks gingen ebenso über seinen Schreibtisch wie derzeit fast alle Beschaffungsaufträge des Militärs.
Auch in Österreich erzielen wir signifikante Auftragserfolge.
Sprecher von Rheinmetall
zur Erhöhung des Etats für Landesverteidigung
Russlands andauernder Terror gegen die Ukraine markiert nicht nur einen Wendepunkt, sondern ist auch so etwas wie das Ende der Naivität. Frieden ist nicht selbstverständlich, er kann auch schnell ein brutales Ende nehmen. Und er hat den meisten europäischen Ländern vor Augen geführt, dass sie alles andere als imstande wären, sich im Ernstfall selbst zu verteidigen. Deshalb steigen jetzt die Militärbudgets weltweit. Erst im März hat die EU-Kommission ihre Ausbaupläne für die europäische Rüstungsindustrie vorgestellt. Bis zum Jahr 2030 sollen 40 Prozent der Rüstungsgüter in der EU aus gemeinsamer europäischer Produktion stammen – das entspricht einer Verdoppelung der derzeitigen Kapazitäten. 1,5 Milliarden Euro jährlich fließen dafür direkt aus dem EU-Budget in die EU-Rüstungsindustrie.
Das ist freilich nur ein winziger Bruchteil dessen, was die einzelnen EU-Länder für ihre Heere ausgeben wollen. Österreich hat sich vorgenommen, den Anteil für Landesverteidigung von 0,58 Prozent auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), also der heimischen Wertschöpfung, zu erhöhen. Bis 2033 sollen 54,920 Milliarden Euro für Investitionen und Materialbeschaffungen, für mehr Personal und Erneuerung der Infrastruktur ausgegeben werden, so die Pläne des Verteidigungsministeriums.
Dass jetzt so viel Geld für Waffen und Co fließt, wo es doch an anderen Ecken und Enden im System an Geld fehlt, ist nicht unumstritten. Etwa in der Pflege, in Schulen und Kindergärten, bei der Förderung von Zukunftstechnologien. Vodosek versteht das Argument, sagt aber: „Wir müssen in der Lage sein, unsere Freiheit, unser Gesellschaftssystem und unsere Werte zu schützen.“ Die Bedrohungslage habe sich auch in Österreich verschärft. Cyberangriffe aus Russland auf staatliche Stellen haben in der gesamten EU massiv zugenommen, auch in Österreich. Die Spionage erlebt wieder eine Hochblüte. All das ist eben auch eine Gefahr für die Souveränität Österreichs.
Berührungsängste sinken
Die vielen Milliarden aus dem Verteidigungsbudget fließen jetzt nämlich nicht nur in die klassische Rüstungsproduktion, sondern auch an Firmen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Militär zu tun haben. Eine dieser Firmen ist der heimische Kranhersteller Palfinger. „Wenn Sie die öffentlichen Aufträge auf das Militär beziehen, dann steigt die Nachfrage – von einem niedrigen Niveau – EU-weit an“, sagt Gerhard Sturm, bei Palfinger für den Verkauf und Services zuständig. Das Unternehmen ist schon länger Ausstatter des heimischen Bundesheeres. Mit dem gestiegenen Rüstungsetat steigen jetzt aber auch die Auftragsvolumina. Palfinger liefert Hakensysteme, Raupen- und Ladekräne, Baggerarme und einiges mehr an das Heer.
„Wir sehen in der Dual-Use-Industrie nicht mehr jene Berührungsängste, die es bis vor Kurzem (mit dem Militär, Anm.) gab“, sagt Genralmajor Vodosek. Oder anders gesagt: Heute wird es zumindest ein bisschen weniger als Imageschaden empfunden, wenn man die österreichischen, deutschen oder sogar die US-Streitkräfte beliefert. Zum einen liegt das daran, dass so intensiv und umfassend über die eigene Wehrhaftigkeit und hierzulande über die Neutralität diskutiert wird, wie schon lange nicht mehr. Zum anderen ist der Rüstungssektor einfach ein verdammt lukratives Geschäftsfeld.
Zurück zu Rheinmetall, dem Mehrheitseigentümer von RMMV in Liesing. Eigentlich ist der deutsche Rüstungskonzern mit seiner über 100-jährigen Geschichte vor gar nicht langer Zeit ins Wärmepumpengeschäft eingestiegen. Jetzt ist aber wieder verstärkt das Kerngeschäft gefragt – und zwar international. Die Auftragslage ist im Vorjahr um 44 Prozent gestiegen. Für heuer wird ein Umsatzplus von 40 Prozent erwartet. „Auch in Österreich erzielen wir signifikante Auftragserfolge“, sagt ein Konzernsprecher auf Nachfrage.
"Wir kaufen Militärgüter, um uns und unsere Neutralität zu schützen. Wir wollen niemanden damit angreifen“, sagt Generalmajor Harald Vodosek.
Wehrhafte Neutralität?
"Wir kaufen Militärgüter, um uns und unsere Neutralität zu schützen. Wir wollen niemanden damit angreifen“, sagt Generalmajor Harald Vodosek.
Für die kriselnde heimische Industrie, die seit einem Jahr in der Rezession steckt, sind die hohen Militärausgaben eine gute Nachricht. Oder in den Worten des WIFO-Ökonomen Michael Böheim: „Jeder Euro hilft.“ Im ersten Quartal des Jahres sank das BIP zum vierten Mal in Folge – nämlich um 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Am Bau aber auch in der Güterproduktion, die vielerorts stark von deutschen Auftraggebern abhängig ist, läuft es alles andere als gut. Zumal Deutschlands Industriebetriebe in einer noch tieferen Krise stecken als die heimischen.
Da sind die 2,2 Milliarden Euro, die allein das heimische Bundesheer jährlich bis 2033 nicht nur für Materialbeschaffung ausgeben will, ein willkommener Rettungsanker für viele Betriebe. Aber einer, über den man im neutralen Österreich öffentlich nicht so gerne spricht. Das Image der Rüstungsindustrie ist kein gutes. Dabei umfasst die Liste jener heimischen Unternehmen, die im Sicherheits- und Verteidigungssektor produzieren, zig Betriebe. Die meisten sind sogenannte Dual-Use-Produzenten, also Hersteller von Gütern, die auch, aber nicht nur militärisch genutzt werden können, wie etwa die Helikopter-Drohnen des niederösterreichischen Herstellers Schiebel. In die lange Liste reihen sich aber auch Feuerwehrausstatter, Kranhersteller und Flugzeugbauer.
Eine Hand wäscht die andere
Szenenwechsel: Mitte April reiste ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher mit einer Wirtschaftsdelegation nach São Paulo in Brasilien. Eines der wohl wichtigsten Treffen fand dort mit dem Vorstandsvorsitzenden des brasilianischen Flugzeugherstellers Embraer, Francisco Gomes Neto, statt. Das Bundesheer kauft um rund eine halbe Milliarde Euro neue Transportmaschinen des Typs C-390, also Militärflugzeuge. Die neuen Maschinen sollen ältere, schon in die Jahre gekommene Modelle ersetzen. Der Ankauf erfolgt über die Niederlande, die selbst Flugzeuge kaufen und ein paar an Österreich weiterreichen.
Was heimische Zulieferbetriebe bei dieser Reise aber aufhorchen ließ: Neto versprach, das Auftragsvolumen in Österreich werde sich in den nächsten Jahren verdoppeln. Konkret stellte der brasilianische Großkonzern in Aussicht, in den kommenden fünf Jahren Ersatzteile, Serviceleistungen und Fertigungskomponenten im Umfang von 600 Millionen Euro in Österreich einzukaufen. Von einem vertraglich festgeschriebenen Gegengeschäft will man im zuständigen Wirtschaftsministerium nicht sprechen. Vielmehr handle es sich um ein „Bekenntnis“, im Gegenzug auch in die heimische Industrie investieren zu wollen.
Dass die Nachfrage nach militärischen Gütern weltweit groß ist, lässt sich derzeit auch an den Exportzahlen für Munition, Waffen und Dual-Use-Gütern ablesen. Diese Exporte sind genehmigungspflichtig, konkret durch das Wirtschaftsministerium. Die vorläufigen Zahlen für das Jahr 2023 zeigen, dass Verteidigungs- und Dual-Use-Güter im Umfang von fast drei Milliarden Euro aus Österreich exportiert wurden. Und: Unsere besten Kunden sind nicht in der EU. Bei den Verteidigungsgütern – also Waffen und Munition – ging der Großteil in die USA, gefolgt von der Schweiz und Großbritannien. Die meisten Dual-Use-Güter wurden nach Taiwan, Südkorea und China verkauft. Die finalen Zahlen für 2023 werden erst Ende des Jahres präsentiert.
Österreich ist ein neutrales Land, und anders als in Finnland und Schweden steht hier ein NATO-Beitritt nicht zur Debatte. Der Einstieg in ein internationales Militärbündnis ist in der Bevölkerung in etwa so populär wie Atomkraft, also gar nicht. Man mischt sich nicht in militärische Konflikte ein, man bezieht nicht Stellung und hofft auf Frieden. Solche Kriegsszenarien erscheinen zwar nach wie vor unwahrscheinlich. Aber angesichts der vielen Konfliktherde weltweit und eines neuen Krieges in Europa eben nicht mehr ganz so unwahrscheinlich wie noch vor fünf Jahren.
„Wir sind verpflichtet, uns auf alle möglichen Szenarien einzustellen und unsere Wehrhaftigkeit zu steigern – sei es auf einen Angriff von außen oder Herausforderungen durch klimabedingte Naturkatastrophen“, meint Vodosek vom Verteidigungsministerium. Nachdem das Bundesheer in den vergangenen Jahren auf knapp 50.000 Soldaten und teils nicht mehr einsatzfähiges Material heruntergespart wurde, geht man jetzt den Schweizer Weg. Man rüstet auf und macht sich wehrfähig. Für den Ernstfall, von dem alle hoffen, dass er niemals eintritt.