„Russland ist wie Nordkorea“

Einst Banker, jetzt Oppositioneller: Sergey Leontiev spricht über seine Verbindungen zu Nawalnys Bewegung, die korrupte russische Justiz und die Verfolgung durch den Kreml.

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Der nachfolgende Text ist das deutsche Transkript eines autorisierten Interviews, das Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh vergangene Woche via Videokonferenz in englischer Sprache führten.

profil: Herr Leontiev, Sie mussten 2015 aus Ihrer Heimat Russland in die USA flüchten, seither ist der Kreml juristisch hinter Ihnen her. Warum?

Leontiev: Ich hatte eine von Putins, roten Linien' überschritten: Unterstützung der Opposition. Meine Partner und ich wollten 2012 die Anti-Korruptionsbewegung von Alexei Nawalny mit einem Kreditkartenprojekt finanziell unterstützen, Nawalny selbst war an der Entwicklung beteiligt. Bank24.ru, eine Online-Bank aus meiner Finanzgruppe Life, wollte diese Kreditkarte begeben und in weiterer Folge ein Prozent jeder Kundentransaktion als Spende an Nawalnys Stiftung Fund for Fighting Corruption überweisen.

profil: Nawalnys Bewegung selbst hatte das Projekt 2012 öffentlich vorgestellt, der Name der Bank wurde bei der Präsentation nicht genannt.

Leontiev: Wir hatten das mit Nawalny und seinem Team so vereinbart, das sollte erst mit der Einführung der Kreditkarte geschehen. Die russische Presse stürzte sich aber auf die Sache, das hatten wir völlig unterschätzt. Es dauerte auch nicht lange, und die Namen Bank24 und Financial Group Life kursierten.

"Diese Konsequenzen hatte keiner von uns erwartet"

profil: Den erwartbaren Furor des Kreml nahmen Sie in Kauf?

Leontiev: Die Risiken waren meinen Partnern und mir durchaus bewusst. Aber diese Konsequenzen hatte keiner von uns erwartet. Wir bekamen bald Drohanrufe von Vertretern der Regierung und der Russischen Zentralbank. Die Botschaft war unmissverständlich: Wenn ihr das Projekt weiterverfolgt, entziehen wir euch die Banklizenz.

profil: Ihre Reaktion?

Leontiev: Wir haben das Projekt 2012 unter diesem Druck tatsächlich gestoppt. Wir kontaktierten Nawalnys Team und sagten ihnen, dass die Sache zu heiß geworden sei, weil die Regierung uns die Banklizenz entziehen wolle. Wir vereinbarten damals, dass sie es mit einer anderen Bank weiterführen könnten, sie fanden später auch eine. Aber das ging auch für diese Bank nicht gut aus, der Gründer musste später ebenso das Land verlassen.

profil: Was geschah, nachdem Sie das Projekt mit Nawalny aufgegeben hatten?

Leontiev: Zunächst nichts, es sah alles okay aus. Ich wusste zwar, dass die russischen Behörden immer wieder Leute aus meiner Unternehmensgruppe zu Befragungen in dieser Sache vorluden, aber wir nahmen das nicht wirklich ernst. Erst Monate später erhielt mein Partner Alexander Zheleznyak über den bekannten russischen Oligarchen Alexander Varshavsky eine "Einladung" zu einem Gespräch in der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft, bei einem der leitenden Staatsanwälte (Anm.: Die Generalstaatsanwaltschaft wurde damals von Juri Tschaika geleitet, dem Nawalny später Verbindungen zur Organisierten Kriminalität vorwarf.) Dort wurde meinem Partner mitgeteilt, dass die Konzession der Bank24 weiterhin in Gefahr sei. Um den Lizenzentzug zu verhindern, müssten wir bis zu 50 Prozent der Anteile an Dritte abgeben. Wir haben das abgelehnt. Später hatten wir einen Termin bei der Chefin der Zentralbank, Elwira Nabiullina. Sie erklärte uns plötzlich, dass die Bank24 der Geldwäscherei verdächtigt werde. Das war absurd. Sie vermittelte in dem Gespräch den Eindruck, dass das von viel weiter oben so gewollt war. Die Situation war insofern kompliziert, als Putins Administration einerseits eine Entscheidung gegen uns getroffen hatte, andererseits aber Leute in der Generalstaatsanwaltschaft sich daran selbst bereichern wollten. Das ist das übliche Spiel in Russland. Im September 2014 wurde der gut kapitalisierten Bank24, welche die Nawalny-Card begeben sollte, schließlich die Bankenkonzession entzogen. Es gab laute Proteste unserer Kunden gegenüber der Zentralbank, immer wieder wurden vor unserem Headquarter in Jekaterinburg Blumen niedergelegt. Einige Monate danach kreuzte der Oligarch Varshavsky wieder bei meinem Partner auf, es ging um einen weiteren Termin beim Generalstaatsanwalt. Dieses Mal lautete das Angebot: Ihr bekommt eine zweite Chance, jetzt wollen wir 50 Prozent der Moskauer Probusinessbank, das war damals eine weitere Bank, die zugleich als Holding für die Life-Gruppe diente. Die Verträge waren bereits vorbereitet, wir brauchten nur noch zu unterschreiben.

profil: Ein russischer Generalstaatsanwalt wollte Ihnen Firmenanteile abpressen?

Leontiev: Ja, gemeinsam mit einer Gruppe von Geschäftsleuten. Alexei Nawalny hat später einen Film über Juri Tschaika und seine Söhne gemacht. Da werden genau diese Methoden beschrieben. Wir haben die "zweite Chance" damals abgelehnt, und dann ging alles ganz schnell. Im August 2015 wurde auch der Probusinessbank die Konzession entzogen. Die Bank war davor mehrfach geprüft worden, es hatte keine Beanstandungen gegeben. Nun hieß es, wir hätten Liquiditätsprobleme, unmittelbar darauf kamen 50 Regierungsagenten zu einer Hausdurchsuchung. Sie übernahmen die Kontrolle, ich konnte plötzlich nicht mehr in mein Büro und musste es in eine Starbucks-Filiale verlegen. Wieder gab es Demonstrationen von Kunden, die Generalstaatsanwaltschaft konstruierte alsbald den Vorwurf, ich hätte der Bank Geld gestohlen. Die Wahrheit ist: Politische Willkür und die finanziellen Interessen Einzelner haben eine ganze Bankengruppe zerstört. Nachdem ich Russland verlassen hatte, wurde der Rest der Finanzgruppe Life unter Oligarchen aufgeteilt.

"Ich rechnete offen gestanden damit, dass wir noch dort verhaftet werden würden"

profil: Wie haben Sie Russland verlassen?

Leontiev: Kurz nach der Schließung der Bank wurden mein Partner und ich zu einem Termin beim Oligarchen Varshavsky vorgeladen, da sah ich ihn zum ersten Mal persönlich. Er war aufgebracht. Es war die interessante Situation eingetreten, dass Varshavsky von der schnellen Schließung der Probusinessbank überrumpelt worden war. Er war auch Kunde dort gewesen, und jetzt war ein Teil seines Geldes blockiert. Er bedrohte mich und meinen Partner und machte uns persönlich für sein Vermögen in der Bank verantwortlich. In einem Nebenraum saßen bewaffnete Polizisten und hörten das Gespräch mit. Ich rechnete offen gestanden damit, dass wir noch dort verhaftet werden würden. Am nächsten Tag habe ich Russland verlassen. Ich hatte am Montag ohnehin einen Termin in London, aber mir war beim Abflug klar, dass ich meine Heimat womöglich für immer zurücklassen muss.

profil: Sie leben jetzt in den USA. Wie ist Ihr Status?

Leontiev: Ich habe politisches Asyl beantragt. Für dieses Jahr ist dazu eine Gerichtsanhörung angesetzt. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung mehrerer Vertreter des US-Kongresses. Sie haben erkannt, dass Russland mich aus politischen Gründen verfolgt und angreift. Gleichzeitig kämpfe ich um die Aufhebung von Kontosperren in Liechtenstein, wo Vermögen eingefroren wurde.

"Russland ist wie Nordkorea. Beide werden von korrupten Banden regiert"

profil: Die Liechtensteiner Justiz führt auf Betreiben der russischen Behörden seit Jahren Ermittlungen gegen Sie und Ihren Partner wegen des Verdachts der Geldwäscherei ...

Leontiev: ... auf Grundlage von erfundenen Behauptungen der russischen Seite. Bis heute konnten weder die DIA noch das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation auch nur einen Beweis vorlegen. Das gilt für das Verfahren in Liechtenstein genauso wie für alle anderen. Russland hat im Laufe der Jahre ungezählte Verfahren in verschiedenen Jurisdiktionen gegen mich und meine Partner angestrengt, zivil- und strafrechtlich. Russland, Liechtenstein, USA, Österreich, Schweiz, Zypern, Cookinseln, Polen. Wo wir Urteile haben, waren wir erfolgreich. Ein Richter auf den Cookinseln verwarf die Vorwürfe komplett, ein polnisches Gericht sah politische Motive als erwiesen an. Liechtenstein war in dieser Frage lange abwartend. Seit mehr als vier Jahren sind die Assets dort eingefroren, obwohl Russland nicht in der Lage war, auch nur einen einzigen Vorwurf ansatzweise zu belegen. Es ist sauberes privates Geld, das auch niemals der Probusinessbank oder sonst einem Teil meiner Finanzgruppe gehört hat. Wir haben das bereits vor Jahren mit Gutachten untermauern können. Ich hoffe, dass Liechtenstein unserer Argumentation folgen wird. Was Sie hier beobachten können, ist ein russischer Modus Operandi. Man verfolgt politische Gegner im Ausland, indem man mittels erfundener Vorwürfe die jeweiligen Justizsysteme beschäftigt, Vermögen einfrieren lässt und die Gegner damit wirtschaftlich zermürbt. Russland ist wie Nordkorea. Beide werden von korrupten Banden regiert.

profil: Haben Sie noch Kontakt zu Nawalnys Bewegung?

Leontiev: Natürlich. Ich unterstütze sie weiterhin finanziell, und versuche, auch organisatorisch und strategisch zu helfen. Mein Partner Alexander ist ein Direktor in Nawalnys US-Organisation. (Anm:. Auch Alexander Zheleznyak musste 2015 aus Russland flüchten, auch er lebt heute in den USA.)Daneben arbeite ich an einer blockchainbasierten und völlig dezentralisierten Online-Organisation, um unter anderem die zwei, drei Millionen Exil-Russen in den USA besser zu vernetzen, die Community ist bisher völlig desorganisiert. Daraus kann eine große Kraft erwachsen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.