Wirtschaft
Bankexperte Dombret: „Noch nie war die Regulierung so streng“
Andreas Dombret, ehemaliger Vorstand der Deutschen Bundesbank, über Verwundbarkeiten im Finanzsystem, das Biest Inflation und das Reizthema „digitaler Euro“.
20.11.23
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Die Welt besteht scheinbar nur mehr aus Krisenherden: Ukrainekrieg, Israel-Gaza-Konflikt, hohe Inflation, Rezession, Klimakrise. Was macht Ihnen angesichts all dessen aus makroökonomischer Sicht am meisten Sorgen?
Andreas Dombret
Es wird Sie nicht verwundern, dass ein ehemaliger Zentralbanker erst mal die Inflation nennt. Sie ist immer noch zu hoch. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir in der Eurozone wie geplant unseren Zielwert von zwei Prozent bis zum Jahr 2025 erreichen können.
Weshalb?
Andreas Dombret
Aufgrund der vielen geopolitischen Risiken, die natürlich auch viel Sorge machen. Sie sind in ihren Auswirkungen sehr substanziell. Die Globalisierung, wie wir sie lange Zeit erlebt haben, wird sich so nicht fortsetzen lassen, solange der Westen und der Globale Süden derart unterschiedliche Positionen einnehmen. Bei der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds in Marrakesch haben mir die Vertreter des Globalen Südens inoffiziell immer wieder gesagt, dass der Westen die falschen Prioritäten setze und es eigentlich viel mehr um die Reduzierung der Armut ginge als um die Bekämpfung des Klimawandels.
Sowohl die EZB als auch die Fed haben zehn Prozent Inflation zugelassen. Ein Versagen der Zentralbanken?
Andreas Dombret
Die Inflation ist wirklich aus dem Ruder gelaufen. Sie können die Fed und die EZB jedoch nur bedingt miteinander vergleichen, weil wir in Europa einem Angebotsschock auf dem Nahrungsmittel- und dem Energiemarkt durch den Ukrainekrieg ausgesetzt waren. Das hat die USA so nicht erlebt. Es kann einer Zentralbank nicht gefallen, wenn die Inflation so weit von ihrem Zielwert abweicht. Aber ich glaube, die Zentralbanken haben sehr konsequent und sehr vernünftig auf diese Situation reagiert. Also insofern ist es weniger die Frage, ob es ein Versagen war, sondern vielmehr, ob die Reaktion angemessen war. Das war sie, finde ich.
Aber war sie nicht zu langsam?
Andreas Dombret
Ach, wissen Sie, im Nachhinein weiß man immer alles besser. Ich glaube, sie war etwas zu spät. Aber wenn die Inflation im Wesentlichen durch die Energie- und Nahrungsmittelpreise aufgrund des Ukrainekriegs zurückzuführen ist, dann kann diese durch höhere Zinssätze nur sehr bedingt gesenkt werden.
Es gibt Ökonomen, die der Meinung sind, man könne ruhig eine Zeit lang eine höhere Inflationsrate von vier, fünf Prozent zulassen. Würden Sie dem zustimmen?
Andreas Dombret
Ich halte es für problematisch, mitten im Rennen die Pferde zu wechseln. Es würde das Vertrauen in die Europäische Zentralbank untergraben, wenn sie plötzlich die Richtung ändert, weil sie merkt, dass die Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels schwieriger wird.
Der ehemalige Zentralbanker
im Gespräch mit profil-Redakteurin Christina Hiptmayr im Salon des Hotels Altstadt Vienna.
Fürchten Sie eine zweite Inflationswelle, wie man sie in den 1970er-Jahren gesehen hat, weil die Fed in ihrer Zinspolitik viel zu früh nachgelassen hat?
Andreas Dombret
Man kann die beiden Situationen nicht gut vergleichen. Aber was die Zinsschritte betrifft, ist es im Zweifel eher besser, zu viel als zu wenig zu machen. Trotz aller Auswirkungen, die das natürlich auf die Konjunktur hat. Seit Mitte letzten Jahres gab es in der Eurozone schon zehn aufeinanderfolgende Zinsschritte von insgesamt 450 Basispunkten, die eine gewaltige Wirkung erzeugen. Aber es gibt immer Effekte, die sich erst etwas später einstellen, sodass eine genaue Punktlandung unmöglich ist. Das Biest Inflation ist leider noch nicht besiegt, aber das wäre extrem wichtig. Wir werden uns jetzt wohl auf eine längere Phase höherer Zinsen einstellen müssen, die durchaus über weite Teile des nächsten Jahres anhalten könnte.
Angenommen, die EZB bekommt die Teuerung nicht in den Griff, würde das die Währungsunion gefährden?
Andreas Dombret
Davon gehe ich nicht aus. Ich habe keine Zweifel, dass die Europäische Zentralbank und die nationalen Notenbanken alles tun werden, diese Inflation in den Griff zu bekommen.
In Europa gibt es häufig die Kritik, die Banken würden zu stark reguliert. In Österreich zum Beispiel wurden die Richtlinien für die Vergabe von Immobilienkrediten Kreditvergabe verschärft. Nimmt man die Banken zu sehr an die Kandare?
Andreas Dombret
Noch nie war die Regulierung so streng wie heute. Aber vergessen wir bitte nicht, dass die globale Finanzkrise vor 15 Jahren ganz erhebliche Turbulenzen ausgelöst hat. Unser Finanzsystem war sehr nahe am Abgrund. Damals sind wir noch davon ausgegangen, dass Realwirtschaft und Finanzwirtschaft getrennte Regelkreise sind. Wir mussten schmerzhaft lernen, dass dies in keiner Weise der Fall ist. Damals bestand für die Aufsicht so gut wie keine Transparenz, wo die Risiken liegen. Und es gab auch keinen Abwicklungsmechanismus für Banken – eine Insolvenz war nicht vorgesehen. Man hat sich dann die gefährlichsten, komplexesten und mit den meisten Risiken behafteten Großbanken sehr genau angeschaut und für genau diese Institute eine neue Regulierung entwickelt. Als Anfang dieses Jahres die Fälle Silicon Valley Bank und Credit Suisse auftraten, haben all die Banken, die vorher die strenge Regulierung kritisiert haben, darauf hingewiesen, wie stark denn ihre Eigenkapitalpuffer und ihre Liquidität seien. Ohne Regulierung hätten sie das jedoch nicht in diesem Ausmaß aufgebaut. Das heißt, unser System ist durch die Regulierung nach der Krise deutlich sicherer geworden.
Wo sehen Sie noch Verwundbarkeiten?
Andreas Dombret
Mir macht Sorge, dass viel Geschäft in die Schattenbanken abwandert. Ich spreche zum Beispiel von Kreditfonds, wo viele Kredite außerhalb des Bankensektors völlig unreguliert vergeben werden. Da fehlt die Transparenz, und am Ende müssen wir vielleicht dafür bezahlen, weil ähnliche Probleme auftauchen wie damals bei Lehman Brothers. Da brauchen wir schon eine einheitliche Regulierung.
Andreas Raymond Dombret, 63,
war Investmentbanker und arbeitete unter anderem für die Bank of America. Von 2010 bis 2018 war der in den USA gebürtige Wirtschaftswissenschafter Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Aktuell ist er Unternehmensberater bei dem weltweit tätigen Consultingunternehmen Oliver Wyman.
Wir haben jetzt viel über das Zwei-Prozent-Ziel der EZB gesprochen. Ein anderes Ziel ist der digitale Euro. In der Bankenwelt stößt er nicht gerade auf ungeteilte Begeisterung. Können Sie das nachvollziehen?
Andreas Dombret
Ja. Aber ich bin sehr überrascht, dass die Kritik und die Interventionen so spät kommen. Es war von Anfang an klar, dass der digitale Euro die Einlagensituation von Banken und Sparkassen beeinträchtigen wird.
Inwiefern?
Andreas Dombret
Aktuell ist im Gespräch, dass jeder Kunde bis zu 3000 Euro in digitalen Euro halten darf. Dadurch entgeht den Banken in dieser Höhe die Zinsdifferenz zwischen dem Einlagen- und dem Kreditzinssatz, und ihre Möglichkeit der Refinanzierung über Einlagen wird ebenfalls geschmälert. Jetzt sind die Bankenverbände aufgewacht und kritisieren das teilweise sehr deutlich.
Wie will man den Banken das Projekt schmackhaft machen?
Andreas Dombret
Der digitale Euro muss allgemeiner und grundsätzlicher gesehen werden. Es geht darum, ob es digitale Währungen nur von privaten oder auch von staatlichen Anbietern geben soll. Für Zentralbanken stellt sich die Frage: Stellt man die eigene Währung nur über Cash und über die Schaffung von Geld durch Kreditvergabe her? Oder unterbreitet man auch ein Angebot im digitalen Bereich – nicht zuletzt zur Verteidigung der Souveränität der eigenen Währung? Es gibt natürlich ein Interesse daran, dass der Euro, mit immerhin 20 Prozent der Weltwährungsreserven eine nicht unbedeutende Währung, auch seinen Wert in der Welt behält oder sogar ausbaut. Wo ich Kritik berechtigt finde, ist, dass Banken und Sparkassen bisher wenig eingebunden waren. Es macht ja nur Sinn, so etwas einzuführen, wenn es dann auch rege genutzt wird. Ich glaube nicht, dass den meisten Bürgern aktuell klar ist, welche Vor- und Nachteile mit einem digitalen Euro verbunden sind.
Ehrlich gestanden: mir auch nicht. Ich habe hier am Handy meine Banking- App und kann damit schnell und unkompliziert Überweisungen tätigen. Wozu brauche ich den digitalen Euro?
Andreas Dombret
Er ist insbesondere in Krisenzeiten von Interesse. Sie haben mit dem digitalen Euro einen verbrieften Anspruch der EZB, den sie immer durchsetzen können. Wenn er dann noch, wie von der EZB geplant, kostenlos und jederzeit online und offline nutzbar ist, dann hat das erhebliche Vorteile für die Konsumenten und ist eine interessante Zusatzoption.
Ist das Projekt eine Vorstufe zur Abschaffung des Bargelds?
Andreas Dombret
Sicher nicht. Meine durchaus positive Einstellung zum digitalen Euro würde sofort ins Negative umschwenken, wenn er eine Abschaffung des Bargelds bedeuten würde. Jede Bürgerin, jeder Bürger soll doch bitte selbst entscheiden, welche Form des Bezahlens er oder sie wählen möchte, ob das nun mit Bargeld, Kreditkarte, Bitcoins oder dem digitalen Euro ist.
Viele sorgen sich, dass hier ein Überwachungssystem etabliert werden soll.
Andreas Dombret
Ich will das nicht kleinreden, das ist ein wichtiger Punkt. Aber ich bin sicher, dass die EZB die Daten der Konsumenten ganz besonders gut verwalten wird. Viele private Anbieter nutzen Konsumentendaten zum eigenen Vorteil. Auch die Banken haben jede Menge Daten über Sie und kennen Ihr Konsumentenverhalten ganz genau. In einer Zeit, wo viele Menschen vom Bargeld zu digitalen Formen des Bezahlens übergehen, wird der digitale Euro mehr Menschen interessieren, als Sie glauben. Andere Bezahlformen werden aber weiterbestehen. Das sage ich Ihnen voraus.
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Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.