Bargeld-Abschaffung: Die Anti-EU-Kampagne von ÖVP und FPÖ
Es drohen "extreme Freiheitseinschränkungen“ und "totale Überwachung“, warnt Harald Mahrer, der sonst eher unauffällige ÖVP-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Mahrers Parteifreund Reinhold Lopatka, ÖVP-Klubobmann, will der Gefahr gar mit einer Änderung der Verfassung begegnen. FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer hat das Thema zum Schwerpunkt seines Wahlkampfes erkoren. Und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sagt: "Die EU will die Bürger entrechten und mit einer Bargeldabschaffung den gläsernen Menschen schaffen.“
Die EU? Freiheitseinschränkungen? Entrechtung? Gläserner Mensch? Ein neues Thema geistert herum unter Österreichs rechtspopulistischen und konservativen Politikern. "Die EU“ wolle das Bargeld abschaffen, klingt es durch zahllose Stellungnahmen. Die Gegenoffensive der Politik erfolgt einträchtig mit den heimischen Boulevardmedien. "Das Bargeld muss bleiben!“, skandiert die "Kronen Zeitung“, angeblich immer noch das Volksorgan schlechthin.
Die emotionale Debatte dient als Reflexionsfläche für viele Sorgen, die weit über das eigentliche Thema hinausreichen. Hinter der Angst ums Bargeld stecken große, bange Fragen nach der Zukunft von Privatsphäre und persönlicher Freiheit. Irgendwann, so die diffuse Angst, können anonyme Eurokraten, Geheimdienste und Konzernbosse auf Knopfdruck unsere Enteignung bewirken. Es droht totale Kontrolle. Außer es liegen noch ein paar rettende Scheinchen unter dem Kopfpolster.
Wenn also nicht die Kommission die Idee von der Abschaffung aufgebracht hat, wer dann?
Aber was plant die EU wirklich - oder sonst jemand? Wer sich das fragt, stellt fest: In Österreich braucht es offenbar nicht viel, damit die zweitgrößte Regierungspartei und die größte Oppositionspartei des Landes nach Verfassungsänderungen schreien. Konkret ein paar dürre Fakten, die sich nur unter Aufbietung von viel Kreativität zu Vorboten einer Totalabschaffung des Bargelds stilisieren lassen. Dazu eine gute Portion Anti-Europa-Ressentiment.
"Die Kommission plant nicht, Bargeld abzuschaffen, weder Scheine noch Münzen“, heißt es auf profil-Anfrage aus dem Wien-Büro der EU-Kommission. Ausnahme: die Ein- und Zwei-Cent-Münzen, bei denen es 2013 Ideen zur Abschaffung gab. Wer von "der EU“ spricht, meint meistens die Kommission. Sie ist quasi die Regierung der EU unter Präsident Jean-Claude Juncker.
Wenn also nicht die Kommission die Idee von der Abschaffung aufgebracht hat, wer dann? Man stößt nicht etwa auf Politiker und Beamte, nur auf einige Ökonomen. Konkret sprachen Mitte 2015 zwei davon, der Deutsche Peter Bofinger und der US-Amerikaner Kenneth Rogoff. Dazu gesellte sich Anfang des heurigen Jahres John Cryan, Co-Chef der Deutschen Bank. Das Bargeld sei "schrecklich ineffizient“, sagte Cryan bei einer Diskussion beim Weltwirtschaftsforum von Davos.
Dass man in Cash beliebig hohe Summen begleichen darf, ist schon heute eher Ausnahme als Regel.
Dazu gab es in den vergangenen Monaten einige kleinere Vorschläge, die den Bargeldverkehr betreffen. Auch sie stammen allesamt nicht von der Kommission, sondern aus den Reihen der EU-Mitgliedsstaaten und der Europäischen Zentralbank (EZB). Konkret wünschte sich Deutschlands konservativer Finanzminister Wolfgang Schäuble im Februar eine Höchstgrenze, wie viel man in bar bezahlen darf. 5000 Euro sollen es sein, so Schäuble. Jede Zahlung darüber soll mittels Karte erfolgen müssen. Im Rat der EU-Finanzminister - einem Gremium, dem übrigens auch Hans Jörg Schelling angehört, Parteifreund Mahrers und Lopatkas - gibt es seither Überlegungen, Schäubles Idee auf die ganze EU auszudehnen. Das Motiv: Bekämpfung des Organisierten Verbrechens und der Geldwäsche. Aus demselben Grund wünscht sich Mario Draghi, Präsident der EZB, die Abschaffung des 500-Euro-Scheins.
Wie viel solche Maßnahmen bringen, ist umstritten. Fachleute wie der Linzer Ökonom und Geldwäsche-Experte Friedrich Schneider meinen, der Einsatz großer Geldscheine zu kriminellen Zwecken gehöre längst der Vergangenheit an. Andere Stimmen halten dagegen: Laut Europol sind 500-Euro-Noten unter Drogen- und Menschenschmugglern derart begehrt, dass sie sogar um mehr als 500 Euro gehandelt werden. Im Jahr 2014 wurde in der Türkei zudem ein Geldbote aufgegriffen, der in seiner Unterhose bequem 40 Fünfhunderter untergebracht hatte. Die 20.000 Euro hätten an dschihadistische Kämpfer in Syrien gehen sollen.
Entscheidend ist aber ein anderes Faktum: Wenn Schäuble und Draghi Höchstgrenzen und die Abschaffung großer Scheine anregen, sind das nicht etwa neue, bahnbrechende Initiativen. Im Gegenteil, in den vergangenen Jahrzehnten haben viele Staaten aus Kriminalitätsbekämpfungsgründen große Scheine aus dem Verkehr gezogen, etwa Kanada und Singapur. Und was die Höchstgrenzen betrifft: Dass man in Cash beliebig hohe Summen begleichen darf, ist schon heute eher Ausnahme als Regel. Konkret erlauben es derzeit nur fünf EU-Staaten: Litauen, Lettland, Zypern, Deutschland und Österreich.
Derartige Ereignisse schüren den Glauben, durch eine Flucht ins Bargeld auf der sicheren Seite zu stehen.
Überall sonst gelten Einschränkungen. In Griechenland beispielsweise darf man nur bis 1500 Euro bar bezahlen, außer beim Autokauf. Oder Großbritannien: Hier gibt es zwar keine Höchstgrenze, dafür müssen sich Händler als "High Value Dealers“ registrieren, bevor sie Summen im Gegenwert von mehr als 15.000 Euro in bar akzeptieren. Eben dieser Wildwuchs an Regeln veranlasst die EU-Finanzminister auf Schäubles Initiative, eine Harmonisierung anzustreben.
Fazit: Ganz so frei, wie Österreichs selbsterklärte Kämpfer für das Bargeld glauben, ist der Cash-Verkehr bereits heute nicht. Und: Die angedachte Höchstgrenze steht ebenso wie die Fünfhunderter-Abschaffung in einer langen Tradition ähnlicher Maßnahmen. Sie als Vorboten einer totalen Bargeldabschaffung zu interpretieren - und damit Wahlkämpfe zu bestreiten und Verfassungsänderungen zu fordern -, ist mutig von der ÖVP und FPÖ.
Dennoch muss man prinzipiell eines zugestehen: Aus einer breiteren Perspektive betrachtet, ist es nicht überraschend, dass ausgerechnet derzeit die Angst vor der Bargeldabschaffung umgeht. Manche Ereignisse im Gefolge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben dem Vertrauen ins Geldsystem tiefe Kratzer zugefügt. Zum Beispiel während der Eurokrise in Zypern 2013: Damals wurde jedem Sparer mit einem Vermögen von mehr als 100.000 Euro auf der Bank die Hälfte der überzähligen Summe abgezwackt. Damit sollte der Kollaps der Banken verhindert werden. Derartige Ereignisse schüren den Glauben, durch eine Flucht ins Bargeld auf der sicheren Seite zu stehen.
Oder der sogenannte Einlagezinssatz der EZB. Dieser liegt schon länger im negativen Bereich. Erst vergangene Woche wurde er weiter gesenkt, von minus 0,3 auf minus 0,4 Prozent. Hintergrund: Nach dem Willen der EZB sollen die Banken ihr Geld als Kredite unters Volk bringen und damit die Wirtschaft ankurbeln. Tun sie dies nicht und deponieren sie stattdessen ihr Geld nutzlos bei der EZB, müssen sie die 0,4 Prozent als eine Art Strafe entrichten.
Überfallsartige Währungsreformen und massive Geldentwertungen, die Enteignungen gleichkamen, gab es historisch gesehen längst bevor erste elektronische Buchungszeilen das Licht der Welt erblickten.
Die Kosten dafür würden die Banken gerne an ihre Kunden weiterreichen. Dies jedoch können sie kaum, sonst würden die Sparer ihre Guthaben beheben und in Cash verwahren.
Es ist also wohl kein Zufall, dass ausgerechnet hochrangige Banker wie der Deutsche-Bank-Chef John Cryan für die Bargeldabschaffung plädieren. Cryans Branche würde massiv profitieren. Das Bargeld bietet Schutz vor derlei schleichenden Enteignungen, hoffen die Cash-Aktivisten.
Aber stimmt das auch? Zypern zählt zu den wenigen EU-Staaten, in dem man unbegrenzte Summen in Cash bezahlen darf - was der dortigen Schröpfungsaktion keinen Abbruch tat. Ganz generell: Überfallsartige Währungsreformen und massive Geldentwertungen, die Enteignungen gleichkamen, gab es historisch gesehen längst bevor erste elektronische Buchungszeilen das Licht der Welt erblickten.
Vielleicht sollte man die Angelegenheit eher betrachten wie Christoph Türcke, ein Leipziger Universitätsprofessor, der sich mit der Philosophie des Geldes befasst. Die Geschichte des Geldes sei eine der "Verflüchtigung“, schreibt er. Die materielle Substanz schwindet. Von den Sklaven und dem Gold des Altertums reicht sie über die Münzen und Scheine der Neuzeit bis hin "zum gleichgültigsten Material, dem elektronischen Impuls“.
Wie viel Geld tatsächlich wert ist, ob in Cash oder auf dem Rechner, ist letztlich eine Frage gesellschaftlicher Garantien und Konventionen.
Das moderne Bargeld ist in dieser Sichtweise nicht etwa ein feststehender Wert, der sich fundamental vom elektronischen Impuls unterscheidet. Es ist auch nur eine Art Stellvertreter. Das Bargeld ist der vorletzte Schritt in einer Geschichte der Entmaterialisierung.
Das bedeutet: Wie viel Geld tatsächlich wert ist, ob in Cash oder auf dem Rechner, ist letztlich eine Frage gesellschaftlicher Garantien und Konventionen. Geld ist Geld, solange wir daran glauben, dass es Geld ist. Kaum ein Geld- und Währungssystem hat es bisher unbeschadet überstanden, wenn die dazugehörige Gesellschaft ins Taumeln gerät, wenn Geschäfte leerstehen, wenn Krieg und Chaos drohen. Egal ob bar oder elektronisch.
Solange wir also daran glauben, dass die abgegriffenen Papierscheine und Metallstücke in unseren Händen etwas wert sind, müssen wir uns wohl um die Gültigkeit der Zahlen in unseren Computern auch keine Sorgen machen.