Bedingungsloses Grundeinkommen: Eines für alle

In der Corona-Krise wird die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen populärer. Doch es gibt ein paar offene Fragen.

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Frei sein. Selbstbestimmt. Geschützt, wenn infolge von Wirtschaftskrisen und Automatisierungstendenzen Jobs und Einkommen wegfallen und Menschen in prekäre wirtschaftliche Situationen schlittern. Das steckt hinter dem Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Jeder, so die Idee, soll eine bestimmte Summe Geld bekommen. In der Corona-Krise wird die Idee immer populärer.

Eine aktuelle Umfrage des niederösterreichischen Instituts Marketagent mit 500 Teilnehmern zeigt, dass immerhin 38 Prozent der Österreicher für die Einführung eines BGE eintreten. Laut einer Studie der Universität Wien wiederum vom vergangenen Oktober hat sich die Zustimmung zum BGE seit Beginn der Corona-Krise signifikant erhöht, von 40 auf 47 Prozent.

Kein Wunder, liegt doch die Zahl der Arbeitslosen auf historischen Höchstständen. Der Staat versucht, mit Hilfsgeldern dagegenzuhalten, die, wenn man so will, bereits als Vorform eines Grundeinkommens gelten könnten. Trotzdem werden für viele die Zeiten immer härter. Und die Idee des BGE entsprechend attraktiver.

Doch so anstrebenswert die Utopie des Einkommens für alle auch klingen mag – es gibt ein paar gewichtige Fragen, die in der Debatte häufig unterbelichtet bleiben.

Wer soll das BGE überhaupt bekommen?

Grundsätzlich unterschiedslos alle, die in Österreich leben. Das ist die Idee dahinter. Dennoch gibt es zwei Zugänge, die sich stark voneinander unterscheiden: einen moderaten und einen radikalen. Letzterer, das „additive Konzept“, sieht schlicht vor, dass jeder Geld bekommt, obendrauf auf etwaige Arbeitseinkommen und alle anderen Einnahmen. „Diese Position vertreten die meisten Grundeinkommensbewegungen“, erklärt Helmo Pape von der „Generation Grundeinkommen“, einer der wichtigsten BGE-Plattformen in Österreich. Der Verein sammelt gerade Unterstützungserklärungen für ein Volksbegehren.

Der moderate Zugang hingegen – das sogenannte „substitutive Modell“ – sieht vor, dass das BGE auf das Arbeitseinkommen angerechnet wird. Das bedeutet: Angenommen, ein BGE würde monatlich 1000 Euro betragen – wer dann beispielsweise 900 Euro im Job verdient, bekommt noch 100 Euro hinzu, sodass als Gesamtsumme 1000 Euro Grundeinkommen herauskommen. Für die substitutive Variante plädiert beispielsweise eine Initiative in der Schweiz, die seit Jahren öffentlichkeitswirksam für ein Bedingungsloses Grundeinkommen wirbt.

Österreichs „Generation Grundeinkommen“ wiederum fordert eine Art Mischsystem: Demnach soll zwar jeder das volle Grundeinkommen erhalten, allerdings sollen die Löhne im gleichen Ausmaß gekürzt werden, sodass das Gesamteinkommen am Ende gleich hoch liegt wie zuvor. Warum? Österreich solle infolge einer BGE-Einführung nicht plötzlich zum „Hochpreisland“ werden, erklärt der Aktivist Pape – mit potenziell desaströsen Folgen, etwa für den Tourismus.

Wie hoch soll das BGE sein?

Keine relevante politische Partei in Österreich hat sich hier bisher positioniert – oder sich sonst ernsthaft mit dem BGE auseinandergesetzt. Den meisten Aktivisten schweben besagte 1000 Euro monatlich vor. Diesen Betrag fordert die erwähnte Generation Grundeinkommen, wobei Jugendliche bis 18 Jahren nur 500 Euro bekommen sollen. In der Marketagent-Erhebung, für die 500 Österreicher interviewt wurden, nennen die Befragten ebenfalls 1000 Euro als „angemessenen Betrag“. Manche Experten gehen weiter ins Detail: Die Politologin Barbara Prainsack, die kürzlich ein Buch zum Bedingungslosen Grundeinkommen veröffentlicht hat, plädiert für eine stufenweise Einführung, beginnend mit einigen 100 Euro die ersten paar Jahre lang.

Wie viel wird es kosten?

Jetzt wird es kompliziert. Erneut muss man nämlich die beiden Konzepte getrennt in den Blick nehmen – additiv versus substitutiv –, um die Frage seriös zu beantworten.

In der additiven Variante betragen die Gesamtkosten (wenn das BGE bei 1000 Euro monatlich liegt) rund 107 Milliarden Euro jährlich. Auf diesen Betrag kommt die Arbeiterkammer in einer Berechnung vom vergangenen Jahr. Es ist eine gewaltige Summe: Sie entspricht grob den gesamten jährlichen Sozial- und Gesundheitsausgaben in Österreich, die circa 110 Milliarden betragen. Das BGE sei damit zwar grundsätzlich „finanzierbar“, folgert Arbeiterkammer-Chefökonom Markus Marterbauer im kammereigenen Blog „Arbeit und Wirtschaft“. Allerdings – und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Dies gehe „nur als Alternative zum Sozialstaat, also bei gleichzeitiger Abschaffung von Pensionen, Arbeitslosengeld und Kinderbeihilfen sowie der sozialen Gesundheits- und Pflegeversorgung“.

Kann man den Sozialstaat einfach durchs Grundeinkommen ersetzen?

Wohl kaum. Viele staatliche Leistungen lassen sich nicht ohne Weiteres abschaffen: Pensionszahlungen etwa basieren auf rechtlichen Ansprüchen aus den Jahren der Berufstätigkeit. Außerdem bekommen im derzeitigen System viele Menschen mehr staatliche Unterstützung als jene 1000 Euro, die das Grundeinkommen betragen würde. Man denke nur an pflegebedürftige Menschen, die von einer 24-Stunden-Kraft betreut werden. Sie erhalten derzeit hohes Pflegegeld samt Landesförderungen. Die 1000 Euro Grundeinkommen würden nie und nimmer reichen, um ihre Aufwendungen zu decken. 

Und das moderate, substitutive Konzept?

„Eine substitutive Auszahlung würde für Österreich bei ansonsten konstanten Staatsausgaben zusätzliche Budgetmittel von jährlich etwa 15 Milliarden Euro erfordern“, heißt es in einer Studie der Universität Linz vom vergangenen Jahr. Diese Summe aufzubringen, wäre viel realistischer. Manche derzeitigen Sozialleistungen – etwa Mindestsicherung und Arbeitslosengeld bis zu einer bestimmten Höhe – könnte man streichen, weil sie nunmehr eben in Form des neuen Grundeinkommens fließen. Und der Rest? Er ließe sich etwa durch Abgaben auf klimaschädliches   aufbringen oder durch eine bessere Besteuerung von Vermögen und multinationalen Konzernen. Gerade Vermögen ist bisher in Österreich im internationalen Vergleich extrem niedrig besteuert.

Zumindest die abgespeckte, substitutive Variante des BGE wäre also durchaus finanzierbar.

Aber was wären mögliche Folgen?

Bereits heute gibt es die Mindestsicherung, die derzeit (für alleinstehende Personen) monatlich 949 Euro ausmacht. Sie ist allerdings – im Gegensatz zum BGE – an Bedingungen geknüpft. So müssen sich Empfänger aktiv um einen Job bemühen; zudem dürfen sie keine größeren Vermögen besitzen. Derartige Voraussetzungen würden beim BGE wegfallen. Außerdem würden manche Bevölkerungsgruppen, die bisher nicht unter das Regime der Mindestsicherung fallen, in den Genuss des neuen Grundeinkommens kommen. Da wären beispielsweise Studierende oder etwa Hausfrauen.

Zweifellos würde ein solches Grundeinkommen mehr finanzielle Sicherheit und weniger Druck für viele bedeuten, die es durchaus gut gebrauchen können. Aber es drohen auch Gefahren. Gerade Frauen etwa könnten sich des Grundeinkommens wegen aus dem Berufsleben verabschieden, um sich nach Hause zu Heim und Herd zurückzuziehen. 

Doch all diese Hoffnungen und Ängste bleiben derzeit ohnehin ferne Zukunftsmusik. Laut der Marketagent-Umfrage glauben fast 87 Prozent der befragten Österreicher: Das Bedingungslose Grundeinkommen wird auf absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht eingeführt.