Benkos tiefer Fall
Immobilientycoon René Benko ging dieser Tage zum Postkasten und fand dort einen Brief von Freunden. Als er ihn öffnete, verging ihm vermutlich jede verbliebene Freude. Seine langjährigen Weggefährten, Gesellschafter und Investoren legen ihm, dem Gründer der Signa-Gruppe, doch tatsächlich nahe, freiwillig vom Thron seines Reichs zu steigen. Wenig später fand sich der Brief in etlichen Medien, Benkos Geld-Probleme waren damit der Weltöffentlichkeit bekannt und das Image endgültig im Keller. Dabei hatte der Multimilliardär in den vergangenen Monate viel Zeit und Mühe darauf verwendet, schönzureden, was nicht mehr zu verstecken ist: Sein Imperium ist massiv ins Wanken geraten, schreibt Verluste und kämpft mit Insolvenzen. Seine Geldgeber versuchen nun zu retten, was noch zu retten ist. Und wenn es geht, vorerst ohne René Benko.
Baumagnat Hans Peter Haselsteiner, Fressnapf-Gründer Torsten Toeller, Lindt-&-Sprüngli-Verwaltungspräsident Ernst Tanner, Kaffeeunternehmer Arthur Eugster und die Unternehmerin Julia Dora Koranyi-Arduini – sie alle sind Gesellschafter der Signa-Holding, der Dachorganisation von Benkos Signa-Imperium. Und sie alle unterzeichneten den Brief, der mit „Lieber René“ beginnt und mit der Forderung endet, dem Sanierungsexperten Arndt Geiwitz auf allen Ebenen Platz zu machen, ihm Stimmrechte und Positionen zu übertragen. Geiwitz half Benko schon bei der Sanierung der Galeria-Kaufhof-Kette in Deutschland. Denn nur bei einem sofortigen Rückzug Benkos sei ein „Krisenmanagement (…) zur Rettung der Gruppe“ möglich, zitiert das deutsche „Handelsblatt“ aus dem Brief.
Laut profil-Informationen sind die Gesellschafter schon vor Wochen mit ihrem Wunsch an Benko herangetreten. Der hat nun offiziell zugestimmt, zur Seite zu treten, habe aber eine eindringliche Bitte formuliert: Die Investoren sollen sich nicht aus der Signa-Gruppe zurückziehen, sondern am Sanierungsverfahren mitwirken. Auch dem habe man prinzipiell zugestimmt. Wie das vonstattengehen soll und wie es weitergeht, wird in den kommenden Tagen ausverhandelt. Mediale Gerüchte, wonach Benko nicht mehr mit seinen Gesellschaftern spreche, wurden gegenüber profil dementiert. Die Investoren schätzen, dass Signa in etwa zwei Jahren wieder wirtschaftlich auf den Beinen und saniert ist – dann sei auch eine Rückkehr Benkos in das Unternehmen wieder denkbar und wünschenswert.
Aber wie konnte es überhaupt so weit gekommen? Wieso ist Österreichs Wunderwuzzi, der sich vom HAK-Abbrecher zum Milliardär hochgearbeitet hat, so tief gefallen? Und ist das Geschäftsmodell Signa, wie wir es heute kennen, am Ende?
„Früher haben wir Signa ganz oben als Referenz auf unsere Homepage gestellt“, sagt ein Geschäftspartner der Gruppe unter Zusicherung der Anonymität. „Heute müssen wir den Namen René Benko zumindest in Deutschland eher heraushalten. Er ist dort mittlerweile eine Reizfigur.“ Im Nachbarland nimmt man René Benko einerseits das Debakel um das Kaufhaus Galeria übel, dem Tausende Arbeitsplätze zum Opfer fielen und bei dem die Steuerzahler auf 600 Millionen Euro an Kosten für die Sanierung sitzenbleiben dürften. Anderseits sind einige der Signa-Bauprojekte höchst umstritten. Etwa der Hamburger Elbtower, der nach Ansicht mancher regionaler Politiker nie hätte genehmigt werden dürfen.
Ein Königreich ohne König
Unter dem Dach der Signa Holding teilt sich das Unternehmen grob in drei Sparten. Die Signa Prime Selection ist das Schmuckkästchen des Imperiums. Sie kauft Immobilien in besten Innenstadtlagen, motzt sie auf und vermietet sie dann teuer – das ließ den Wert der Liegenschaften bisher stetig steigen. Zur Signa Prime Selection gehören das Goldene Quartier in Wien oder eben der noch in Bau befindliche Elbtower in Hamburg.
Die Signa Development setzt auf Bau, Entwicklung und anschließenden Verkauf von Liegenschaften – etwa die schicken Glas-Beton-Apartments am Wiener Belvedere oder in der noblen Berliner Schönhauser Allee. Und dann betreibt Signa noch eine Handelssparte: Zu Signa Retail gehörte vor dem Verkauf kika/Leiner ebenso wie das Berliner KaDeWe, Galeria – und Signa Sports, ein e-Commerce-Unternehmen, das weltweit der größte Online-Anbieter von Fahrrädern, E-Bikes und Tennis-Zubehör ist.
Man muss wissen: Benko hat innerhalb des weit verzweigten Signa-Firmengeflechts eine Macht, die ihm qua offizieller Funktion eigentlich gar nicht zusteht. Er bemüht sich auch, offiziell gar nicht allzu viel mit Signa in Verbindung zu stehen. Wer im Firmenbuch (Wirtschafts-Compass) nach ihm sucht, findet ihn lediglich als Stifter von drei Stiftungen, etwa von Benkos Familienstiftung. Er bezeichnet sich zwar als Signa-Gründer, hat dort aber keine operative Funktion, sondern ist „nur“ Vorsitzender des Beirats der Signa Holding GmbH. Dieses neunköpfige Gremium hat offiziell keine Funktion. Dass seine inoffizielle Rolle aber viel bedeutender ist, untermauert auch der Brief.
profil traf René Benko vor dem Sommer zum inoffiziellen Gespräch und konfrontierte ihn mit weniger schönen Entwicklungen rund um seine Unternehmen. Die Immobilien-Branche ächzt, weil die Finanzierung und Refinanzierung von Immobilienprojekten wegen der gestiegenen Zinsen kaum noch leistbar sind. Hinzu kommen gestiegene Material- und Rohstoffkosten wegen des Ukraine-Kriegs. Und in der Handelssparte hatte Benko schon länger Schwierigkeiten: Mit Galeria in Deutschland musste er zum zweiten Mal in zwei Jahren in ein Sanierungsverfahren, die Handelssparte von kika/Leiner verkaufte er um drei symbolische Euro – nur Tage später meldete der neue Eigentümer Hermann Wieser Insolvenz an – und die Sport-Sparte brauchte eine Finanzspritze, um eine Insolvenz abzuwenden. Benko versuchte im Sommer aber noch die Wogen zu glätten – und versprach die benötigte Liquidität. Alles sei in Ordnung, die Signa Prime Selection – die Cashcow der Gruppe – sei mit langfristigen Krediten gut besichert, versicherte er.
„Klar ist jedenfalls, dass es im Jahr 2022 zu Gewinneinbrüchen gekommen ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit die vereinbarten Covenants (Einhaltung von Kennzahlen, die mit Banken vereinbart worden sind, Anm.) nicht erreicht wurden. Das hätte zur Folge, dass die Banken ihre Kreditlinien reduzieren beziehungsweise bei bereits zugesagten Kreditlinien abwarten, bis Klarheit herrscht“, sagt Gerald Zmuegg. Er ist Geschäftsführer des Finanzombudsteams, das auf Basis der im Firmenbuch veröffentlichten Konzernabschlüsse 2020 der Signa Prime Selection AG und Signa Development Selection AG einen Gesamtschuldenstand von 10,3 Milliarden Euro per 31. Dezember 2020 ermittelt hat. (Hier eingerechnet sind allerdings noch die kika/Leiner Assets sowie Kaufhof). Zum Vergleich: Das ist höher als der aktuelle Schuldenstand der Stadt Wien.
Banken müssen Kredite prüfen
Die Berichte um Geldprobleme bei Signa sehen die Geld- und Kreditgeber nicht gern. Und zu den Geldgebern zählen auch heimische Banken. Einige Monate lang haben die Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB), der Finanzmarktaufsicht und der Notenbank das Signa-Exposure deutscher und österreichischer Banken und Versicherungen unter die Lupe genommen. Also kontrolliert, wer Signa wieviel Geld geliehen hat und wie diese Kredite besichert sind. Nach dieser Nachschau hat die EZB einigen Instituten empfohlen, einzelne Signa-Kredite teilweise oder ganz abzuschreiben beziehungsweise Wertberichtigungen vorzunehmen und entsprechende Risikovorsorgen zu treffen. Also Rücklagen zu bilden, sollte der Kredit nicht oder nur teilweise bedient werden können. Bei Banken kommen solche Zurufe vonseiten der Aufsicht nicht gut an. Hinter vorgehaltener Hand wird der EZB vorgeworfen, mit dieser Forderung zu weit zu gehen, zumal Signa in den vergangenen Monaten eine Reihe von Immobilien deutlich über ihrem Schätzwert verkauft habe und Kredite getilgt habe.
Wie profil aus Aufsichtskreisen erfuhr, zählen hierzulande die UniCredit Bank Austria, die Raiffeisen International sowie die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien zu den größten Kreditgebern. Sie sollen Kredite mit einem Kreditvolumen von um die zwei Milliarden Euro an einzelne Signa-Projekte vergeben haben. Auf profil-Nachfrage bei den betroffenen Banken kann diese Zahl mit dem Verweis aufs Bankgeheimnis nicht bestätigt werden.
Auch wenn solche Einmischungen als höchst unangenehm empfunden werden, dürften die Risikomanager der Banken angesichts der Nachrichtenlage nun doch intensiv zu rechnen beginnen. In solchen Fällen müssten sie ihre Risikomodelle an das veränderte Zins- und Marktumfeld anpassen, etwaige Kredite an den aktuellen Wert der besicherten Immobilie anpassen und gegebenenfalls die Risikovorsorge erhöhen. „Ob man der Empfehlung der EZB Folge leistet, wird am Ende der Wirtschaftsprüfer (der Bank, Anm.) entscheiden“, sagt ein Aufsichtsmitarbeiter. Ob das schon tatsächlich passiert ist, wird von Bankenseite ebenfalls mit Verweis auf das Bankgeheimnis nicht kommuniziert.
Als system-relevant werden die Kredite an Signa zumindest in Österreich von der Aufsicht nicht gesehen. Einerseits sind sie in der Regel durch noch immer lukrative Immobilien und Grundstücke mittels Pfandrecht besichert. Anderseits haben die Banken genug Rücklagen, um auch einen theoretischen Totalausfall – so schmerzlich dieser auch wäre – zu verkraften. Davon sei man aber noch weit entfernt, hieß es gegenüber profil aus der Branche.
Hoch gepokert
„Signa hat gute und machbare Projekte. Aber diese wurden in einer ganz anderen Zeit abgeschlossen.“ Das sagt ein Immobilien-Entwickler aus dem Umfeld der Signa-Gruppe, der nur unter Zusicherung der Anonymität mit profil sprechen möchte. Die andere Zeit war die Zeit des billigen Geldes auf Pump und dem damit einhergehend hohen Anteil an Kreditfinanzierung von Immobilienprojekten. Dank der jahrelangen Nullzinspolitik der EZB brachten Immobiliengeschäfte gute Renditen und Jahr für Jahr Wertsteigerungen. Das ist jetzt vorbei. Während Kredite für Entwicklungsprojekte wie eben jene von Signa bis vor Kurzem mit ein bis zwei Prozent verzinst wurden, zahlt man heute fünf bis sechs Prozent Zinsen. Und bei einem Immobilienportfolio in Signa-Dimensionen kann das schnell sehr teuer werden.
Und noch ein Problem komme laut dem Immobilienentwickler auf René Benko zu: „Signa hat viel Eigenkapital von Investoren besorgt.“ Und: „Deren Rendite-Erwartungen haben sich heute wegen der steigenden Zinsen verändert.“ Weil man nicht nur höhere Zinsen für Kredite bezahlt, sondern auch höhere Zinsen auf sein Geld oder etwa auf Staatsanleihen bekommt. In der Immobilienbranche sinken aber die Renditen, weil die Zinsen und Baukosten gestiegen sind und die Preise fallen.
Viel Fremdkapital, Projektfinanzierung durch Kredite, die jetzt zunehmend teurer werden – eine Rechnung, die immer schwieriger aufgeht. Das veränderte Marktumfeld und die mangelnde Transparenz im Unternehmen verunsichern jedenfalls nicht nur die Investoren, sondern hinter vorgehaltener Hand auch die Mitarbeiter zunehmend. „Er hat hoch gepokert – wie wir alle“, meint der Insider. Die nächste Partie in Benkos Milliarden-Poker ist jedenfalls eröffnet.
Zu den aktuellen Ereignissen rund um Benkos Signa-Gruppe gab es vonseiten der Pressestelle trotz mehrmaliger Nachfrage bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme.
„Er hat hoch gepokert – wie wir alle“