Bisher unveröffentlichte Chats: „Kurz kann jetzt Geld scheissen“

Im Frühjahr 2016, mehr als ein Jahr bevor Sebastian Kurz die ÖVP übernahm, war die interne Kampagne gegen Parteichef Reinhold Mitterlehner bereits angelaufen.

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Als das Frühjahr 2016 durchs Land zog, war das politische Klima hierorts noch nicht ganz so wechselhaft wie heute. Das „Ibiza“-Video war noch lange nicht gedreht, die FPÖ noch Straches Heimat, die ÖVP noch nicht türkis, die SPÖ noch Kanzlerpartei.

Im April 2016 war auch die Rollenverteilung an der Spitze der ÖVP eine andere als heute. Der Parteichef hieß Reinhold Mitterlehner, Sebastian Kurz war Außenminister. Gernot Blümel war erst wenige Monate zuvor zum Wiener Landesparteiobmann avanciert – in der damals noch schwarzen Familie war das keine allzu einflussreiche Stellung. Und dann wäre da noch der gerade als Chef der Staatsholding ÖBAG zurückgetretene Thomas Schmid; im April 2016 war Schmid Generalsekretär des Finanzministeriums und Kabinettschef des damaligen ÖVP-Finanzministers Hans Jörg Schelling.

Man könnte die Situation so zusammenfassen: Es deutete zu diesem Zeitpunkt nichts darauf hin, dass Sebastian Kurz alsbald nach der Macht in der ÖVP greifen könnte (Gerüchte über einen Abgang Mitterlehners nahmen erst im Verlauf des Sommers 2016 Fahrt auf).

Tatsächlich trat Mitterlehner knapp ein Jahr darauf, im Mai 2017, zurück  – zermürbt von Querschüssen aus dem Kurz-Lager. Kurz wurde Parteichef, wenig später war die SPÖ-ÖVP-Koalition Geschichte und Kurz Kanzler.

Ein bisher unveröffentlichter Chat-Verkehr legt nun den Schluss nahe, dass die Demontage Mitterlehners von langer Hand vorbereitet war. Oder sagen wir so: Die Chats zeigen, dass spätestens ab dem Frühjahr 2016 parteiintern starke Kräfte gegen Mitterlehner wirkten.

Die Kommunikation liegt dem Rechercheverbund profil-„Standard“-ORF wie auch dem „Falter“ vor; sie datiert vom besagten April 2016 – sie verbindet einerseits Thomas Schmid und Sebastian Kurz, andererseits Thomas Schmid und Gernot Blümel. Die Chats entstammen einem Backup von Schmids Mobiltelefon, das im November 2019 von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sichergestellt und ausgewertet wurde. Wie ausführlich berichtet wird Schmid im „Casinos“-Komplex als Beschuldigter geführt (er bestreitet sämtliche Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung).

„Kurz kann jetzt Geld scheissen“

Am 11. April 2016 schrieb Thomas Schmid – Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium – stakkatoartig rasch hintereinander vier Nachrichten an Blümel: „Ich habe Sebastians Budget um 35 Prozent erhöht“ / „Scheisse mich jetzt an“ / „Mitterlehner wird flippen“ / „Kurz kann jetzt Geld scheissen“. Die lapidare Antwort Blümels: „Mitterlehner spiel (sic) keine Rolle mehr…“

Das ist bemerkenswert. Mitterlehner war damals immerhin ÖVP-Chef. Warum spielte er laut Blümel „keine Rolle mehr“? Weshalb hatte Schmid Sorge, dass Mitterlehner „flippen“ würde. Und was war mit „Kurz kann jetzt Geld scheissen“ gemeint?

Damals war gerade das Budget des Außenministeriums, dessen kurz- und mittelfristige finanzielle Ausstattung (wie die aller anderen Ministerien auch) Gegenstand von Regierungsverhandlungen. Tatsächlich beschlossen wurde das Ressortbudget für das Jahr 2017 aber erst Monate später, im Herbst 2016. Laut dem entsprechendem Bundesvoranschlag erhielt das Außenministerium für 2017 rund 552 Millionen Euro – gegenüber 2016 um 124 Millionen Euro oder rund 29 Prozent mehr. Für Integration wurden 55 Millionen Euro zusätzlich veranschlagt, 20 Millionen Euro mehr gab es in Zusammenhang mit dem EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei, 17 Millionen Euro für Entwicklungshilfe und immerhin zehn Millionen Euro für den prestigeträchtigen österreichischen OSZE-Vorsitz. 

Gegenüber anderen Ressorts war diese Anhebung doch erheblich. Das Innenministerium etwa erhielt rund 15 Prozent mehr, das Justizministerium etwa zehn Prozent und das Bundeskanzleramt rund 14 Prozent. Wirtschaftsminister und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner wurde gar nur ein zartes Plus von rund drei Prozent zuerkannt – allerdings bei einem viel höheren Gesamtbudget.

„Du schuldest mir was“

Im April 2016 war Schmid und Blümel dem Chat zufolge jedenfalls klar, dass man Kurz mit Geld der Steuerzahler etwas Gutes tun würde. Je mehr Budget ein Minister zur Verfügung hat, umso mehr Akzente kann er setzen und sich auch zur Geltung bringen. Dass Mitterlehner ob der heranwachsenden parteiinternen Konkurrenz nicht erfreut sein würde,  nahm man gerne in Kauf.

Die WKStA weist in ihrem Ermittlungsbericht auf einen weiteren Chat vom 11. April 2016 hin – diesmal direkt zwischen Schmid und Sebastian Kurz. Schmid schrieb: „Du hast eine BUDGET Steigerung von über 30%! Das haben wir NUR für dich gemacht. Über 160 Mio mehr! Und wird voll aufschlagen. Du schuldest mir was :-)))!“ 

Die WKStA schreibt dazu: „Dies könnte ein wesentlicher Baustein für das Verständnis des Bestellungsvorgangs von TS (Thomas Schmid, Anm.) als ÖBAG-Vorstand und der Rolle von SK (Sebastian Kurz, Anm.) bei diesem Vorgang sein.“

Seitens der ÖVP heißt es dazu auf Anfrage des Rechercheverbundes: „Die Vorwürfe werden immer absurder. Hier wird ein Standardvorgang verschwörungstheoretisch aufbereitet. Wegen der Mehrkosten für die Bewältigung der Flüchtlingskrise sowie für das Türkei-Abkommen musste vor fünf Jahren das Budget des Außenministeriums aufgestockt werden.“

Aber weshalb hätte Mitterlehner deshalb „flippen“ sollen? Der damalige ÖVP-Chef sagt laut „Falter“: „Die Respektlosigkeit, mit der geschrieben wird, ist bemerkenswert. Immerhin war ich damals der amtierende Parteiobmann. Diese Kommunikation beweist, was ich in meinem Buch ‚Haltung‘ beschrieben habe: Kurz und seine Vertrauten haben über Monate hinweg intensivst und systematisch den Machtwechsel in der ÖVP vorbereitet.“

Ein gutes Jahr nach den Chat-Nachrichten war Mitterlehner Geschichte, Schmid hingegen fest in türkisen Regierungspläne eingebunden. Als Schmid Anfang 2019 rund um seinen geplanten Wechsel in die ÖBAG dann mögliche Probleme am Horizont sah, schrieb Blümel bekanntlich: „Keine Sorge! Du bist Familie“.

 

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.