Blackbox Fernwärme: Schwankende Preise und Intransparenz
Von Christina Hiptmayr und Clara Peterlik
Schriftgröße
Peter Baumgartner ist das, was man auf gut Kärntnerisch krawutisch nennen würde. Kürzlich wandte er sich an seinen Energieversorger, weil ihm seine monatlichen Heizkosten zu hoch erschienen. „Sie können sich gerne einen anderen Anbieter suchen“, soll die Antwort gelautet haben. Ein eher misslungener Scherz: Denn die Fernwärme, mit der Baumgartner sein Einfamilienhaus in St. Veit an der Glan auf Betriebstemperatur bringt, stammt vom örtlichen Monopolisten. „Aus einer Machtposition heraus werden Kunden nicht mehr als Kunden, sondern als Melkkuh betrachtet, die man gebraucht, solange sie Milch geben“, ärgert sich der Kärntner.
Fast ein Drittel aller Wohnungen, also rund 1,2 Millionen Haushalte österreichweit, werden mittlerweile mit Nah- oder Fernwärme versorgt. Und in den kommenden Jahren sollen es noch viel mehr werden. Denn die Fernwärme gilt als wichtiger Baustein bei der Abkehr von fossilen Heizungen. Doch aufgrund ihrer Monopolstellung und der Intransparenz in Sachen Preisbildung steht sie häufig in der Kritik. Politische Regulierungsversuche scheiterten bisher. Doch der Druck auf die Anbieter auf mehr Transparenz und Kontrolle steigt. Das Spannungsfeld in vier Fragen.
Die Preisfrage
„Der Eindruck, dass die Preise bei der Fernwärme ziemlich willkürlich festgelegt werden, ist nicht ganz falsch“, meinte Walter Boltz, ehemaliger Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control, vor einigen Monaten gegenüber profil. Tatsächlich verzeichnet die Vergleichsplattform waermepreise.at, die Ende vergangenen Jahres im Auftrag des Klimaministeriums online ging und von der Österreichischen Energieagentur betrieben wird, aktuell rund 700 unterschiedliche Tarife von 185 Unternehmen. Die großen Landesenergieversorger veröffentlichen hier ebenso wie kleine kommunale Anbieter. „Das ist ein sehr großer Schritt in Sachen Preistransparenz. Mit dieser Plattform ist Österreich im internationalen Vergleich Vorreiter“, sagt Energiemarktexpertin Karina Knaus von der Österreichischen Energieagentur. Endkunden können jetzt feststellen, dass der teuerste Arbeitspreis mit 261,96 Euro pro Megawattstunde bei der Kelag in Trofaiach zu zahlen ist, am günstigsten kommt man im niederösterreichischen Japons davon. Dort kostet die Megawattstunde wohlfeile 30 Euro.
„Jedes Netz ist speziell und individuell. Deshalb sind die Preise in jedem Fernwärmegebiet anders und schwer zu vergleichen“, sagt Jürgen Hürner. Er ist Geschäftsführer der Stadtwerke Amstetten und als solcher auch Herr über ein 28 Kilometer langes Fernwärmenetz in der niederösterreichischen Bezirksstadt. Es hänge davon ab, mit welchen Rohstoffen zu welchen Anteilen Energie in das Netz eingespeist werde. In Amstetten wird die Energie zu
86 Prozent aus Biomasse gewonnen. Konkret kommt hier die Energie aus der Verbrennung von Hackschnitzel, Abwärme von der Kläranlage und aus einer Biogasanlage zum Einsatz. Die restlichen 14 Prozent werden mit Gas bestritten. „Bei uns sind die Preise im Vergleich zu hauptsächlich gasversorgten Netzen in den vergangenen Jahren deutlich stabiler geblieben. Weil die Rohstoffkosten aufgrund unseres Energiemixes besser planbar sind“, sagt Hürner.
Bei der Preisfrage gibt es aber noch ein besonderes Spezifikum: In Wien, Oberösterreich und der Steiermark sind die Landesregierungen als Regulatoren für die Preisgestaltung bei der Fernwärme zuständig. Landesräte und im Wiener Sonderfall der Bürgermeister müssen daher über geplante Preiserhöhungen der Energieversorger entscheiden.
Wien-Energie-Chef Michael Strebl
„Wir wurden von der Preiskommission der Stadt Wien aufwendigst geprüft.“
Deswegen weist Wien-Energie-Geschäftsführer Michael Strebl den Vorwurf der Willkür zurück: „Wir wurden von der Preiskommission der Stadt Wien aufwendigst geprüft.“ Die Fernwärmepreise seien deutlich später angehoben worden, als die Gaspreise gestiegen sind, allerdings seien sie später wieder nach unten gegangen. Hätte man die Preise früher senken können? „Nein, aber zugegebenermaßen hat die Branche das kommunikativ nicht ideal hinbekommen.“ Mittlerweile hätten aber neun von zehn Kunden eine niedrigere Fernwärmerechnung als im Vorjahr.
Doch nicht nur bei den Arbeitspreisen herrschen enorme Unterschiede: „Wir beobachten das auch bei den Anschlusskosten“, sagt Daniela Holzinger, Obfrau des Verbraucherschutzvereins (VSV). „Während etwa in Linz rund 1300 Euro pro Laufmeter Anschlusslänge als Kundenbeitrag fällig werden, sind es in Wien 3500 Euro.“ Das liege wiederum an den unterschiedlich dichten Verbauungen, entgegnet Strebl: „Die Mariahilfer Straße aufbohren ist teurer als eine Straße im ländlichen Raum.“
Die Kontrollfrage
„Fernwärme ist die wohl bequemste Art zu heizen“, schreibt die Interessenvertretung der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen in einer Aussendung. Sobald Kunden ein Problem haben, ist es allerdings nicht mehr ganz so bequem. Guter Rat ist dann nicht nur teuer, sondern auch schwer zu finden. Bei Problemen mit Gas und Strom reguliert mit der E-Control eine unabhängige Behörde, bei der Fernwärme hilft eine Schlichtungsstelle in Streitfällen.
Es gibt auch in den einzelnen Bundesländern für Fernwärme zuständige Schlichtungsstellen. „Die arbeiten nicht schlecht, aber das ist eine Blackbox. Dort laufen oft auch Eigentümer und Kontrolleur zusammen. Etwa die Preiskommission der Stadt Wien und Wien Energie: Sie gehören beide zur Stadt Wien,“ sagt WIFO-Ökonom Michael Böheim. Berichte über deren Tätigkeiten sind rar gesät. „Ich verstehe auch, dass sie das nicht ändern wollen. Das wäre ein Machtverlust.“
Doch die Fernwärme gewinnt an Bedeutung. Wäre da nicht eine Regulierung wie bei Strom und Gas zeitgemäß? Vor drei Jahren, somit noch vor der großen Energiekrise, wäre das fast passiert. Im Rahmen des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes, das von ÖVP, Grüne und SPÖ im Juni 2021 im Parlament beschlossen wurde, hätte die E-Control auch Befugnisse bei der Fernwärme bekommen sollen, etwa mit einer Preiskontrolle. Doch sie wurden wieder herausgestrichen. Laut dem grünen Verhandler Lukas Hammer, weil die SPÖ ihre Zustimmung genau davon abhängig gemacht hat.
Seit einer Novelle des Erneuerbaren Ausbau-Gesetzes im Vorjahr werden die Daten der Plattform waermepreise.at allerdings der Regulierungsbehörde E-Control zur Verfügung gestellt, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Derzeit ist auch eine Studie ausgeschrieben: „Im Rahmen dieser sollen auch Optionen für einen modernen und wettbewerbsorientierten Regulierungsansatz im Fernwärme-/Fernkältesektor ausgearbeitet werden.“
Die Wettbewerbsfrage
„Die Monopolstellung der Fernwärmeanbieter ist stark zu kritisieren“, sagt Daniela Holzinger. Es sei nicht einzusehen, weshalb man sich nicht wie beim Gas den Lieferanten aussuchen könne, so die Obfrau des Verbraucherschutzvereins (VSV).
Ganz so einfach ist es aber nicht: Eine Trennung von Netzbetreiber und Lieferant, das sogenannte Unbundling, sei bei der Fernwärme höchst ungewöhnlich, meint Karina Knaus von der Österreichischen Energieagentur. „Die einzelnen Netze sind untereinander nicht verbunden. Das hat vor allem technische Gründe. Denn der Transport von heißem Wasser über lange Distanzen ist nur mit hohen Energieverlusten möglich.“ Das mache volkswirtschaftlich keinen Sinn, so die Ökonomin.
Die Monopolstellung der Fernwärmeanbieter ist stark zu kritisieren
Aber es gebe andere Möglichkeiten. Der Ökonom Michael Böheim schlägt vor, dass der E-Control auch die Regulierung für Fernwärme übertragen werden sollte. Das habe sich bei Strom und Gas bewährt. „Die öffentliche Hand als Eigentümer hat wenig Anreize, für mehr Wettbewerb und Transparenz zu sorgen, hier braucht es einen Impuls von außen“, sagt Böheim. Und Fernwärmenetzbetreiber sollten gesetzlich dazu verpflichtet werden, dass andere Unternehmen Abwärme in ihr Netz einspeisen. Das war von der EU-Kommission so geplant, ist aber nicht geschehen.
„Den Wettbewerb hat man mit anderen Technologien“, sagt Hürner, Chef der Stadtwerke Amstetten. Wenn es beispielsweise um das Beheizen neuer, großer Gebäude wie etwa Wohnhausanlagen geht, haben die Errichter die Wahl zwischen Gas, dem Einbau einer Wärmepumpe, der Errichtung eines Biomassekessels im Keller und, wo vorhanden, eben der Fernwärme. „Wer ein Wohlfühlpaket will, der nimmt ohnehin Fernwärme. Man spart sich aufwendige Wartungsarbeiten und hat lediglich einen Wärmetauscher im Keller“, so Hürner. Dass, einmal ans Netz angeschlossen, ein Wechsel sehr schwierig wird, muss aber auch Hürner einbekennen.
Die Klimafrage
Mit der Gaskrise sei auch das Interesse an Fernwärme gestiegen, sagt der Amstettner Stadtwerke-Chef Hürner. „Davor ist die Entscheidung für oder gegen eine Heiztechnologie rein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gefällt worden. In der Krise wollten dann viele einen Fernwärme-Anschluss. Da sind wir am Telefon teilweise beschimpft worden, wenn wir erklärt haben, dass es nicht in jedem Gebiet möglich ist.“ In dieser Zeit habe man rund 100 neue Kunden gewonnen: vom Einfamilienhaus über Genossenschaftsanlagen bis hin zum Landesklinikum mit seinen 1200 Mitarbeitern. „Die Nachfrage war so groß, dass wir die Abteilung aufstocken mussten“, erzählt Hürner.
Das Amstettner Fernwärmenetz wird zu 86 Prozent aus Biomasse gespeist. Das macht es nicht nur krisensicher, sondern auch klimafreundlicher. Viele Fernwärmeanbieter sind aber noch weit weg vom grünen Ziel. Im Schnitt besteht der Energiemix heimischer Anbieter zur Hälfte aus erneuerbaren Energien, zu einem Drittel aus Gas, der Rest kommt von thermischer Abfallbehandlung, erhob das Ministerium für Klimaschutz. Bei der Wien Energie macht der Gasanteil allerdings fast 60 Prozent aus. In den nächsten 15 Jahren soll sich das aber ändern. Der Plan: Vorhandene Abwärme soll verstärkt in das Fernwärmenetz eingespeist und Tiefengeothermie genutzt werden.
Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.