BND-Affäre: Österreichische Tochterfirmen deutscher Konzerne überwacht
Kaufing bei Schwanenstadt ist einer dieser oberösterreichischen Orte, die zu klein sind für Straßennamen. Hier kennen sich die Leute, da reicht es, einfach eine Nummer auf das Haus zu schreiben, damit die Post ankommt. In den Gärten stehen Swimmingpools, es gibt einen Gasthof, eine kleine Pension, ein Nagelstudio und das war schon fast alles. Auf den ersten Blick scheint es in den paar Straßen zwischen den Feldern und dem Seitenarm des Flusses Ager wenig zu geben, das zu weltpolitischer Bedeutung taugt.
Wären da nicht die Adresse Kaufing 31, ein paar Häuser am Waldrand und dahinter Fabrikshallen. In dem Gebäudekomplex haben zwei Firmen ihren Sitz, eine davon ist seit 2005 eine Tochter des deutschen Rüstungsgiganten Rheinmetall. Etwa zwei Dutzend Mitarbeiter arbeiten hier laut Firmenbuch für die „Rheinmetall Waffe Munition Arges GmbH“. Diese verfügt laut ihrer Webseite „über eine international herausragende Position im Bereich der 40 mm Munition“. Das sind Granatwerferpatronen aller Art.
Am 10. 3. 2005 um 10 Uhr 38 nahm der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) zwei oberösterreichische Telefonanschlüsse, ein Faxgerät sowie eine E-Mail-Adresse in eine seiner Spählisten auf. Wie profil und „Der Standard“ in den vergangenen Wochen berichteten, interessierten sich die deutschen Geheimdienstler in den Jahren 1999 bis 2006 für rund 2000 Ziele aus Österreich – darunter Diplomaten, internationale Organisationen, mutmaßliche Terroristen, Moscheen, Waffenhersteller, aber auch Forschungslabors, Manager oder die Außenhandelsstellen der Wirtschaftskammer.
Dass der BND sich auch mit dem Granatenhersteller in Oberösterreich befasste, ist brisant: Rheinmetall ist ein deutsches Unternehmen, die österreichische Tochter dürfte über ihre Telefone, das Faxgerät und die E-Mail wohl auch mit deutschen Managern in der Konzernzentrale in Düsseldorf kommuniziert haben. Deutsche Staatsangehörige abzuhören, ist dem BND aber im Grunde untersagt. Ausnahmen gibt es nur, wenn eine Person verdächtigt ist, an einem Terroranschlag zu arbeiten, illegal mit Waffen zu handeln oder in Geldwäsche, Menschen- oder Drogengeschäfte verstrickt zu sein.
In seiner aktuellen Ausgabe beschäftigt sich auch das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit der Frage, warum in den BND-Listen immer wieder Tochterfirmen deutscher Konzerne eingetragen sind. Hat der Auslandsgeheimdienst über die Bande ins eigene Land hineingehorcht? Umging er so die deutschen Gesetze, die ihm das nur unter Auflagen erlauben würden? Dem „Spiegel“ liegen weitere BND-Dateien vor, in denen sich deutsche Firmenableger in ganz Europa finden: Da sind zum Beispiel die im Jahr 2000 eingespielten drei Telefon- und Faxnummern der Madrider Filiale eines deutschen Unternehmens, das auf der ganzen Welt Servicetrainings für Autohersteller anbietet und Diagnosetechniker ausbildet. In den Niederlanden ging es um die Zweigstelle eines Spezialtransporte-Unternehmens am Niederrhein. In Österreich überwachte der BND das Büro eines Hamburger Schleifmittelherstellers oder auch ein Pharmaunternehmen, das seit 2001 zur Gänze dem Bayer-Konzern aus Leverkusen gehört. In der BND-Datei finden sich auch Anschlüsse etlicher mittelständischer Betriebe in Großbritannien, Spanien oder Belgien. Dazu kommen Ziele an Universitäten wie jener des „Center für European Studies“ im niederländischen Maastricht, der Universitäten im polnischen Krakau oder in den britischen Städten Liverpool, Manchester oder Leeds.
„Zu operativen Aspekten nachrichtendienstlicher Arbeit nimmt die Bundesregierung grundsätzlich nur gegenüber den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages Stellung. Aus diesem Grund kann der Sachverhalt an dieser Stelle weder bestätigt noch dementiert werden“, schreibt die BND-Pressestelle wenig überraschend auf eine Anfrage von profil und „Der Standard“: „Im Übrigen hat (...) Wirtschaftsspionage weder in der Vergangenheit zu den Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes gehört noch ist dies gegenwärtig der Fall.“
Beim oberösterreichischen Granatenherstellers liegt zumindest nahe, warum die Geheimdienstler begannen, sich für das Unternehmen zu interessieren: Im März 2005 hieß der Betrieb noch „Armaturen-Gesellschaft m. b. H“, abgekürzt Arges. Nur vier Jahre zuvor war der Waffenproduzent in die Schlagzeilen geraten: Terroristen hatten das indische Parlament in Neu-Dehli angegriffen. Sie sollen dabei Granaten verwendet haben, auf denen das Arges-Logo zu sehen war. Die Arges-Geschäftsführung vermutete damals, die Granaten seien gestohlen oder gefälscht worden. Medienberichten zufolge hatte eine pakistanische Firma aber die Lizenz erworben, die Granaten herzustellen.
Doch war das alles? Galt das Interesse des deutschen Auslandsgeheimdienstes rein der Sorge um Granaten? Nur vier Wochen nachdem der BND die Arges im März 2005 in seine Datei aufnahm, wurde bekannt, dass Rheinmetall das Unternehmen gekauft hatte – ein deutscher Rüstungsgigant und Partner der Bundeswehr. Vier Monate später wurde der Kauf im Firmenbuch eingetragen. „Neu wäre Spionage im Interesse von Konzernen nicht“, sagt die deutsche Bundestagsabgeordnete Maria Renner („Die Linken“). Sie saß im Untersuchungsausschuss zur Affäre um den US-Geheimdienst NSA und verweist auf den Fall EADS. Der deutsch-französische Hersteller des Eurofighters sei auch aus wirtschaftlichem Interesse mit Hilfe der Deutschen vom US-Dienst ausspioniert worden.
Was genau der BND warum über die Arges wissen wollte, bleibt unklar. Auch wie lange die Überwachung andauerte, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist aber, dass sie über ein paar Wochen im Frühjahr 2005 hinausging und somit auch die Kommunikation der oberösterreichischen Tochter mit der deutschen Konzernmutter in Düsseldorf betraf.
„Rheinmetall hat keine konkreten Hinweise darauf, dass die österreichische Arges im Jahr 2005 nachrichtendienstlich ausgespäht wurde“, schreibt ein Rheinmetall-Pressesprecher auf Anfrage: „Datensicherheit der eigenen Datenbestände und insbesondere Datenschutz spielen eine große Rolle im Rheinmetall-Konzern.“ Ob das 2005 auch für den Verkäufer der Arges, die im oberösterreichischen Örtchen Kaufing, Hausnummer 34, ansässige „Ulbricht’s Witwe GmbH“ galt, ist nicht klar. Das Unternehmen war für profil und „Standard“ nicht erreichbar.
„Vielfach ging es dem BND darum, Informationen zu gewinnen, die Warnungen vor dem illegalen Export von Rüstungs- und Dual-use-Gütern aus Österreich erlauben“, sagte der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom vor zwei Wochen im Interview mit profil (26/2018). Er hält „eine echte Wettbewerbsspionage“ für unwahrscheinlich. Wo im Fall Rheinmetall die Grenze lag, weiß am Ende aber nur der BND.