Ferdinand Lacina startete 1986 in sein Amt als Finanzminister gleich mit roten Zahlen. „Ich habe das Budget für 1987 von meinem Vorgänger Franz Vranitzky geerbt, ein Defizit von 75 Milliarden Schilling, mehr als fünf Prozent des BIP“, erinnert sich Lacina. Das Budget hätte ihm beinahe eine Ministeranklage eingebracht, allerdings nicht wegen der hohen Neuverschuldung. Damals waren die öffentlichen Finanzen Geheimsache. Bis zum 1. Jänner 1987 war eine Verfassungsbestimmung in Kraft, wonach Budgetzahlen nicht veröffentlicht werden dürfen, bevor sie im Nationalrat behandelt worden sind. Allerdings war nach dem Neuwahlbeschluss keine Sitzung dafür mehr anberaumt worden.
„Dürfen jene Ministerialbeamten, die das Budget 1987 verhandelt haben und es ab 1. Jänner vollziehen müssen, den Inhalt des Budgets vor diesem 1. Jänner kennen?“, fragte die Austria Presse Agentur am 14. Oktober 1986. Und: „Wann darf das Geheimnis des Budgets gelüftet werden?“ Die ÖVP hatte zuvor einen „eklatanten Bruch der Verfassung“ geortet, falls Lacina dennoch die Budgetzahlen veröffentlichen würde. ÖVP-Wirtschaftssprecher Robert Graf verzichtete auf die angedrohte Ministeranklage. „Das vorgelegte Budget ist so wertlos für mich, dass es auch kein Geheimnis geben kann“, so Graf. Für die kommenden Koalitionsverhandlungen legte Graf ein 20-Punkte-Sparprogramm inklusive Pensionsreform, Kürzungen bei den Österreichischen Bundesbahnen und der Wiedereinführung von Studiengebühren vor. Und eine Bedingung: Die Besteuerung des 13. und 14. Gehaltes sei tabu.
Sache des Ministers
„In den Regierungsverhandlungen mit der ÖVP gab es zwar eine grundsätzliche Einigung, dass das Budgetdefizit gesenkt werden soll. Um wieviel und durch welche Maßnahmen, war aber eigentlich kein Thema. Damals war das Sache des Finanzministers“, so Lacina. In den zwei Jahrzehnten zuvor war die Staatsverschuldung von unter 30 Prozent auf über 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gestiegen. Wie die mittelfristige Budgetplanung vor EU-Beitritt und Maastricht-Kriterien ausgesehen hat? „Ich habe mir vorgenommen, jedes Jahr das Budgetdefizit um einen halben Prozentpunkt zu senken“, so Lacina. Das bedeutete auch: alle paar Jahre ein Sparpaket.
Das Budget für das Jahr 1992 wurde im „profil“ damals als „Schocktherapie“ bezeichnet. Neben Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst und der Auflösung von Rücklagen der Sozialversicherungsträger wurde eine Erhöhung von Mineralölsteuer und Arbeitslosenversicherung beschlossen. Die Verhandlungen innerhalb der Großen Koalition verliefen extrem zäh, das Ergebnis musste sogar in einem eigenen, 20 Seiten umfassenden Vertrag, festgehalten werden. Die Wirkung verpuffte rasch. Mehr noch: Kurz vor dem EU-Beitritt stieg Österreichs Schuldenquote erstmals über die Maastrichtgrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Eine Konsolidierung sollte es aber erst nach der Nationalratswahl 1994 geben. Theoretisch. Das von Ferdinand Lacina und ÖVP-Finanzstaatssekretär Johannes Ditz ausverhandelte Sparpaket wurde nicht nur von der Opposition hart kritisiert. Wiens Altbürgermeister Helmut Zilk attackierte seinen sozialdemokratischen Parteifreund Lacina in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin „Gewinn“ mit drastischen Worten: „Das ist keine Budgetpolitik, das ist Budget-Sackelpickerei.“ Sein Fazit: „Mit diesem Finanzminister wird es nicht gehen.“ Lacina trat wenige Monate später zurück, die Koalition hielt auch nicht viel länger: Die Budgetverhandlungen scheiterten, 1995 wurde schon wieder gewählt. Der Sparkurs war eines der beherrschenden Wahlkampfthemen. Die Staatsverschuldung hatte inzwischen 68,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht und für die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion ab 1. Jänner 1999 musste Österreich unter 60 Prozent kommen.
Sparpaket als Euro-Eintrittskarte
Die Große Koalition machte ernst: Für die Jahre 1996 und 1997 wurde ein Sparprogramm im Ausmaß von umgerechnet neun Milliarden Euro umgesetzt. Lohnsteuererhöhungen, eine Energieabgabe auf der Einnahmenseite Abschläge bei Frühpensionen, Nulllohnrunden für Beamte und auch sonst Einsparungen in beinahe allen Bereichen drückten das Defizit in nur zwei Jahren von 5,6 Prozent auf 1,5 Prozent. Und die Regierung erntete dafür von Anfang an viel Zustimmung. „Hut ab vor dieser Regierung, könnte die erste Reaktion auf die aktuellen Sparvorschläge lauten: Mutig wird da in fast allen Bereichen mit dem Rotstift gearbeitet, sozial ausgewogen soll das Ganze nach Eigendefinition auch noch sein: Höhere Einkommen werden stärker betroffen als kleinere“, kommentierte die „Kleine Zeitung“ zu Beginn des Konsolidierungspfades 1996. Und zwei Jahre verkündete „Die Presse“ euphorisch „Euro, wir kommen“ und resümierte: „Die auf das Sparpaket des Jahres 1996 zurückgehende Budgetsanierung hat voll gegriffen. Bei einer Neuverschuldung von 2,7 Prozent im für die Euro-Teilnahme entscheidenden Jahr 1997 wird sich wohl auch Theo Waigel vor seinem Wiener Amtskollegen verneigen.“
Allerdings hatte der Wiener Amtskollege auch ein paar rein kosmetische Operationen im Repertoire: Mit der Ausgliederung von ÖBB und Asfinag wurden auch die Milliardenverbindlichkeiten für den Bau der Straßen- und Schieneninfrastruktur ausgelagert. Als Eintrittskarte zur Währungsunion reichte es, mehr aber auch schon nicht. 1999 erreichten die Staatsschulden schon wieder 67,2 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit fast das Niveau vor dem Sparpaket.
„Der Schwachpunkt der meisten Konsolidierungen in der jüngeren Vergangenheit war, dass kaum jemals strukturelle Reformen umgesetzt wurden“, sagt Budgetexpertin Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Die Versuchsanordnung ist in der Regel ungünstig: Die Erhöhung von Massensteuern wie der Mehrwertsteuer oder Einsparungen bei Transferleistungen für einkommensschwächere Haushalte können schnelle Ergebnisse im Budget bringen, gleichzeitig aber den Privatkonsum und damit das Wirtschaftswachstum abwürgen. „Konsolidierungsdruck gibt es insbesondere nach großen Krisen, gleichzeitig will man aber die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen“, so Schratzenstaller.
Das Loipersdorf-Paket
Die letzten großen Konsolidierungsversuche gab es nach der Finanz- und Wirtschaftskrise. Nachdem Bankenrettungspakete und Konjunkturbelebungsprogramme ab dem Jahr 2008 Milliarden an Kosten verursacht hatten, verordnete Finanzminister Josef Pröll dem Land 2010 das nach eigenen Angaben „härteste Sparpaket aller Zeiten“. Zwei Monate dauerten die Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP. Bei einer Regierungsklausur im steirischen Thermenort Loipersdorf wurden im Oktober die letzten Details geklärt. „Damals stand uns Griechenland als Schreckensbeispiel eines überschuldeten Landes vor Augen. Ohne diese Krise wäre es politisch nicht möglich gewesen, ein Sparpaket von diesem Ausmaß zu schnüren“, sagt Josef Pröll heute. Maßnahmen wie Bankenabgabe, die Erhöhung von Mineralölsteuer, Tabaksteuer und Normverbrauchsabgabe für Neuwagen sollten bis 2016 zusätzliche Einnahmen von 12 Milliarden in die Kassen spülen. 13 Milliarden Euro sollten über Einsparungen reingeholt werden.
Beinahe hätte die Koalition ihr Sparpaket nicht überlebt. In ganz Österreich gingen Studenten gegen die Streichung der Familienbeihilfe ab 24 Jahren auf die Straße. Als mehrere Zeitungen Umfragen veröffentlichten, wonach zwei Drittel der Österreicher die Einsparungen als ungerecht empfanden, zeigte sich der Boulevard-affine Bundeskanzler Werner Faymann bereit, dem Budget einen „Feinschliff“ zu verpassen. Als er gerade einmal eine Woche nach der Regierungsklausur in mehreren Interviews („Nichts ist in Stein gemeißelt“) einen Rückzieher andeutete, drohte die ÖVP damit, die Regierung platzen zu lassen.
Das Sparpaket blieb, reichte aber bei Weitem nicht aus: Bereits im Februar 2012 wurde ein zusätzliches Konsolidierungspaket beschlossen. Die Kernpunkte: Pensionsanpassungen unter der Inflation, eine Beamten-Nulllohnrunde, Einsparungen bei den ÖBB und den Sozialversicherungsträgern und dann noch ein wenig übertriebener Optimismus. Aus der geplanten EU-Finanztransaktionssteuer wurde im Finanzrahmenplan ab 2014 mit Einnahmen in der Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr gerechnet. Gekommen ist die Steuer nie.
Kurze Sanierungsphase
Trotzdem ging es mit der Verschuldung endlich bergab. Sebastian Kurz hatte die Regierung mit der FPÖ unter das Motto „Sparen im System“ gestellt. Die Faktoren für die Phase der Konsolidierung waren aber andere: Niedrige Zinsen, der Verkauf der Assets der verstaatlichten Banken und ein substanzielles Wirtschaftswachstum führten 2018 und 2019 sogar zu Budgetüberschüssen. Die Schuldenquote von 84,9 Prozent der Wirtschaftsleistung beim Höchststand 2015 sank auf 70,6 Prozent im Jahr 2019. Dann kam Corona. Und während sich Österreich in Brüssel gemeinsam mit Dänemark, den Niederlanden und Schweden als Teil der „frugalen Vier“ gegen die Ausweitung von EU-Budgets zur Linderung der Pandemiekosten inszenierte, gab es in Wien keinerlei Anzeichen für Sparsamkeit. Im Gegenteil: Kanzler Kurz ersetzte das Credo „Sparen im System“ durch „Koste es, was es wolle“. Im ersten Pandemiejahr schnürte die Regierung ein 38 Milliarden schweres Hilfspaket. „Jede Zahl, die wir heute kennen, wird schlussendlich falsch sein. Daher gelten für das heurige Budget gänzlich andere Maßstäbe als für frühere“, erklärte der damalige Finanzminister Gernot Blümel 2020. Es blieb allerdings nicht dabei. Den Corona-Förderungen folgten Anti-Teuerungspakete und der Klimabonus zur Abfederung der CO2-Steuer. In den fünf Jahren türkis-grüner Regierungszeit machte die Republik mehr als 100 Milliarden neue Schulden.
In anderen Worten: Der Stoff, aus dem Sparpakete gemacht werden.