Buwog-Prozess: "Die zweite Wahl"
Leonhard Kregcjk benötigte nur wenige Sätze, um die Arbeit vieler Monate zunichte zu machen. Freitag vergangener Woche, Großer Schwurgerichtssaal am Landesgericht für Strafsachen Wien; vierter Tag des „Buwog“-Prozesses gegen Finanzminister a. D. Karl-Heinz Grasser, den Kommunikationsberater Walter Meischberger, den Immobilienunternehmer Ernst Karl Plech, den Lobbyisten i. R. Peter Hochegger und zehn weitere Personen; zweiter Tag der Verteidiger-Plädoyers.
Kregcjk, Hocheggers Anwalt, ergreift nach der Mittagspause das Wort. Am Vormittag haben die Anwälte von Meischberger (Jörg Zarbl) und Ernst Karl Plech (Georg Kudrna) die 825 Seiten starke Anklageschrift der Oberstaatsanwälte Alexander Marchart und Gerhard Denk ins Reich der Märchen verwiesen und die Unschuld ihrer Mandanten betont. Schon tags zuvor hat Grassers Anwalt Norbert Wess den Staatsanwälten politische Motive unterstellt, die Anklage unter anderem als „Harry Potter für Erwachsene“, als „Science Fiction“, als „Vollholler“ bezeichnet – und eine Fülle behaupteter Aktenwidrigkeiten und Fehlinterpretationen aufgezeigt. Dies mit dem einzigen Ziel, auch Karl-Heinz Grassers Unschuld in den Köpfen der Schöffen und Richter zu zementieren. Mehr als ein Jahr haben Wess und sein Team auf diesen Moment hingearbeitet. Und dann das.
Kregcjk kündigt ein teilweises Geständnis von Peter Hochegger an. Sein Mandant wisse, dass Walter Meischberger in Zusammenhang mit der Buwog- Privatisierung „Geld an Magister Grasser und Kommerzialrat Plech“ weitergeleitet habe, das Immobiliengeschäft des Bundes 2004 sei mitnichten „supersauber“ abgelaufen. In den Minuten darauf wird Kregcjk noch präziser (dazu später). Nach kaum mehr als zehn Minuten ist das Spektakel vorbei, Richterin Marion Hohenecker vertagt.
Das angekündigte Teilgeständnis markiert eine frühe, umso spektakulärere Wendung in einem der wichtigsten Strafprozesse der Zweiten Republik. Seit 12. Dezember, 9:44 Uhr, läuft das Verfahren gegen Karl-Heinz Grasser und 13 weitere Angeklagte, die sich in abgestufter Form wegen vermuteter Untreue, Bestechung, Bestechlichkeit und Beweismittelfälschung verantworten müssen; sei es als Täter, sei es als Beitragstäter. Wie ausführlich berichtet, wirft die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Grasser vor, bei zwei Geschäftsfällen der Republik Österreich – der Privatisierung der Bundeswohnbaugesellschaften 2004 und der Einmietung der oberösterreichischen Zoll- und Finanzbehörden in den Linzer Terminal Tower 2006 – verdeckte Provisionen kassiert zu haben. Insgesamt 2,5 Millionen Euro, die auf einem Liechtensteiner Bankkonto landeten, das ihm zugerechnet wird (profil berichtete ausführlich).
Grasser bestreitet das seit Jahren – wie auch alle anderen Beschuldigten bisher jedwede Unregelmäßigkeit vehement in Abrede stellten. Konsequenterweise gingen auch die Plädoyers der Anwälte von Grasser, Meischberger und Plech in diese Richtung. Doch diese vermeintlich gemeinsame Verteidigungslinie wurde mit dem angekündigten Teilgeständnis konterkariert. Sollte Hochegger im Jänner kommenden Jahres tatsächlich so aussagen, dann würde er damit einen zentralen Vorwurf der Staatsanwaltschaft stützen. Womit er umstandslos in die Rolle eines Kronzeugen schlüpfen dürfte. Immerhin war der Mann, der im Prozess bisher in Strickpullis auftrat, nahe dran am Geschehen, sehr nahe sogar.
Wer ist Peter Hochegger? Geboren am 20. Februar 1949, aufgewachsen im steirischen Mürzsteg, geordnete Verhältnisse, die Familie besaß ein Sägewerk und ein Wirtshaus. Zum Studium der Betriebswirtschaftslehre verschlug es ihn an die Wiener Hochschule für Welthandel, ohne übertriebene Eile dissertierte er 1980, im Alter von 31. In den 1990er-Jahren etablierte er mit seinem Bruder Paul die Wiener PR-Agentur Hochegger. Mit der Politik im engeren Sinne hatte das damals noch recht wenig zu tun. Die Agentur machte sich ihren Namen vielmehr als Beraterin börsennotierter Unternehmen; Österreich war im Bereich der sogenannten Kapitalmarktkommunikation zu dieser Zeit noch ein Entwicklungsland.
Peter Hocheggers Geschäftsmodell erweiterte sich erst mit dem Antritt der ersten schwarz-blauen Bundesregierung im Jahr 2000 – oder eigentlich: mit der Angelobung von Karl-Heinz Grasser als Finanzminister. Die beiden verband damals bereits eine Freundschaft, die aus einer Zeit rührte, da Grasser noch für Frank Stronachs Magna-Konzern arbeitete. Kennengelernt hatten sie einander, als Grasser Stronachs „Kugelbau“ in Ebreichsdorf zu vermarkten hatte, Hochegger die Öffentlichkeitsarbeit dazu stemmen sollte. Aus dem bizarren Entertainment-Projekt wurde nichts, doch die Verbindung hielt. Hochegger kaufte im Autohandel von Grassers Familie später einen gebrauchten Jaguar, der Vertrauensbeweis schlechthin. Über Grasser lernte Hochegger Ende der 1990er-Jahre auch Walter Meischberger kennen, damals noch FPÖ-Nationalratsabgeordneter und stellvertretender Klubobmann.
Es ist denn auch kein Zufall, dass Hocheggers fetteste Jahre als Lobbyist mit der Amtszeit von Karl-Heinz Grasser (2000 bis 2006) zusammenfallen. Der Kontakt zu KHG öffnete Türen, zu blauen Ministern, aber nicht nur. Hochegger bekam Zugang zum Infrastrukturministerium unter Mathias Reichhold und später Hubert Gorbach, war aber auch beim damaligen ÖVP-Innenminister Ernst Strasser gern gesehen.
Hochegger lobbyierte für die teilstaatliche Telekom Austria, als Grasser deren Eigentümervertreter war. Er kassierte, daran besteht auch kein Zweifel, Provisionen beim Buwog-Verkauf, den Grasser politisch zu verantworten hatte. Hochegger zeichnete daneben maßgeblich für die Erstellung von Grassers privater Homepage und eine umstrittene „Roadshow“ des Finanzministeriums verantwortlich, die allein 2,4 Millionen Euro kostete. Und nach Grassers Abschied aus der Politik holte er ihn vorübergehend auch noch an Bord einer gemeinsamen Gesellschaft. Ernst Strasser wiederum verhalf Hochegger nach dessen Ausscheiden aus der Regierung zu einem Beratervertrag. Hochegger beriet auch die ÖBB, für die Reichhold und Gorbach auf ministerieller Ebene zuständig waren, und verkaufte beiden Herren unter anderem sündhaft teure „Persönlichkeitskonzepte“. 2011 hatte profil vorsichtig errechnet, dass über den Lobbyisten Hochegger in der Ära Schwarz-Blau Honorare und Provisionen in der Höhe von 40 Millionen Euro gelaufen waren (Nr. 7/11), das Geld kam zum weitaus größten Teil von der Telekom Austria und den ÖBB.
Der Bemerkenswerte daran ist, dass Hochegger nie Teil von Jörg Haiders damals noch blauem Netzwerk war, dem einst (in wechselnden Besetzungen) Leute wie Walter Meischberger, Karl-Heinz Grasser, Herbert Scheibner, Peter Westenthaler oder auch und vor allem Gernot Rumpold angehörten. Hochegger war mehr ein politischer Söldner, der früh verstanden hatte, dass sich mit einer FPÖ in der Regierung gute Geschäfte machen lassen (was letztlich auch zum Bruch mit seinem der SPÖ nahestehenden Bruder Paul führen sollte). Der frühere Immofinanz-Chef Karl Petrikovics erklärte Hocheggers Engagement im Umfeld der Buwog-Privatisierung einmal damit, dass er diesen lieber als Berater denn als „Gegner“ haben wollte. Hocheggers größtes Talent war zweifelsfrei die Fähigkeit, sich über Parteigrenzen und Ideologien hinweg zu vernetzen. Dazu kam ein guter Riecher fürs Geschäft und – noch wichtiger – seine Diskretion. Er war nie ein Mann der vielen Worte und pflegte obendrein eine für das PR- und Lobbying- Geschäft nicht unbedingt selbstverständliche Öffentlichkeitsscheu. Hochegger, das war stets der Mann im Schatten, ein Strippenzieher im wahrsten Sinne.
Dass nun ausgerechnet er aus der Reihe fällt, war nicht unbedingt zu erwarten. Umso weniger, als Hochegger in seinen Einvernahmen im Zuge des Ermittlungsverfahren jede Involvierung Grassers stets mit Nachdruck ins Reich der Fantasie verwiesen hatte. Wenig überraschend zeitigte die Ankündigung des Teilgeständnisses auch nur sehr verhaltenen Applaus bei Grassers Anwälten. „Es ist schon bemerkenswert, dass er jetzt nach acht Jahren plötzlich etwas anderes erzählt“, wundert sich Grassers Anwalt Manfred Ainedter, der seinen Mandanten gemeinsam mit Norbert Wess durch den Prozess begleitet. „Hochegger lügt. Allem Anschein nach hat er mit seinem Leben abgeschlossen. Er ist bekanntlich in einer anderen Rechtssache verurteilt und mit dieser Geschichte glaubt er wohl, seine Situation irgendwie verbessern zu können.“
Tatsächlich war Hochegger im August 2016 in einem der zahlreichen Telekom-Verfahren (in Zusammenhang mit Zahlungen der Telekom an das BZÖ) rechtskräftig zu zwei Jahren Haft, davon zu acht Monaten unbedingt, verurteilt worden. Kurz danach trat er die Haft in der Justizanstalt Hirtenberg an. Und das, obwohl Hochegger die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Fußfessel erfüllt hätte. Aus seinem Umfeld war schon damals zu hören, er habe mit sich und der Welt ins Reine kommen wollen.
Aber was genau steht da jetzt eigentlich im Raum? Und was bedeutet das für das weitere Verfahren? Die Anklage geht davon aus, dass die Immofinanz Peter Hochegger nach erfolgter Buwog-Privatisierung in mehreren Tranchen insgesamt 9,91 Millionen Euro überwies, wobei Hochegger 300.000 Euro Provision mehr bekam, als eigentlich vereinbart war (nämlich ein Prozent des Buwog-Kaufpreises in der Höhe von 961 Millionen Euro, also 961.000 Euro). Die Staatsanwaltschaft wirft ihm deshalb auch die Unterschlagung dieser 300.000 Euro vor. In diesem Punkt will Hochegger sich nicht schuldig bekennen – er spricht von einem Buchungsfehler, der ihm erst Jahre später aufgefallen sei. „Da war das Geld allerdings schon weg“, wie Anwalt Kregcjk am Freitag ausführte. Die 9,91 Millionen Euro landeten zunächst bei Hocheggers zypriotischem Briefkasten Astropolis, ehe er einen Betrag von 7,7 Millionen Euro an den Briefkasten Omega im US-Bundesstaat Delaware weiterleitete, auf den wiederum Walter Meischberger Zugriff hatte. Abzüglich der Spesen verteilte Walter Meischberger schließlich je 2,44 Millionen Euro auf drei Liechtensteiner Konten. Die Staatsanwaltschaft schreibt je ein Konto Grasser, Meischberger und Plech zu – Meischberger hingegen beteuert, er sei zu jedem Zeitpunkt der alleinige wirtschaftlich Berechtigte aller drei Konten gewesen.
Hocheggers Anwalt brachte diese Darstellung nun ins Wanken. Demnach habe sein Mandant gewusst, dass von dem Geld, das er an Omega überwies, je 2,4 Millionen Euro an Grasser, Meischberger und Plech gehen würden.
Umgekehrt bestreitet Hochegger aber weiterhin, Teil eines „Tatplans“ gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft gründet ihre Anklage unter anderem auf der Aussage von Willibald Berner, einst Kabinettschef unter FPÖ-Infrastrukturminister Michael Schmid. Berner hatte im Ermittlungsverfahren ausgesagt, dass ihm Hochegger im Spätsommer 2000 das Angebot gemacht habe, bei anstehenden Privatisierungsprojekten und öffentlichen Auftragsvergaben der noch jungen schwarz-blauen Bundesregierung persönlich mitzuschneiden. Dabei soll Hochegger eine grobe Geldverteilungsstruktur auf eine Serviette gekritzelt haben, die unter anderem die Namen Grasser, Meischberger, Plech und Haider enthielt. Das sei „frei erfunden“, erklärte Hocheggers Anwalt Kregcjk in seinem Plädoyer. Hochegger sei keinesfalls Teil eines Korruptionsnetzwerks gewesen. Zum einen will der Lobbyist überhaupt erst 2005, also rund ein Jahr nach der Buwog-Privatisierung, erfahren haben, dass Grasser auf der Nehmerseite gestanden habe. Zum anderen sei Hochegger ursprünglich auch nur „die zweite Wahl“ gewesen. Den Job des Immofinanz-Beraters sollte eigentlich der Bauunternehmer Anton K. übernehmen. Erst als dieser „wegen überzogener Provisionsvorstellungen vom Projekt ausgeschieden ist, trat Meischberger an meinen Mandanten heran“, wie es Kregcjk ausdrückte.
Zum zweiten Anklagevorwurf in Zusammenhang mit dem Linzer Terminal Tower will Hochegger sich indes nicht schuldig bekennen. Hier flossen 200.000 Euro in seine Richtung, wovon er 20.000 einbehielt und Meischberger 180.000 Euro zuleitete, der das Geld wiederum in Liechtenstein drittelte. Anders als im Buwog-Komplex sei eine Involvierung von Grasser und Plech für Hochegger hier „nicht sichtbar“ gewesen, war am vierten Prozesstag zu hören. Meischberger habe den Lobbyisten 2007 lediglich ersucht, über dessen zypriotischen Briefkasten Astropolis eine Scheinrechnung zu legen, was auch geschehen sei.
Am 19. Dezember werden die Eröffnungsplädoyers fortgesetzt. Karl Petrikovics’ Verteidiger Otto Dietrich wird die Verhandlungswoche eröffnen. Auch sein Mandant ist rechtlich vorbelastet. Er verbüßt seit 2016 eine sechsjährige Freiheitsstrafe. Bisher hatte Petrikovics sich stets damit verantwortet, dass Peter Hochegger beim Buwog-Deal sein einziger Ansprechpartner gewesen sei und er darüber hinaus keine Kenntnis von den vermuteten Mauscheleien und Bestechungsgeldern gehabt habe.
Mit Hocheggers Teilgeständnis wäre natürlich noch nichts bewiesen, noch steht Aussage gegen Aussagen. Dass gerade Grassers Verteidigung dadurch nicht gestärkt wird, liegt aber auf der Hand. Ab kommender Woche muss er nicht mehr nur gegen die Staatsanwaltschaft antreten – sondern auch gegen Peter Hochegger.