Wirtschaft
BWB-Chefin: „Keine Branche ist vor Kartellbildungen gefeit“
Natalie Harsdorf-Borsch, Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde, über politische Einflussnahme, Gründe für die hohe Inflation und warum es weniger Kartelle gibt, wenn mehr Frauen in die Chefetage einziehen.
Von Christina Hiptmayr und Marina Delcheva
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Frau Harsdorf-Borsch, wann mussten Sie sich das letzte Mal einem Wettbewerb stellen?
Harsdorf-Borsch
Oh, schon ganz oft. Ich habe drei Brüder, und bereits als Kind herrschte immer ein gewisser Wettbewerb untereinander, wie das unter Geschwistern nun mal so ist. Zuletzt musste ich mich bei der Bewerbung, um diese Funktion dauerhaft übernehmen zu können, einem Wettbewerb stellen.
In diesem Fall war das ja eigentlich ein Marathon. Ihre Stelle war sehr lange vakant, es gab ein Tauziehen zwischen ÖVP und den Grünen um diese doch sehr gewichtige Position. Haben Sie kein Parteibuch, das die Entscheidungsfindung der Regierung hätte beschleunigen können?
Harsdorf-Borsch
Ich habe eine Fachkarriere gemacht und bin darüber hinaus in dieser Funktion von Gesetzes wegen weisungsfrei gestellt. Ich bin hier tatsächlich unabhängig. Als Bewerberin bei einer öffentlichen Ausschreibung hat man ja grundsätzlich wenig Einblick in das, was im Hintergrund passiert. Ich habe eine Bewerbung abgegeben, hatte ein Hearing, und dann war das ein sehr langer Zeitraum, in dem ich die Funktion interimistisch ausgeübt habe, ohne zu wissen, wie die Entscheidung der Regierung am Ende ausgeht.
Nun sind Sie ganz offiziell Leiterin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Ihr Vorgänger Theodor Thanner hatte kurz vor seinem Ausscheiden wiederholt beklagt, dass die Politik an der Unabhängigkeit der Behörde säge. Wie stellt sich die Situation aktuell dar?
Harsdorf-Borsch
Ich nehme die Funktion so wahr, wie sie auch im Gesetz steht, nämlich frei von externem politischen Einfluss.
Gerade in Zeiten hoher Inflation und Teuerung ist die Behörde stark exponiert, und es gibt jede Menge Begehrlichkeiten seitens der Politik.
Harsdorf-Borsch
Ich denke, es ist mir ganz gut gelungen, hier den gesetzlichen Auftrag der Behörde wahrzunehmen. Nämlich ohne Zuruf zu agieren, selbstständig Prioritäten festzulegen und Aktivitäten zu setzen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Branchenuntersuchung Lebensmittel, wo ich gemeinsam mit meinem Team schon ein Dreivierteljahr, bevor es breitere politische Debatten dazu gab, das Thema als solches identifiziert hatte. Dass die politische Ebene unsere Ergebnisse dann aufnimmt, diskutiert, analysiert und auch kritisiert, ist legitim.
Noch immer gibt es in Österreich eine deutlich höhere Inflation als in anderen Euro-Staaten. Wie viel hat das mit fehlendem Wettbewerb zu tun?
Harsdorf-Borsch
Primär ist es so, dass Inflation sehr stark mit Geldpolitik zusammenhängt, und die ist Sache der Zentralbanken. Aber ein funktionierender Wettbewerb kann Teil der Lösung sein. Denn ein Ergebnis von Wettbewerb sind leistbare Preise. Und in aller Regel sorgen kompetitive Märkte dafür, dass Volkswirtschaften resilienter gegen Krisen sind. Aber es ist nicht so, dass eine einzelne Untersuchung der BWB der Schlüssel ist, um die Inflationstür zuzusperren. Wir können jedoch einen Beitrag leisten. Ich halte es auch für wichtig, dass die Behörde gerade in diesen Zeiten sehr aktiv ist, weil es schon sein kann, dass hinter den allgemeinen Preissteigerungen ein Kartell läuft und auf dem Rücken der Inflation Marktmissbrauch passiert.
Dieser Frage ist Ihre Behörde auch zuletzt in der großen Branchenuntersuchung zum Thema Lebensmittelpreise nachgegangen. Lebensmittel gehören ja zu den ganz großen Inflationstreibern. Einen Schuldigen für die enormen Preisanstiege konnten Sie jedoch nicht finden.
Harsdorf-Borsch
„Schuldige“ ist ein Wort, das die BWB nicht in den Mund nimmt. Wir haben Ursachenforschung betrieben und konnten zeigen, dass die Energiepreise sehr stark durchschlagen. Das ist das Wurzelproblem und eine Kernaussage unseres Berichts. Und wir konnten ganz klar feststellen, dass die Preissteigerungen nicht auf eine Erhöhung der Margen auf der Ebene des Handels zurückzuführen sind.
Die Vermutung war, dass sich die Supermarktketten womöglich abgesprochen haben und sich so unter dem Deckmantel der Inflation ein schönes Körberlgeld verdient haben.
Bei Unternehmen mit diverser Führungsebene gibt es weniger kartellrechtliche Verstöße.
Harsdorf-Borsch
Genau das konnten wir eben nicht feststellen. Wir haben uns vom Handel alle Zahlen liefern lassen und alles genau überprüft.
War der Handel kooperativ?
Harsdorf-Borsch
Die BWB hat alle notwendigen Informationen bekommen. Es gab einzelne Unternehmen, die zu gewissen Einzelfragen keine Auskunft geben wollten. Das war aus unserer Sicht jedoch für das Gesamtbild nicht relevant. Andernfalls hätten wir das ausjudizieren können. Aber für uns war wichtig, dass wir repräsentative Ergebnisse haben und die Untersuchung in einer gewissen Geschwindigkeit durchführen können. Und das war gegeben. Man kann sagen, dass breitflächig alle Unternehmen kooperiert haben, die dazu verpflichtet sind. Wir haben aber auch Unternehmen außerhalb Österreichs befragt, aber da haben wir praktisch keine Antworten erhalten.
Im Zuge der Untersuchung der Lebensmittelpreise hat die Behörde eine ganze Reihe unfairer Handelspraktiken festgestellt. In 16 Fällen haben Sie Geldbußanträge gestellt. Was ist der aktuelle Stand dieser Verfahren?
Harsdorf-Borsch
Wir haben die Anträge noch im Dezember eingebracht. Jetzt ist das Kartellgericht am Zug. Wahrscheinlich wird es in nächster Zeit eine Tagsatzung geben. In der Regel laufen Verfahren vor dem Kartellgericht recht rasch ab, und eine Entscheidung ist meist innerhalb von einem Jahr zu erwarten.
Aus Sicht der zahlenden Konsumentinnen ähnlich unbefriedigend wie die Lebensmittelpreisuntersuchung war das Ergebnis der Untersuchung zu den hohen Spritpreisen …
Harsdorf-Borsch
Hier war die Sache ganz anders gelagert als bei den Lebensmitteln. Wir haben festgestellt, dass die Raffinerien ihre Gewinnmargen tatsächlich verdreifacht haben. Ich glaube, die große Enttäuschung bei solchen Sektoruntersuchungen für Konsumentinnen ist die Erwartungshaltung, dass die BWB nach so einer Untersuchung Sofortmaßnahmen anordnen kann. Diese Möglichkeit haben wir aber nicht. Wir können das untersuchen, einen transparenten Bericht veröffentlichen und somit die Entscheidungsträger informieren. Die Politik kann dann Maßnahmen beschließen, die sie für sinnvoll erachtet, wie zum Beispiel die Besteuerung von Zufallsgewinnen.
Da wären wir aber wieder beim Thema Wettbewerb, denn so viele Raffinerien haben wir in und um Österreich nun auch wieder nicht …
Harsdorf-Borsch
Genau, in Österreich haben wir tatsächlich nur eine Raffinerie, nämlich jene der OMV in Schwechat. Aber es ist nicht so, dass nur diese eine Raffinerie für den heimischen Markt tätig ist. Es wird auch sehr viel Treibstoff von anderen Raffinerien im Ausland importiert, der dann hier an den Tankstellen verkauft wird.
Das größte Kartell der österreichischen Wirtschaftsgeschichte, das Bau-Kartell, welches 2017 aufgeflogen ist, beschäftigt die Gerichte noch immer. 15 Jahre lang haben Unternehmen aus der Baubranche Preisabsprachen getroffen. Wie kann es sein, dass über einen so langen Zeitraum Unternehmen schalten und walten können, wie sie wollen, und das unentdeckt bleibt?
Harsdorf-Borsch
Tatsächlich war dieses Baukartell das größte aufgedeckte Kartell in der Zweiten Republik, das muss man so sagen. Und die BWB konnte dem nur bis zum Zeitpunkt ihrer Gründung im Jahr 2002 nachgehen. Das heißt, wir können keine Aussagen darüber treffen, ob das vielleicht noch deutlich länger gelaufen ist. Es gab in den 1990er-Jahren einzelne strafrechtliche Verurteilungen von Einzelpersonen, und wenn man die Entscheidungen der Gerichte von damals liest, fallen einem schon Muster auf.
Natalie Harsdorf-Borsch, 38
Zwei Jahre leitete sie die Bundeswettbewerbsbehörde interimistisch, ehe sie im November 2023 nach langem Tauziehen zwischen den Regierungsparteien zur Generaldirektorin ernannt wurde. Die studierte Juristin kennt das Haus wie ihre Westentasche. Bereits seit 2009 ist Harsdorf-Borsch in unterschiedlichen Positionen in der BWB tätig.
Hätte das alles der Behörde nicht früher auffallen müssen?
Harsdorf-Borsch
Es gibt weltweit über 140 Wettbewerbsbehörden. In vielen Staaten gibt es zudem ein gut formuliertes, strenges Wettbewerbsrecht. Man könnte meinen, dass die Kartelle irgendwann mit den Preisabsprachen aufhören. Aber offenbar sind die Anreize, Kartelle zu bilden, immer noch zu groß. Das Baukartell, das letzten Endes zu zahlreichen Hausdurchsuchungen in der Bauwirtschaft geführt hat, ist durch einen Zufallsfund aufgeflogen – den berühmten roten Ordner. Ein Instrument, das für uns an Bedeutung gewinnt, sind Whistleblower. 2023 hatten wir 94 Whistleblower-Meldungen. Ungefähr ein Viertel führt in der Regel zu weiterführenden Ermittlungen. Oder es melden sich direkt Unternehmen bei uns, die zum Beispiel in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und bestimmte Geschäftspraktiken anprangern.
Gibt es eigentlich Branchen oder Produkte, die besonders anfällig für Kartellbildungen sind?
Harsdorf-Borsch
Dazu gibt es eine sehr interessante Studie im Auftrag der OECD. Und diese kommt zu dem Schluss, dass bei Unternehmen mit einer diversen Führungsebene deutlich weniger kartellrechtliche Verstöße festgestellt werden. Also wenn ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Management herrscht, gibt es tendenziell weniger Absprachen. Ansonsten ist keine Branche davor gefeit.
Im Lebensmittelhandel soll eine Transparenzdatenbank jetzt den Wettbewerb beleben und für mehr Preisdruck sorgen. Der Lebensmitteleinzelhandel wird aber de facto von vier großen Supermarktketten dominiert. Sorgt das wirklich für mehr Preisdruck, wenn alle in Echtzeit mitverfolgen können, wie sich die Preise bei der Konkurrenz verändern?
Harsdorf-Borsch
Transparenz ist immer ein zweischneidiges Schwert. Je besser ich informiert bin, desto bessere Kaufentscheidungen kann ich treffen. Transparenz kann aber auch in die andere Richtung gehen, indem sich Preise schnell angleichen. Aber wenn wir es mit einem Markt zu tun haben, in dem aufgrund intensiver, hoch intelligenter und sehr aufwendiger Marktbeobachtung ohnehin Transparenz für die Unternehmen besteht, aber eben nicht für die Kunden und Kundinnen herrscht? Vor diesem Hintergrund hat die BWB mehr Transparenz auch für die Konsumentinnen empfohlen.
Spätestens im Herbst wird gewählt. Fürchten Sie sich vor einem Kanzler Kickl? Seine Forderungen nach diversen Preisbremsen haben gezeigt, dass er offenbar kein großer Freund von Wettbewerb ist.
Harsdorf-Borsch
Die Wettbewerbsbehörde übermittelt jedes Jahr einen Tätigkeitsbericht, der auch dem Parlament vorgelegt wird. Ich war schon zweimal als Auskunftsperson eingeladen. Da wird man wirklich auf Herz und Nieren geprüft. Ich habe bei allen Fraktionen ein positives Interesse an unserer Arbeit wahrgenommen. Ich bemühe mich, sehr transparent zu kommunizieren. Ich denke, das ist auch ein Element der Legitimation, dass die Wettbewerbsbehörde nicht als politisch, sondern als sachorientiert wahrgenommen wird.
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Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".