Carlsbergs Gersten-Patent: Kleinbrauer warnen vor „Einheitsbieren“
Es ist nicht das erste Mal, dass der dänische Braukonzern Carlsberg vor das Europäische Patentamt in München zieht. Als international operierende Großbrauerei investiert das Unternehmen viel Geld, um seine Innovationskraft vor Nachahmern zu schützen. Aber nicht nur technische Anlagen oder Maschinen finden sich in den Anträgen bei der EU-Behörde. 2016 konnte sich Carlsberg ein Patent für Braugerste sichern, zum Unmut von Kleinbrauereien und NGOs, die sich am Dienstagvormittag in München nun zur Wehr gesetzt haben.
Für Nicht-Bierkenner: Gerste ist ein Getreide und neben Hopfen eine Hauptzutat für Bier. Rund 140.000 Tonnen verbrauchen die heimischen Brauereien. Zuerst wird die Gerste „gemälzt“, also Gerstenmalz hergestellt. Durch Vergärung entsteht der Alkohol im Bier. Welche Gerstensorte zum Einsatz kommt, beeinflusst Geschmack und Aussehen des Biers, womit Brauereien ihr Wunschbier erzeugen können und als Teil „regionaler Identität“ vermarkten können. Der Biermarkt ist hart umkämpft: allein in Österreich geht es um den Absatz von zehn Millionen Hektolitern (ein Hektoliter entspricht 200 Krügerln). Besonders kleinere Brauereien befürchten, dass Konzerne wie Carlsberg mit dem Patent auf Rohstoffe ihre Marktdominanz weiter ausbauen könnten. Mit dem Verfahren vor der großen Beschwerdekammer versuchen Kleinbrauer und Umweltschützer eine Grundsatz-Entscheidung für die Europäische Union zu erwirken: ein Patentverbot auf Saatgut.
Niki Riegler, Geschäftsführer der Kärntner Hirter-Brauerei, warnt provokant vor den „Einheitsbieren“ der Braukonzerne. Mit mehreren kleinen und mittelgroßen Brauereien hat sich Hirter im Jahr 2021 zum Verein der Unabhängigen Privatbrauereien zusammengeschlossen. Auf ihren Etiketten werben sie mit dem Claim „100% unabhängig“. Sie kämpfen laut Eigenangabe für den Erhalt der „Biervielfalt“, sehen sich aber mit einer erdrückenden Marktmacht der großen Brauereikonzerne konfrontiert. Relevanter als Carlsberg ist in Österreich der Konzern Heineken, zu dem die Brau-Union mit Marken wie Gösser, Schwechater oder Zipfer gehört. Die Niederländer kontrollieren mit all ihren Marken deutlich mehr als 50 Prozent des heimischen Biermarkts. Zu Carlsberg wiederum gehören Marken wie Tuborg oder die deutsche Brauerei Astra.
Auch wenn die Dänen in Österreich nicht stark investiert sind, sorgt das Patentverfahren um einen wesentlichen Ausgangsrohstoff dennoch für Unruhe bei Kleinbrauereien im Land. Kleinere Züchter von Braugerste könnten vom Markt verdrängt werden. „Weil es wirtschaftlich unattraktiv wird“, glaubt Riegler von Hirterbier. Mit einem Patent auf Braugerste entstünden Abhängigkeiten. Züchter von seltenen Sorten könnten aus Angst vor Lizenzklagen ihre Arbeit einstellen. Denn entdeckt ein Züchter eine vermeintliche neue Gerstensorte, die über die gleichen Eigenschaften wie Carlsbergs Gerste verfügt, könnte das als Verstoß gegen ein bestehendes Patent gewertet werden und juristische Folgen nach sich ziehen.
Wem gehören Pflanzen?
Im Antrag EP2575433 geht es offiziell nur um ein „energieeffizientes Brauverfahren“. Doch in den kompliziert formulierten Patentansprüchen verbergen sich Eigenschaften einer eigens von Carlsberg gezüchteten Braugerste – wohlgemerkt nicht gentechnisch modifiziert, sondern durch konventionelle Züchtung. Die Körner der neuen Gerste sollen mit einer veränderten Stärkezusammensetzung das Bierbrauen erleichtern.
Sollte das Patent voll wirksam werden, könnte das eine Reihe von Rechtsunsicherheiten zur Folge haben, warnen Kritiker. Bisher galt in der EU, dass Pflanzen (ausgenommen gentechnisch modifizierte) und daraus resultierende Züchtungen nicht patentierbar sind (Züchterprivileg). Saatgut sollte damit Allgemeingut bleiben, da Züchtungen und Mutationen auch in der Natur vorkommen. Für eine patentierbare Innovation sollte grundsätzlich ein erfinderischer Anspruch erforderlich sein.
Das Problem: Das EU-Recht definiert herkömmliche Züchtungen als Pflanzensorten, die durch „biologische Verfahren“ entstehen. „Was genau unter biologischen Verfahren zu verstehen ist, bleibt unklar“, kritisiert Dagmar Urban vom Verein Arche Noah, der sich für den Erhalt der Saatgutvielfalt einsetzt.
Zwar unterscheiden sich diese Züchtungen klar von der Gentechnik, die als technische Innovationen patentierbar sind. Doch auch innerhalb der konventionellen Züchtung gibt es verschiedene Methoden zur Entdeckung neuer Sorten.
Die älteste Methode ist das Kreuzen von Pflanzen über mehrere Generationen, um erwünschte Eigenschaften heran- oder herauszuzüchten. Viele der heute erhältlichen Nahrungsmittel sind das Ergebnis jahrhundertelanger Kreuzungen, die etwa den Ertrag, den Zuckergehalt oder die Anzahl der Kerne optimiert haben.
Bei Züchtungen wie Gräsern dauert dies einige Jahre, bei Obstbäumen sogar Jahrzehnte. Um das zu beschleunigen, kommt mittlerweile die Zufallsmutagenese zum Einsatz, bei der Mutationen durch Chemikalien oder radioaktive Bestrahlung ausgelöst werden. Die so entstehenden Ergebnisse wären theoretisch auch durch langwierige Kreuzungen möglich gewesen. Im aktuellen Fall argumentiert Carlsberg jedoch, dass es sich dabei um eine technische Erfindung handelt.
Angst vor Marktdominanz
„Du musst dein Bier vom Markt nehmen und vielleicht noch Schadensersatz zahlen“, warnt Johannes Ehrensperger, Geschäftsführer der Lammsbräu-Brauerei in Neumarkt (Bayern). Wie weitreichend ein Saatgut-Patent sein kann, zeigt sich an der damit verbundenen Lizenzierungsmacht. Denn ein Patent bedeutet auch, andere von der Nutzung auszuschließen oder Lizenzen geltend machen zu können – bei einem Naturprodukt wie Gerste eine potenzielle Gefahr für kleine Brauereien. „Dies führt letztlich zur Monopolisierung und dem Wegfall von Vielfalt und mittelständischen Braustrukturen“, befürchtet Ehrensperger. Für Brauereien wie Hirter oder Lammsbräu wären hohe Lizenzkosten wirtschaftlich nicht darstellbar.
Nicht nur Braumeister wären davon betroffen, Kritiker befürchten, dass Carlsberg mit diesem Schritt Landwirte und Lieferanten dazu zwingen könnte, das Saatgut des dänischen Konzerns einzusetzen.
Carlsberg ließ eine schriftliche Anfrage von profil unbeantwortet.
Entscheidung vertagt
Am Patentamt in München kam es am Dienstag zu keiner Entscheidung. Die Beschwerdekammer der europäischen Patentbehörde weist den Einspruch der Kritiker ab – aus formalen Gründen und delegiert ihn an die vorherige Instanz. Damit bleibt die Frage offen, ob gezüchtete Pflanzensorten in Europa künftig als geistiges Eigentum geschützt werden können – oder auch nicht. Aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen wird das Thema die EU-Behörden wohl weiterhin beschäftigen.