Manfred Ainedter ist einer von gleich drei Top-Anwälten, die Karl-Heinz Grasser aufgeboten hat. Für Ainedter, der Grasser seit 2002 vertritt, ist die Verhandlung vor dem Höchstgericht „End- und Höhepunkt eines durchwegs politisch motivierten Verfahrens“. Sein Kollege Norbert Wess sekundiert mit viel Verve: „Es war ein Kampf, und wir konnten ihn gar nicht gewinnen.“
Das ist eines der ganz zentralen Argumente, mit denen die Anwälte das Urteil aus der ersten Instanz „heben“ wollen: Grasser hätte kein faires Verfahren bekommen. Anders als in früheren Zeiten wird vor dem OGH nun weniger die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die in der Causa ermittelt und Anklage erhoben hat, dafür verantwortlich gemacht. Sondern insbesondere Richterin Marion Hohenecker, die Ende 2020 nach einem dreijährigen Schöffen-Prozess die Schuldsprüche in der Causa Buwog verkündete.
Die sehr lange Vorgeschichte extrem kurz zusammengefasst: Im Jahr 2004 verkaufte die Republik Österreich ein Paket von vier Bundeswohnungsgesellschaften mit insgesamt 60.000 Wohnungen. Der politische Verantwortliche für den Verkaufsprozess war der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Den Zuschlag erhielt ein Konsortium rund um Immofinanz und Raiffeisenlandesbank Oberösterreich für 961,3 Millionen Euro. Das Angebot lag nur rund eine Millionen Euro über jenem der Konkurrenz, CA Immo. Verantwortlich dafür: Walter Meischberger. Er soll der Immofinanz den Tipp gegeben haben, dass sie mehr als 960 Millionen bieten musste.
Walter Meischberger, Trauzeuge von Karl-Heinz Grasser, war in dessen Zeit als Finanzminister äußerst umtriebig. Bei einer ganzen Reihe von Privatisierungsvorhaben soll er sich als „Berater“ oder „Lobbyist“ angedient haben. Meischberger ließ sich Erfolgsprovisionen auszahlen, ohne konkrete Leistungsabrechnungen. Viele seiner Beratungstätigkeiten spielten sich im Umfeld des Finanzministeriums ab. „Meischberger hatte den Kontakt zu Grasser monopolisiert“, erklärte der mitangeklagte PR-Berater Peter Hochegger einst in einem profil-Interview. Auch in Bezug auf die Buwog floss Geld: rund 9,6 Millionen Euro zahlte eine Firma aus dem Umfeld der Immofinanz nach der Privatisierung. Über Hocheggers Zypern-Firma Astropolis flossen die Buwog-Provisionen auf Konten in Liechtenstein.
Nicht nur die: Auch eine Porr-Tochtergesellschaft überwies 200.000 Euro „Vermittlungsprovision“. Damit soll auf Grasser Einfluss genommen worden sein, damit sich die Finanz in den Linzer „Terminal Tower“ einmietete, so der Vorwurf. Auch in diesem Anklagepunkt wurde Grasser schuldig gesprochen. Auch diesen Teil des Schuldspruchs bekämpft er nun vor dem OGH.
Attacken auf die Richterin
Dort ging es am Donnerstag, dem ersten Verhandlungstag, sehr ausführlich um die Rolle der Richterin aus der ersten Instanz. Hohenecker sei zumindest dem Anschein nach befangen gewesen, so der Sukkus: Ihr Ehemann – ebenfalls Richter – habe negative Dinge über Grasser auf Twitter geschrieben. Ihr Stiefsohn habe für jene Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet, welche die Immofinanz-Kontrahentin CA Immo vertreten habe. Und, ganz besonders detailreich dargestellt: Hohenecker hätte der Buwog-Akt überhaupt nicht zugeteilt werden dürfen.
Rechtsanwalt Otto Dietrich, der Ex-Immofinanz-Boss Karl Petrikovics vertritt, widmete diesem Aspekt am Donnerstag fast eine Stunde. Detailliert stellte er dar, wie und durch welche Umstände es dazu kam, dass Hohenecker zur Buwog-Richterin wurde. Aus seiner Sicht: weil ein früheres Verfahren gegen Petrikovics „rechtswidrig“ bei ihr gelegen sei und sie deshalb den Buwog-Akt quasi einbeziehen konnte. Aus dem früheren Verfahren heraus, das letztlich zu nichts geführt habe, sei sie jedoch befangen gewesen. Dietrich fasst zusammen: „Hohenecker hätte das Buwog-Verfahren nicht bekommen dürfen, sie hätte es nicht behalten dürfen, und sie hätte es schon gar nicht führen dürfen.“
Neben Grasser und Petrikovics saßen am ersten Verhandlungstag drei weitere Angeklagte höchstpersönlich vor dem OGH-Senat, darunter Ex-Lobbyist Walter Meischberger. Peter Hochegger ist der Verhandlung (wegen einer Hüftoperation) ebenso ferngeblieben wie der Vermögensverwalter Norbert W. – es besteht allerdings keine Anwesenheitspflicht.
Grasser ließ mit seinem Auftreten am ersten Verhandlungstag keinerlei Einblicke in sein Innenleben zu. Gestählt durch Jahre in der Spitzenpolitik, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und vor Gericht wirkt es fast so, als könne er das Geschehen an sich abprallen lassen. Wenn Grasser an den Kameras vorbeigeht, lächelt er höflich, aber unbestimmt. Anzug und Frisur sitzen wie eh und je, die Haare sind naturgemäß eine Spur grauer geworden. Auf seinem Sessel im Gerichtssaal hält sich der frühere Finanzminister die meiste Zeit kerzengerade. Mal hat er die Hände vor sich auf dem Tisch – Fingerspitzen an Fingerspitzen. Mal winkelt er die Ellbogen an, sodass er das Kinn auf die Daumen stützen kann. Als sein Anwalt Norbert Wess mit durchaus drastischen Worten über die behaupteten Unzulänglichkeiten im Verfahren der ersten Instanz zu referieren beginnt, lehnt sich Grasser einmal für kurze Zeit zurück, legt die Hände in den Schoß – und hört weiter aufmerksam zu.
Es ist eine geballte Ladung an Argumenten, die Grasser und alle anderen Anwesenden am Donnerstag zu Ohren bekamen. Neben der Frage, ob die Richterin befangen war, ging es dabei unter anderem um den Umstand, dass das Gericht in der ersten Instanz auch in Verhandlungspausen sowie vor und nach der eigentlichen Verhandlung die Anlage für Bild- und Tonaufnahmen weiterlaufen ließ. „Da waren Verteidigergespräche drauf“, meinte Wess. Das dürfe man nicht akzeptieren. Bekrittelt wurde auch die seinerzeitige Sitzordnung im Großen Schwurgerichtssaal: Richter, Schöffen und Staatsanwälte erhöht, Angeklagte und Verteidiger unten „im Schützengraben“, wie Wess martialisch formulierte. Auf Schöffen mache so etwas schon Eindruck.
Untreue oder nicht?
Geht es nach den Verteidigern, hätten die Angeklagten auch gar nicht wegen des Delikts der Untreue verurteilt werden dürfen. Diese liegt im strafrechtlichen Sinn nur dann vor, wenn ein „Vermögensnachteil“ entsteht. Das Gericht ist der Ansicht, dass die Republik bei der Privatisierung um 9,6 Millionen Euro mehr erlösen hätte können, wären die nicht als Provision an Grasser und Co geflossen. Das bestreiten gleich mehrere Verteidiger vor dem OGH. Die Zahlung habe sich nicht mindernd auf den Kaufpreis ausgewirkt, es seien Nebenkosten auf Käuferseite gewesen. Es habe daher keinen Schaden für die Republik gegeben. Ein Schaden sei aber Voraussetzung für ein Untreue-Delikt.
Hierbei handelt es sich um einen wichtigen Punkt. Der Strafrahmen für Untreue beträgt bis zu zehn Jahre Haft. Das andere zentrale Delikt, für das Grasser in erster Instanz verurteilt wurde, ist jenes der Geschenkannahme durch Beamte. Darauf stehen aber maximal fünf Jahre Haft. Würde die Untreue wegfallen, müsste schon allein aus diesem Grund die Strafe deutlich niedriger ausfallen.
Diskutiert wurde am Donnerstag auch ein Umstand, der in den Tagen vor der OGH-Verhandlung für Aufregung gesorgt hatte: Ein kürzlich den Verteidigern zugestellter Einstellungsbeschluss bezüglich eines Teilaspekts der Buwog-Causa aus dem Jahr 2019. Mehrere Anwälte argumentieren nun, dass damit das Thema Untreue im Buwog-Zusammenhang eigentlich bereits rechtskräftig erledigt wäre: Wegen ein und desselben Deliktes dürfe man nämlich nicht in zwei Verfahren verfolgt werden.
Wie der fünfköpfige OGH-Senat das alles sieht, wird sich weisen. Die drei Richterinnen und zwei Richter folgten den Vorgängen vorerst mit stoischer Miene. Nicht unpassend für eine griechische Tragödie. Was Anwalt Manfred Ainedter in seinem Vortrag über antikes Theater übrigens nicht erwähnte: Am Ende des Stücks steht die „Katharsis“, also eine Reinigung. Auch hier böte sich eine Analogie mit Karl-Heinz Grasser an, hat der Ex-Finanzminister doch früher betont, bei der Buwog-Privatisierung sei alles „supersauber“ gelaufen.