Wobei die Folgen schon damals allen bewusst waren: Anfang 2004 zog der damalige FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer ungewohnt heftig verbal gegen seinen Regierungskollegen Grasser vom Leder: „Der Herr Finanzminister behandelt das Justizressort ungerecht (…). Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn die Kürzungen im Justizbereich genauso durchgeführt werden wie bei anderen Ministerien. Denn wir unterliegen einer Vermehrung unserer Aufgaben, die wir nicht steuern können.“
Böhmdorfers Nachfolgerin, die damalige Justizministerin Karin Miklautsch (später: Gastinger), erbte die Personalprobleme: „Ob es die Richterschaft ist oder wir eine verkürzte Verfahrensdauer haben wollen, mit der bestehenden Personalsituation wird das nicht machbar sein.“
Grasser soll Sorgen der Justiz ignoriert haben
Im November 2004 kam es sogar zu Warnstreiks der Richter und Staatsanwälte. „Wir sind nicht mehr in der Lage, mit einem Personalstand, der sich laufend verschlechtert, auch nur halbwegs vernünftig mit der steigenden Kriminalität umzugehen“, beklagte die damalige Richterpräsidentin Barbara Helige. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Finanzminister Grasser würden – laut Richter-Vertretern – jedoch die Sorgen ignorieren.
Im Jahr 2006 warnte die damalige Grüne Justizsprecherin Terezija Stoisits, ein geplanter Personalabbau in der Justiz drohe, den Zugang der Bürger zum Recht zu gefährden, weil damit die Verfahren noch mehr als bisher in die Länge gezogen würden. Gastinger habe sich offenbar von Finanzminister Grasser bei den Budgetverhandlungen über den Tisch ziehen lassen. Und Gerhard Scheucher, Vorsitzender der Sektion Justiz in der Beamtengewerkschaft meinte: „Seit Jahren spart die Politik beim Personal radikal ein. Finanzminister Grasser und sein Staatssekretär Finz haben akuten Handlungsbedarf. Der Justiz droht sonst der Kollaps.“
Nun kann die lange Dauer des Buwog-Verfahrens nicht ausschließlich auf mangelnde Ressourcen in der Justiz zurückgeführt werden. Wenn sich andere Staaten bei Rechtshilfeersuchen – etwa im Fall von Kontoöffnungen – ewig Zeit lassen, ist auch die am besten ausgestattete Staatsanwaltschaft machtlos. Wenn ein Riesen-Verfahren fast 170 Prozesstage dauert, wird man es der Richterin zugestehen müssen, nicht innerhalb von acht Wochen ein tausendseitiges schriftliches Urteil vorlegen zu können. Dass die Justiz aber bis heute äußerst knappe Personalressourcen für die Aufklärung komplexer Wirtschafts- und Korruptionsdelikte hat, ist ebenso ein Faktum.
Hochegger könnte Fußfessel beantragen
Personalnot gibt es seit Langem auch in einem anderen Bereich der Justiz – einem Bereich, der nun für Grasser besonders relevant werden dürfte: dem Strafvollzug. Sollten keine überraschenden Gründe für eine Haftunfähigkeit auftauchen, wird der frühere Finanzminister wohl in einigen Wochen bis Monaten die Haft antreten müssen. Dasselbe gilt für den ebenfalls nun rechtskräftig verurteilten langjährigen Grasser-Freund, den früheren FPÖ-Politiker Walter Meischberger. Er agierte laut Urteil als Mittelsmann Grassers – ebenso wie der umtriebige Lobbyist Peter Hochegger.
Hochegger wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, davon zwei Jahre bedingt. Er war der einzige Angeklagte, der ein Teilgeständnis ablegte, und hat – laut OGH – einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet. Hochegger könnte wegen der niedrigeren Strafe der Gang ins Gefängnis erspart bleiben: „Grundsätzlich besteht die Möglichkeit einer elektronischen Fußfessel“, sagt sein Anwalt Leonhard Kregcjk. Die Entscheidung, ob Hochegger eine solche beantragen wird, sei noch nicht gefallen. Ein Antrag ist erst möglich, wenn die Aufforderung zum Haftantritt zugestellt ist. Damit ist erst in einigen Wochen zu rechnen, wenn der Akt vom OGH zum Landesgericht Wien zurückgegangen ist und das Landesgericht den Verurteilten die schriftliche Entscheidung übermittelt hat. Da Hochegger an einem Hüftproblem leidet und sich möglicherweise einer Operation unterziehen muss, könnte bei ihm allerdings auch noch ein Haftaufschub folgen. Auch für eine Fußfessel muss Haftfähigkeit gegeben sein.
Was Grasser betrifft, ist es als wahrscheinlich anzusehen, dass er die Haft in Innsbruck antreten muss, da er seinen Lebensmittelpunkt in Kitzbühel hat. Wie andere Straftäter auch, können Grasser und Meischberger nach Verbüßung der Hälfte der Haftstrafe einen Antrag auf bedingte Entlassung stellen. Frühestens ein Jahr vor der potenziellen Haftentlassung ist eine Fußfessel möglich.
Peschorn: „Haben Exekutionstitel“
Grasser und Meischberger haben aber noch ein ganz anderes Problem: Der OGH verurteilte sie dazu, 9,8 Millionen Euro an die Republik Österreich zu zahlen – plus Zinsen. Die Summe entspricht dem Bestechungsgeld aus Buwog-Privatisierung und „Terminal Tower“-Einmietung. Bei den Bundeswohnungen kam seinerzeit ein Konsortium rund um das Immobilien-Unternehmen Immofinanz zum Zug, das in der Folge jene 9,6 Millionen Euro ausbezahlte, von denen der Großteil auf drei Konten in Liechtenstein landete. Eines der Konten gehörte laut rechtskräftigem Urteil Grasser. Der ebenfalls verurteilte Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics wird nun auch in Sachen Rückzahlung in die Pflicht genommen (in Bezug auf 9,6 Millionen Euro), ebenso ein früherer, am Konsortium beteiligter Banker (für einen Teil von 4,8 Millionen Euro). Auf die Gesamtsumme von 9,8 Millionen Euro fallen seit 2017 Zinsen von vier Prozent pro Jahr an: Insgesamt beläuft sich der Schadenersatz also auf rund 13 Millionen Euro.
„Wir haben seit Dienstag einen Exekutionstitel und werden demnächst eine Zahlungsaufforderung versenden“, sagt Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur. Zahlungsfrist: innerhalb von 14 Tagen. Ob die vier Männer die 13 Millionen flüssig haben, ist aber zweifelhaft. Walter Meischberger musste bereits wegen der Steuernachzahlung für die Buwog-Millionen sein Haus in Döbling verkaufen. Die Finanzprokuratur könnte auch andere Vermögenswerte wie Immobilien oder Aktien-Bezugsrechte pfänden. „Die Voraussetzung ist allerdings: Wir müssen wissen, was für Vermögen da ist“, so Peschorn.
Millionen-Haus in Kitzbühel
Grassers Wohnhaus in Kitzbühel würde wohl schon für sich alleine genommen fast den gesamten Betrag abdecken. Laut Kaufvertrag aus dem Jahr 2017 betrug der Preis bereits damals rund 11,8 Millionen Euro. Das Anwesen gehört allerdings nicht Grasser selbst, sondern seiner – aus der Kristall-Dynastie Swarovski stammenden – Ehefrau Fiona. Auf ihr Vermögen hat der Staat naturgemäß keinen Zugriff. Fiona Grasser könnte das Haus auch nicht so ohne Weiteres verkaufen: Im Grundbuch ist ein Veräußerungsverbot zugunsten ihrer Mutter eingetragen – „aus Interesse an der Erhaltung der Liegenschaft als Familienbesitz“, wie in der entsprechenden Vereinbarung zu lesen ist. Grassers Schwiegermutter, die jahrelang in der Verteidigungsstrategie des Ex-Finanzministers als angeblicher Ursprung eines besonders auffälligen Geldbetrages herhalten musste, hat also die Hand drauf. Das Veräußerungsverbot wurde übrigens wenige Monate, nachdem die Buwog-Anklage rechtswirksam geworden war, vereinbart.
Was aus den Liechtenstein-Konten wurde
Zumindest einen Teil des ihr zustehenden Betrags hat sich die Republik Österreich jedoch bereits gesichert: Den Rest der Buwog-Bestechungsgelder, der auf den Konten von Grasser und Meischberger in Liechtenstein noch übrig war. Bereits im Rahmen der Anklageerhebung hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Vermögenswerte „für verfallen zu erklären“. Das bedeutet, dass das mit Straftaten verdiente Geld der Republik zufällt. Zum Zeitpunkt der Anklage lagen dort 1.113.704 Euro, sowie 5.200 Aktien des Autokonzerns Magna International, 6.500 Aktien der US-Investmentbank Citigroup, 2.002 Aktien der C-Quadrat Investment AG und 223.421 Aktien der inzwischen abgewickelten Meinl International Power. Zieht man die aktuellen Börsenkurse heran, dann sind die Magna- und Citigroup-Papiere zusammen knapp 630.000 Euro wert. Die C-Quadrat-Aktionäre wurden im Zuge einer Übernahme im Jahr 2018 mit 60 Euro je Aktie abgefunden, aus diesem Titel sollten also 120.120 Euro erlöst worden sein. Die Meinl Power International wurde bereits 2017 aufgelöst. Schon ab 2009 wurden in mehreren Tranchen Barabfindungen ausbezahlt. Wie sich das konkret in Bezug auf diese Aktien ausgewirkt hat, ist unklar.
Fest steht: Sollte ein – bis heute verhandlungsunfähiger – mitangeklagter Immobilienmakler jemals vor Gericht müssen und verurteilt werden, so kämen zumindest nochmals 664.483 Euro von dessen mutmaßlichem Liechtenstein-Konto dazu. Man kann gespannt sein, ob die gesamte Zahlungsabwicklung nochmals 15 Jahre dauern wird.