Zinsen

Cernko: „Großteil der Kreditnehmer kann sich die Zinsen leisten“

Erste-Group-Chef Willibald Cernko über die Wut auf Banken, gute und böse Zinsen und seine Bargeld-Liebe.

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Herr Cernko, haben Sie eigentlich noch Schulden?
Cernko:
Nein, aber ich hatte relativ früh eine große Familie und war der klassische Bankkunde. Meinen ersten Kredit habe ich 1979 oder 1980 bei der Salzburger Sparkasse aufgenommen. Damals habe ich 12,5 Prozent Zinsen bezahlt.
Wie viel haben Sie damals für Sparguthaben bekommen?
Cernko:
Wahrscheinlich so um die sechs bis sieben Prozent.
Wie sparen Sie heute?
Cernko:
Mit Wertpapieren – im Sinne von Fondsprodukten und Aktien.
Derzeit bekommt man für täglich fällige Einlagen am Girokonto zwischen 0,1 und 0,5 Prozent Zinsen. Warum werden Sparzinsen langsamer angepasst als Kreditzinsen?
Cernko:
Das Girokonto ist ein Zahlungsverkehrskonto fürs tagtägliche Geschäft. Das ist kein Sparprodukt. Nach sieben Jahren Nullzinsphase müssen wir alle wieder lernen, uns aktiv um unser Geldvermögen zu kümmern. Es wurde ja das gesamte System im Euroraum mit billiger Liquidität geflutet. Daher gibt es noch immer Überschussliquidität im Markt, es gibt eine relativ verhaltene Kreditnachfrage. Angebot und Nachfrage führen zu einer entsprechenden Preisbildung, auch bei Sparzinsen. Für länger veranlagte Gelder sehen wir aber bereits, dass die Zinsen steigen. Das ist eine Bewegung, die jetzt schrittweise einsetzt.
Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) weist für die Bankenbranche im Vorjahr einen Rekordgewinn von insgesamt 10,2 Milliarden Euro aus – nicht zuletzt getrieben durch das stark gestiegene Zinsergebnis. Verstehen Sie den Unmut von Menschen, die in vielen Bereichen mit gestiegenen Kosten kämpfen? Gleichzeitig müssen sie für Kredite mehr bezahlen, die Sparzinsen steigen aber nicht so schnell.
Cernko:
Selbstverständlich habe ich dafür Verständnis. Auf der anderen Seite spielen hier mehrere Facetten herein: Es geht weniger um die Höhe der Zinsen als um die Geschwindigkeit, mit der sie gestiegen sind. Wir haben bei den Energie- und Lebensmittelpreisen einen ähnlichen Schock im Sinne eines rasanten Anstiegs erlebt. Das bringt viele private Haushalte in eine Stresssituation. Wir wollen unseren Beitrag dort leisten, wo jetzt Hilfe notwendig ist. Wenn jemand Schwierigkeiten bei der Bedienung seiner Wohnraumfinanzierung hat, sollen keine Mahnspesen und Verzugszinsen anfallen. Als Branchenvertreter kann ich sagen: Ich habe von allen die Zusage, hier rasch individuelle Lösungen zu finden. Wir arbeiten auch gerade im Rahmen der Eigenheiminitiative an einem Paket für Neukreditnehmer, wobei wir an Jungfamilien denken, die sich ihren Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen wollen.

„Ich tue mir generell schwer mit Eingriffen in einen Markt, der funktioniert. Ich bin absolut dagegen.“

Willibald Cernko

Trotzdem entsteht der Eindruck, dass diese Zinsüberschüsse den Banken quasi in den Schoß fallen. Sind Banken Krisenprofiteure?
Cernko:
Nein. Wir sind, was die Zinsspanne und die Ergebnismarge anlangt, wieder dort, wo wir 2014 bis 2016 waren. Wir bewegen uns im langjährigen Durchschnitt.
Demnach sind Sie wahrscheinlich nicht der Meinung, dass die Banken das, was manche als „Zufallsgewinne“ bezeichnen, zumindest teilweise abgeben sollten?
Cernko:
Nein, überhaupt nicht. Das wäre standortschädlich. Die Wirtschaft hängt massiv von der Leistungsfähigkeit der Banken ab, deswegen müssen sie gut aufgestellt sein.
Die Erste Group ist auch in Osteuropa tätig. Der Zinsüberschuss der gesamten Gruppe im ersten Halbjahr ist um rund 26 Prozent höher ausgefallen, jener der Erste Bank Oesterreich hingegen um 75 Prozent. In Ungarn gibt es einen Zinsdeckel, in Tschechien höhere Aufwendungen für Sparguthaben. Sind heimische Bankkunden benachteiligt?
Cernko:
Nein, das sehe ich nicht so. Das sind einfach unterschiedliche Ausgangssituationen. Der Effekt ist dadurch entstanden, weil die Notenbanken in Osteuropa viel früher begonnen haben, die Zinsen anzuheben. Und vergessen Sie nicht, wir hatten jetzt eine Phase von vielen Jahren Nullzinsen.
Die Nachfrage nach Immobilienkrediten ist in den vergangenen zwölf Monaten stark eingebrochen. Sie machen unter anderem die sogenannte KIM-Verordnung dafür verantwortlich, die seit 2022 gilt. Diese besagt unter anderem, dass Haushalte höchstens 40 Prozent ihres verfügbaren monatlichen Einkommens für die Ratentilgung bei privaten Immobilienkrediten aufwenden dürfen. Was ist denn aus Ihrer Sicht problematisch daran?
Cernko:
Die Rahmenbedingungen haben sich deutlich verändert. Wir begrüßen daher auch die geplante Neuevaluierung. Die KIM-Verordnung ist nur ein Aspekt beim Einbruch in der Wohnraumfinanzierung – neben gestiegenen Energie-, Arbeits- und Baumaterialkosten. Mir ist ein gesamtheitlicher Blick wichtig. Ich weiß, wie relevant leistbarer Wohnraum ist. Ich will es einem mündigen Bürger überlassen, ob er 40, 45 oder 50 Prozent seines Einkommens dafür aufwendet. Wir können nicht alles regeln. Fest steht, dass eine eigene Wohnimmobilie im späteren Leben ein wichtiges Asset darstellt.
OeNB-Gouverneur Holzmann hat mit dem Wunsch nach mehr Beratung für und Schulungen von Kundinnen und Kunden aufhorchen lassen. Das klingt ein bisschen so, als hätten Banken das bisher vernachlässigt und eher Verkaufs- als Beratungsgespräche geführt. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Cernko:
Bei aller Wertschätzung dem Herrn Gouverneur gegenüber: Von diesem Vorschlag halte ich glatt nichts. In der Kundenberatung geht es um das Transparentmachen von Chancen und Risken. Dass wir das nicht schlecht gemacht haben, dokumentiert allein der Umstand, dass 50 Prozent der Wohnbaukreditnehmer in Österreich eine Fixzinsvereinbarung abgeschlossen haben. In der Erste Bank haben wir in den letzten Jahren rund 80 Prozent Neukredite mit fixen Zinsen vergeben. Wir sehen insgesamt eine gewisse Korrelation zwischen variabler Verzinsung und höheren Einkommen – und auch durchaus mit Bildung. Ich habe viele Leute getroffen, die gesagt haben, sie möchten sich die Flexibilität behalten, weil sie zum Beispiel über ein Einkommen verfügen, wo sie auch vorzeitig tilgen möchten. Die Beratung wird sauber dokumentiert.
Der OeNB-Gouverneur hat auch vorgeschlagen, dass man in den ersten Jahren der Kreditlaufzeit, die oft so etwas wie eine Klippe für Kreditnehmer darstellen, grundsätzlich einen Fixzinssatz vorsieht und gegebenenfalls später in eine variable Verzinsung wechselt. Halten Sie das für einen vernünftigen Vorschlag?
Cernko:
Über eine Einschleifregelung kann man diskutieren. Es ist aber so vieles nicht vorhersehbar. Ich glaube, es macht Sinn, auch Raum für Flexibilität zu lassen.
Italien will Bankenübergewinne abschöpfen, Frankreich hat eine Art Zinsdeckel. Ähnliche Eingriffe fordert auch die SPÖ. Sie haben neulich mit Finanzminister Brunner den österreichischen Vorschlag zur aktuellen Zinsdebatte vorgestellt: Banken sollen Nachsicht bei Zahlungsverzug und bei Mahnspesen walten lassen, und bei der OeNB soll eine Transparenzdatenbank angesiedelt werden. Ist das genug?
Cernko:
Ein Zinsdeckel ist die Einladung dafür, dass ich jedes Mal nach dem Steuerzahler rufe, wenn es gegen mich läuft. Was sagen Sie jemandem, der sich bewusst für eine fixe Verzinsung entschieden hat und dafür auch mehr für seinen Kredit bezahlt? Das wäre ja dann der größte Depp. Ob ich einen fix oder flexibel verzinsten Kredit nehme, ist eine bewusste Entscheidung eines mündigen Bürgers beziehungsweise einer Bürgerin. Der Großteil der Kreditnehmer kann sich die Zinsen leisten. Der Anteil an notleidenden Krediten ist historisch niedrig. Ich tue mir generell schwer mit Eingriffen in einen Markt, der funktioniert. Ich bin absolut dagegen.
Man könnte aber argumentieren, dass in der Vergangenheit Verluste von Banken auch sozialisiert wurden.
Cernko:
Diese Frage liebe ich! Damals hat ein Landeshauptmann (Kärntens verstorbener BZÖ-Landeshauptmann Jörg Haider, Anm.) versucht, sich mit dem Körberlgeld einer Landesbank einen Traum zu erfüllen. Das war ein schweres politisches Versagen, und auch die Aufsicht muss sich die Frage stellen, ob sie damals alles richtig gemacht hat. Ja, Österreichs Banken haben damals Hilfen bekommen, die Republik hat einen Bankenrettungsschirm über 100 Milliarden Euro aufgespannt, von denen zehn Milliarden auch abgerufen wurden. Dafür zahlten die Banken einen Zinssatz von acht Prozent, es war also kein schlechtes Geschäft für die Republik. Was auch seitdem passiert ist: 5,5 Milliarden sind über die Bankensteuer in den Stabilitätsfonds geflossen, 2,3 Milliarden in den Abwicklungsfonds und 1,9 Milliarden in die Einlagensicherung. Damit eben der Steuerzahler nicht wieder zum Handkuss kommt.
Verwenden Sie regelmäßig Bargeld?
Cernko:
Ich bin eigentlich noch ein Bargeld-Junkie, ich gehe nie ohne aus dem Haus. Für mich ist das Bargeld auch ein Stück Privatheit. Aber ich verwende alle Zahlungsmittel.

"Es gibt niemanden, der Bargeld abschaffen will."

Erste-Chef Willibald Cernko

zur Bargelddebatte

Sehen Sie politischen Handlungsbedarf, den Stellenwert von Bargeld zu schützen?
Cernko:
Ich sehe diese Notwendigkeit nicht, weil es niemanden gibt, der Bargeld abschaffen will.
MPreis hat zum Beispiel zwei Supermärkte in Tirol rein auf Kartenzahlung umgestellt, bis es Proteste dagegen gab.
Cernko:
Ja, dann ist es dem Unternehmen überlassen, mit den Konsequenzen seiner Handlungen zu leben. Umgekehrt ist es genauso: Wenn ein Lokal auf seine Schiefertafel schreibt „nur Bargeld“, und ich habe gerade keines mit, dann gehe ich dort nicht rein.
Was den Zugang zu Bargeld betrifft, spielen Banken eine wichtige Rolle. Die SPÖ fordert einen Bankomaten in jeder Gemeinde. Wie sehen Sie das?
Cernko:
Wir haben in Österreich 9000 Bankomaten und 13.000 Stellen im Handel, an denen man Bargeld abheben kann. Das heißt nicht, dass kleinere Gemeinden hier kein Problem haben. Mit dem Aufstieg von digitalem Banking stellt sich natürlich die Frage der Wirtschaftlichkeit kleiner Filialen. Und ja, wir Banken haben da möglicherweise da und dort etwas überschießend den Sparstift angesetzt. Wir (die Bankensparte, Anm.) haben uns jetzt aber mit der Bankomatengesellschaft PSA darauf geeinigt, dass wir in einzelnen Gemeinden Bankomaten zum Selbstkostenpreis anbieten. Und wir bitten auch die OeNB, deren Service, also das Verwalten von Bargeld, zum Selbstkostenpreis anzubieten.
Braucht es ein Gesetz: Mindestens ein Bankomat pro Gemeinde?
Cernko:
Nein. Ich habe Verständnis dafür, dass es in einzelnen Gemeinden einen Engpass gibt und dass das vor allem für ältere Menschen ein Thema ist. Aber in Summe sind wir mit einer durchschnittlichen Entfernung von 1,1 Kilometern zum nächsten Bankomaten in Österreich sehr gut aufgestellt.
Die EZB arbeitet gerade an der Einführung des digitalen Euro. Banken und Kreditkartenbetreiber äußerten zuletzt aber immer wieder Kritik daran. Was stört Sie?
Cernko:
Wir haben einen positiv kritischen Zugang zum digitalen Euro. Das Vorhaben wurde so aufgesetzt, dass wir zuerst die technische Machbarkeit geprüft haben. Die „Financial Times“ hat dazu getitelt: „A solution seeking a problem“. Es gibt eine Reihe offener Fragen, und die wollen wir jetzt beantwortet sehen. Welche Rolle will die EZB künftig spielen, und will sie eine Kommerzbank werden? Was heißt das für das gesamte Finanzsystem? Und: Wer zahlt das? Ich kann mir vorstellen, dass am Ende zwei Player aufzeigen, die diese komplexen Services ohnehin jetzt schon anbieten können: Mastercard und Visa.
Das sollen laut EZB eben nicht Mastercard und Visa anbieten, sondern europäische Geschäftsbanken.
Cernko:
Wenn wir ein europäisches Zahlungssystem haben wollen, um den Big Boys aus den USA etwas entgegenstellen zu können, warum ist das bisher nicht passiert? Weil niemand bereit war, hier zu investieren. Zahlungsverkehr ist kleinteilig, es geht um Kosteneffizienz, man braucht einen ganz langen Atem und viel Geld.
Früher, als Generaldirektor der Bank Austria, waren Sie Chef einer Bankengruppe, die auch in Russland tätig war. Die Erste Group ist nicht in Russland. Sind Sie froh darüber?
Cernko:
Also wenn ich diese Frage mit Nein beantworten würde, wäre die Hölle los. Es war eine bewusste Entscheidung der Erste Group. Mit dem Rückzug aus der Ukraine 2013 hat sich die Bank auf ihre Kernmärkte in Zentral- und Osteuropa konzentriert. Es geht also um den Wirtschaftsraum, der schon in der EU ist oder wo ein Beitritt zumindest mittelfristig realistisch ist.
Die Erste hat in Tschechien Assets der Sberbank Europe aus deren Liquidation übernommen. Die Liquidation samt Firmenverkauf hat der sanktionierten russischen Sberbank-Mutter letztlich einen dreistelligen Millionenbetrag eingebracht.
Cernko:
Wir haben damit nichts zu tun. Wir haben vom Masseverwalter ein Portfolio gekauft. Das besteht zu 75 Prozent aus KMU-Krediten und zu 25 Prozent aus Konsumenten-Krediten. Das waren in Summe 1,5 Milliarden Euro, und es waren Kundenbeziehungen in Tschechien ohne Russlandbezug.
Stichwort Osteuropa: Dort müssen viele Energieunternehmen bis 2025 Transformations- und Finanzierungspläne präsentieren, wie sie aus Öl und Kohle aussteigen wollen. Diese Pläne werden auch bei Ihnen als möglicher Kreditgeber eingereicht. Hat Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine die Transformation dort verzögert, oder beschleunigt?
Cernko:
Es waren alle gezwungen, schnell aus russischem Gas auszusteigen. Jetzt stellt sich aber die Frage nach Alternativen: Die einen sagen: Zurück zur Kohle. Andere verlängern die Betriebsgenehmigungen ihrer AKW, wiederum andere importieren mehr Fracking-Gas aus den USA. Uns fehlen über weite Strecken die Rahmenbedingungen, damit wir zügig klimaneutrale Energien ausbauen können. Uns fehlen auch die Netze und Speicherkapazitäten dafür. Ich würde mir wünschen, dass die Übergewinne der Energiewirtschaft in den Netzausbau und in Erneuerbare Energieträger fließen, statt abgeschöpft zu werden.

Zur Person

Willibald Cernko, 67,ist seit 2022 Vorstandsvorsitzender der Erste Group und Obmann der Bundessparte Banken  in der Wirtschaftskammer. Bis 2016 war er Generaldirektor der UniCredit Bank Austria AG, wo er auch für das Osteuropa-Geschäft zuständig war. Der Steirer stammt aus einfachen Verhältnissen und machte die Matura auf dem zweiten Bildungsweg. Vorübergehend war er auch Miteigentümer eines Plattenlabels. Er ist mit der serbischstämmigen Pianistin Jasminka Stancul verheiratet und hat vier Kinder.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).