Wieso es chinesische Unternehmen wieder verstärkt in die EU zieht
Man muss schauen, wo man bleibt. Das gilt in schwierigen Zeiten wie diesen auch für eine Reihe von heimischen Industrie- und Autozulieferbetrieben, die in den vergangenen Wochen Besuch aus China empfangen haben. Die Voestalpine etwa, Österreichs größter Stahlkonzern. Dort sollen profil-Informationen zufolge schon erste Gespräche mit Vertretern des chinesischen E-Autobauers „Build Your Dreams“ (BYD) über mögliche, neue Lieferverträge laufen. „Das sind für uns neue Potenziale, wenn die chinesischen OEMs (steht für „Original Equipment Manufacturer“, also Hersteller, Anm.) beginnen, in Europa Fabriken zu errichten“, sagte Hubert Zajicek, Leiter der Stahldivision bei der Voestalpine, erst kürzlich bei der Präsentation der Halbjahreszahlen.
Aussagen wie diese sind insofern bemerkenswert, als der Stahlkonzern jahrelang mehr oder weniger als exklusiver Lieferpartner der größten deutschen Autohersteller galt. Dort läuft es aber alles andere als rund: Die Aufträge brechen ein, es gehen immer weniger Autos vom Band, Mitarbeiter werden gekündigt, und das bekommen auch hiesige Industriebetriebe zu spüren. Also blickt man gen Osten und sucht neue Abnehmer.
China ist zurück, und zwar nicht nur in Form von E-Autos chinesischer Bauart, die in riesigen Frachtschiffen monatlich an Europas Häfen ankommen. Chinesische Autobauer drängen mit eigenen Fabriken und Produktionsstätten in die EU. Vor allem um die erst kürzlich beschlossenen Ausgleichszölle für chinesische E-Autos zu umgehen. Zur Erinnerung: Ab November will die EU sogenannte Ausgleichszölle auf chinesische Elektroauto-Importe einheben, die sich nach der Höhe der chinesischen, öffentlichen Subventionen richten. Bei BYD wäre das 17,4 Prozent, beim Konkurrenten Geely 19,9 Prozent. Die EU-Kommission hat die neuen Zölle damit argumentiert, dass man Preisdumping und unfaire Wettbewerbsbedingungen für europäische Autobauer verhindern will. Mit einem eigenen Werk in der EU müsste man den Zoll aber nicht abführen.
Ein eben solches baut BYD in Szeged, Ungarn. Ab 2025 soll dort für den europäischen Markt produziert werden. Eine ähnliches Mega-Werk ist auch in der Türkei geplant. Insgesamt sollen in beiden Fabriken 300.000 Autos jährlich vom Band gehen. Das ist eine Menge, und der Hersteller braucht neue Lieferpartner dafür.
Wöchentliche Anfragen
BYD ist nicht der einzige Erzeuger, den es aktuell in die EU zieht. „Wir bekommen alle ein, zwei Wochen Anfragen von chinesischen Firmen zu Ungarn, darunter sind auch viele Staatsbetriebe“, sagt Christian Mikosch. Er leitet bei der Wiener Kanzlei Wolf Theiss mit Büros in Ost-Europa den China-Desk.
Dass es chinesische Betriebe vor allem nach Ungarn zieht, ist kein Zufall. Im Vorjahr betrugen die chinesischen Direktinvestitionen dort 4,3 Milliarden US-Dollar. Das ist um ein Vielfaches mehr als in allen anderen EU-Ländern. Und als Chinas Präsident Xi Jinping im Mai seine Europareise in Paris antrat, reiste er prompt weiter nach Budapest. Die Message war eindeutig: Ungarn ist unser Freund – wirtschaftlich wie politisch. Das Interesse chinesischer Betriebe hat aber nicht nur mit den geplanten Ausgleichszöllen zu tun. Es geht auch um Geld und Macht – wirtschaftliche wie geopolitische.
Die Lieferrouten ändern sich. Über 30 heimische Zulieferbetriebe waren bei der sogenannten Supplier-Konferenz von BYD Ende Juli eingeladen. Und die könnten ihre Mikrochips, Stahlkomponenten und Karosserieteile statt ins Auto-Mekka Stuttgart schon bald nach Szeged liefern.