Corona-Einkäufe: Die 138-Millionen-Euro-Liste
Es war eine echte Notmaßnahme: Als sich im März 2020 die Coronakrise immer rascher auf immer mehr Länder ausdehnte, wurde schlagartig klar, dass es sehr schwierig sein würde, den plötzlichen Bedarf an Schutzausrüstung zu decken. Einerseits kam es ob der großen Nachfrage zu Lieferengpässen. Andererseits machte sich ein gewisses Raubrittertum breit, bei dem findige Anbieter versuchten, mit mangelhafter Ware Geld zu verdienen.
Auch Österreich setzte in der Eile übliche Beschaffungsmechanismen und Ausschreibungsvorgaben außer Kraft, die eigentlich dafür sorgen sollen, dass achtsam mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen wird. Dies mag in einer solchen Ausnahmesituation argumentierbar sein. Umso wichtiger wäre es freilich, dass die Notbeschaffungen transparent und umfassend nachvollziehbar erfolgen. Bis dato herrschte im Amtsgeheimnisland Österreich in dieser Hinsicht allerdings Fehlanzeige.
Nun liegt profil exklusiv die Liste jener Einkäufe vor, die über den Hauptkanal der staatlichen Coronavirus-Beschaffung abgewickelt wurden – nämlich über das Rote Kreuz. Die Rechercheergebnisse zu Produkten, Bestellzeitpunkten und Liefermengen decken sich mit Daten, die profil letztlich vom Wirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt wurden – mit einer Ausnahme: Ausgerechnet zu den Preisen macht das Ministerium keine Angaben. profil hat deshalb auch bei den einzelnen Lieferanten nachgefragt. Die jeweilige Auftragshöhe wurde – sofern die Unternehmen antworteten – dabei nicht bestritten.
Was gleich ins Auge sticht: Mit rund 43,1 Millionen ging ein knappes Drittel des gesamten Bestellvolumens von 138 Millionen Euro an einen einzigen Anbieter: das Unternehmen Oberalp, einen Bergsportartikelhändler mit Hauptsitz in Südtirol und – unter anderem – einer Dependence in Salzburg. Bereits vor einigen Wochen gab es Wirbel, als Schutzmasken aus China, die Oberalp organisiert hatte, nicht dem erwarteten Standard entsprochen haben sollen.
Möglicherweise ist das Beschaffungsvolumen bezüglich Oberalp noch nicht in Stein gemeißelt. Dem Vernehmen nach war die Angelegenheit bis zuletzt nicht abgeschlossen. Es geht um viel: Den Ministeriumsdaten zufolge, die einen Stand von Ende Mai repräsentieren dürften, stehen in diesen Tagen mehr als 18 Millionen Masken von Oberalp zur Lieferung an. Das Unternehmen ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Insgesamt waren bis Ende Mai Lieferungen für rund 44 Millionen Euro erfolgt. Bestellt, aber noch nicht geliefert waren Waren im Ausmaß von 93,9 Millionen Euro. Als spätester erwarteter Lieferzeitpunkt ist in der Liste übrigens der 28. Dezember 2020 zu finden.
Bestellt – und teilweise bereits geliefert – wurden unter anderem 101 Millionen Masken für insgesamt 87,6 Millionen Euro, 88 Millionen Handschuhe für 4,2 Millionen Euro, sonstige Schutzkleidung für 25,9 Millionen Euro, 685 Beatmungsgeräte für 9,9 Millionen Euro und Virustests für 9,1 Millionen Euro. Insgesamt umfasst die Liste 209 Beschaffungsvorgänge.
Unter den 29 verschiedenen Lieferanten findet sich eine Reihe etablierter Produzenten bzw. Medizintechnikhändler. Aber nicht nur: Ins Auge sticht unter anderem, dass die Austrian Airlines dem Roten Kreuz im März 6000 Atemschutzmasken um knapp 35.000 Euro verkauft haben – nicht unbedingt ihr Kerngeschäft. Man habe ein gut gefülltes Lager zum Schutz der eigenen Mitarbeiter gehabt und angeboten, die Masken dort einzusetzen, wo sie damals dringender gebraucht wurden, etwa im Gesundheitswesen, heißt es auf Anfrage. Gewinn habe die AUA damit keinen gemacht, da der Verkauf zum aktuellen Tagespreis erfolgt sei und man selbst ebenfalls zum Tagespreis nachbestellt habe.
Der Kranhersteller Palfinger wiederum lieferte dem Roten Kreuz 220.000 FFP2-Atemschutzmasken für rund 386.000 Euro. „Zur Abdeckung und Sicherung unseres mit 11.000 Mitarbeitern weltweit hohen Eigenbedarfs haben wir auf unsere Partner und unser Netzwerk in China zurückgegriffen. Und wir haben angesichts des allgemein dringenden Bedarfs an Masken diese Möglichkeit genutzt, als Unternehmen einen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft zu leisten“, teilt Palfinger auf Anfrage mit. Das Angebot sei zum Selbstkostenpreis – Einkaufspreis inklusive Transport und Zoll – erfolgt.
Der Beschaffungsmechanismus, bei dem das Rote Kreuz in Abstimmung mit der Republik kauft und die Republik bezahlt, läuft Schritt für Schritt aus, da die Dringlichkeit nicht mehr in der ursprünglichen Form gegeben ist. In Zukunft sollen sich die heimischen Gesundheitsdienstleister über die Bundesbeschaffungsagentur eindecken können.
Seitens des Wirtschaftsministeriums zieht man auf profil-Anfrage Bilanz: „Es wurde ein möglichst unbürokratischer und rasch umzusetzender Prozess aufgesetzt“, heißt es in einer Stellungnahme. Das Rote Kreuz sei „aufgrund internationaler einschlägiger Kontakte ein kompetenter Partner für die Beschaffung und Verbreitung von Erste-Hilfe-Materialien und von in Österreich dringend nachgefragten medizinischen Produkten“. Es verfüge über die Marktkenntnis sowie über das notwendige Spezialwissen, das zur Sicherstellung der umgehenden Beschaffung erforderlich sei. „Die Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz hat sich als sehr gut erwiesen. Drohende Versorgungsengpässe konnten rasch abgewendet werden.“
„Oberste Prämisse war, ausreichend Ausrüstung für den Gesundheitsbereich zu beschaffen, und zwar in einem möglichst kurzen Zeitraum“, hält man seitens des Roten Kreuzes fest. Da Schutzausrüstung auf dem Weltmarkt ein knappes Gut gewesen sei, habe man auch Waren bestellen müssen, die nicht nach europäischen Standards zertifiziert waren. „Diese wurden und werden von zertifizierten Prüfstellen überprüft.“ Insgesamt habe das Rote Kreuz rund 2500 Angebote erhalten, „darunter zahlreiche unseriöse“. Die Angebote seien vorselektiert und „hinsichtlich verfügbarer Mengen, Preis und Zahlungsbedingungen, Lieferfähigkeit, Zertifizierung und Qualität geprüft“ worden. „Die jeweils besten Angebote wurden dem BMSGPK (Gesundheitsministerium, Anm.) zur Freigabe vorgelegt. Nach der Freigabe erfolgte die Bestellung.“ Das Rote Kreuz erklärt, man habe auch mit den Sicherheitsbehörden und mit Interpol zusammengearbeitet, um betrügerische Angebote auszuschließen. „Die große Herausforderung für die Logistikexperten war es, in diesem Spannungsverhältnis unter Zeitdruck die besten Angebote zu identifizieren und den finanziellen Aufwand für die Republik so gering wie möglich zu halten.“