Corona-Krise: 230 Millionen Euro für Schutzausrüstung
Als der Lockdown nahte, reichte man Antipasti und Süßes. 456,19 Euro machte das Catering aus, welches das Bundeskanzleramt am 12. März 2020 für zwanzig Personen organisierte – das zeigen vorliegende Coronakrisen-Beschaffungsdaten der Regierungszentrale am Ballhausplatz. Am Abend jenes schicksalsschweren Donnerstags deutete Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dann im Fernsehen erstmals die weitreichenden Maßnahmen zur Krisenbekämpfung an: „Unser Ziel ist es, dass spätestens ab Montag das soziale gesellschaftliche Leben in Österreich auf ein absolutes Minimum reduziert ist.“ So sollte es bekanntlich dann auch kommen. Doch auf ein Minimum reduziert wurde nicht nur das Zusammenleben.
Was in der heißen Phase der Covid-Krise ebenfalls auf der Strecke blieb, war Transparenz beim Umgang mit Steuergeld – konkret bei der Beschaffung von Schutzausrüstung und anderer eilig benötigter Dinge durch die öffentliche Hand. Auch in Österreich wurden in der Notsituation übliche Beschaffungsmechanismen und Ausschreibungspflichten außer Kraft gesetzt. Nun ist es Zeit, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Unter Leitung des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) – einer internationalen Investigativplattform – haben sich Medienpartner in 37 Ländern monatelang mit den Corona-Beschaffungen ihrer jeweiligen Staaten auseinandergesetzt. In Österreich ist profil an der Kooperation beteiligt.
Auch wenn viele Daten – oft wegen Auskunftsverweigerung durch die Behörden – weiterhin nicht verfügbar sind, konnten die Journalisten Auftragsvergaben im Umfang von insgesamt gut 20 Milliarden Euro sammeln und in einer Datenbank zusammenführen. Darin finden sich nun Informationen zu mehr als 37.000 einzelnen Beschaffungsmaßnahmen in der Corona-Krise. Zwar handelt es sich vermutlich nur um einen Bruchteil des Gesamtausmaßes. Dennoch gestattet das Projekt einen einzigartigen Blick in eine Phase, in der Geld pandemiebedingt bedingt praktisch keine Rolle spielte – und Transparenz umso nötiger gewesen wäre.
Die Shopping-Liste Österreichs
Kaum war das süße Catering im Kanzleramt am Gaumen zerronnen, setzte in Österreich das staatliche Corona-Shopping im ganz großen Stil ein. In der Woche vom 12. bis zum 19. März 2020 wurden – wie auf Basis der vorliegenden Daten erkennbar ist – Verträge über mehr als 50 Millionen Euro geschlossen. In der Woche darauf waren es sogar mehr als 80 Millionen Euro. Für März finden sich in der Datenbank Beschaffungsvorgänge von insgesamt rund 150 Millionen Euro. Im April 2020 waren es dann weitere gut 130 Millionen Euro an Vergaben und Bestellungen.
Schutzausrüstung für 230 Millionen Euro
Allein für Schutzausrüstung im engeren Sinne wurden zwischen Ende Februar und Mitte September 2020 insgesamt 230 Millionen Euro ausgegeben: darunter Masken im Wert von rund 125 Millionen Euro, Schutzoveralls für knapp 30 Millionen Euro, Handschuhe für mehr als 15 Millionen Euro und Schutzbrillen für rund fünf Millionen Euro.
Darüber hinaus wurden Covid-19-Tests für mehr als 20 Millionen Euro angeschafft, Beatmungsgeräte für 17 Millionen Euro, Desinfektionsmittel für acht Millionen Euro. Unter Einrechnung sonstiger Einkäufe und Maßnahmen wie etwa die Errichtung von Notspitälern kommt am auf einen Corona-Auftragswert in einer Höhe von rund 300 Millionen Euro.
Insgesamt umfasst die vorliegende Österreich-Liste knapp 1.300 Auftragsvergaben. Das Spektrum reicht von 1,90 Euro für zwei Packungen Desinfektionstücher, die das Landwirtschaftsministerium in einem Drogeriemarkt per „Handeinkauf“ erwarb, bis hin zu einem 25 Millionen Euro schweren Schutzmasken-Auftrag.
Mit Abstand größter Käufer auf Seiten der öffentlichen Hand war – soweit aus den vorliegenden Daten ersichtlich – das Rote Kreuz, das in der ersten Phase der Pandemie die Beschaffung von Schutzausrüstung für die Republik abwickelte. Wie profil bereits im Juni berichtete, liefen alleine über diese Schiene rund 138 Millionen Euro – und zwar nicht immer ganz problemlos.
Laptops, Handys, Software-Lizenzen
Daten zu den Beschaffungen, die einzelne Ministerien für sich selbst durchgeführt haben, ergeben sich unter anderem aus einer Serie von parlamentarischen Anfragen der NEOS, die Anfang Juli von den Ressorts – mehr oder weniger – beantwortet wurden. Dem damaligen Stand zufolge dürften sich die Corona-Einkäufe größerer Ressorts im knapp zweistelligen Millionenbereich, die kleinerer Ministerien teils deutlich unter einer Millionen Euro bewegt haben. Dabei handelt es sich nicht nur um Schutzausrüstung. Der Verwaltungsapparat rüstete sich auch sehr bald für die Homeoffice und Videokonferenzen. Gekauft wurden jede Menge Laptops, Handys und Software-Lizenzen.
Was den medizinischen Bereich betrifft, zeigt die nunmehrige Auswertung die bedeutende Rolle einiger Landeskrankenanstaltenbetreiber bei der Corona-Beschaffung: Die NÖ Landesgesundheitsagentur scheint mit vergebenen Aufträgen über knapp 50 Millionen Euro in den Daten auf, die Oberösterreichische Gesundheitsholding mit mehr als 17 Millionen Euro und der Wiener Gesundheitsverbund mit gut zwölf Millionen Euro. Andere Krankenhausbetreiber liegen bei etwa acht Millionen Euro – einige finden sich jedoch gar nicht auf der Liste, was nicht bedeutet, dass sie keine Beschaffungen getätigt haben.
Das große Schweigen
Erneut sei betont, dass es sich bei all diesen Zahlen um keine Gesamtbetrachtung handelt. Dies hängt mit einem grundsätzlichen Transparenzproblem zusammen: Die vorliegenden Daten zu Ministerien, Bundesländern und Landesspitalsbetreibern stammen zu einem großen Teil aus allgemein zugänglichen Vergabeplattformen. Wer dort nicht einmeldet, entzieht sich der öffentlichen Kontrolle. Wer dies erst Monate später tut, verhindert ebenfalls unmittelbare Transparenz. Litauen zum Beispiel hat es geschafft, bereits in den ersten Monaten der Pandemie die staatlichen Beschaffungsvorgänge gesammelt und zeitnah im Internet zu veröffentlichen. Österreich hinkt diesbezüglich weit hinterher.
profil hat in der ersten Jahreshälfte sämtliche Ministerien, Landesregierungen und Landeskrankenhausbetreiber kontaktiert und um Übermittlung ihrer Corona-Beschaffungsdaten gebeten. Einige wenige Adressaten schickten tatsächlich brauchbare Informationen. Mit den meisten entspann sich jedoch ein – teilweise wochenlang dauerndes – argumentatives Im-Kreis-Drehen, ohne nennenswertes Ergebnis.
Zu privat
Die Burgenländische Krankenanstalten-Gesellschaft KRAGES etwa, erklärte, man halte sich „an das Prinzip, Daten der angefragten Art nicht an andere private Unternehmen weiter zu geben – aus Gründen vertraglicher Bindungen, vertraulicher Geschäftsinformationen sowie des Datenschutzes“. Mit „andere private Unternehmen“ war offenbar profil gemeint. Auf Nachhaken, ob die Anfrage beantwortet würde, falls sie vom – nicht privaten – ORF käme, teilte der Pressesprecher mit: „Was die letzte Frage betrifft: Diese würde ich dem ORF direkt beantworten, wenn er mich entsprechend fragen würde.“
Österreichische Verwaltungsverschwiegenheit in Reinkultur legte auch das Verteidigungsministerium an den Tag. Von dort kam bereits knapp zwei Stunden nach dem Anfrage-Mail folgende Nachricht retour: „Würden wir Ihre Anfrage in der gewünschten Form und im vollen Umfang beantworten, wären mehrere Personen einige Wochen mit nichts anderem beschäftigt. Ich ersuche Sie daher um Ihr Verständnis, dass dies leider nicht möglich ist.“ Auf den Hinweis von profil, dass andere Ministerien bereits damals Beschaffungsvorgänge in allgemein zugänglichen Datenbanken veröffentlichten, schickte das Verteidigungsressort einen Link und folgenden Hinweis: „Was Sie als Beispiel von anderen Ministerien anführen, ist natürlich auch auf unserer Homepage abrufbar.“ War es aber nicht. Dort fanden sich zwar Ausschreibungstexte, aber eben keine Zuschlagserteilungen.
Geheimsache Einweghandschuh
Auf neuerliche Nachfrage folgte dann erstmals das Killerargument „militärische Geheimhaltung“: „Es ist nicht in unserem Interesse, dass öffentlich bekannt wird, wie viel Munition von welchem Kaliber wir wann gekauft haben; um nur ein Beispiel zu nennen.“ Dieses Argument des Ministeriums schien aufklärungsbedürftig, weshalb profil die Anfrage aufrecht hielt und unter anderem um die Frage ergänzte, ob das Verteidigungsministerium im Zuge der Coronavirus-Krise Munition beschafft habe. Darauf hieß es dann letztlich: „Es gibt zu Ihrer Anfrage eine parlamentarische Anfrage, der ich in der Beantwortung leider nicht vorgreifen kann.“
Die Antwort ans Parlament ist mittlerweile da. Doch wer erwarten würde, dass daraus hervorgeht, bei wem und für wie viel Steuergeld das Verteidigungsressort Einmalhandschuhe, Atemschutzmasken, Schutzbrillen und Desinfektionsmittel beschafft hat, irrt. Der Grund? „Geheimhaltung im Interesse der umfassenden Landesverteidigung“. Was wohl der Feind aus dem Preis der österreichischen Einmalhandschuhe schließen könnte?
Wild-West-Mentalität
Das sind zwei Extrembeispiele, die sich in verschiedenen Variationen und Ausprägungen im Rahmen der aktuellen Recherche vielfach wiederholt haben. Positive Ausnahmen gab es, lassen sich jedoch an einer Hand abzählen. Warum die Intransparenz ein Problem ist, zeigt einerseits die internationale Recherche: Gerade in der Krisensituation herrschte im Bereich der Schutzausrüstung am Markt eine Wild-West-Mentalität zulasten der europäischen Steuerzahler. Die Preise für Atemschutzmasken bewegten sich zum Beispiel von zwanzig Cent bis zu 37 Euro – pro Maske.
Doch auch in Österreich taten sich Probleme auf: So ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien bis heute in Zusammenhang mit zwei Pop-up-Schutzmaskengeschäften in Wien nach einer Anzeige des Magistrats wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug. Masken sollen demnach nicht ausreichend zertifiziert gewesen sein. Abnehmer sollen jedoch auch staatliche Stellen gewesen sein.
In Oberösterreich wiederum regte sich politischer Unmut, weil die dortige Gesundheitsholding Schutzausrüstung für mehrere Millionen Euro von der Firma eines ÖVP-nahen Kommunikationsberaters bezogen hatte. Der Mann bietet neben „Handel mit Waren aller Art“ auch politische Beratung und Wahlkampfmanagement an. Kürzlich erhielt das Unternehmen übrigens – gemeinsam mit einer Reihe anderer Anbieter – den Zuschlag für eine insgesamt 139 Millionen Euro schwere Rahmenvereinbarung der Bundesbeschaffung GmbH (BBG) für Schutzbekleidung und Schutzausrüstung. Ebenso zum Zug kam die Firma bei einer BBG-Rahmenvereinbarung für medizinische Einmalhandschuhe über insgesamt 54 Millionen Euro – wobei auch hier mehrere Unternehmen den Zuschlag erhielten. Diese Rahmenverträge, aus denen öffentliche Stellen gegebenenfalls Leistungen abrufen können, sollen die frühere Einkaufsschiene über das Rote Kreuz ersetzen.
Hier geht es zur Datenbank
Transparenz ist der Schlüssel zur Kontrolle von Verwaltung und Politik, wenn es um das Geld der Steuerzahler geht. OCCRP stellt im Rahmen des Rechercheverbundes daher einen Zwischenstand der Datenauswertung zu den Corona-Beschaffungen online.