Der Vorstandsvorsitzende der Vamed AG, Ernst Wastler, 2018

Corona-Krise: Wie die VAMED Auftragnehmer am Bau unter Druck setzt

profil vorliegende E-Mails zeigen: Der AKH-Technikbetreiber drohte Firmen, die ihre Arbeiter von Baustellen abzogen, negative Konsequenzen an.

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Österreich Baugewerbe ist einigen Tagen in einer verzwickten Rolle. Einerseits lassen die seit 16. März geltenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens die Weiterführung von Baustellen zu – wenn auch unter Auflagen, unter anderem die Einhaltung des Sicherheitsabstands und der Hygienevorschriften. Andererseits ist der völlige Schutz vor einer Virus-Übertragung auf Baustellen mit viel Arbeitsteilung, engen Baucontainern und gemeinsamen Sanitäreinrichtungen beziehungsweise bei Personentransporten in Firmenbussen nur schwer zu garantieren.

Während Schwergewichte wie Strabag und Porr ihre Baustellen mittlerweile von sich aus geschlossen haben, sind kleinere Baufirmen und hier vor allem das Baunebengewerbe (Maler, Fliesenleger, Dachdecker, Glaser, Spengler) in ihren Entscheidungen nicht ganz so frei. Am Wochenende zitierte die Austria Presseagentur den Chef der Gewerkschaft Bau-Holz Josef Muchitsch mit der Feststellung, dass Bauherren „Firmen dazu zwingen“ würden, weiter zu arbeiten. Muchitsch schätzt, dass von den rund 94.000 Beschäftigten in der Bauwirtschaft derzeit noch etwa die Hälfte auf Baustellen eingesetzt wird. Er fordert einen generellen Baustopp, die Sozialpartner verhandeln, bisher ohne Lösung. Gegenüber dem „Kurier“ sagte der Gewerkschafter gestern: „Mein Vorschlag ist, es braucht eine Baustellen-Verordnung, die klar regelt, wann ist es zumutbar weiter zu arbeiten und wann nicht. Dort, wo es nicht mehr zumutbar ist, müssen die Firmen aus der Haftung befreit werden und nicht bei Einstellung der Arbeiten mit Pönale- und Schadenersatzansprüche zugepflastert werden. Die erhalten derzeit Rechtsanwaltsschreiben, wodurch sie gezwungen werden weiter zu arbeiten.“

profil hat einen Fall recherchiert, der diese Aussagen untermauert. Im Zentrum steht die international tätige österreichische VAMED-Gruppe, die sich auf die Planung, Errichtung und das Management von Gesundheitseinrichtungen (Spitäler, Rehazentren, Pflegeheime) spezialisiert hat.

Die VAMED betreibt in Österreich mehrere Krankenhäuser. Im größten, dem Wiener AKH, hat sie die technische Betriebsführung über. Auf dem Spitalsgelände wird im Auftrag der Konzerntochter VAMED Standortentwicklung und Engineering GmbH seit einiger Zeit an mehreren Ecken gebaut, so wird unter anderem die Großküche erneuert, die Kinder- und Jugendpsychiatrie um- beziehungsweise ausgebaut. Beide Projekte waren vor Ausbruch der Corona-Krise bereits in der Endphase, der Innenausbau lief. Und eben diese Baustellen sorgten vor wenigen Tagen für aufgeregte Korrespondenz zwischen dem Bauherren VAMED und Auftragnehmern.

profil liegen E-Mails vor, die belegen, dass die VAMED diese Baustellen entgegen der Empfehlungen eines Sicherheitsberaters und des Arbeitsinspektorats nicht schließen wollte und will – mehr noch: dass die VAMED Firmen, die ihre Arbeiter bereits abgezogen hatten, unangenehme Konsequenzen androhte.

„Maximale Vorkehrungen“

Am Montag, den 16. März, um 9.34 Uhr, verschickte die VAMED-Bauaufsicht ein E-Mail an mehrere Empfänger in- und außerhalb des Hauses (tags zuvor hatte die Bundesregierung den Lockdown bekanntgegeben). Die Empfänger erfuhren, dass die Baustelle Großküche „NICHT eingestellt“ sei, es könne unter Berücksichtigung der Vorgaben und Informationen der Bundesregierung weiterhin gearbeitet werden. Die Gewerke müssten allerdings „in Eigenverantwortung maximale Vorkehrungen“ treffen.

Kurz darauf meldete sich einer der Adressaten, ein von der VAMED beigezogener externer Sicherheitsberater. Er machte unter Hinweis auf ein Gespräch mit dem Arbeitsinspektorat Bedenken geltend: Das Arbeitsinspektorat gehe davon aus, „dass der von der Bundesregierung empfohlene Sicherheitsabstand bei der Durchführung von Bauarbeiten nicht eingehalten werden kann und empfiehlt daher, die Baustellen einzustellen. Ich kann mich dieser Empfehlung nur anschließen, da die Kontrolle der Einhaltung der Hygienevorschriften sicher eine große Herausforderung darstellt.“

Antwort der VAMED-Bauaufsicht um 12.01 Uhr: „Wir nehmen Ihre Empfehlung zur Kenntnis und werden diese entsprechend weiterleiten.“ Bis zu etwaigen anderslautenden „übergeordneten Entscheidungen“ bleibe alles wie gehabt: „Die Baustelle ist NICHT eingestellt.“ Um 12.59 Uhr schickte der VAMED-Gesamtbauleiter seinerseits ein E-Mail auf den Weg. Es handelte sich um eine Auflistung von insgesamt rund einem Dutzend Firmen, welche die Arbeiten an der AKH-Baustelle „Kinder- und Jugendpsychiatrie“ einseitig zurückgefahren oder überhaupt eingestellt hatten: Maler, Estrich- und Fliesenleger, Dachdecker, Elektriker und Spengler.

„Leistungsstörung im Bauablauf“

Am nächsten Tag um 10.24 Uhr erhielten die Auftragnehmer böse Post von der VAMED. „Es gibt zur Zeit keinen Baustopp auf der Baustelle, schrieb der Gesamtbauleiter, die Arbeiten seien seitens der Örtlichen Bauaufsicht „nicht eingestellt“ worden: „Sie haben durch Ihre Einstellung der Arbeiten eine Leistungsstörung im Bauablauf verursacht, wir fordern sie daher auf, uns bekanntzugeben, wann Sie gedenken, Ihre Arbeiten wieder aufzunehmen.“ (Anm.: Wir haben die Rechtschreibfehler aus dem Original nicht übernommen, siehe Faksimile). Der Projektleiter ging noch weiter: „Unter Hinweis auf Ihre Vertragspflicht fordern wir Sie auf, auf Ihre eigenen Kosten, allenfalls unter Einleitung von Forcierungsmaßnahmen, die Leistung termingerecht fertigzustellen. Wir weisen darauf hin, dass wir bei Nichteinhaltung des Termins uns das Recht auf einen (Teil-)Rücktritt vom Vertrag ausdrücklich vorbehalten. Wir sind sodann nicht nur berechtigt, die Leistung in Ersatzvornahme fertigstellen zu lassen, sondern Ihr Unternehmen auch mit den Kosten sowie sämtlichen weiteren Nachteilen zu belasten.“

Die in Aussicht gestellten Konsequenzen wirken umso zynischer, als die Projektleitung in eigener Sache sehr viel milder war. Während die Auftragnehmer aufgefordert wurden, ihre Arbeiter zurück ins Feld zu schicken, verordneten die VAMED-Manager sich die Isolation: „Die wöchentliche Baubesprechung findet nur im dringenden Bedarfsfall statt“, heißt es in einem der E-Mails. „Einzelne Punkte zur Klärung sind möglichst in Einzelgesprächen oder auf telefonischem Wege mit den Beteiligten abzuklären.“

Was sagt die VAMED-Geschäftsleitung dazu? Auf profil-Anfrage betont Konzernsprecher Ludwig Bichler, dass das AKH nun einmal in seiner Gesamtheit Teil der „kritischen Infrastruktur“ sei, weshalb die VAMED größtes Interesse habe, die Baustellen fertigzustellen. „Wir von der VAMED sind wirklich bemüht und insbesondere unsere vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im AKH, die dort täglich und rund um die Uhr dieses Krankenhaus nicht nur technisch verfügbar halten – also den Betrieb ermöglichen – , sondern eben auch mit allen Partnern versuchen, die Projekte unter den aktuellen schwierigen Bedingungen voranzubringen. Der Umgangston im Baustellenbereich ist dabei rauer und das ist gerade auch jetzt nachvollziehbar bei den aktuellen Bedingungen, die uns alle und jeden einzelnen besonders fordern.“

Stand gestern Nachmittag wurde im AKH weiterhin gebaut, wobei laut Bichler ohnehin nur Arbeiten erbracht werden, welche die Einhaltung des Sicherheitsabstands erlauben.

Abgesehen davon lassen sich nicht alle Probleme mit der Androhung von Nachteilen lösen. Am 16. März informierte der für die Montage der AKH-Großküche zuständige niederösterreichische Lieferant die VAMED über drohende unverschuldete Lieferverzögerungen, weil der Nachschub an Produkten und Bauteilen etwa aus Italien ausbleibe. Auch die Küchenmonteure schienen da schon keine Lust mehr auf Baustellenbesuche gehabt zu haben: „Selbstverständlich sind alle unsere Mitarbeiter auch angehalten, persönliche Kontakte zu minimieren und die hygienischen Maßnahmen auch einzuhalten. Daher werden unsere Mitarbeiter keine Baustellen mehr betreten, bis sich diese missliche Lage beruhigt hat.“

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.