Corona-Masken: Wie Europa zur leichten Beute wurde
Sie witterten das schnelle Geschäft, doch dann mussten sie unliebsame Bekanntschaft mit der Polizei machen. Am helllichten Tag und mit bemerkenswerter Mannstärke filzten die Ermittlungsbehörden Anfang Juni zwei Pop-up-Stores für Corona-Schutzmasken in bester Wiener Lage. Dutzende Schachteln mit Masken wurden beschlagnahmt. Wie eipron Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien nun auf „profil“-Anfrage mitteilte, wurden in der Zwischenzeit Gutachten beauftragt. Experten sollen Klarheit schaffen, was die Qualität der zum Verkauf gedachten Masken betrifft.
Der Hauptvorwurf: In den Shops sollen Masken ohne die in Europa notwendigen Prüfzertifikate vertrieben worden sein. Ermittelt wird gegen zwei Personen wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen schweren Betrug – die Plattform „Addendum“ berichtete ausführlich über die Angelegenheit. Diese ist jedoch bei weitem kein Einzelfall: Zahlreiche europäische Länder waren zum Höhepunkt der Coronavirus-Krise, als Schutzausrüstung am dringendsten benötigt wurde, mit dubiosen Anbietern konfrontiert. Eine internationale Recherchekooperation unter der Leitung des „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP), an der auch profil beteiligt ist, lässt erstmals das Ausmaß erahnen.
Die Südtirol-Connection
Wer erinnert sich nicht daran, als nach dem Corona-Lockdown die sehnlich erwarteten ersten AUA-Flugzeuge mit Lieferungen aus China in Wien-Schwechat landeten? Die Schutzausrüstung war Großteils für Südtirol bestimmt, ein Teil verblieb jedoch in Österreich. Und es dauerte nicht lange, bis sich Qualitätsprobleme bei den gelieferten Schutzmasken zeigen sollten – profil berichtete.
In Italien beschäftigt diese Angelegenheit bis heute die Justiz: Juristisch geht es um den Vorwurf, dass Sanitätsartikel, die nicht für die EU zertifiziert waren, importiert und in Umlauf gebracht worden seien. Vorermittlungen wurden unter anderem gegen den Chef des Bergsportartikelhändlers Oberalp gestartet. Oberalp hatte an der Beschaffung der Masken mitgewirkt. Seitens des Unternehmens werden auf „profil“-Anfrage jedoch alle Vorwürfe bestritten: Man habe keine Schutzausrüstung importiert, sondern nur vermittelt und vorfinanziert - dies in einem „Hilfsprojekt“ im Rahmen einer „absoluten Notlage“. Der Import sei durch die jeweiligen Kunden erfolgt.
Umbestellung beim Roten Kreuz
Einer der Abnehmer war auch das Österreichische Rote Kreuz, das in der Coronavirus-Krise als Haupt-Beschaffungskanal für die österreichische Bundesregierung fungierte. Wie profil berichtete, beläuft sich das gesamte Bestellvolumen dieser Notbeschaffungen auf insgesamt 138 Millionen Euro. Mit 43,1 Millionen Euro ging ein knappes Drittel davon an Oberalp.
Diesbezüglich wurde nun umbestellt: Ein Sprecher des Roten Kreuzes teilte auf profil-Anfrage mit, dass die Bestellung bei Oberalp in der Zwischenzeit „entsprechend des aktuellen Bedarfs“ geändert worden sei. Demnach wurden nun zehn Millionen Schutzmasken und 370.000 Schutzanzüge geordert. Laut einer „profil“ vorliegenden Liste von Ende Mai waren zum damaligen Zeitpunkt noch rund 18 Millionen Schutzmasken und etwa 140.000 Overalls ausständig gewesen. Offenbar wurden die diesbezüglichen Mengen umgeschichtet, das Rote Kreuz erwartet die letzte Oberalp-Lieferung Ende Juli. Seitens Oberalp wird betont, man sei allen Verpflichtungen nachgekommen.
Minderwertige Masken
Wie hoch war – über alle Lieferanten des Roten Kreuzes hinweg – der Anteil an Schutzmasken, die nicht den vereinbarten Qualitätsstandards entsprochen haben? Zu einem frühen Zeitpunkt der Krise, als Schutzsrüstung in Österreich auszugehen drohte, habe man in einem einzelnen Fall bestellte Ware trotz niedriger festgestellter Schutzklasse erworben, teil ein Sprecher mit: „Dabei handelte es sich um eine Bestellung über 1,7 Millionen Atemschutzmasken. Eine Prüfung ergab, dass rund 250.000 Stück der bestellten Schutzklasse FFP2 entsprachen.“ Der große Rest nicht – auch dieser Teil der Bestellung sei jedoch nicht storniert, sondern zu einem reduzierten Preis erworben worden, um die Masken als Mund-Nasen-Schutz zu verwenden. Ansonsten habe man vor der Bestellung von Ware, die kein Europa-konformes CE-Zertifikat aufwies, Muster testen lassen, heißt es seitens des Roten Kreuzes: „Bei den rund 2.500 Angeboten, die das Rote Kreuz erhalten hat, waren zahlreiche dabei, die über keine geeigneten Zertifikate verfügten.“
Ähnliche Erfahrungen hat Herwig Wetzlinger, für den Einkauf zuständiger Direktor des Wiener Gesundheitsverbunds, gemacht: Zum Höhepunkt der Coronavirus-Krise seien zahlreiche Anbieter, aber auch potenzielle Sponsoren an den Gesundheitsverbund, der unter anderem die Corona-Beschaffungen für Wien und einige Bereiche im Burgenland managt, herangetreten. Es sei ein großer Aufwand gewesen, diese Angebote zu überprüfen, erzählt Wetzlinger. Letztlich sei jedoch nur ein kleiner Teil der angebotenen Masken wirklich einsetzbar gewesen. Der Großteil sei nämlich nicht entsprechend zertifiziert gewesen.
„Raubritter“ in Shanghai
Dem Gesundheitsverbund ist es laut Wetzlinger gelungen, ohne Zwischenhändler direkt mit großen chinesischen Herstellern ins Geschäft zu kommen. Die Finanzierung und die Vor-Ort-Kontrolle läuft dabei über die staatliche chinesische ICBC-Bank, die auch in Österreich eine Niederlassung hat. Ohne dieser Vor-Ort-Kontrolle hätte der Gesundheitsverbund vermutlich ein blaues Wunder erlebt: In einem Fall lag eine große Menge an Schutzmasken bereits transportbereit in einem Lager am Flughafen Shanghai. Dann verzögerte sich der Abflug, und der Produzent holte die Ware aus dem Lager zurück. Dabei stellte sich heraus, dass die Hälfte der Masken gegen solche mit nicht gültigen Zertifikaten ausgetauscht worden war. „Wir wissen nicht, wer dafür verantwortlich ist“, sagt Wetzlinger: „Wir vermuten, dass im Lager Raubrittertum herrschte.“ Da der Vorfall bereits in China bemerkt wurde, sei dem Gesundheitsverbund kein Schaden entstanden. Der Produzent habe die mangelhaften Masken auf seine Kosten gegen korrekt zertifizierte Ware austauschen müssen.
Um welche Größenordnungen es dabei geht, lassen folgende Zahlen erahnen: Die Finanzierung über die ICBC, in deren Rahmen die Bank über eine Darlehenskonstruktion für die notwendige Vorkasse bei den chinesischen Produzenten sorgt, beläuft sich laut Wetzlinger auf sieben bis zehn Millionen Euro. Alleine in den kommenden vier Wochen erwartet der Gesundheitsverbund Lieferungen von Schutzausrüstung im Wert von insgesamt rund acht Millionen Euro. Darunter sind etwa 450.000 Stück FFP2-Masken, 180.000 FFP3-Masken, 380.000 MNS-Masken und 20 Millionen Untersuchungshandschuhe.
Olaf ermittelt
Schutzausrüstung, die ohne das europäische CE-Zertifikat geliefert wird, ist eine Seite des Problems. Darüber hinaus gibt es jedoch zahlreiche Fälle in Europa, in denen gefälschte oder irreführende Zertifikate im Spiel gewesen sein sollen. Dies zeigt die OCCRP-Recherche. Gefunden wurde derartige irreführende Dokumentation in zumindest 19 Ländern. Ein Teil dieser Masken fiel bei Sicherheitstests durch. Auch in Österreich kamen Masken auf den Markt, die scheinbar mit einem Gütesiegel offizieller Zertifizierungsstellen versehen waren. Dabei waren diese Stellen jedoch gar nicht für die Zertifizierung von Schutzmasken zugelassen. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) hat in Bezug auf falsche beziehungsweise irreführende Zertifikate jedenfalls bereits Ermittlungen eingeleitet.
Unter anderem hat die OCCRP-Recherche Verbindungen zur Organisierten Kriminalität in Rumänien aufgezeigt. Ein chinesischer Händler, dessen Schutzausrüstung bei Abnehmern – auch solchen der öffentlichen Hand – in Litauen, Estland, Portugal und Malta gelandet ist, wird mittlerweile von den Behörden in seinem Heimatland gesucht. Im April wurde in den Niederlanden ein Mann festgenommen, der 15.000 fehlerhafte Masken mit gefälschten Zertifikaten an Gesundheitsdienstleister verkauft haben soll. Und unabhängige Tests in Schweden haben gezeigt, dass Masken mit gefälschten oder fragwürdigen Zertifikaten in mehr als der Hälfte der Fälle tatsächlich die geforderten Mindest-Qualitätsvoraussetzungen nicht erreichen.