Der Ferhat-Effekt: Was uns ein Dönerimbiss über die Wirtschaft erzählt
Vor drei Jahren eröffnete Ferhat Yildirim seinen Kebap-Imbiss "Ferhat Döner" auf der Wiener Favoritenstraße, seitdem reißt die Nachfrage nicht ab. Er zog ein Geschäftslokal weiter, expandierte, der Boom hält an. Doch nicht nur das, Ferhats Erfolg breitet sich auf der Straße aus. Ein Edeldöner nach dem anderen öffnet seine Pforten.
Nach jahrelangem Bäckereiensterben wurde vor einigen Jahren das gute Brot als Geschäftsmodell wieder entdeckt. Joseph, Öfferl und Motto Brot zeigten, dass es Leute gibt, die auch bereit sind, dafür zu bezahlen. Beim Kaffee verlief es so ähnlich. Aber geht das auch bei Kebap? Bisher endete das Gourmet-Phänomen sehr klar am Gürtel. Die Favoritenstraße ist nicht für ihre Kaufkraft bekannt, Gucci, Louis Vuitton und Hermes sind aus gutem Grund nicht hier. Stattdessen Nanu Nana, Handyshops und H&M. Was zeigt uns Ferhats Erfolg? Und was können wir daraus über die Wirtschaft lernen?
Qualität funktioniert – auch in Favoriten
„Als ich dieses Lokal hier gefunden habe, hat mir jeder gesagt, ich würde hier kein Geschäft machen. Es gibt hier im Bezirk 120 Dönerlokale, und damals haben sie Döner um zwei Euro inklusive Getränk verkauft. Jeder hat zu mir gesagt, der 10. Bezirk ist kein gutes Pflaster, auch mein Bruder und meine Frau. Ich hab mir gedacht, ich tu mein Bestes und es kommt, wie es kommen soll. Bei uns sagt man Kismet, Schicksal.“
Ferhat Yildirims Businessmodell ist eine Antithese zur klassischen Dönerindustrie. Ein Döner kostet bei ihm zwischen 5,60 und 10,80 Euro. Das Fleisch ist nicht vom fertigen Tiefkühlspieß, sondern vor Ort gewürzt und aufgeschichtet. Und sein Geschäftsmodell ging auf, die Menschen waren bereit, mehr zu zahlen. „Das setzt höhere Preisbereitschaft voraus,“ sagt Cordula Cerha von der Wirtschaftsuniversität. Bei Döner handelt es sich hier nicht um riesige Preissprünge, aber wer in nächster Umgebung zwischen Drei-Euro-Döner und Fünf- bis Zehn-Euro-Döner entscheiden kann, muss von dem besseren Produkt wirklich überzeugt sein.
Positivspirale
„Ferhat Döner“ hat aber nicht nur durch den ständigen Menschenauflauf vor der Hausnummer 94 seine Nachbarschaft geprägt. Vor drei Jahren war dieser Teil der Favoritenstraße am absteigenden Ast. Das traditionsreiche Modehaus „Tlapa“ war 2016 pleitegegangen, das große „Kleiderbauer“-Haus war eine Ruine, und der Kebap in der Gegend vor allem billig. Die zahlreichen Stände lieferten sich einen harten Preiskampf. Die Expansion des Edeldöners nach „Ferhat“-Art bringt der Einkaufsstraße nun aber eine neue Dynamik. „Der Leerstand nimmt ab“, sagt Hannes Lindner, Geschäftsführer der Beratungsagentur „Standort und Markt“. Die Kebap-Renaissance bringt mehr Laufkundschaft auch für die umliegenden Läden. Statt mittelständischer Modebetriebe herrscht in der Favoritenstraße heute der mittelständische Kebap.
Copy Cats
Ein paar Meter stadtauswärts ist das Restaurant „Közde Döner“, ein riesiges Ecklokal an der Gudrunstraße, gut gefüllt. Logo, Corporate Identity und Angebot (hausgemachte Fleischspieße, offenes Holzfeuer) erinnern stark an Herrn Yildirims Pionierlokal. Hinter „Közde Döner“ steht die türkischstämmige Unternehmerfamilie Ünal, die auch die Supermarktkette „Etsan“ betreibt. „Sie haben mehr Geld, viele Verwandte und eine gute Infrastruktur,“ grummelt Ferhat Yildirim. Auch die türkische Restaurantkette „Kent“ ist vor zwei Jahren in das markante Domenig-Haus (ehemalige Z-Sparkasse) gezogen und serviert dort qualitativ guten Döner; oben am Reumannplatz gibt es seit Kurzem auch noch „Adana“ – Markenkern: Bio-Fleisch, offenes Holzfeuer.
Keine Gentrifizierung
Vor einigen Monaten hieß dieses Lokal noch „Die Spießeria“. Im Sommer blieb das Restaurant am Anfang des Reumannplatz oft recht leer, nach einigen Monaten wurde es als „Adana“ neu eröffnet – mit etwas niedrigeren Preisen. Der Betreiber ist der gleiche geblieben: Kubilay Özkurt. Ein gebürtiger Istanbuler, der seit über 20 Jahren in der österreichischen Gastronomie arbeitet und ein Lokal am Kahlenberg betreibt.
„Ich hatte nie vor, türkische Küche zu machen“, erzählt er. Der Namenswechsel musste sein, es gab ein Problem mit dem Patentamt. „Und die Türken haben nicht gemerkt, dass es ein türkisches Lokal ist und sind deshalb nicht reingekommen. Manche Religiöse haben gedacht, es gibt hier Schweinefleisch.“
Die Balance sei wichtig, also die türkische Community ansprechen, aber eben nicht nur. Genauso wie Ferhat haben auch die anderen Edeldöner eine relativ diverse Kundschaft. Sie sind weder Community-Lokal noch Gentrifizierungsmerkmal. Nur bei Ferhat fallen die vielen offensichtlichen Touristen auf, die mit ihren Rollkoffern im Laden herumstehen. Der Hauptbahnhof ist nicht weit, und den Abstecher zum Dönerolymp wollen sich offenbar viele nicht entgehen lassen.
Dönerboom – Dönerbust?
Mit seinem Gourmet-Döner war Ferhat ein Pionier in Wien „Ich war mir nicht sicher, ob die Menschen hier auch teuren Kebap essen. Ob sie nicht Industriekebap zu gewöhnt sind.“ Im Gründungsjahr 2021 war er noch in den roten Zahlen und mit 27.000 Euro im Minus, 2022 bilanziert er mit über 200.000 Euro Gewinn. Im Vorjahr investierte er massiv, vergrößerte sein Lokal, hat jetzt 30 Mitarbeitende und wurde vom Imbiss zum Lokal mit Sitzplätzen.
Doch wie viel Edeldöner verträgt die Favoritenstraße? Ist die hungrige Nachfrage irgendwann gesättigt? Die Konkurrenz wächst, aber auch mit 123 Dönerlokalen: Bei Ferhat steht noch immer eine Schlange.