Deutsche Bank: Eine Schieflage mit Folgen
Wenn Journalisten besonders originell sein wollen, bemühen sie Sprachbilder aller Art. Ein Unternehmen in Schwierigkeiten zum Beispiel hat schnell einmal „Feuer auf dem Dach“, alternativ ziehen „dunkle Wolken“ auf, sowieso steht das Geschäftsmodell „auf tönernen Füßen“, das Management „mit dem Rücken zur Wand“, bisweilen auch „vor einem Scherbenhaufen“. Und erst die Bildsprache: Wolkentürme über der Unternehmenszentrale, Rauchsäulen, bröckelnde oder berstende Fassaden, lange Schatten – je nachdem. Was täten wir nur ohne Bildbearbeitungssoftware.
Die Zwillingstürme der Deutschen Bank in Frankfurt am Main waren zuletzt genau das: Symbole für den Niedergang des einst stolzesten Finanzhauses der Welt. In den vergangenen Wochen erschien kaum ein Bericht zur Lage der Bank, der die Anfang der 1980er-Jahre hochgezogenen Gebäude im Frankfurter Westend bei klarem Himmel gezeigt hätte. Oder unversehrt. Die Botschaft war ja stets dieselbe: Da braut sich ordentlich etwas zusammen.
Die Deutsche Bank AG, Gründungsjahr 1870, steckt in einer existenziellen Krise. Nicht die erste. Womöglich aber die letzte. 14 Milliarden Dollar – das ist jener Betrag, den das US-Justizministerium bei der Deutschen Bank eintreiben will. Eine veranschlagte Strafzahlung in Zusammenhang mit der Verwicklung der Bank in halbseidene Transaktionen in den Jahren 2005 bis 2007. Die amerikanische Justiz wirft den Deutschen (nebst anderen) vor, den Zusammenbruch des US-Hypothekenmarktes mittels obskurer Anleihekonstrukte mitverantwortet zu haben – was die Bank so auch gar nicht mehr bestreitet.
Noch handelt es sich nur um eine Forderung. Einen „Vergleichsvorschlag“, wie es die Führungsebene um den Vorstandsvorsitzenden John Cryan, einem Briten, und Aufsichtsratschef Paul Achleitner, einem Österreicher, ziemlich euphemistisch nennt. Am Ende wird es zwar wie üblich nicht die volle Summe sein, so war das letztlich auch bei anderen bereits abgestraften Häusern wie Bank of America, J.P. Morgan und Goldman Sachs. Und doch.
Jahrelange Malversationen
Selbst wenn die Amerikaner den Deutschen schlussendlich entgegenkommen – der Vergleich wird Milliarden kosten. Geld, das die ohnehin angeschlagene Deutsche Bank (Nettoverlust 2015: 6,8 Milliarden Euro) nicht mehr einfach so aus dem Ärmel schüttelt. Umso mehr, als das US-Problem nur eines von vielen ist. Jahrelange Malversationen quer durch alle Geschäftsbereiche, ein Erbe der Ära um den maßlos überschätzten früheren Vorstandschef Josef Ackermann, zeitigen jetzt Folgen. Die Deutsche Bank dürfte in der Vergangenheit kaum eine Gelegenheit ausgelassen haben, Kunden, Banken, Geschäftspartner, Regierungen zu legen: Die Rede ist von der Beteiligung an der Manipulation des Goldpreises, der Referenzzinssätze und der Devisenkurse, von Unregelmäßigkeiten im Handel mit CO2-Zertifikaten, von Geldwäsche und sonstigen Grausamkeiten. Bereits vor Jahren wurde in Frankfurt eine Abteilung geschaffen, die mit nichts anderem beschäftigt ist, als vermuteten Unregelmäßigkeiten im eigenen Haus nachzugehen. Sie beschäftigt mittlerweile mehrere Hundert Mitarbeiter.
2015 wurden für mehrere Tausend (!) laufende Verfahren rund um den Globus in Summe knapp mehr als fünf Milliarden Euro reserviert. Das ist viel Geld – und wahrscheinlich viel zu wenig. Schon jetzt ist die Bank eingedenk ihrer schieren Dimension – nach der Bilanzsumme von 1600 Milliarden Euro Ende 2015 war sie immer noch eine der größten Banken der Welt – beschämend schwach kapitalisiert. Ende 2015 wies die Bank eine Eigenkapitalquote (gemessen an den sogenannten risikogewichteten Aktiva) in der Höhe von zwölf Prozent aus. Das ist zwar mehr, als die Regulatoren verlangen. Aber eben nicht annähernd genug.
An der Börse wird die Deutsche Bank mit gerade noch 16,6 Milliarden Euro bewertet. Für ihre Verhältnisse eigentlich Niemandsland. Die vielfach kleinere österreichische Erste Group war da mit zuletzt 11,6 Milliarden Euro nicht mehr weit weg.
Längst muss die Deutsche Bank sich Vergleiche mit der US-Investmentbank Lehman Brothers gefallen lassen. Diese ging bekanntlich 2008 bankrott. Das ist zwar sehr alarmistisch, aber Gift in einer Branche, in der Kapital vieles, Vertrauen aber alles ist.
Schlittert die Deutsche Bank also in den Konkurs? Nein. Warum? Weil sie gar nicht kann. Ein Zusammenbruch der Bank würde das globale Finanzsystem in einem Ausmaß erschüttern, das die Lehman-Pleite wie einen Kindergeburtstag aussehen ließe (und die Folgen der Lehman-Pleite wirken bis heute nach). Wenn die in der Vergangenheit inflationär genutzte Redewendung „too big to fail“ Gültigkeit hat, dann hier. Der Internationale Währungsfonds warnt nicht ohne Grund und seit Längerem davor, dass von den Deutschen das mit Abstand größte „systemische“ Risiko für das weltweite Finanzsystem ausgeht. Und das hat weniger damit zu tun, dass die Bank Ende 2015 Verbindlichkeiten von 1560 Milliarden Euro auf den Büchern hatte (denen natürlich auch Forderungen und Vermögenswerte gegenüberstanden).
Bankraub von innen
Die Deutsche Bank ist heute mehr eine Spielbank als eine Geschäftsbank im engeren Sinne. Geld von Sparern zu verwalten und Kredite auszureichen, das war einmal. Die Bank ist auch und vor allem einer der wichtigsten Player im globalen Geschäft mit Finanzwetten, dem sogenannten außerbörslichen Derivatemarkt, wo Finanzinstitutionen Optionen, Futures und Swaps drehen. Intransparent ist noch das freundlichste, was sich über diesen Markt sagen lässt. Dort verdiente die Deutsche Bank in den vergangenen Jahren Geld, das sie, wie andere Häuser auch, nicht etwa für die Stärkung der eigenen Reserven aufwendete, sondern vielmehr in Form von überzogenen Bonifikationen und Dividenden an die eigenen Leute und Aktionäre ausreichte. Ein Bankraub von innen, wenn man so will.
Ende des Vorjahres hatte das sogenannte Derivatebuch der Deutschen Bank einen Nominalwert von 42 Billionen Euro, also 42.000 Milliarden – ein Vielfaches der Bilanzsumme (und des deutschen Bruttoinlandsprodukts). Das heißt natürlich nicht, dass diese schwer fassbare Summe im Falle eines Zusammenbruchs der Bank auch tatsächlich flöten ginge (das Wesen vieler dieser Kontrakte ist, dass sie sich gegenseitig aufheben, das tatsächliche Risiko also geringer ist). Die Zahl ist mehr eine Messgröße für die Komplexität des Geschäfts. Ein Kollaps der Deutschen Bank würde andere Wettteilnehmer, sehr viele davon, unweigerlich mitreißen. Siehe Lehman-Pleite. Nur eben größer. Es ist eigentlich absurd: Obwohl alle Marktteilnehmer wissen, dass der Zusammenbruch eines größeren Spielers den Derivate-Markt ins Chaos stürzen würde, machen sie weiter mit. Weil sich da nach wie vor Geld verdienen lässt. Der Markt ist übrigens im vergangenen Jahrzehnt, also auch nach Ausbruch der globalen Finanzkrise, gewachsen.
Sollte die Deutsche Bank tatsächlich zusätzliches Geld benötigen, wird sie dieses auch bekommen. Ende vergangener Woche machten in Frankfurt Gerüchte die Runde, namentlich nicht genannte „US-Banken“ und „DAX-Konzerne“ hätten der Deutschen Bank bereits zugesichert, sich an einer immer wahrscheinlicher werdenden Kapitalerhöhung zu beteiligen. Nicht aus Altruismus wohlgemerkt – es geht da eher schon ums eigene Überleben. Auch der Abverkauf von Unternehmensteilen steht längst im Raum.
Staatliches Dilemma
Staatshilfen? Gute Frage. Wie sollte die deutsche Kanzlerin Steuergelder für eine Bank rechtfertigen, die sich durch kriminelle Handlungen an den Rand des Ruins gewirtschaftet hat? Andererseits: Wer, wenn nicht die Bundesrepublik Deutschland, sollte die Bank auffangen, wenn andere Rettungsmaßnahmen scheitern? Ein Dilemma. Umso mehr, als das Problem nicht erst seit gestern besteht. Ungeachtet aller regulativen Verbesserungen, die auf 2008 folgten, ist es doch nach wie vor so: Sollte eine „Systembank“ umfallen, bleibt dies letztlich immer am Staat, also dem Kollektiv der Steuerzahler, hängen – Gläubigerbeteiligung („Bail-in“) hin oder her.
So oder so wird die Deutsche Bank diese Krise nicht in ihrer bestehenden Form überstehen. Sie wird zwangsläufig schrumpfen, schrumpfen müssen – und zwar deutlich stärker, als es deren „Strategie 2020“ vorsieht (bis dahin sollen unter anderem 9000 der derzeit 100.000 Arbeitsplätze weltweit gestrichen werden). Damit ist sie natürlich nicht allein.
Redimensioniert und gestrafft wird mittlerweile quer durch die Branche. Auch in Österreich. Stichwort UniCredit Bank Austria, Stichwort Raiffeisen. Alle stehen sie vor dem Problem, Reserven aufzubauen zu sollen, die sie in besseren Zeiten aufzubauen verabsäumten. Und längst steht auch die Sinnfrage im Raum: Welche Rolle sollen Banken in Zukunft überhaupt noch spielen? Und vor allem: welche Banken?
Wir haben für die Aufmachung dieser Geschichte ein Bild gewählt, das die Zwillingstürme der Deutschen Bank bei Sonnenschein zeigt. Das Wetter kann ja nichts dafür.