Die Geschichte des Bankers, der Putin herausforderte
Als Sergey Leontiev 2012 eine folgenschwere Entscheidung trifft, ist er Mitte 40 und ein gemachter Mann. Zusammen mit seinem Partner Alexander Zheleznyak kontrolliert er zu dieser Zeit die russische Unternehmensgruppe „Life Financial Group“, in welcher etliche Finanzdienstleister gebündelt sind, Zentralgestirn ist die Probusinessbank mit Stammsitz in Moskau.
Leontiev und Zheleznyak sind seit den 1990er-Jahren im russischen Finanzbusiness aktiv und haben es weit gebracht. Wohlstand, Anerkennung, Kontakte. Die Banker könnten es auch und gerade mit Blick auf das im Ausland gut abgeschirmte Privatvermögen ruhig angehen, doch, wie schon gesagt: folgenschwere Entscheidung.
Im Frühjahr 2012 sorgt ein Vorhaben in Russland für Aufregung. Die vom Oppositionellen Alexei Nawalny gegründete Nichtregierungsorganisation „Stiftung für Korruptionsbekämpfung“ stellt ein Kreditkartenprojekt öffentlich vor. Eine namentlich nicht genannte russische Bank soll eine „Nawalny-Card“ auf den Markt bringen und so die Bewegung des aufstrebenden Herausforderers von Präsident Wladimir Putin finanziell unterstützen. Von jedem Kauf, der fortan über die Kreditkarte abgewickelt wird, will die Bank ein Prozent des Transaktionswerts an Nawalnys Stiftung spenden.
Wenig später kursiert in russischen Medien auch schon der Name des involvierten Finanzinstituts: Bank24, eine Online-Bank, die zur „Life“-Gruppe von Leontiev und Zheleznyak gehört; „Nawalnys Banker“, wie sie plötzlich genannt werden. Es ist der Anfang vom Ende einer Geschichte – und zugleich der Beginn einer anderen.
Jänner 2022, zehn Jahre danach. Die Bank24 hat auf Anordnung der Russischen Zentralbank den Betrieb längst eingestellt, so auch die ihr einst übergeordnete Probusinessbank. Die Unternehmensgruppe „Life“ wurde zerschlagen, die Gründer sind aus dem Land geflüchtet und werden von der russischen Justiz gejagt. Auf Nawalny wurde ein Giftanschlag verübt, er sitzt aktuell in einem russischen Straflager ein. „Ich hatte eine von Putins ,roten Linien‘ überschritten: Unterstützung der Opposition“, sagt Sergey Leontiev in einem Interview, das profil mit ihm vergangene Woche führte. „Die Risiken des Projekts waren meinen Partnern und mir damals durchaus bewusst. Aber diese Konsequenzen hatten wir nicht erwartet.“
Leontiev und Zheleznyak leben seit 2015 im US-amerikanischen Exil, sie haben dort politisches Asyl beantragt. Seit 2016 werden sie von der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft wegen des behaupteten Diebstahls Hunderter Millionen Euro aus dem einstmaligen Firmenvermögen international verfolgt; 2017 gelang es den russischen Behörden, einen dreistelligen Millionenbetrag auf Liechtensteiner Bankkonten einfrieren zu lassen. Aus rein politischen Motiven, wie er immer wieder betont. Der Kreml wolle um jeden Preis verhindern, dass er Nawalnys Bewegung weiterhin unterstütze, das sei der russische Modus Operandi. „Man verfolgt politische Gegner im Ausland, indem man mittels erfundener Vorwürfe die jeweiligen Justizsysteme beschäftigt, Vermögen einfrieren lässt und die Gegner wirtschaftlich zermürbt. Russland ist wie Nordkorea. Beide werden von korrupten Banden regiert.“
Leontiev tätigte diese Wertpapierdeals über eine ihm zurechenbare Investmentfirma auf Zypern namens Wonderworks: profil liegen die im Firmenbuch hinterlegten Jahresabschlüsse vor. Diesen zufolge erwirtschaftete Wonderworks in den Geschäftsjahren 2011 bis 2015 einen kumulierten Nettogewinn von gut 220 Millionen US-Dollar. Zunächst blieb das Geld in der Firma. 2015 und 2016 – nachdem Leontiev Russland verlassen hatte – wurde beschlossen, Dividenden ungefähr in derselben Höhe auszubezahlen. Etwa die Hälfte davon landete auf Konten bei der Bank Frick in Liechtenstein.
Leontiev hatte eine komplexe Offshore-Struktur eingerichtet: Von der zypriotischen Firma ging das Geld auf das Konto einer Firma mit Sitz in St. Kitts und Nevis weiter, dann auf ein persönliches Konto des russischen Unternehmers. Von dort landete es letztlich über ein Treuhandunternehmen bei der Sub-Firma eines auf den Cookinseln eingerichteten Trusts.
Warum das Versteckspiel? Leontievs Darstellung zufolge war die ursprüngliche Struktur hinter Wonderworks deutlich weniger komplex, nach den Vorkommnissen in Russland habe er aber verstanden, dass er angegriffen werden würde. Die Dividenden seien ausbezahlt und alles nach Liechtenstein transferiert worden. Tatsächlich hatten alle involvierten Firmenvehikel – unabhängig von ihren mannigfaltigen Sitzländern – ein Konto beim selben Geldinstitut in Liechtenstein: Faktisch gingen die Mittel von Morgan Stanley zur Bank Frick und blieben auch dort – sie wurden lediglich intern weitergebucht.
Leontiev untermauert seine Rechtsposition mit einer Reihe von Sachverständigengutachten. Die Geldflüsse werden nun auch von einem externen Gutachter im Auftrag der liechtensteinischen Justiz überprüft. Dieser soll auch beurteilen, ob Darlehen an Wonderworks, auf deren Basis dort die Investmentgewinne erwirtschaftet wurden, aus sauberer Quelle stammten oder nicht. Leontievs Argumentation, das Verfahren wäre politisch motiviert, hat bislang nicht ausgereicht, um die Justiz des Fürstentums zu einer Aufhebung der Kontensperre zu bewegen. Liechtenstein agierte in dieser Frage auffallend zurückhaltend, ganz so, als habe man keine vorauseilenden Tatsachen schaffen wollen.
2021 war der Staatsgerichtshof – das Verfassungsgericht des Fürstentums – mit der Causa befasst. Dort hielt man – bemerkenswert diplomatisch – fest, dass es verfrüht sei, das russische Rechtshilfeersuchen als politisch motiviert einzustufen. Man wolle die diesbezüglichen Argumente jedoch ernst nehmen.
Schauplatz Polen. 2019 verweigerte ein polnisches Gericht die Auslieferung eines Mitbeschuldigten in der Causa Probusinessbank – nicht zuletzt, weil Polen einen politischen Hintergrund ortete.
Schauplatz Cookinseln. Diese waren 2018 mit dem Fall Leontiev befasst. Auf dem Inselstaat im Südpazifik war nämlich der zweite Teil der Wonderworks-Dividenden gelandet. Die lokalen Behörden gingen auf Grundlage eines russischen Rechtshilfeansuchens gegen einen lokalen Treuhänder vor. Doch das Gericht gelangte zu der Ansicht, dass es ihnen nicht gelungen war, den angeblich unlauteren Hintergrund der Leontiev-Gelder nachzuweisen, die bei der Treuhandfirma waren. (Es handelte sich um einen vergleichsweise geringen Betrag von rund 70.000 Dollar.) Das Urteil aus dem fernen Rarotonga hat mehr Gewicht, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Der fallführende Richter – ein höchst erfahrener Mann – war früher immerhin jahrelang am Höchstgericht von Neuseeland tätig gewesen.
Schauplatz New York. Auch hier musste sich die Justiz 2018 mit der Angelegenheit auseinandersetzen. Die russische Einlagensicherungsbehörde DIA begehrte von Leontiev die Offenlegung von Informationen und wollte das bei Gericht durchsetzen. Die Richterin stimmte diesem – in den USA durchaus üblichen Vorgehen – zwar grundsätzlich zu, ordnete jedoch an, die Auskunftspflicht thematisch nicht so breit zu fassen, wie die Russen das gerne gehabt hätten.
Im Urteil hielt sie fest, Leontiev habe substanzielle Beweise vorgebracht, denen die Einlagensicherung großteils mit „widersprüchlichen Aussagen“ oder mit Angaben aus dem Hörensagen begegnet sei. Die „Besorgnis“ des Gerichts über die Legitimität der Anträge sei durch die Involvierung zweier Personen, die auf US-Sanktionslisten standen, noch gesteigert worden. Dabei handelte es sich um einen hohen russischen Justizbeamten und um einen prominenten Anwalt, der im Auftrag der Einlagensicherungsbehörde in die Abwicklung der Probusinessbank involviert gewesen war.
Das heißt nicht, dass in den USA sämtliche Hindernisse für Leontiev aus dem Weg geräumt wären. Auch dort haben die Strafverfolgungsbehörden auf Basis eines russischen Rechtshilfeersuchens Ermittlungen eingeleitet. Dieses Verfahren ist wiederum ein Argument für Liechtenstein, die Konten nicht freizugeben. Bisher wurde in der Hauptfrage, ob Leontiev Gelder der Probusinessbank veruntreut hat oder nicht, kein Urteil gesprochen.
Doch unabhängig davon, wie dieser Fall ausgeht – eines steht jetzt schon fest: Russland beherrscht es mittlerweile perfekt, auf der juristischen Klaviatur westlicher Staaten zu spielen.