CETA und mordio

Die seltsame Allianz der österreichischen CETA-Gegner

Die seltsame Allianz der österreichischen CETA-Gegner

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Die Umweltschutzorganisation Greenpeace wurde vor allem durch spektakuläre Kampagnen bekannt: Aktivisten fuhren mit dem Schlauchboot direkt in die Schusslinie von Walfängerharpunen im Pazifik, besetzten wochenlang die Ölplattform „Brent Spar“ in der Nordsee, blockierten und stoppten mit Körpereinsatz den Transport von Atommüll an den verschiedensten Orten der Welt. In Wien gibt es weder Walfänger noch Ölplattformen oder Atomkraftwerke. Es ist also selbst für die erfahrenen Greenpeacer nicht ganz einfach, Protest und Abenteuer in bewährter Weise zu kombinieren. Aber man kann es zwischendurch ja auch mal gemütlicher angehen.

Am Donnerstag der Vorwoche versammelte sich ein Trüppchen Aktivisten vor dem Wirtschaftsministerium am Wiener Stubenring. Sie entrollten einen schmalen roten Teppich und hielten ein Transparent in die Höhe. „Minister Mitterlehner, Stopp an der roten Linie: Nein zu CETA“, stand darauf. Der Angesprochene, Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, kam indes nicht in die Verlegenheit, die Teppich-Sperrlinie zu übertreten. Er saß zu diesem Zeitpunkt, kurz nach neun Uhr am Vormittag, bereits in seinem Büro. Für Notfälle hat das Gebäude übrigens auch einen Hintereingang.

Die Aktivisten wundern sich manchmal selbst über den bunten Haufen, mit dem sie ihre Vorbehalte teilen.

Organisationen wie Greenpeace kämpfen häufig ziemlich einsam für ihre Anliegen. Die CETA-Kampagne fällt diesbezüglich aus der Reihe. An Mitstreitern herrscht diesmal wirklich kein Mangel. Gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (oder zumindest gegen Teile des Vertrags) agitieren derzeit weite Teile der Republik. Mit dabei sind unter anderem: die SPÖ, die FPÖ, die Grünen und das Team Stronach, beide Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, große Teile des ÖGB, die Landeshauptleutekonferenz, praktisch alle Umweltorganisationen im Land, einige kirchliche Gruppen, Globalisierungskritiker von ganz links bis ganz rechts, die „Kronen Zeitung“, der Handelskonzern Spar sowie diverse Neigungsgruppen und Interessensverbände, von deren Existenz bisher nur die jeweiligen Mitglieder gewusst hatten. Noch geselliger kann Widerstand kaum sein.

Die Aktivisten wundern sich manchmal selbst über den bunten Haufen, mit dem sie ihre Vorbehalte teilen. „Ich war neulich bei einer Podiumsdiskussion mit freiheitlichen Landwirten“, erzählt Herbert Thumpser, SPÖ-Bürgermeister der Gemeinde Traisen in Niederösterreich und Mitorganisator eines Anti-CETA-Volksbegehrens, das im Jänner stattfinden wird. Zumindest in dieser Angelegenheit sei er mit den FPÖ-Bauern einig gewesen, sagt Thumpser.

Inoffizieller Anführer des Protestzugs ist Bundeskanzler Christian Kern, der mit einem Veto droht, falls einzelne Punkte nicht geändert oder wenigstens mittels Zusatzprotokoll nachgebessert werden. Überraschend hatte Kern Anfang September eine Befragung der SPÖ-Mitglieder angekündigt, an der auch Nicht-Mitglieder teilnehmen durften. Seit Dienstag vergangener Woche liegt das Ergebnis vor: Eine überwältigende Mehrheit der rund 23.000 Teilnehmer ist praktisch gegen alles, was mit CETA zu tun hat. Satte 98 Prozent finden es zum Beispiel nicht gut, dass „CETA in Kraft gesetzt wird, wenn dadurch europäische Qualitätsstandards gesenkt werden können“. Ob das überhaupt der Fall sein wird, wurde nicht erörtert. Kern muss sich nun, zu Recht, als Populist bezeichnen lassen – und zwar nicht bloß vom politischen Gegner. Dem Kanzler gehe es offenbar nur um den Beifall des Boulevards, empörte sich etwa der Politikwissenschafter Anton Pelinka im „Kurier“. In dieser Hinsicht sei „Kern mehr Faymann als Faymann“.

Die besonders breite Front der CETA-Gegner im Land nährt den Verdacht, dass es nicht nur um inhaltliche Einwände geht.

Es gibt auch in anderen EU-Ländern Einwände gegen einzelne Details des Vertragswerks mit Kanada. Häufigster Kritikpunkt ist die Tatsache, dass Streitigkeiten zwischen Unternehmen und nationalen Regierungen nicht vor normalen Gerichten, sondern vor sogenannten Schiedsgerichten ausgetragen werden sollen. Das klingt nach Mauschelei zugunsten der Konzerne, ist allerdings nicht neu. Über 60 solcher Abkommen hat Österreich schon in der Vergangenheit geschlossen, weitere 35 gelten über die EU-Mitgliedschaft auch hierzulande. Von negativen Konsequenzen hat man bisher nichts gehört.

Die besonders breite Front der CETA-Gegner im Land nährt den Verdacht, dass es nicht nur um inhaltliche Einwände geht. Sogar Kanzler Kern findet die Art der Debatte mitunter eigenartig. Es sei „so eine Spin- und Propagandageschichte geworden“, erklärte er Ende vergangener Woche in einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“. Das stimmt und gilt für beide Seiten. Auffälliger ist der Mut zur Halbwahrheit aber bei den CETA-Gegnern. Vor allem das Zusammenspiel zwischen der „Kronen Zeitung“ und dem Handelskonzern Spar nimmt mitunter sektiererische Züge an. „Der neue Report von Global 2000 beweist eindeutig, dass die kleinbäuerliche heimische Landwirtschaft gegen diese Schundlebensmittelindustrie keine Überlebenschance hat“, kritisierte Spar-Chef Gerhard Drexel in einem„Krone“-Bericht. In einem anderen warnte Drexel, diesmal assistiert von Greenpeace-Österreich-Geschäftsführer Alexander Egit, vor der Einführung von Bankomatgebühren als direkte CETA-Konsequenz. Damit auch einmal etwas Erfreuliches in der Zeitung steht, macht die „Krone“ zwischendurch Werbung für die Angebote des heimischen Handelsriesen. „Im heißen TTIP- und CETA-Herbst setzt Spar-Chef Dr. Gerhard Drexel auf die positive Kraft von Bio“, stand neulich zu lesen – und zwar nicht in einem Inserat, sondern im redaktionellen Teil des Blatts.

Andere heimische Supermarktketten haben offenbar keine Angst vor kanadischen „Schundlebensmitteln“. Von Marktführer Rewe, ebenfalls sehr aktiv im Bio-Segment, gab es bisher keine einzige Stellungnahme zu CETA.

Rote, grüne und blaue Landwirte befürchten das Schlimmste, die (schwarz dominierte) Landwirtschaftskammer ist voll des Lobes.

Nicht ganz schlau wird der Beobachter auch aus dem Verhalten der österreichischen Bauern. Rote, grüne und blaue Landwirte befürchten das Schlimmste, die (schwarz dominierte) Landwirtschaftskammer ist voll des Lobes. „Der Vertrag zeigt, dass Europa stark und gut verhandelt hat“, lässt sich Kammerpräsident Hermann Schultes auf der eigenen Website zitieren. Die hohen EU-Produktions-, Lebensmittel- und Umweltstandards blieben selbstverständlich erhalten. Wie ist es möglich, dieselbe Vereinbarung so unterschiedlich zu interpretieren?

Der CETA-Vertragstext ist im Internet abrufbar, sogar auf Deutsch. Doch 1500 Seiten in kompliziertem Juristenjargon sind keine vergnügliche Bettlektüre. SPÖ-Bürgermeister Thumpser gibt das gerne zu: „Ich glaube, dass ich kein Trottel bin und sinnerfassend lesen kann. Aber Sätze, die über acht, neun Zeilen gehen, verstehe ich nicht.“ Ihm fehle eine verständliche Kurzfassung von CETA. „Bei den Gesetzesvorlagen im Landtag gibt es das ja auch.“ Andererseits hat es durchaus Vorteile, dass kaum jemand den kompletten Text gelesen hat: Jeder kann so ziemlich alles hineininterpretieren, was ihn an der Welt im Allgemeinen und der EU im Besonderen stört. Je nachdem, wer gerade am Wort ist, kommen als Erstes Bedenken wegen sinkender sozialer Standards, der Überflutung des europäischen Marktes mit Fleisch aus grausamer Massentierhaltung, der Zwangsprivatisierung öffentlicher Dienstleistungen oder gewerbsmäßiger Erpressung der Politik durch mächtige Konzerne.

Die österreichische Regierung muss sich also bald auf eine gemeinsame Sicht der Dinge einigen.

Nicht alle CETA-Gegner sind glücklich über die ideologische Vielfalt unter ihren Mitstreitern. Die globalisierungskritische Organisation Attac etwa möchte sich gegen rechte Stimmungsmache abgrenzen. „Die Kritik von rechts entwickelt keine Alternativen“, sagt Attac-Sprecher David Walch. „Wir haben ein alternatives Modell präsentiert.“ Hanna Simons von Greenpeace Österreich legt Wert auf die Feststellung, dass sie gegen Freihandel an sich nichts habe. „Wir wollen nur die Art und Weise verändern, wie er betrieben wird.“ Der Grüne Werner Kogler möchte trotz aller Bedenken gegen CETA auf keinen Fall EU-Bashing betreiben. „Der Punkt ist ja, dass die österreichische Regierung in der Vergangenheit allen Verhandlungsschritten zugestimmt hat.“ Schuld sei also nicht die EU-Kommission, sondern der Umstand, dass vor allem die Vertreter der SPÖ zu Hause etwas anderes erzählt hätten als in Brüssel.

Auf diese Art könnte man sicher noch ewig diskutieren, aber leider drängt die Zeit. Am 18. Oktober werden die EU-Außenminister über CETA abstimmen, die Unterzeichnung des Vertrags ist auf dem EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober geplant. Im Lauf des nächsten Jahres sollen alle Parlamente der Mitgliedsländer über CETA abstimmen. Die österreichische Regierung muss sich also bald auf eine gemeinsame Sicht der Dinge einigen. Schon am Freitag vergangener Woche tagten die EU-Handelsminister in Bratislava. Dort wurde vereinbart, dass die umstrittenen Schiedsgerichte erst in Kraft treten, wenn die nationalen Parlamente das Abkommen ratifiziert haben. Außerdem gab es grünes Licht für ein erklärendes Zusatzprotokoll. „Alle Vorbehalte und Befürchtungen können damit nochmals ausgeräumt weden“, sagte ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Der Koalitionspartner reagierte vorsichtig erfreut. „Es zeigt sich, dass unser Widerstand und unsere konsequente, inhaltliche Kritik sich auszahlen“, meinte Kanzler Christian Kern. Für eine abschließende Bewertung sei es aber noch zu früh.

Ein paar Demos werden sich bis zur Klärung des Sachverhalts sicher noch ausgehen.

Rosemarie Schwaiger