Mit einem Marktwert von rund 30 Milliarden Euro wäre der neue Petrochemie-Gigant, dessen Name noch unbekannt ist, auf seinem Gebiet der sechstgrößte Konzern weltweit und Österreichs größtes Unternehmen. Zur Erinnerung: Im Juli vergangenen Jahres haben die OMV und ihre damals neue Miteigentümerin Adnoc beschlossen, ihre Zusammenarbeit im Polyolefine-Geschäft, also im Bereich der Kunststoffe, zu vertiefen. „Die Kooperation würde eine mögliche Zusammenlegung des Borealis- und Borouge-Geschäfts als gleichberechtigte Partner unter einer gemeinsam kontrollierten, börsennotierten Plattform für potenzielle Wachstumsakquisitionen mit dem Ziel umfassen, ein globales Polyolefine-Unternehmen mit einer wesentlichen Präsenz in Schlüsselmärkten zu schaffen“, ließ die OMV damals mittels Aussendung wissen. Seitdem bemühen sich beide Seiten um diese „gleichberechtigte Partnerschaft“, wobei Adnoc, OMV und die staatliche Beteiligungsgesellschaft ÖBAG nach wie vor unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was das konkret bedeuten soll.
Adnoc ist mit 24,9 Prozent an der OMV beteiligt und hält direkt beziehungsweise über die OMV-Beteiligung 43,7 Prozent an der Borealis. Der Bund hält über die ÖBAG 31,5 Prozent an der OMV, der Rest ist Streubesitz. Borouge wiederum gehört zu 36 Prozent Borealis und zu 54 Prozent Adnoc. Das riesige Industriekonglomerat in Abu Dhabi ist stetig gewachsen und heute größer als Borealis – Analysten gehen von einem doppelt so hohen Marktwert aus. Und während bei der OMV die Anteils- und Machtverhältnisse mittels Syndikatsvertrag geklärt sind, sorgt bei Borealis genau diese Frage seit Monaten für Unruhe: Wer hat das faktische Sagen im künftigen Mega-Konzern?
Warten auf Einigung
Auf Nachfrage antwortet ein OMV-Sprecher: „Wie bereits bekannt, befinden sich OMV und Adnoc in laufenden, ergebnisoffenen Verhandlungen hinsichtlich einer möglichen Kombination von Borealis und Borouge. Wir führen diese Verhandlungen im besten Interesse von OMV, unter Berücksichtigung der Interessen unserer Aktionär:innen und Mitarbeitenden.“
Dabei wollte man sich schon längst geeinigt haben. Ende April empfingen Bundeskanzler Karl Nehammer und Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP) Sultan bin Ahmed Al Jaber im Finanzministerium, um 50 Jahre bilaterale Beziehungen zwischen Österreich und Abu Dhabi zu feiern. Al Jaber ist Minister für Industrie und Fortschrittstechnologien und Vorstandsvorsitzender von Adnoc. Ihre Aufwartung machten auch OMV-Chef Alfred Stern und ÖBAG-Chefin Edith Hlawati – seit 30 Jahren unterhält die OMV schon Geschäftsbeziehungen mit Abu Dhabi. Mit dabei war auch das Adnoc-Verhandlungsteam, das hinter verschlossenen Türen im Finanzministerium noch einmal mit den OMV-Vertretern tagte, wie auch der „Kurier“ zuletzt berichtete.
Den zu Weihnachten angekündigten Durchbruch gab es auch tatsächlich schon in vielen Bereichen, wie profil aus Verhandlerkreisen erfuhr. So habe Adnoc dem sogenannten „Österreich-Paket“ bereits zugestimmt. Das heißt: Die Firmenzentrale bleibt in Österreich; und es soll ein Zweit-Listing an der Wiener Börse geben. Zudem bekennt sich Adnoc zum Borealis-Forschungsstandort in Linz. Diese Punkte waren der ÖBAG wichtig, und Adnoc hat mit seiner Zustimmung auch nichts zu verlieren. Weniger erfreulich – zumindest aus Sicht des jetzigen Borealis-Managements – soll die geplante weltweite Ausschreibung für die Geschäftsführung im neuen Konzern sein. Borealis-Chef Thomas Gangl verlässt im Juni das Unternehmen und geht zum britischen Stahlkonzern Liberty Steel; dem Vernehmen nach auch wegen der geplanten internationalen Chefsuche. Dass ein Österreicher oder eine Österreicherin an die Spitze des Unternehmens kommt, ist alles andere als fix.
Heikler ist die Causa in finanziellen Belangen: „Bei unseren Freunden (Adnoc, Anm.) geht es letzten Endes ums Geld. Sie lassen uns schon spüren, dass sie die Chefs sind“, erzählt ein Insider. Damit die OMV als gleichberechtigte Partnerin auftreten kann, muss sie zunächst ordentlich in die Tasche greifen. Von 1,5 bis 1,7 Milliarden Euro ist hier die Rede. Das Geld dafür soll direkt aus dem Konzern kommen. Auf der anderen Seite hat Adnoc umgerechnet rund 140 Milliarden US-Dollar als Einkaufsbudget zur Verfügung – das übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der OMV um ein Vielfaches. Zur Erinnerung: Wie im Vorjahr durchsickerte, sollten Adnoc und OMV jeweils 47 Prozent am neuen Unternehmen halten, der Rest sollte in Streubesitz bleiben.
Wer bekommt das Sagen?
Die Parität in den Anteilen birgt aber auch die Gefahr, dass man sich schnell in eine Patt-Situation begibt, wenn beide Seiten uneins über neue Investitionen, Einkäufe oder strategische Entscheidungen sind. Deshalb ist neben der Frage des Geldes auch die Frage nach der Governance, also der Unternehmensführung, so offen wie umstritten. Das letzte Wort ist hier jedenfalls noch nicht gesprochen.
Dass man sich über den Preis nicht einigen kann, hat auch mit der Bewertung der Unternehmen zu tun. 2020 stockte die OMV unter Rainer Seele ihre Borealis-Anteile von 36 auf 75 Prozent auf und bezahlte dafür an ihre damalige Miteigentümerin Mubadala 3,8 Milliarden Euro. Zu viel, meinten Kritiker damals. Die OMV verteidigte den Kauf mit dem Argument, dass man das Unternehmen nicht nur anhand seines Umsatzes und der aktuellen Marktlage beurteilen dürfe, immerhin sei Petrochemie die Zukunft der Öl-Branche.
Heute sieht die Lage etwas anders aus. Borealis hat – wie im übrigen auch Borouge und die gesamte Branche – kein gutes Jahr hinter sich. Der Umsatz ist laut Geschäftsbericht von 12,2 Milliarden Euro auf acht Milliarden gesunken. Der Gewinn schmolz von 2,1 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf 168 Millionen im Vorjahr. Auch Borouge hat kein besonders ertragreiches Geschäftsjahr hinter sich. Und damit stellt sich nun die Frage, ob die Bewertungen vom Vorjahr noch halten oder ob man nach unten korrigieren muss.
Der Stolz des Unternehmens ist derzeit ohnehin nicht der Absatz, sondern seine vielen Patente. Borealis war zuletzt, zumindest was die Anmeldung neuer Patente angeht, laut Europäischem Patentamt Österreichs innovativstes Unternehmen. Über 20.000 Patente hält das Unternehmen, Borouge nur 500.
Der nächste Anlass für eine Vertiefung der österreichisch-abu-dhabischen Freundschaft ist die Hauptversammlung der OMV am 28. Mai. Dann werden der Chefverhandler und Executiv Director bei Adnoc, Khaled Salmeen, und Finanzvorstand Khaled Al Zaabi als neue Eigentümervertreter in den OMV-Aufsichtsrat gewählt. Bleibt nur die Frage, ob sie dafür als sehr gute oder nicht ganz so gute Freunde nach Wien kommen.