Diesel: Wie Österreichs liebster Kraftstoff in Misskredit gerät

Abgastricksereien, Fahrverbotsdebatten, strenge Vorgaben aus Brüssel: Die Zukunft des Dieselantriebs ist höchst ungewiss geworden.

Drucken

Schriftgröße

Es sind manchmal die kleinen Dinge, die einen auf große Ideen bringen. Zum Beispiel das "Luftfeuerzeug“, eine technische Spielerei, weitverbreitet vor einem Jahrhundert, in Form und Größe ähnlich einer Zigarre. Funktionsweise: Man drückt einen luftdicht schließenden Kolben in einen Zylinder, sodass sich die Luft darunter verdichtet und erhitzt. Schließlich wird die Hitze so groß, dass ein Stück leicht brennbares Material, etwa Watte, Feuer fängt.

Das Prinzip des Luftfeuerzeugs hatte es vor mehr als einem Jahrhundert einem deutschen Ingenieur in Augsburg angetan. Im Jahr 1892 meldete Rudolf Diesel eine "neue, rationelle Wärmekraftmaschine“ zum Patent an. Wie im Feuerzeug wird im Inneren Luft verdichtet und erhitzt. Spritzt man dann eine kleine Menge Treibstoff dazu, entzündet sich dieser von selbst. Die Wärmekraftmaschine lief effizienter und treibstoffsparender als alles, was man bis dahin gekannt hatte.

Die Idee des Rudolf Diesel hat seither eine beachtliche Karriere hingelegt. Heute stecken in 57 Prozent der PKW in Österreich Dieselmotoren. 7,9 Milliarden Liter Dieselöl wurden vergangenes Jahr an Österreichs Tankstellen gezapft - mehr als je zuvor. Seit Jahrzehnten gilt der Diesel als Liebkind von Politik und Wirtschaft. In Österreich zahlen Autofahrer auf ihn niedrigere Steuern als auf Benzin, ebenso in anderen EU-Ländern. Autokonzerne präsentieren das Dieselauto gern als umweltfreundliche Alternative zum benzinbetriebenen Ottomotor. Die Volkswagen AG, weltgrößter Autobauer aus dem deutschen Wolfsburg, warb bis vor Kurzem mit dem Slogan: "Clean Diesel“.

Katastrophale Luftqualität

Heute jedoch kommt das Erbe des Rudolf Diesel in Verruf. Luftqualitätsmessungen in Städten ergeben mitunter katastrophale Ergebnisse aufgrund zu vieler Dieselfahrzeuge. Vielerorts in Europa, auch in Wien, sind Fahrverbote im Gespräch. Die Nachfrage nach Diesel-Wagen bricht ein. In Brüssel arbeiten EU-Stellen gerade an strengeren Regeln, damit die Gesundheitsgefahr durch hohe Abgasmengen nicht noch weiter zunimmt.

Begonnen hat die Diesel-Debatte im Herbst 2015 mit dem Abgasskandal bei VW. Der Konzern hat mit Betrugs-Software die Angaben über den Schadstoffausstoß seiner Dieselfahrzeuge manipuliert. Zusätzlich schürt der Kampf gegen den Klimawandel die Skepsis gegenüber Diesel: Bei der Konferenz von Paris 2015 beschlossen die Staaten die Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad. Nimmt man dieses Ziel ernst, müsste die Verbrennung fossiler Energieträger bis ungefähr 2040 komplett eingestellt werden - auch in Dieselmotoren.

Aufgrund all dessen drehen heute nicht nur Politiker dem Diesel zunehmend den Rücken zu, sondern auch Auto-Bosse. Beim Autosalon im chinesischen Shanghai Mitte April sagte VW-Chef Matthias Müller: "Die Zukunft ist elektrisch.“ Diesel hingegen, scheint es, hat keine.

Wie kommt es zum rasanten Niedergang des weitverbreiteten und angeblich umweltfreundlichen Antriebs? Und was macht ihn überhaupt aus, den Diesel? Wer das wissen will, muss zurück ins 19. Jahrhundert, zu Rudolf Diesel.

Das Besondere an Diesels Erfindung ist, dass der Verbrennungsprozess wirtschaftlicher funktioniert als beim Benzinmotor. Weil im Dieselmotor derart viel Luft verdichtet wird, kommt gewissermaßen ein höherer Luft- auf einen geringeren Treibstoff-Anteil. Aus einem Liter Diesel lassen sich deshalb mehr Energiegehalt und Kilometer herausholen als aus einem Liter Benzin. Heißt: weniger Verbrauch, weniger Kosten für den Autofahrer. Heißt auch: Obwohl im Diesel fossile Energieträger verbrannt werden, ist er weniger klimaschädlich als ein Benziner. "Auf dieselbe Distanz stößt ein Diesel ungefähr 20 Prozent weniger CO2 aus“, erklärt Max Lang, Cheftechniker der Autofahrerorganisation ÖAMTC.

Allerdings litt der Dieselmotor lange Zeit auch unter einem Problem. Weil eben derart viel Luft zusammengedrückt wird, braucht es schwere, komplexe Motoren aus robusten Materialien. Deshalb eignete sich Diesel bis vor drei Jahrzehnten nicht für kleinere Autos. Dafür war der Antrieb nicht nur zu teuer; das Fahren gestaltete sich auch laut, lahm und schwerfällig. Diesel kam wegen der Treibstoffersparnis vor allem bei LKW und landwirtschaftlichen Fahrzeugen zum Einsatz, zudem bei großen PKW wie Mercedes. Ein Motor, wie es damals hieß, für Taxis und Traktoren.

Hoher Diesel-Anteil in Österreich

In den 1980er-Jahren kam die Wende. Technische Neuerungen sorgten dafür, dass sich Dieselmotoren auch für kleine Wagen eigneten. Der Turbolader beispielsweise schaufelt Frischluft in den Motor, was für mehr Leistung und besseres Fahrgefühl sorgt. Es schien, als habe die Autoindustrie den Stein der Weisen entdeckt: einen sparsamen Diesel ohne dessen Nachteile. "Die Politik hat sich dieser Sichtweise angeschlossen und die Ausbreitung des Diesel stark befördert“, erklärt Christian Gratzer, Sprecher der Mobilitätsorganisation VCÖ. Seit dem Jahr 1992 zahlen Österreichs Autofahrer für Diesel weniger Mineralölsteuer als für Benzin. Auf Benzin fallen derzeit 48 Cent pro Liter an, auf Diesel 40. Entsprechend hoch schoss der Diesel-Anteil in Österreich. Im Jahr 1996 wurden erstmals mehr Diesel als Benziner neu zugelassen.

Angesichts des Booms geriet in Vergessenheit, dass der Dieselantrieb auch eine dunkle Seite hat. Zwar kommt bei ihm weniger C02 aus dem Auspuff, dafür mehr gesundheitsschädliche Abgase. Konkret handelt es sich um Feinstaub und vor allem Stickoxide. Beim Benziner können diese Schadstoffe mithilfe des sogenannten "3-Wege-Katalysators“ herausgefiltert werden. Beim Diesel ist das nicht möglich; chemische Reaktionen verhindern es, die mit dem hohen Luftanteil im Motor zusammenhängen. Zwar lassen sich mittels anderer Verfahren beim Diesel die Stickoxide aus den Abgasen filtern, beispielsweise mit speziellen Harnstoff-Wasser-Gemischen, die seit einigen Jahren im Einsatz sind. Allerdings: Diese Verfahren sind technisch kompliziert und wartungsintensiv; die Katalysatoren brauchen Platz unter der Motorhaube und verteuern die Wagen.

Folge: Ein Benziner stößt laut ÖAMTC rund 20 bis 30 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus, bei Diesel-Autos sind es laut offiziellen Angaben bei den saubersten Modellen 50 Milligramm - und bei schlechteren bis zu 500. Immer wieder sorgen erhöhte Stickoxid-Konzentrationen für öffentliche Aufregung. In Österreich warnt das Umweltbundesamt: "Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid können an vielen verkehrsnahen Messstellen nicht eingehalten werden.“

Dabei macht die Umweltbeamten eines stutzig: Eigentlich stoßen moderne Diesel-Autos mittlerweile deutlich weniger Stickoxid aus als alte - und dies müsste sich positiv in den Messungen am Straßenrand niederschlagen. Doch es geschieht nicht; die Konzentrationen bleiben hoch wie eh und je.

Diese Abweichung führt zur größten Lüge der Diesel-Branche. Es gebe "eine Diskrepanz zwischen Testergebnissen unter Laborbedingungen und Fahrzeugemissionen im realen Fahrbetrieb“, konstatierte das Umweltbundesamt 2015. Anders gesagt: Was bei offiziellen Fahrzeugtests an Schadstoffausstoß ermittelt wird, stimmt auf der Straße nicht. "Die Kriterien, unter denen die Messungen auf dem Prüfstand durchgeführt werden, haben mit dem echten Fahren nichts zu tun“, sagt Franz Greil, Umweltreferent der Wiener Arbeiterkammer.

Abgasmanipulationen

Der VW-Skandal war nur die Spitze des Eisbergs. Der Konzern aus Wolfsburg hat bei rund elf Millionen Fahrzeugen eine illegale Software installiert. Sie deaktivierte die Abgasreinigung, sobald das Auto den Prüfstand verließ. Doch auch andere Konzerne bedienen sich ähnlicher, nicht minder fragwürdiger Methoden im rechtlichen Graubereich. Bei manchen Fiat-Modellen beispielsweise läuft die Abgasreinigung nur die ersten 22 Minuten nach dem Start im vollen Umfang, räumte Fiat-Technikchef Harald Wester während einer Anhörung von dem EU-Parlament ein - genauso lange, wie der Prüfvorgang beim Autotest dauert. Bei anderen Wagen wiederum, etwa Opel, soll die Abgasreinigung je nach Außentemperatur stärker oder schwächer funktionieren, so das deutsche "Manager-Magazin“. Liegt sie unter 17 Grad Celsius, wird weniger gefiltert.

Kein Wunder also, dass die tatsächliche Stickoxid-Belastung viel höher liegt als jene, mit der laut offiziellen Fahrzeugtests zu rechnen sein müsste. Das deutsche Umweltbundesamt testete im April die sogenannten Euro-6-Diesel. Es ist die neueste - und bisher sauberste - Abgas-Klasse. Doch die Abgaswerte sind fatal: Laut Labor-Resultaten sollten Euro-6-Fahrzeuge pro Kilometer 80 Milligramm Stickoxide ausstoßen; tatsächlich sind es 507 Milligramm, sechsmal so viel.

Heute, so scheint es, rächt sich all die Schönfärberei bitter für die Autokonzerne. EU-Kommission und EU-Parlament in Brüssel arbeiten an schärferen Regeln für Dieselfahrzeuge. Bereits fixiert ist, dass künftig nicht allein Labortests am Prüfstand zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes reichen. Ab kommenden September müssen die Wagen zusätzlich in praxisnäheren Tests auf der Straße bestimmte Grenzwerte unterschreiten.

Außerdem möchte die EU-Kommission die nationalen Behörden strenger kontrollieren, die für Fahrzeugtypisierungen zuständig sind. Sie gelten als eng verbandelt mit der Autoindustrie und werden auch von dieser finanziert. "Aber gegen diesen Plan gibt es Widerstand der Mitgliedsstaaten, vor allem aus Deutschland mit seiner Autoindustrie“, sagt Arbeiterkammer-Experte Greil. Gegen Deutschland hat die EU-Kommission Ende 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Aus Sicht Brüssels sind die dortigen Gesetze gegen Abgas-Tricks zu lasch.

Zugleich preschen Städte in Europa vor. Etwa ausgerechnet das deutsche Stuttgart, wo Gottlieb Daimler und Carl Benz im Jahr 1886 das Automobil erfanden. Heute plant das Rathaus Fahrverbote für ältere Diesel-Modelle, sofern eine hohe Feinstaubbelastung herrscht. Auch in Hamburg ist eine Sperre zweier Ausfallstraßen für alte Diesel im Gespräch. Für Wien fordern die Grünen, Juniorpartner der Stadtregierung, sogenannte "Umweltzonen“. Laut dem Grün-Gemeinderat Rüdiger Maresch sollen ältere Diesel-Modelle bei schlechter Luftqualität ab 2018 teilweise nicht mehr in die Stadt fahren dürfen. Der Beschuss im Wiener Rathaus soll im Herbst erfolgen.

Einzig der Lieferverkehr ist von diesen Maßnahmen weitgehend ausgenommen. In Stuttgart etwa sollen die geplanten Verbote für Lieferanten und Handwerker nicht gelten. In Wien könnten laut "Kurier“ Güter-Verteilzentren am Stadtrand eingerichtet werden, die von den Diesel-LKW angefahren werden - danach werden die Produkte abgasschonender ins Stadtinnere weitertransportiert.

Fragliche Zukunft

Trotzdem: Die Zukunft des Diesel ist fraglich. Die Neuzulassungen sinken. Laut Statistik Austria lag die Anzahl im März 2017 in Österreich vier Prozentpunkte unter dem März 2016. Autokäufer fürchten Wertverluste, sollten Fahrverbote kommen. Die radikalste Einschätzung lieferte die Schweizer Großbank UBS in einer Studie vergangenes Jahr: Bis 2025, so die Analysten, werde der Dieselantrieb bei PKW "weitgehend verschwinden“.

"Wenn der Diesel verschwindet, wäre das fatal für die Klimabilanz“, sagt ÖAMTC-Cheftechniker Lang. Denn die derzeit einzige Möglichkeit, die Diesel zu ersetzen, wären treibstofffressende Benziner. Dies würde zwar die Abgasbelastung reduzieren, aber zugleich den Ausstoß des klimaschädlichen C02 hochtreiben.

Auf dieses Dilemma antworten Umweltschützer und Experten gern mit einer Alternative: dem Elektro-Auto. Es könnte die Verbrennungsmotoren auf saubere Weise ersetzen, ob Diesel oder Benziner. Allerdings bleibt hier noch ein Problem: Ein E-Auto ist nur so sauber wie der Strom, mit dem es läuft. Stammt er aus nicht erneuerbaren Energien, wirkt sich das E-Auto möglicherweise genauso klima- und gesundheitsschädlich aus wie der alte Verbrennungsmotor. Eine aktuelle Studie des VCÖ nennt etwa China als Beispiel, einen Hoffnungsmarkt der Autoindustrie: Dort stammt der Strom derzeit noch überwiegend aus schmutzigen Kohlekraftwerken. Gäbe es ausschließlich E-Autos, wären die klimaschädlichen Auswirkungen des gesamten Verkehrssektors gar um 35 Prozent schlimmer als heute.

Vielleicht wird der Diesel also doch nicht gleich aussterben. Die meisten Experten rechnen eher damit, dass es künftig weniger Diesel bei Klein- und Mittelklassewagen geben wird. Dort fehlt unter der Motorhaube der Platz für aufwendige Stickoxid-Katalysatoren, auch finanziell rechnet sich hier der Einbau des komplexen Systems kaum.

Bei größeren Wagen der Oberklasse hingegen dürfte es wohl auch weiterhin Diesel geben. Es steht mehr Platz zur Verfügung; die Abgasbehandlung darf etwas teurer sein.

Ein Stückweit kehrt die Idee des Rudolf Diesel also zu ihren Ursprüngen zurück. Diesel wird wieder etwas für die Großen.