Digitale Vernetzung: Was bringt das Internet der Dinge?
Das „KidKraft Sparkle Mansion“ gehört zu den Bentleys unter den Puppenhäusern. Vier Etagen hoch, in augenschädigendem Pink, Kostenpunkt: 149,95 US-Dollar. Für kleine Mädchen ein absolutes Must-have.
Kürzlich trudelten bei Amazon jedoch zeitgleich ungewöhnlich viele Bestellungen ein. Allesamt aus dem Raum San Diego. Auslöser war ein Nachrichtensprecher, der über eine Sechsjährige berichtet hatte, die das Puppenhaus versehentlich über Amazons Sprachassistentin „Alexa“ geordert hatte. Der Online-Versandhändler hat „Alexa“ unter anderem in seinem smarten Lautsprecher „Echo“ integriert. In den USA ist das internetfähige Gerät bereits verbreitet. Auf Sprachbefehl sagt es das Wetter an, sucht Informationen im Internet oder führt eben Bestellungen aus. Die Worte „Puppenhaus“ und „bestellt“ des Nachrichtensprechers interpretierte die digitale Helferin in zahlreichen Haushalten, in welchen die Sendung lief, als Befehl und tat, was sie für gewöhnlich in dieser Situation tun soll: Sie gehorchte. Da der Lautsprecher mit dem Amazon-Konto der Nutzer verbunden ist, ist eine Bestellung schnell aufgegeben.
Willkommen in der wunderbaren Welt des Internets der Dinge. IoT (kurz für Internet of Things) bezeichnet die Vernetzung von Gegenständen mit dem Internet. Alltagsobjekte, die bisher auf die manuelle Steuerung durch Menschen angewiesen waren, werden plötzlich „smart“. Sie sollen die virtuelle mit der realen Welt verschmelzen und uns so das Leben erleichtern.
Glaubt man den Experten, soll 2017 das Jahr sein, in dem vernetzte Geräte allerorts in unser Leben einziehen werden, sich bei den Herstellern die Spreu vom Weizen trennen und sich zeigen wird, welche Systeme sich durchsetzen werden. Doch über all dem stehen einige Fragen: Was bringt das IoT? Wem nützt es? Und welche Risiken gibt es?
Die vorvergangene Woche in Las Vegas über die Bühne gegangene CES (Consumer Electronics Show) hat gezeigt, was mittlerweile alles möglich ist.
Die Hersteller überschlagen sich dabei, alles und jeden zu vernetzen.
Da wäre zum Beispiel eine von Withings und L’Oréal entwickelte „intelligente“ Haarbürste. Sie ist mit einem Mikrofon ausgestattet, welches das Geräusch des Bürstens aufnimmt und analysiert, wie es um den Gesundheitszustand der Haarpracht bestellt ist. Auf der zugehörigen Smartphone-App können dann individualisierte Pflege- und Produkttipps abgerufen werden. Die Bürste soll bald zu einem Preis von „unter 200 Euro“ erhältlich sein.
Sleep Number 360, das digitale Bett, überwacht die Bewegungen des Schläfers. Es passt sich dessen Schlafposition an und wärmt bei Bedarf die Füße. Schnarchern wird automatisch der Kopf angehoben, bis wieder Ruhe herrscht. Wie erholsam man genächtigt hat, ist morgens in der App ablesbar.
Die mit dem Smartphone verbundene Milchpumpe wiederum schickt stillenden Müttern eine Nachricht, sobald die integrierten Beutel voll sind.
Auch schlaues Zähneputzen ist möglich: Die elektrische Zahnbürste Oral-B Pro 7000 schrubbt nicht nur das Kauwerkzeug. Sie übermittelt die Daten per Bluetooth an eine App, die die Putzzeit dokumentiert und Reinigungstipps gibt. Kurz: Die Hersteller überschlagen sich dabei, alles und jeden zu vernetzen. Und kommen dabei mit immer absurderen Produkten auf den Markt.
„Beim Consumer-IoT sind wir noch im Experimentiermodus. Vieles, was wir hier sehen, sind Spielereien, aber insgesamt wird sich diese Vernetzung nicht aufhalten lassen“, sagt Wieland Alge, General Manager für Europa, den Nahen Osten und Afrika des IT-Sicherheitsdienstleisters Barracuda.
So manches Objekt wird Bedürfnisse abdecken, von denen wir noch gar nicht wissen, dass wir sie überhaupt haben.
Tatsächlich kann man sich dem Trend kaum entziehen. Wer heute einen neuen Fernseher kauft, wird schnell feststellen, dass dieser nach einem Internetanschluss verlangt. Moderne Spielkonsolen funktionieren ohne Verbindung zum World Wide Web überhaupt nicht. Über kurz oder lang werden in fast allen Haushalten intelligente Stromzähler (Smart Meter) installiert sein. Und kaum ein neues Automodell, das nicht zumindest über Navigationsgerät oder Mediacenter mit der virtuellen Welt verbunden ist.
So manches Objekt wird Bedürfnisse abdecken, von denen wir noch gar nicht wissen, dass wir sie überhaupt haben. „Noch sind die Reaktionen gegenüber dem autonomen Fahren verhalten. Aber wenn die Leute erst einmal merken, dass sie damit betrunken heimfahren können, wird jeder ein selbstfahrenes Auto haben wollen“, prophezeit Alge. Schließlich habe es auch beim Smartphone anfangs geheißen, das brauchen wir nicht. Inzwischen stolpern überall auf der Welt Menschen durch die Straßen, die auf kleine Bildschirme starren.
Die Managementberatung Oliver Wyman geht davon aus, dass bereits in vier Jahren jedes zweite Haushaltsgerät vernetzt sein wird. Bis 2020 soll die Zahl der Geräte, die an das Internet angeschlossen sind, auf bis zu 30 Milliarden Stück anwachsen – dazu zählen Kameras, Router, Festplattenrekorder, Fernseher, Drucker, Kühlschränke, Lautsprecher und vieles mehr.
Bei Herstellern, Softwareentwicklern und Werbewirtschaft sorgt das Internet der Dinge jedenfalls für Aufbruchstimmung. Wenngleich die Prognosen bezüglich des tatsächlichen Potenzials ziemlich auseinandergehen. Die konservativste Schätzung geben die Unternehmensberater von McKinsey ab: Sie beziffern es bis 2020 auf 3,7 Milliarden US-Dollar. Mitbewerber Bain & Company schätzt für denselben Zeitraum den Gesamtmarkt auf 470 Milliarden Dollar. So viel ist sicher: Ein milliardenschwerer Markt tut sich auf jeden Fall auf.
Es wäre falsch, das Internet der Dinge als überflüssigen Firlefanz abzutun.
Auch für die Mobilfunkbranche wird das Internet der Dinge ein immer wichtigeres Geschäftsfeld. Die Kommunikation der vernetzten Geräte ist letztlich nichts anderes als ein permanenter Austausch enormer Datenmengen. Die Netzbetreiber arbeiten längst an der nächsten, der fünften Generation des Mobilfunks (5G), die schnellere Datenverbindungen, kürzere Reaktionszeiten, eine größere Ausfallsicherheit und einen geringeren Stromverbrauch ermöglichen soll.
Es wäre falsch, das Internet der Dinge als überflüssigen Firlefanz abzutun. Ein smartes Home könnte zum Beispiel dabei helfen, dass alte Menschen länger in ihren Wohnungen bleiben können. Die Geräte könnten überwachen, ob alles in den üblichen Bahnen läuft und bei Problemen den Pflegedienst informieren. Die positiven Aspekte einer Zukunft ohne Unfälle, weil selbstfahrende Autos untereinander sowie mit der Verkehrsinfrastruktur kommunizieren, sind auch nicht von der Hand zu weisen.
Doch vieles steckt noch in den Kinderschuhen. Das zeigt sich beim Ausprobieren vieler smarter Produkte. Die Kundenrezensionen auf diversen Onlineplattformen sprechen Bände. Denn oft zeigt sich, dass der Komfortgewinn im Verhältnis zur oft komplizierten und umständlichen Bedienung gering ist. Zudem arbeiten WLAN und Bluetooth längst nicht so zuverlässig, wie man das gerne hätte. Dazu kommt: Die Vernetzung macht die Dinge nicht nur smart, sondern auch verletzlich. „Da werden Geräte mit dem Internet verbunden, deren Software oft nicht sicher ist“, sagt Markus Kammerstetter vom Secure Systems Lab der Technischen Universität Wien.
Bei Webkameras, Online-Babyphones oder intelligenten Glühbirnen steuert sogenannte Firmware die grundlegende Funktionsweise des Geräts. Aktualisiert werden diese Programme selten bis gar nicht. Aktueller Virenschutz, Installation einer Firewall, regelmäßiges Update des Betriebssystems – all das, was bei der Nutzung eines PCs oder Laptops selbstverständlich sein sollte, fehlt bei diesen Geräten. So verkaufte beispielsweise ein deutscher Lebensmitteldiscounter Überwachungskameras, mit denen sich das eigene Zuhause aus der Ferne beobachten ließ. Allerdings waren die Geräte so mangelhaft konfiguriert, dass Live-Bild und -Ton für jeden über das Internet abrufbar waren. Doch nicht nur die Privatsphäre Einzelner ist in Gefahr. Die Sicherheitslücken können dazu führen, dass die Gegenstände gekapert und Teil digitaler Attacken werden. Sogenannte Bot-Netze übernehmen Zehntausende schlecht geschützte Geräte und stellen kollektiv so viele Anfragen an eine Website oder andere Dienste im Netz, auf dass diese unter der Last zusammenbrechen und unzugänglich werden. Mit dieser Methode lassen sich Unternehmen erpressen. Was auch regelmäßig passiert. Ein solcher Angriff führte vergangenen Herbst dazu, dass die Router von fast einer Million Kunden der deutschen Telekom ausfielen. Der Versuch, die Geräte als Angriffsplattform zu nutzen, scheiterte – in diesem Fall – jedoch.
Doch wie schützt man sich davor, dass der eigene Kühlschrank zur Spamschleuder wird oder Schlimmeres anstellt? „Als normaler Konsument ist man völlig machtlos. Der Besitzer bekommt meist nicht einmal mit, wenn in sein Gerät eingebrochen wurde“, sagt Kammerstetter.
Wieland Alge prophezeit für die nächste Zeit noch größere und zerstörerische Attacken: „Es gibt eine beeindruckende Bandbreite an Bedrohungsszenarien.“ Doch nach ein paar Jahren werde sich das Gefährdungspotenzial einpendeln: „Denn Unternehmen, die sich nicht um die Sicherheit ihrer Produkte scheren, wird es nicht lange geben.“
Und bis dahin hat Amazons Sprachassistentin „Alexa“ vielleicht auch gelernt, Stimmen zu unterscheiden und Aufträge nur von kompetenter Seite entgegenzunehmen.