US-Präsident Donald Trump hat Zölle für fast alles und alle beschlossen. Die internationalen Börsen sind daraufhin so stark wie seit Corona und der Finanzkrise 2008 nicht mehr abgestürzt. Für die meisten Länder hat er die Zölle jetzt doch pausiert, China belegte er mit einem 145-prozentigen Zoll. Und das alles in nur einer Woche. Führt Trump die Welt in eine neue Weltwirtschaftskrise?
Harald Oberhofer
Er bringt jedenfalls das globale Handelssystem an seine Grenzen. Die größte Volkswirtschaft der Welt fährt gerade Handelsbarrieren hoch, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben. Das führt nebenbei zu dem Problem, dass unsere Modelle zur Abschätzung der Folgen an ihre Grenzen stoßen, weil die Komplexität und Größenordnungen der Zölle zu hoch sind. Das Zollniveau in den USA ist so hoch wie zuletzt in den 1930er-Jahren, sollte Trump die reziproken Zölle in 90 Tagen doch in Kraft setzen.
Kann man das, was jetzt passiert, mit dem Vorabend der großen Rezession in den 30er-Jahren vergleichen?
Oberhofer
Von der Art her, wie sich die USA gegenüber dem Rest der Welt durch Zölle abschotten, ist das sicher vergleichbar. Das ist Trumps Vision. Er möchte die USA autark machen und über Zölle das US-Budget finanzieren.
Ihr deutscher Ökonomen-Kollege Michael Hüther bezeichnet Trumps Handelspolitik als Atombombe auf die Weltwirtschaftsordnung. Übertreibt er?
Oberhofer
Für Schlagzeilen sind solche Zuspitzungen immer gut. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg die wirtschaftliche Weltordnung maßgeblich geprägt: ein System des regelbasierten, internationalen Handels. Und gerade dieses Land zertrümmert jetzt diese Weltordnung.
Die EU hat Vergeltungszölle in der Höhe von 25 Prozent auf Waren im Wert von 21 Milliarden Euro angekündigt. Das betrifft vor allem Bekleidung, Soja und Agrarprodukte neben den schon beschlossenen Zöllen für Stahl und Aluminium. Versucht Europa gerade, einen Flächenbrand mit der Spritzpistole zu löschen?
Oberhofer
Jetzt wird erst mal nur ein Paket von vier Milliarden in Kraft treten. Mitte Mai kommen dann weitere Zölle dazu, die letzten erst im Dezember. Im Wesentlichen reagieren wir genauso wie 2018. Genau genommen sind diese vier Milliarden die Zurücknahme der Zurücknahme der Zölle von 2018. Es geht um die Symbolik, indem man bekannte Marken mit viel Prestige wie Harley-Davidson anvisiert.
Was den USA tatsächlich wehtäte, wäre, die Tech-Giganten empfindlich zu treffen. Dazu können sich die EU-Staaten aber bisher nicht durchringen. Wieso?
Oberhofer
Ein Aspekt ist in der Diskussion zu kurz gekommen: Es sind nicht alle Einfuhren von US-Zöllen betroffen. Die Liste der Ausnahmen ist 37 Seiten lang: Pharmaprodukte, Halbleiter, Kupfer, Holz und Energieimporte sind ausgenommen. Jetzt könnten wir das so interpretieren, dass dies Produkte und Vorleistungen sind, die die USA dringend brauchen. Als Antwort könnten wir Exportzölle für diese Erzeugnisse beschließen. Der zweite große Hebel in Europa ist der Dienstleistungshandel. Man kann hier wie Trump argumentieren: Da haben wir ein massives Handelsbilanzdefizit, und wenn wir das nach der gleichen Formel durchdeklinieren, könnten wir Zölle von 27 Prozent für US-Dienstleistungen verlangen.
Nur lassen sich Algorithmen wesentlich schwieriger bezollen als Waren. Man müsste das über eine Digitalsteuer machen, aber Steuerkompetenzen sind nationalstaatlich geregelt.
Oberhofer
Eine Digitalsteuer hätte sogar einen relativ breiten Konsens in der EU, aber Irland ist skeptisch (weil viele Tech-Konzerne ihre Europa-Zentralen dort haben, Anm.). In Österreich haben wir schon eine Digitalsteuer, hier müsste man nur den Steuersatz anpassen. Wir haben seit 2021 auf europäischer Ebene das sogenannte Anti-Coercion-Instrument. Es erlaubt der EU-Kommission, auch unorthodoxe Maßnahmen zu ergreifen, wenn zum Beispiel – wie jetzt – mit wirtschaftlichen Mitteln massiver politischer Druck gegen die EU oder Mitgliedstaaten erzeugt wird. Das Steuerthema ist in der Umsetzung aber natürlich deutlich komplexer.
Trump will, dass wir viel mehr Flüssiggas aus den USA kaufen. Uns genau jetzt von Energieimporten aus den USA stark abhängig zu machen, wäre aber aufgrund von Trumps Anti-EU-Einstellung vielleicht nicht so schlau.
Harald Oberhofer, Ökonom
zu Trumps Forderungen an die EU.
Sie haben bei der Regierungsklausur auch die Bundesregierung in Handels- und Zollfragen beraten. Wir sind ein kleines Exportland, und die Zölle treffen unsere Industrie sehr hart. Was soll Österreich jetzt also tun?
Oberhofer
Die EU, und Österreich ist Teil davon, könnte in diesem ersten Paket etwas gemäßigter regieren und guten Willen zeigen, um Trump an den Verhandlungstisch zu bringen. Das scheint das letzte Mal gelungen zu sein. Offensichtlich reicht es ihm aber nicht, was Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen hat, nämlich eine beidseitige Zollbefreiung für alle Industrieerzeugnisse. Hier haben wir ohnehin einen Überschuss, und eine Zollbefreiung wäre vor allem für die EU gut und weniger für die USA. Trump will, dass wir viel mehr Flüssiggas aus den USA kaufen. Uns genau jetzt von Energieimporten aus den USA stark abhängig zu machen, wäre aber aufgrund von Trumps Anti-EU-Einstellung vielleicht nicht so schlau. Was wir jetzt machen müssen, ist, neue Märkte zu erschließen. Und hier spielen Freihandelsabkommen eine Rolle.
Die in Österreich alles andere als populär sind …
Oberhofer
Ich habe empfohlen, die Verhandlungen über ein Abkommen mit Indien noch heuer abzuschließen. Andere Abkommen sind fertigverhandelt und warten auf die Ratifizierung in den EU-Mitgliedstaaten, Mercosur (Anm.: Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) zum Beispiel. Wir dürfen weder Trump noch unseren anderen Verhandlungspartnern gemischte Signale senden, indem immer ein Land ausschert. Die Regierungschefs und Handelsminister können gern hinter verschlossenen Türen streiten, aber jetzt müssen wir nach außen geschlossen auftreten. Weil wir sonst unglaubwürdig sind und Trump das beinhart ausnutzen wird. China ist auch sehr aktiv darin, neue Märkte zu erschließen und Verbündete zu suchen. Wenn wir nichts tun, wird China bei der Kompensation des ökonomischen Schadens durch die US-Zölle viel erfolgreicher sein als wir.
Handelsströme passen sich schnell neuen Gegebenheiten an. Wenn China seine Waren nicht mehr in den USA verkaufen kann, werden sie zu noch günstigeren Preisen zu uns kommen. Was bedeutet das für Europa?
Oberhofer
Es ist klar, dass China seine Produkte woanders unterbringen möchte. Dann kämen wir in eine Preis-Dumping-Situation. Das führt wiederum dazu, dass alle Wirtschaftsräume protektionistisch agieren, um ihre Industrien zu schützen. Diese Sorge geht gerade in der heimischen Industrie um. Am Ende würde sich jeder gegen jeden mit Zöllen schützen. Wir müssen diese Zollspirale unbedingt vermeiden und kooperative Lösungen mit unseren anderen Handelspartnern finden.
Wenn sich alle gegenseitig mit Zöllen überhäufen, sind die Wettbewerbsbedingungen am Ende wieder für alle gleich, aber es ist viel teurer.
Oberhofer
Deshalb muss man versuchen, diese Handelsumlenkungen im Rahmen zu halten und die ökonomischen Schäden halbwegs fair auf alle zu verteilen.
Treibt Donald Trump gar mit seiner unberechenbaren Zoll-Politik Europa China in die Arme. Und profitiert US-Feind China am Ende davon? "Ja, genau das tut er", meint Ökonom Oberhofer.
Die USA wollten eigentlich verhindern, dass sich Europa von den USA entkoppelt und seine eigene China-Politik betreibt. Treibt Trump Europa jetzt China in die Arme?
Oberhofer
Ja, genau das tut er. China agiert strategisch sehr klug. Es zieht wegen der Zölle vor die Welthandelsorganisation und sagt: Wir sind diejenigen, die das regelbasierte Handelssystem respektieren, wir sind der verlässliche Anker. Es gab auch ein gemeinsames Statement von China, Japan und Südkorea, wie man auf die US-Zölle reagieren möchte. Das ist historisch beachtlich. Japan fürchtet sich eigentlich vor China.
Also macht Trump gerade nicht die USA, sondern China „great again“?
Oberhofer
Sein Vorgehen stärkt jedenfalls den Einfluss Chinas außerhalb der USA.
Derzeit leiden vor allem die US-Bürger unter Trumps Handelspolitik. Die Inflation wird steigen, Investoren stoßen US-Staatsanleihen ab. Das Kapital sucht sicherere Häfen, die Pensionen schmelzen dahin. Wie lange lassen die Amerikaner sich das noch gefallen?
Oberhofer
Die Pause für den Großteil der Zölle hat zu einem Kurswachstum auf den internationalen Finanzmärkten geführt. Die Verluste konnten kurzfristig etwas reduziert werden. Wie sich das weiterentwickelt, hängt vom Erfolg der Verhandlungen mit den USA ab und davon, ob Trump in den kommenden 90 Tagen tatsächlich keine weiteren Zölle verhängt. Das mit den US-Staatsanleihen ist auch sehr interessant. Dahinter steckt vermutlich unter anderem China, weil es neben Japan einen sehr großen Teil davon hält. China hat damit eine mächtige Waffe in der Hand, weil es so die Refinanzierung der USA erschwert und verteuert. Der zweite große Hebel sind die Seltenen Erden. Beschränkt China ihre Ausfuhren, kann sich Big Tech in den USA eingraben. Wie lange die US-Bürger sich das alles gefallen lassen, ist eine gute Frage. Bis zu den Zwischenwahlen in eineinhalb Jahren sind wir Trump ausgeliefert. Bis dahin sitzen im Kongress sehr viele Trump-Anbeter, die ihm ihren Job verdanken.
Zur Person
Harald Oberhofer (41) ist Außenhandels-Ökonom und Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er forscht zudem am Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Industrie-Ökonomie, internationaler Wettbewerb und internationale Wirtschaftsbeziehungen. Er berät regelmäßig die Regierung in Außenhandelsfragen und trägt stets einen Hut.