Wirtschaftsstandort

Droht die de-industrielle Revolution?

Konjunkturflaute, hohe Energie- und Arbeitskosten und massive Konkurrenz aus dem Ausland – die heimische Industrie hat ihre besten Jahre hinter sich. Steht Österreich am Beginn seiner Deindustrialisierung oder ist das alles nur ein Gewitter, das bald vorübergeht?

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Manche Ortschaften in Österreich kennt man nicht unbedingt um ihrer selbst willen. Sie sind im Lauf ihrer Geschichte rein zufällig zu strategischer oder wirtschaftlicher Bedeutung gekommen. Weil sie im Geografie-Lotto gewonnen haben oder ihre Bewohner irgendwann etwas Großes, Ungewöhnliches geschaffen haben. Baumgarten an der March etwa wegen seiner direkten Gasleitung nach Russland. Fuschl am See wegen der Firmenzentrale von Red Bull. Oder Mattighofen. Die Marktgemeinde im oberösterreichischen Innviertel zählt knapp 7400 Einwohner. Gefühlt jeder Zweite hier arbeitet bei KTM. Noch.

300 Stellen in der Produktion und 120 im Bereich Forschung und Entwicklung streicht KTM, eine Marke von Pierer Mobility, an den Standorten Mattighofen und Munderfing in diesem Jahr. Die Produktion für Mittelklasse-Modelle wird nach Indien verlagert. Und Teile der konzerninternen Forschung und Entwicklung finden künftig in China statt. Der Motorrad- und E-Bike-Hersteller ist zum Sinnbild der lodernden Abwanderungsdebatte in Österreich geworden. Obwohl streng genommen hier niemand ein Werk zusperrt, um es am anderen Ende der Welt um einen Bruchteil der Lohn-Stück-Kosten neu hochzuziehen. Aber allein die Tatsache, dass Stellen gestrichen werden und Know-how und Investitionen ins Ausland fließen, ist eine herbe Niederlage für den Wirtschaftsstandort. Und Pierer Mobility ist nicht der einzige Konzern, der in Österreich Stellen einspart oder lieber im EU-Ausland investiert.

Die erfolgsverwöhnte heimische Industrie hat ihre beste Zeit vorerst hinter sich. In keinem anderen Bereich sind die Arbeitslosenzahlen prozentual so stark gestiegen wie hier – nicht einmal im krisengebeutelten Bausektor. Laut AMS nämlich um 17,3 Prozent im Jahresvergleich im Bereich „Herstellung von Waren“, also in der Güterproduktion – ein Spitzenwert. Die Aufträge sind nach den Rekordeingängen kurz nach der Pandemie wieder eingebrochen und zahlreiche Industriebetriebe haben begonnen – nachdem sie jahrelang den Fachkräftemangel beklagten –, Fachkräfte abzubauen. Auch Magna in Graz, ebenfalls ein tragender Wirbel im Rückgrat der heimischen Auto-Zulieferindustrie, muss redimensionieren, 450 Mitarbeiter sind betroffen.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".