Dubai: Ist so eine Expo überhaupt noch zeitgemäß?
Der Lippenstift wurde auf einer Weltausstellung (1883, Amsterdam) präsentiert, so auch das Telefon (1876, Philadelphia). Bedeutende Bauwerke wie der Eiffelturm in Paris (1889) oder das Atomium in Brüssel (1958) sind Zeugnisse früherer Expos. Doch was bleibt von der Weltausstellung in Dubai, die seit dem Oktober vergangenen Jahres über zehn Millionen Besucherinnen und Besucher aus aller Welt in das Emirat gelockt hat? Außer bunten Gebäuden, Solarbäumen und Fußgängerwegen, die mit leicht begehbarem Material ausgelegt sind?
Mit einer Fassade aus glänzenden Fischschuppen in allen Farben des Regenbogens versucht Pakistan, möglichst viele Menschen ins Innere seines Länderpavillons zu locken. Saudi-Arabien hat ein schiefes Gebäude mit gigantischer Spiegelfläche gebaut, das zu jeder Tages- und Nachtzeit Publikum ins Innere des palastähnlichen Bauwerks ziehen soll. Vor dem japanischen Pavillon bildet sich stets eine Hunderte Meter lange Warteschlange, denn im Innenraum erwartet die Besucher eine mit modernsten Technologien ausgestattete virtuelle Reise durch das ostasiatische Land.
192 Staaten sind auf der ersten Weltausstellung im arabischen Raum vertreten, jeweils mit eigenen Gebäuden, die eigens für die Expo aus dem Boden gestampft wurden. So unterschiedlich die vertretenen Nationen sein mögen, so sehr eint sie hier – zumindest auf dem Papier – ein gemeinsames Ziel: „Connecting Minds, Creating the Future.“ Es geht also in Dubai irgendwie darum, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Man darf Werbeversprechen wie diese nicht allzu wörtlich nehmen, denn natürlich geht es bei einer Weltausstellung zunächst einmal ums Geschäft – und die Show. China organisiert jeden Abend ein Licht- und Drohnenspektakel, die Schweiz legt einen roten Teppich beeindruckender Größe aus und lässt die Besucher einen echt anmutenden Berg besteigen. Russland stellt ein riesiges leuchtendes Modell eines menschlichen Gehirns zur Schau, und Deutschland hat eine Miniatur-Universität gebaut – akademische Abschlussfeier inklusive. In manchen Pavillons darf man sich frei bewegen, vorbei an Bildschirmen und Exponaten, die zeigen, wie innovativ das jeweilige Land wahrgenommen werden will.
Die „Expo 2020“ (sie war ursprünglich für Oktober 2020 angesetzt gewesen, ehe sie pandemiebedingt auf Oktober 2021 verlegt wurde) ist eine gigantische Leistungsschau der Welt. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich nicht lumpen lassen, einen würdigen Rahmen zu schaffen. Über 400 Hektar groß ist das Areal im Südwesten von Dubai – mit eigens dafür gebauter U-Bahn-Station. Sieben Milliarden Euro hat der Staat in die Hand genommen: Es gibt Wassershows, Konzerte, Paraden, hochrangige Wirtschaftsbesuche und ein breites kulinarisches Angebot. Doch ist all das in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung überhaupt noch zeitgemäß? Wem nützt eine Weltausstellung?
"Es ist ein Kampf um Aufmerksamkeit gegenüber den Besuchern," beschreibt Philipp Schramel, der Direktor des Österreich-Pavillons, das tägliche Expo-Leben. Während andere Staaten auf bunt blinkende Leuchtreklamen setzen, versucht Österreich sein Glück etwas dezenter. Ineinander verschnittene und innen mit Lehm verputzte Kegel bilden die Hülle des österreichischen Auftritts. Im Inneren der Windtürme kann das Land mit allen Sinnen erfasst werden, wie der Slogan "Austria makes sense" verspricht: Besucher können etwa den Duft von Zirbenholz einatmen oder eine minimalistisch gestaltete Beamershow ansehen, die Österreichs Klischees in den Vordergrund rückt: Lipizzaner, klassische Musik und Berge. Es werden die neuesten Produkte großer und kleiner heimischer Unternehmen wie "Borealis", "Frequentis", "Doka" oder "Helioz" ausgestellt. Das selbst erklärte Ziel, das durch den knapp 18 Millionen Euro teuren "erdigen Pavillon" erreicht werden soll: Österreich innovativ und kreativ zu präsentieren, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die touristische Attraktivität Österreichs zu vermitteln. Wie es damit läuft? "Die Messbarkeit der tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen eines klassischen Besuchers ist relativ schwer. Es ist einfach wichtig, hier zu sein und Flagge zu zeigen", erklärt Schramel. Bei der Besucherzahl ist noch Luft nach oben. Bis Mitte Jänner hatten sich rund 500.000 Leute den Pavillon (und die vor dem Gebäude ausgestellten Schneekugeln, made in Austria) angesehen; die Schweiz, die auch auf der Expo Österreichs Nachbarin ist, kam auf doppelt so viele Besucher. Das Schweizer Habitat hat gegenüber dem Österreich-Pavillon allerdings auch einen entscheidenden Vorteil: Es ist wasserdicht. Den österreichischen Windtürmen hat der seltene Regen Dubais Anfang des Jahres schwer zu schaffen gemacht.
Die teilnehmenden Staaten können jeweils auswählen, welches der drei "Subthemen" der Expo-Mobilität, Möglichkeiten der Zukunft oder Nachhaltigkeit - ihrem Land am ehesten entspricht, und ihren Pavillon im dafür vorgesehenen Sektor erbauen. Wie auch China und Ägypten hat Österreich sich für den Bereich der Möglichkeiten der Zukunft entschieden, denn: "There is no opportunity without sustainability",erklärt Schramel. Das soll heißen: Nachhaltigkeit sei sowieso eine Grundvoraussetzung. Das beginne schon bei der Architektur des Pavillons. "Die klassische lokale arabische Bauweise der Windtürme, gekoppelt mit österreichischer Technologie, ermöglicht es, bis zu 70 Prozent an Energie einzusparen." Überhaupt scheint das Thema Nachhaltigkeit zentral und bis ins letzte Eck der Expo sichtbar: Sogar der Öffnungsmechanismus der Mülltonnen wird mittels Solarenergie angetrieben, auf allen permanenten Gebäuden der Expo befinden sich Solarzellen, die etwa 22 Prozent der benötigten Energie liefern sollen. Und auch nach Ablauf der Weltausstellung soll es nachhaltig weitergehen - im sogenannten "District 2020":Um die 80 Prozent der auf der Expo errichteten Gebäude werden als künftige Stadt erhalten bleiben, heißt es. Sconaid McGeachin, Pressesprecherin der Expo, erklärt: "Das Gelände hier wird etwa viermal so groß sein wie jetzt, wird also weiterwachsen und eine Stadt der Zukunft darstellen."Das Innere der Pavillons soll umgestaltet und entweder zu Wohnzwecken oder als Geschäfts-und Forschungszentrum genutzt werden. Die einzelnen Staaten können selbst wählen, ob sie ihre Gebäude dort belassen.
Der Expo in Dubai war nicht wenig Kritik vorausgeeilt. Einen Monat vor Beginn der Ausstellung hatte das Europäische Parlament eine Resolution gegen die Veranstaltung verabschiedet und die EU-Staaten aufgefordert, der Weltausstellung fernzubleiben-wegen der problematischen Menschenrechtslage in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Vorwürfe wogen schwer. Emiratische Baufirmen würden Rechte von Arbeitsmigranten ausnutzen, indem sie ihre Pässe konfiszieren, sie lange arbeiten und unter unhygienischen Bedingungen wohnen lassen. Das Gastgeberland wies die Vorwürfe umgehend zurück, und auch auf der Expo will man davon nichts wissen: "Das Wohlergehen der Arbeiter haben wir sehr ernst genommen, noch bevor wir überhaupt mit dem Bau angefangen haben",sagt Sconaid McGeachin und verweist auf das sogenannte "Worker Welfare Programme" - ein Papier, das sich dem Arbeiterschutz bei der Expo verschreibt. Darin heißt es etwa: "Zu diesem Zweck führen wir häufige Inspektionen der Arbeits- und Lebensbedingungen all jener durch, die am Bau der Expo 2020 beteiligt sind."
Mit einem dreimal so großen Budget wie Österreich hat Deutschland einen sogenannten Campus Germany auf die Expo gesetzt - freilich, wie könnte es anders sein, mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit: "Das Thema ist in Deutschland in der Gesellschaft angekommen, hier noch nicht in dieser Form. Wir wollen der lokalen Bevölkerung in subtiler Art und Weise zeigen, dass es auch anders geht. Wir möchten Leute dazu inspirieren, ihren Lebensstil zu hinterfragen",meint Sebastian Rosito, Direktor des deutschen Expo-Pavillons. Das Bauwerk soll nach Ende der Ausstellung jedenfalls wieder abgebaut, alle Baumaterialien, die zu 100 Prozent recycelbar seien, wiederverwendet werden. Also aufstellen, dann abbauen, aber dennoch alles nachhaltig, so die Idee.
In Österreich ist man sich ob der Zukunft des eigenen Pavillons nicht sicher. Möglicherweise soll er einer Universität aus dem Oman für Forschungszwecke vermacht werden. Welcher der Länderpavillons somit tatsächlich für den "District 2020" übrig bleibt, steht noch nicht abschließend fest. Die von der Expo selbst errichteten Gebäude, wie etwa der "Al Wasl Dome" im Zentrum des Geländes, sollen jedoch alle erhalten bleiben. Wer weiß, vielleicht wird die Kuppel, die größte 360-Grad-Projektionsfläche der Welt, die in unterschiedlichsten Farben erstrahlt, ein künftiger Touristenmagnet und zu Dubais neuestem Wahrzeichen? Schließlich war auch für den Eiffelturm in Paris nach der Expo Ende des 19. Jahrhunderts nicht geplant, noch 130 Jahre später zu Frankreichs beliebtesten Sehenswürdigkeiten zu zählen-obwohl sein Schicksal eigentlich vorbestimmt war: Abriss.
Die Grundidee hinter der ersten Weltausstellung in London in Zeiten der Industrialisierung war der Wunsch nach einer internationalen Ausstellung als technische und kunsthandwerkliche Leistungsschau-um nie Gesehenes zu präsentieren. Mehr als 60 Weltausstellungen später ist das Ziel heute freilich ein anderes. Vielmehr sollen Weltausstellungen drängende Probleme der Gegenwart wie etwa den Umweltschutz ansprechen, wie das Expo-Komitee bereits in den 1990er-Jahren festhielt-so auch in Dubai und 2025 im japanischen Osaka. Der Begriff Nachhaltigkeit lässt sich vielseitig einsetzen. Und so nutzt manch ein Land die Schau auch für politische Propaganda. Der chinesische Pavillon gleicht einem Xi-Jinping-Museum. Beim Betreten des Gebäudes werden die Besucher per Videoleinwand vom Staatspräsidenten höchstpersönlich begrüßt und gleich mit den Vorzügen der Volksrepublik bekannt gemacht. Zwischen Bildern von Xi Jinping mit anderen Staatsoberhäuptern finden sich Lobpreisungen auf das chinesische System der totalen Überwachung per Smartphone. Die Vereinigten Arabischen Emirate wiederum betonen die Fortschrittlichkeit des erst 50 Jahre alten Landes und lassen ihren Gründervater Scheich Zayid bin Sultan Al Nahyan hochleben.
Am Ende ist die Opulenz des Auftritts - wie so oft - eine Frage der verfügbaren Mittel. Während die Schweiz etwa mit dem Hauptsponsor "Rolex" aufwarten kann, gestaltet sich die Finanzierung des Expo-Auftritts für Staaten wie Sri Lanka oder Sierra Leone schwieriger. Die Weltausstellung stellt Ländern, die sich keinen eigenen Pavillon leisten können oder möchten, zwar eigene Bereiche zur Verfügung. Mithalten mit den großen Gebäudekomplexen Italiens oder Frankreichs können diese natürlich nicht und verzeichnen naturgemäß weniger Besucher und erregen weniger Aufmerksamkeit.
Ist es tatsächlich im Sinne einer nachhaltigen Welt, dass am Ende der Expo insgesamt rund 25 Millionen Menschen ins Emirat gereist sein werden, und das großteils im Flugzeug? Die Idee, als Weltgemeinschaft große Probleme gemeinsam zu lösen, mag verdienstvoll erscheinen. Aber hier in Dubai werden diese Probleme eher nicht gelöst werden. Wenn überhaupt, ist diese Expo ein Disneyland für Erwachsene, die für rund 20 Euro am Tag durch eine Glitzerwelt spazieren. Die großen Nationen räumen die Aufmerksamkeit ab, die ökonomisch ohnehin schwachen müssen sich hinten anstellen. Auf die Frage, warum Österreich teilnimmt, antwortet Philipp Schramel schließlich: "Es wäre negativ aufgefallen, wenn wir nicht dabei gewesen wären."
Dieser Beitrag wurde im Rahmen einer Initiative des Österreichischen Journalistinnenkongresses verfasst. Die Pressereise wurde mit Mitteln des BMDW und der WKO finanziert.