Dyk: Die Mehlmacher aus dem Waldviertel
Von Fabian Graber
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Lisa Dyk öffnet die Tür zu einem exponierten Balkon mit einem Metallrost als Boden. Das Rauschen der Thaya unter ihr vermischt sich mit dem gleichbleibenden Surren einer Filteranlage, die permanent läuft. „Sonst würde der ganze Ort nach Malz riechen“, sagt Dyk. Denn unter ihr lagern mehreren Tonnen Getreide in einem der Silos, die den Mühlenbetrieb ihrer Familie mit Rohmaterial versorgen. Eine stets unabhängige Mühle in Österreich, die sich über fünf Generationen behauptet hat.
Unabhängig sein, das wird im Familienunternehmen der Dyks großgeschrieben. Es lag an Lisa Dyks Vater – Peter Dyk –, die Mühle in Raabs an der Thaya im nördlichen Waldviertel in der Nachkriegszeit zu übernehmen. Dyk wollte aber nicht gleich in den Betrieb einsteigen und ging für mehrere Monate nach Südafrika. In dem noch von der Apartheid beherrschten Land betrieb er zwei Mühlen und lernte seine zukünftige Frau – Lydia – kennen. Die Entwicklungen in der südafrikanischen Landwirtschaft zeigten ihm aber auch, was auf Österreich noch zukommen könnte: dass kleine Mühlen kontinuierlich von großen Unternehmen verdrängt werden.
Mit dem ganzen Korn
Nach seiner Rückkehr ins Waldviertel startete Peter Dyk den ersten Versuch, der damals heruntergewirtschafteten Mühle in Raabs neuen Schwung zu verleihen. Anfangs plante er, Mehl zu produzieren, von dem man nicht zunimmt – also mit weniger Stärke und mehr Eiweiß. Es stellte sich aber heraus, dass man das daraus gebackene Brot durch den hohen Proteingehalt kaum herunterbekam. „Man kaut und kaut wie beim Kaugummi, und es wird nicht weniger“, schreibt er dazu auf der Website.
Vollkorn oder Bio, das waren damals höchstens Randthemen in der Landwirtschaft. Peter Dyk machte sich aber mit befreundeten Landwirtinnen und Landwirten daran, Getreide ohne Spritzmittel herzustellen. Und beim Thema Vollkorn startete er ein Forschungsprojekt, das der Frage nachgehen sollte, wie man Vollkornmehl günstig herstellen kann. Gemeinsam mit Ernährungswissenschafterinnen und einer Maschinenbaufirma entwickelte er ein Mahlverfahren, das Vollkornmehl bis zu neun Monate haltbar macht und vergleichsweise schnell vonstattengeht. Laut dem Unternehmen wird bei dem Verfahren der besonders verderbliche Keimling des Getreides nicht wie üblich abgetrennt, separat behandelt und anschließend wieder beigefügt, sondern das gesamte Korn auf einmal vermahlen.
Durch die Kompaktheit wurde es möglich, die gesamte Mühle in Schiffscontainern unterzubringen, sodass die Anlage auch mit wenig Aufwand transportiert werden konnte. Der Unternehmer ließ die kompakte Mühle daraufhin patentieren.
Das allein reichte aber nicht, um den bestehenden Betrieb in Raabs zu retten. Peter Dyk machte zu schaffen, dass damals die Menge, die eine Mühle verarbeiten durfte, in Österreich noch gesetzlich geregelt war. Die Dyks hatten ein Kontingent ausgefasst, das aus deren Sicht zu niedrig war, um wirtschaftlich überleben zu können. „Mein Vater hat ein Schlupfloch gefunden und ab den 1980er-Jahren begonnen, mit mobilen Mühlen direkt bei den Landwirten zu mahlen, um die gesetzlichen Kontingente zu umgehen“, sagt Lisa Dyk.
Ihr Vater machte sich damit nicht nur bei anderen Mühlenbetrieben unbeliebt, er hatte daraufhin auch Rechtsstreits am Hals – schaffte es aber, weiterzumachen. Geholfen hat ihm dabei, dass er beim Thema Vollkornmehl anscheinend den richtigen Riecher hatte: „Das hat eingeschlagen wie eine Bombe“, sagt Lisa Dyk heute. Mit dem EU-Betritt Österreichs im Jahr 1995 wurden die Mühlenkontingente auch in Österreich abgeschafft, und die Dyks hatten freie Bahn.
Lisa Dyk
„Ich habe schnell entschieden, nur mehr Bio zu machen. Für meinen Vater war das ein Schock, da wir auch fast alle Kunden, also die regionalen Bäcker, verloren haben. Doch das Timing war gut, Bio ist damals richtig in Fahrt gekommen“
Große Pläne in Afrika
Das Streben nach Unabhängigkeit und seine Verbindungen nach Afrika beschäftigten Lisa Dyks Vater weiter. Bereits in den 1970er-Jahren gründete er ein Tochterunternehmen, die CMS Austria. Das steht für „Compact Milling Systems“ – also kompakte Mühlen-Systeme, basierend auf dem von Dyk mitentwickelten Mahlverfahren. „Mein Vater hat damals auch gesehen, dass es in Afrika oft große Mühlen-Komplexe gibt“, so Lisa Dyk. „Aus seiner Sicht wäre es aber viel wichtiger, lokale und dezentrale Mühlen aufzubauen, statt auf wenige, große Mühlen zu setzen. Denn die Landwirtschaft floriert um die Mühle herum, es geht um den lokalen Absatz.“
Es gelang ihrem Vater, einige dieser CMS-Mühlen nach Tansania, Nigeria und in den Sudan zu verkaufen. Laut Peter Dyks Tochter kamen einige der – zum Teil von Regierungen angeschafften – Mühlen der Familie kaum oder gar nicht zum Einsatz. „Für CMS war Afrika lange der Zukunftsmarkt“, sagt Lisa Dyk. Das Vorhaben ging aber nie auf.
In Raabs wurde die kompakte Mühle, die in der Minimalvariante aus einem Reinigungs- und einem Mahlcontainer besteht, indes dringend gebraucht. Im Jahr 1998 kam es zu einem Brand, und die Dyks ersetzten die alte Mühle daraufhin mit dem System von CMS. Wenig später, im Jahr 2002, gab es in Österreich wiederum verheerende Hochwasser, die auch den Betrieb der Dyks bedrohten. Das veranlasste Lisa Dyk, in das Familienunternehmen einzusteigen.
Paulus Ruttin, Compact Milling Systems
„Bei den volatilen Preisen kann es auch ein Vorteil sein, wenn ich mein Getreide selbst verarbeiten kann und für das Endprodukt womöglich einen stabileren Preis bekomme“
Fast alle Kunden verloren
„Ich habe schnell entschieden, nur mehr Bio zu machen. Für meinen Vater war das ein Schock, da wir auch fast alle Kunden, also die regionalen Bäcker, verloren haben. Doch das Timing war gut, Bio ist damals richtig in Fahrt gekommen“, so Dyk. Sie landete einen Großkunden für Bio-Paketmehl und konnte die verlorenen Mengen der Bäckereien schnell ersetzen.
Rundherum wurde in ganz Europa eine Mühle nach der anderen geschlossen. Aber seit den Lieferunterbrechungen während der Corona-Pandemie und durch das Chaos am Getreidemarkt wegen des Ukraine-Krieges wird wieder viel mehr von Unabhängigkeit gesprochen, auch in der Landwirtschaft. Nach einem massiven Anstieg sind die Getreidepreise seit letztem Jahr gesunken, weil die Ukraine wieder große Mengen exportiert. Laut Dyk haben jetzt viele Bauern Angst, wegen des Preisverfalls auf großen Mengen sitzen zu bleiben.
„Bei den volatilen Preisen kann es auch ein Vorteil sein, wenn ich mein Getreide selbst verarbeiten kann und für das Endprodukt womöglich einen stabileren Preis bekomme“, sagt Paulus Ruttin, der bei CMS für den Export zuständig ist. Oft gehe es aber auch darum, unabhängiger von Importen zu werden und Mehl auch selbst herstellen zu können. Man habe bereits Mühlen nach Polen und Israel verkauft. In anderen europäischen Ländern und in den USA würden ebenfalls Gespräche laufen, so Ruttin.
Im Betrieb in Raabs sind mittlerweile rund 20 Menschen beschäftigt. Insgesamt macht das Unternehmen der Dyks etwa vier Millionen Euro Umsatz im Jahr. Gegründet wurde es bereits im Jahr 1881 und ist seit damals in Familienbesitz. Die Thaya, die für den Betrieb schon fast die Katastrophe bedeutete, ist seit jeher auch die Lebensader des Unternehmens. Der Betrieb wird hauptsächlich mit dem Strom eines eigenen Wasserkraftwerks betrieben. In dessen geräumiger Maschinenhalle steht Lisa Dyk, umgeben von einem Rauschen. Sie bedient einen Schaltkasten mit Touchscreen und erklärt die Anzeigen. „Jetzt schaltet sich gleich die Turbine dazu“, sagt sie. Auf dem Bildschirm fährt ein kleiner Balken hoch, sonst ändert sich nichts. Aber für Dyk macht es einen großen Unterschied. In den vergangenen Wochen hat es wenig geregnet, der Fluss führt nicht genug Wasser, um genug Energie zu liefern. Solarenergie soll die Energiesicherheit verbessern. „Wir wollen so unabhängig werden wie möglich“, sagt Dyk.