E-Autos aus China: Spannungen im Fernost-Verkehr
Es hat einen Hauch von Apple, wenn man die Shopping City Süd (SCS) durch den Eingang 10 betritt. Und das liegt nicht nur daran, dass der Premium-Shop des US-amerikanischen Technologiekonzerns das dritte Geschäft auf der rechten Seite ist. Gleich nach der Drehtür versteckt sich ein vergleichsweise kleines Geschäft. Über dem Eingang steht: BYD. Dahinter parken Dolphin, Atto 3 und Han – die E-Automodelle des chinesischen Herstellers „Build Your Dreams“ oder nur BYD. Während beim Apple-Shop schräg gegenüber die neuesten iPhone-Modelle in Blau, Gelb, Grün, Pink oder Schwarz zu haben sind, dominieren hier die Farben „mountain green“, „time grey“ oder „emperor red“. Eines haben aber sowohl der Apple- als auch der BYD-Store gemein: Clean und schlicht stehen die Produkte wie auf einem Präsentierteller im Mittelpunkt. Die vergleichsweise preisgünstigen E-Modelle wie jene von „Build Your Dreams“ werden nicht nur von Interessierten in der SCS angeschaut – sondern auch ganz genau von der EU-Kommission.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat im Rahmen ihrer Rede zur Lage der Union mit einer Ansage aufhorchen lassen: Die EU-Kommission werde eine Wettbewerbsuntersuchung wegen Marktverzerrungen durch chinesische Subventionen für Elektroautos einleiten. „Der Preis dieser Autos wird durch riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt – das verzerrt unseren Markt“, lautete der Vorwurf von der Leyens im Europaparlament in Straßburg. Die Sorge: Chinesische E-Autos könnten dadurch so kostengünstig in der EU verkauft werden, dass heimische – vor allem deutsche – Hersteller nicht mithalten können. Je nach Ergebnis der Wettbewerbsuntersuchung stehen Maßnahmen wie höhere Einfuhrzölle auf BYD und Co im Raum. Der Zoll von derzeit rund zehn Prozent könnte in Richtung USA hochschnellen, wo es bereits 27,5 Prozent sind.
E-Auto zum Kampfpreis
In Vösendorf ist das kein Thema. Noch nicht. Vielmehr freut man sich hier auf ein Auto, das ab Oktober verfügbar sein soll: Ein neues Modell des 4,3 Meter langen Kompaktwagens BYD-Dolphin soll das erste vollelektrische Fahrzeug mit hochwertiger Ausstattung zum Kampfpreis werden – abzüglich aller derzeit erhältlichen Förderungen soll es 24.980 Euro kosten. Und damit ist es sogar billiger als Verbrenner in vergleichbarer Größe, wie zum Beispiel der VW Golf Rabbit. Es dürften Autos wie diese sein, die der EU-Kommissionspräsidentin Sorgen um die europäische Autobranche bereitet. Bis BYDs das Straßenbild erobern, wartet auf die Verantwortlichen aber noch eine Menge Imagearbeit. Kaum jemand in Österreich kennt die Marke. Auch deshalb hat man im vergangenen Winter das Verkaufslokal in der SCS eröffnet. „Dieser Store ist dafür da, die Marke bekannt zu machen und Interessierten Elektromobilität näherzubringen“, heißt es vor Ort. Insgesamt laufe es aber gut, mehrere Hundert Interessierte seien es pro Woche. Seit Jahresbeginn habe es über 2000 Probefahrten gegeben.
BYD ist aber längst nicht die einzige Automarke unter chinesischer Flagge, die in der EU vertrieben wird. MG, früher eine britische Marke, heute unter dem Dach des größten chinesischen Autokonzerns SAIC Motor, wird seit 2021 in Deutschland verkauft, ebenso Maxus. Erst im Mai dieses Jahres hat die österreichische Post mehr als 700 E-Fahrzeuge um rund 22 Millionen Dollar bestellt. Schließlich soll hierzulande bis 2030 gänzlich ohne Verbrenner zugestellt werden. Auch europäische Hersteller wie Zeekr, Nio, Elaris, Smart (Joint Ventures von Mercedes und dem chinesischen Automobilhersteller Geely; Anm.) und bis 2021 Volvo, kommen ohne ihre chinesischen Produktionsstätten und (Mit-)Eigentümer nicht aus.
Mit der angekündigten Wettbewerbsuntersuchung bei chinesischen Herstellern begibt sich die EU in ein Dilemma, wie die in Brüssel ansässige wirtschaftswissenschaftliche Denkfabrik Bruegel schreibt: Einerseits möchte die EU nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen – wie beispielsweise im Fall der nach China abgewanderten Solarzellenindustrie. Andererseits ziehe das Vorgehen der Kommission auch Kritik und den Vorwurf auf sich, die EU trete in eine neue, gefährliche Phase des Protektionismus ein. Ungewöhnlich ist das Vorgehen laut Bruegel aus zwei Gründen: Die Untersuchung wurde nicht – wie sonst üblich – von europäischen Industrieunternehmen angestoßen, sondern von der Kommission selbst. Und das Ausmaß der Antisubventionsuntersuchung ist größer als in bisherigen Fällen. Anders als zum Beispiel 2019, als die EU eine Untersuchung gegen Einfuhren von Glasfasermatten aus China und Ägypten einleitete, handelt es sich jetzt um einen Multimilliarden-Euro-Sektor, der zudem einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die menschengemachte Erderhitzung leisten soll: die Dekarbonisierung des Verkehrssektors.
Klimaschutz versus Standortpolitik?
„Wir dürfen bei der Debatte rund um mögliche Einfuhrzolle für chinesische E-Autos nicht unseren Fokus verlieren: Wie richten wir künftig in Österreich und in Europa unseren eigenen Wirtschaftsstandort auf die Herausforderungen der Zukunft aus?“, sagt Philipp Wieser, Leiter der OLÉ – Österreichs Leitstelle für Elektromobilität in der Bundesagentur AustriaTech. Das Kompetenzzentrum für Mobilitätstransformation ist als Bundesunternehmen dem Klimaschutzministerium (BMK) unterstellt. Essenziell ist laut Wieser, Fahrzeuge in Europa zu bauen, „die auch tatsächlich nachgefragt werden. Also leistbare und effiziente Fahrzeuge mit Fokus auf Sicherheit, Komfort und lokaler Wertschöpfung“, sagt der AustriaTech-Teamleiter für Dekarbonisierung und Fahrzeugtechnologien. Es brauche möglichst schnell leistbare Modelle europäischer Hersteller, um diesen Teil des Marktes nicht zu verlieren. „Und da geht es nicht nur um den Kaufpreis, sondern auch darum, dass alle Kosten gut einschätzbar und Service- sowie Vernetzungsleistungen gut gelöst sind. Und es braucht dabei eben auch einen Blick auf künftige Mobilitätsdienste und nicht nur allein auf Fahrzeuge“, meint der Mobilitätsexperte. „Die Zulieferindustrie ist für den Wirtschaftsstandort Österreich enorm wichtig. Auch die Automobilwirtschaft erwartet sich klare Zielsetzungen und eine geradlinige Strategie, nur so kann sie sich vollends auf ihre größte Stärke – die Innovation – fokussieren.“
Es braucht möglichst schnell leistbare Modelle europäischer Hersteller, um diesen Teil des Marktes nicht zu verlieren.
Eine andere Lösung als einen Einfuhrzoll auf chinesische E-Autos hat sich in der Zwischenzeit Frankreich überlegt. Während in Österreich nach der Rede „Österreich 2030“ von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im März wochenlang darüber debattiert wurde, ob Österreich wirklich ein „Autoland“ sei, das ohne Verbrennungsmotor nicht auskommt, hat sich die französische Spitzenpolitik ein neues Fördersystem für Elektroautos überlegt. Mit gleich mehreren Zielen: die Produktion von Batteriezellen und E-Autos in Frankreich und Europa zu stärken und Unternehmen zu belohnen, die bereits während der Herstellung auf einen niedrigen CO2-Abdruck achten. Um ab 1.1.2024 einen Ökobonus von der französischen Regierung zu erhalten, müssen Produzenten der „Agence de la transition écologique“ (ADEME) Informationen zu den Eigenschaften des Fahrzeugmodells (inklusive Gewicht), die Herkunft und Umweltauswirkungen der verbauten Materialien, vom Chassis bis zur Batterie sowie die CO2-Bilanz der Produktionsstätte und des Transportweges bis zum Händler offenlegen. Im Zuge einer Punkteliste wird entschieden, wie viel Geld der Hersteller von der Regierung zurückbekommt – 60 von 100 Punkten müssen aber mindestens erreicht werden, um überhaupt Subventionen zu erhalten.
Um überhaupt festzustellen, ob die E-Autoproduktion in China übersubventioniert wird, gibt es zwei Möglichkeiten. Harald Oberhofer, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und Ökonom am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) meint: „In der Vergangenheit liefen solche Verfahren im Rahmen eines Streitbeilegungsverfahrens der Welthandelsorganisation (WTO) ab. Da gibt es unabhängige Richter, einen Beschwerdeführer, das wäre in dem Fall die EU, und einen Beschwerdegegner (China; Anm.). Das hat in der Vergangenheit funktioniert, da alle Verfahrensinstanzen handlungsfähig waren.“ Das Problem: Der Großteil der internationalen Handelsstreitigkeiten wird erst im WTO-Berufungsgremium entschieden. „Und dieses ist nicht entscheidungsfähig, weil die USA aufgrund vergangener Rechtsstreitigkeiten die Nachbesetzung der notwendigen Anzahl an Richtern dieses Berufungsgremiums blockieren“, erklärt Oberhofer. Weil Verfahren, die ohnehin lange dauern – im Falle des Airbus/Boeing-WTO-Rechtsstreites waren es 17 Jahre –, dadurch zusätzlich in die Länge gezogen werden könnten, „gehe ich davon aus, dass die EU-Kommission das selbst untersuchen und gegebenenfalls Maßnahmen setzen wird“, sagt er.
Autoschau
In der Shopping City Süd in Vösendorf bei Wien werden die ersten BYD-Modelle schon für potenzielle Käufer ausgestellt.
In den vergangenen 15 Jahren hat die Kommission 342 Subventionsuntersuchungen gegen Einfuhren aus China eingeleitet – 431 waren es weltweit. Nicht immer wurden im Anschluss Maßnahmen gegen China ausgesprochen, auf rund 100 dieser Verfahren folgten keine Ausgleichszölle. Darauf hofft wohl auch der chinesische Hersteller BYD. 459 Neuwagen wurden bis Ende August in Österreich zugelassen, noch einmal so viele sollen bis Ende des Jahres dazukommen, um die Marke von 1000 verkauften Fahrzeuge zu knacken. Gelingen soll das mit dem neuen Dolphin und einem schlagkräftigen Händlernetz. Infrage kommen in Österreich nur Autohäuser, die Erfahrung im Vertrieb von Elektroautos mitbringen und von der Technologie überzeugt sind. Rund 30 sind es derzeit, ein paar sollen noch dazukommen. Ob die langfristige Strategie von BYD in Österreich aufgeht, wird auch vom Ergebnis der Untersuchungen für chinesische Produzenten abhängen. Bis dahin empfiehlt der Wirtschaftsthinkthank Bruegel: „Die EU, China und andere große Akteure wie Brasilien, Indien, Japan und die Vereinigten Staaten sollten bei der Welthandelsorganisation in Genf an einem Tisch sitzen und darüber diskutieren, wie mit den zunehmenden Subventionen für die Produktion sauberer Technologien umgegangen werden soll.“