Weltenbummelei: profil-Korrespondentin Tessa Szyszkowitz am Weg von London nach Wien.

E-Brexit: Von London nach Wien mit dem Elektroauto

Von London nach Wien im Elektroauto? Das gleicht einer Odysee im 21. Jahrhundert.

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Am Anfang standen eine verrückte Idee und eine volle Batterie: 136 Meilen Reichweite, also 220 Kilometer, war auf der Anzeige des Elektroautos zu lesen. Unser kühner Plan: mit dem ausschließlich strombetriebenen Fahrzeug von London nach Wien zu reisen. Eine Distanz von 1475 Kilometern wenn man keine Umwege fahren muss. Für die erste Etappe zur Fähre in Harwich sollte es also reichen.

In der britischen Metropole mit ihren acht Millionen Einwohnern gelten Benzin-und Dieselautos mittlerweile als Mordinstrumente, die asthmatische Kinder in den Tod treiben. Da fiel der Umstieg auf den gebraucht gekauften BMW i3 leicht. Die Batterie, die 33 Kilowattstunden elektrische Energie speichert -was etwa dem Gehalt von drei Liter Diesel entspricht -, ist für den Stadtverkehr völlig ausreichend. Doch würde sich das Gefährt auch auf der Langstrecke bewähren? Welche Komforteinbußen sind zu erwarten? Und ist die Distanz überhaupt bewältigbar?

Wir wollten es genau wissen, packten Sohn und Hund ins Auto und machten uns auf zum Faktencheck. So viel darf vorausgeschickt werden: Unser privater E-Brexit wurde zu einer Abenteuerreise mit Ziel, die zuweilen frappante Ähnlichkeit mit einer Irrfahrt aufwies.

In Thorpe-le-Soken im Südosten Englands machten wir den ersten Halt, um noch vor der Fährüberfahrt die Batterie vollzutanken. Eine App namens Polar instant, die vom Mineralölkonzern BP unterstützt wird, hatte uns zu einer Schnellladestation mit 50 Kilowatt neben einem Wellnesshotel gelotst, und wir, die um fünf Uhr früh losgefahren waren, freuten uns auf Energiezufuhr - Strom für das Auto, Koffein für uns. Bloß: Die E-Säule stand zwar dort, wo erhofft, doch der Touchscreen ließ sich nicht bedienen.

Da zeigte sich, dass das 21. ohne das 19. Jahrhundert nicht denkbar ist: Denn nur wer zum Telefon greift, kann die Software der E-Säule in Schwung bringen. Der freundliche Servicemann drehte den Stromspender einfach ab und wieder auf. Danach stiegen der Ladestand in der Batterie und die Hoffnung auf einen erfolgreichen E-Brexit wieder beträchtlich.

Nach der achtstündigen Schiffsreise fuhren wir in einer flotten Stunde von Rotterdam nach Amsterdam, in der festen Annahme, dass die dort angezeigten E-Säulen für uns sorgen würden. Das taten sie auch. Allerdings haben die grünen Stadtväter von Amsterdam elektrischen Autofahrern ein Ei gelegt. Um jeglichen Verkehr aus der Innenstadt zu verbannen, müssen auch elektrische Vehikel auf Parkplätzen mit Ladeoption Kurzparkgebühr zahlen. Und in Amsterdam zahlt man 24 Stunden, sieben Tage lang 7,50 Euro pro Stunde. Wer in der Nacht langsam lädt, erreicht bereits in vier Stunden den doppelten Ladepreis, der durchschnittlich bei 30 Euro liegt.

Grundsätzlich ist es gut, dass sich in Amsterdam die Mehrheit nur noch per Fahrrad fortbewegt. Nur für uns Unwissende war es das nicht. Bei der Weiterfahrt tankten wir jedoch problemlos an der nächsten Autobahnraststätte beim Elektro-Tankstellenbetreiber Fastned. Die von Shell unterstützte NewMotion-App erwies sich in den Niederlanden als hilfreich.

Die logistische Herausforderung ist nicht ohne: Statt mit einem Benzinauto irgendeine Tankstelle anzufahren und in wenigen Minuten einen vollen Tank von 60 Litern für die nächsten 800 bis 1000 Kilometer zu lukrieren, stellt sich bei Elektromobilen nicht nur die Frage, wie groß die Batterie ist. Bei großen Teslas mit 450 Kilometern Reichweite gehen Reisen über Land noch halbwegs, aber bei einem kleinen BMW i3 ist eben nach spätestens 200 Kilometern Strompause angesagt. In der Vorbereitung haben wir uns bei fünf Unternehmen registriert, die mit E-Chargern unseren Weg nach Wien pflasterten.

Impulsiven Menschen muss von einem elektrischen Roadtrip quer durch Europa abgeraten werden. Wer sich aber ein bisschen Zeit nimmt, entdeckt die Vorzüge der Langsamkeit. Es hat eine Anmutung von einer Reise mit der Postkutsche. Auch früher musste man geraume Zeit warten, bis sich die Pferde erholt hatten. Man erhebt die Weltenbummelei zum Prinzip, wobei die Betonung eher auf Bummeln als auf Welt liegt.

Während bei früheren Fahrten mit einem bewährten Dieselgefährt erst bei Frankfurt der Fuß vom Gaspedal genommen wurde, hieß es diesmal schon in Krefeld "Stopp". Die App hatte eine flotte 50-Kilowatt-Option am Stadtrand angegeben. Bei diesen Schnellladern dauert bei nicht allzu großer Batterie die Betankung nur 40 Minuten. Zumindest theoretisch. Denn nicht an jeder Ladestelle lässt sich jede Batterie auffüllen. Manche Apps wie Open Charge zeigen alle E-Charger an, aber nicht unbedingt, von welchen Firmen sie betrieben werden. Ob man dann mit kleinen Anbietern wie Plugsurfing, einem Berliner Start-up, glücklich wird oder mit den von den großen Ölfirmen betriebenen Anbietern, ist Glückssache. Oder vielmehr Pechsache.

Diesmal wollte die vom Infrastrukturentwickler Allego betriebene Zapfsäule nicht mit dem Auto kommunizieren. Da konnte wieder nur der freundliche Mann von der Servicenummer helfen: "Reboot!", befahl er und ließ uns umsonst tanken. "Damit Sie uns in guter Erinnerung behalten."

Das tun wir. Abends standen wir staunend in der Abendsonne vor dem alten Schloss in Aschaffenburg, in dem 800 Jahre lang die Erzbischöfe von Mainz residiert hatten, schauten bei der Brauerei Schlappeseppel vorbei und tankten Ökostrom über Nacht. Ohne elektrische Bummelei hätten wir "das bayerische Nizza", wie sich Aschaffenburg mutig nennt, wohl nie zu Gesicht bekommen.

Am nächsten Vormittag rauschten wir, gut ausgeruht, einer Schnellladestation auf der Raststätte Aurach Süd bei Erlangen entgegen. Mit Aircondition und einer Geschwindigkeit von 130 Kilometern verbraucht der kleine i3 allerdings sehr schnell viel mehr Energie als gedacht. Wir pendelten uns auf 110 Kilometer pro Stunde ein. Auf einer deutschen Autobahn 110 zu fahren, ist glatter Frevel. Es ist, als ob man auf einem Formel-1-Ring mit einem Eselskarren mitfahren will. Eines ist klar: Die deutsche Autoindustrie wird sich nicht so schnell für elektrische Autos begeistern, auch wenn BMW mit dem i3 als erster Hersteller ein rein als E-Car geplantes Vehikel gebaut hat, das zu 95 Prozent wiederverwertbar ist.

Für zwölf Kilometer sollten wir noch Strom haben, als wir vor der angepeilten Ladestelle hielten. Doch als wir rücklings einparkten, erstarrten wir wie einst Lots Frau zur Salzsäule. Beide Stecker, die uns auf den Apps versprochen worden waren -Type- 2-Wechselstrom mit maximal 43 Kilowatt und Combo-Gleichstrom mit 50 Kilowatt -, waren zugeklebt. Außer Betrieb. Nichts zu machen.

Bei allem Verständnis für die Theorie waren wir an eine praktische Grenze in Form eines Klebebands gestoßen. Aurach Süd war unser Waterloo. Wenn die Batterie leer ist, kann man nicht mit einem Kanister eine Notration holen gehen. Da nützten uns auch die gutgemeinten Ratschläge der spottenden Freunde auf Facebook nichts. Einer empfahl , unsere Mobiltelefone anzuzapfen. Ein anderer schlug vor, ein paar AAA-Batterien in der Raststätte zu kaufen. So lautlos, wie wir gekommen waren, zogen wir nach dem ersten Schock wieder ab. Diesmal aber im Schneckentempo . Denn je langsamer das E-Auto fährt, umso länger hält die Batterie. Auch wenn sie offiziell leer ist, gibt es noch eine zwei Kilometer dauernde Gnadenfrist, bevor man schieben muss. Knapp bevor uns dieses Schicksal ereilte, erreichten wir den BMW-Verkaufsladen von Herzogenaurach. Dort wurden wir freundlich empfangen, man ließ uns gratis Strom tanken, versorgte uns mit Kaffee und den Hund mit Wasser. Wir fühlten uns wie Pioniere, die Angestellten fragten uns mit Neugier und echtem Interesse aus. Im Mittelfränkischen kommen ja nicht ständig narrische Österreicher vorbei, die sich mit einem englischen Auto in den Osten durchschlagen wollen.

Nach dieser Panne wurden wir vorsichtiger. Wenn die Batterie 200 Kilometer Reichweite angibt, die dank Geschwindigkeit auf der Autobahn rascher schrumpft als gedacht, ist man gut beraten, alle 150 Kilometer einen Schnelllader anzusteuern -falls dieser dann nicht funktioniert, hat man noch einen Strompolster. Mit dieser Methode ging es langsam, aber sicher durch Süddeutschland. Nach einem Stopp bei BMW in Nürnberg mit hauseigener 50-Kilowatt-Station erwartete uns ein Hochleistungszapfer auf der Autobahnraststätte Oberer Bayerischer Wald mit dem freundlichen Spruch: "Hier werden Sie mit Spannung erwartet."

Und schon waren wir über die Grenze nach Österreich geströmt und fuhren über kleine Landstraßen langsam durch die goldene Abendsonne an den Traunsee. In der Tiefgarage in Gmunden gab es zwei Stecker: Einer war besetzt, der andere bot gerade mal elf Kilowatt -das ist gut für die Hoteliers und für müde Autofahrer, die ihren Kopf gerne über Nacht auf einen Polster legen.

Beim letzten Zwischenstopp vor Wien erlebten wir noch ein kleines, grünes Wunder. Schon beim Adidas-Outlet in Deutschland hatten wir in der Kundengarage e-Charger gefunden. Allerdings waren dies bloße Steckdosen, wie man sie oft auch in Parkgaragen findet. Das ist also mehr ein Gag, die meisten Kunden und Parker wollen ja nicht zehn Stunden bleiben. Kluge Supermarktketten aber stellen sich heute schon 50-Kilowatt-Säulen vor die Filialen. So wie Lidl im niederösterreichischen Wieselburg. Der Diskonter grenzt an die Fachhochschule für Marketing, Innovation und Nachhaltigkeit. Ein Paradebeispiel für alle drei Bereiche: Wer bei Lidl umsonst auf dem Parkplatz seine Autobatterie innerhalb von etwa 40 Minuten auflädt, geht in dieser Zeit dann auch in Ruhe einkaufen. Die Eigenkosten für Lidl belaufen sich pro Ladung auf wenige Euro. Die Stromkunden sparen rund 30 Euro. Auch Hofer hat diese Marketingchance entdeckt. Billa ebenso, dort lädt man aber nicht gratis.

Für den elektrischen Verkehr wird das Aufladen zu Hause sicher die interessanteste und logische Variante bleiben. Schließlich tankt es sich in der Nacht, wenn man selbst schläft, am besten. Für Kurzfahrten in Städten gibt es auch gute Infrastruktur, falls man in Büros oder Ballungszentren aufladen muss. In der EU sind seit 2011 150.000 elektrische Ladestationen entstanden. Deutschland nähert sich laut "European Alternative Fuel Observatory" 30.000 E-Zapfsäulen, die Niederländer haben demnächst 40.000, die Briten - brexitbedingt oder einfach, weil sie so altmodisch sind - nur 20.000.

Wovon wir bei unserem privaten E-Brexit im Juni 2019 noch profitieren konnten: Wenige elektrisierte Autofahrer trauen sich überhaupt auf Autobahnen und in den Langstreckenverkehr. Nicht auszudenken, wenn E-Cars mehr Zuspruch fänden. Eine Schlange an der E-Zapfsäule wäre viel zeitintensiver als an einer Benzin-Tankstelle.

Davon ist Zentraleuropa aber noch weit entfernt. In Österreich gibt es Apps der Landesenergieversorger, die im Bundesverband Elektromobilität BEÖ zusammengeschlossen sind. Sie sind mit der Verbund-Tochter Smatrics kompatibel. Zusammen haben die Unternehmen zwischen Wien und Bregenz immerhin 3500 öffentliche Ladepunkte. 250 davon haben High-Speed mit Strom aus 100 Prozent Wasserkraft.

Die österreichischen Apps zeigen bisher allerdings nur inländische Zapfsäulen an und kommunizieren nicht mit ausländischen -etwa jenen im fernen Deutschland, geschweige denn mit niederländischen oder britischen. Das macht den Grenzverkehr zu einer besonderen Herausforderung. Die Infrastruktur der E-Mobilitätsindustrie steckt eindeutig noch in den Kinderschuhen.

Vor den Toren Wiens schoben wir den kleinen Stromer noch an, um den letzten Hügel zu meistern. Allerdings nur zum Scherz und für die Fotos. Glücklicherweise.

Tessa   Szyszkowitz

Tessa Szyszkowitz