E-Control-Chef: „Wir kommen auch ohne russisches Gas aus“
Wolfgang Urbantschitsch, Chef der Regulierungsbehörde E-Control, über den drohenden Gaslieferstopp, Interessenkonflikte bei den Landeshauptleuten und warum er es als Auszeichnung empfindet, wenn die Politik seine Behörde außen vor lassen will.
Die OMV warnte zuletzt, Russland könnte sehr bald die Gaslieferungen nach Österreich einstellen. Ab Jänner 2025 läuft zudem die Transitvereinbarung aus, die Gas über die Ukraine liefert. Haben Politik und Versorger ausreichend vorgesorgt?
Urbantschitsch
Ja. Wir haben heuer erstmals bei den Gasversorgern abgefragt, wo sie das Gas beschaffen. Diese Erhebung hat ergeben, dass circa 56 Prozent der zum Stichtag 31.1.2024 für das Lieferjahr 2024 beschafften Mengen auf der Basis von bilateralen Verträgen beschafft wurden und die Vertragspartner nationale und internationale Erdgashändler sind. Von staatlicher Seite gibt es die strategische Gasreserve, die etwa 20 Prozent des heimischen Bedarfs entspricht. Auch viele Unternehmen haben Gas gespeichert.
Heißt das, wir müssen keine Engpässe fürchten, auch wenn russische Gaslieferungen ausbleiben?
Urbantschitsch
Wir kommen selbst dann gut durch den kommenden Winter. Wichtig ist aber, dass man am Ende der Wintersaison die Gasspeicher wieder füllt. Das setzt unter anderem voraus, dass wir stets sparsam mit Energie generell und im Speziellen mit Gas umgehen. Unter diesen Voraussetzungen sollte die Versorgung auch für den Winter 2025/26 sichergestellt sein.
Der Verbrauch von Strom und Gas ist im vergangenen Jahr in Österreich deutlich gesunken. Kann man daraus schließen, dass wir in Sachen Energiewende auf einem guten Weg sind?
Urbantschitsch
Prinzipiell sind wir auf einem guten Weg. In der Stromproduktion liegen wir bei über 80 Prozent erneuerbarer Energie. Und es gibt noch weiteres Potenzial. Nachholbedarf haben wir aber bei der Raumwärme. Da ist es ja deklariertes Ziel, aus dem Gas auszusteigen. Der Gasverbrauch ist vor allem wegen der hohen Temperaturen im Winter gesunken. Zudem kamen Gaskraftwerke weniger zum Einsatz, sie wurden durch Photovoltaik- und Windkraftanlagen ersetzt. Und natürlich hatte auch die Rezession Auswirkungen: Haushalts- als auch Industriekunden haben wegen der hohen Preise Energie eingespart. Das ließ den Gasverbrauch im Vergleich zu von vor zwei Jahren um 19 Prozent sinken.
Österreich hat zum ersten Mal seit 20 Jahren mehr Strom exportiert als importiert. Liegt das an der Sparsamkeit oder an höheren Kapazitäten?
Urbantschitsch
Zum einen wurde teilweise tatsächlich weniger Strom aus dem öffentlichen Netz bezogen, weil es mittlerweile sehr viele Photovoltaik-Anlagen gibt. Der dort produzierte Strom wird direkt verbraucht. Durch den Ausbau von Photovoltaik und Windkraft haben wir mittlerweile Zeiten, in denen wir einen Überschuss produzieren – gerade an sonnenreichen Tagen, wenn der Verbrauch geringer ist, wie zuletzt etwa zu Ostern oder in den Mai-Feiertagen. Dieser Strom geht in den Export. Aber er wird auch dazu verwendet, Wasser in die Speicherseen hinaufzupumpen und so Strom zu speichern. Tatsächlich haben wir eine gänzlich neue Situation, die mit einer ungeheuren Dynamik gekommen ist und die es nun technisch und wirtschaftlich zu bewältigen gilt.
In Oberösterreich hat die Energie AG 20.000 Kundinnen und Kunden die PV-Einspeiseverträge gekündigt, um ihnen anschließend Verträge mit Minimaltarifen anzubieten. Ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?
Urbantschitsch
Es ist nicht überraschend, dass es dazu gekommen ist. Wenn Sie sich anschauen, wie sich der Marktpreis entwickelt hat, dann sieht man, dass dieser im Unterschied zum letzten Jahr deutlich nach unten gegangen ist. Aber auch hier gilt: Preise zu vergleichen, ist immer eine gute Idee.
E-Control-Chef Urbantschitsch mit profil-Redakteurinnen Christina Hiptmayr und Franziska Dzugan (online zugeschalten).
Es gibt immer wieder Klagen, dass die Netzbetreiber Kunden mit Photovoltaik-Anlagen die Einspeisung beschränken oder sogar verunmöglichen. Sind die Energieunternehmen hier säumig?
Urbantschitsch
Man muss schon anerkennen, dass die Netzbetreiber in den vergangenen Jahren einiges gemacht haben. Aber auch sie waren, wie viele andere im Land, überrascht von der Dynamik der Entwicklung. Um das mit einer Zahl zu illustrieren: Allein 2023 sind 140.000 neue PV-Anlagen ans Netz gegangen. Es ist schon beeindruckend, dass es technisch möglich war, diese Anlagen ans Netz zu bringen. Sie haben eine potenzielle Erzeugungsleistung von rund 2,3 Gigawatt. Zum Vergleich: Alle österreichischen Donaukraftwerke haben ungefähr die gleiche Leistung, sind aber für den Netzbetrieb viel besser planbar, weil sie im Unterschied zu PV-Anlagen, die ja nur bei Sonne produzieren, konstant das ganze Jahr Strom aus Wasserkraft erzeugen. Aber bei den Netzbetreibern gibt es natürlich Aufholbedarf auf allen Ebenen. Auf der einen Seite bei den Verteilnetzen, die zu den Haushalten führen – damit man noch mehr PV anschließen kann. Zum anderen brauchen wir auch die großen Leitungsverbindungen. Beispielsweise erzeugt die Windkraft im Nordburgenland sehr viel Strom, aber dort wird er nicht gebraucht. Das heißt, es braucht Leitungen zu anderen Verbrauchern oder zu Pumpspeicherkraftwerken.
All das kostet sehr viel Geld. Werden dadurch die Netzentgelte für Konsumentinnen nicht enorm steigen?
Urbantschitsch
Diese Investitionen werden über viele Jahre abgeschrieben. Das heißt, sie werden nicht sofort in vollem Umfang für die Kundinnen und Kunden wirksam. Aber ja, die Netztarife werden steigen.
Haben Sie eine Einschätzung, um wie viel?
Urbantschitsch
Im vergangenen Jahr sind die Netzentgelte für einen durchschnittlichen Haushalt um circa 30 Euro pro Jahr gestiegen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es in diesem Ausmaß weitergeht.
Das Netzentgelt legen ja Sie beziehungsweise die E-Control fest.
Urbantschitsch
All das, was der Netzbetreiber in effizienter Weise macht, um seinen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, ist kostenmäßig anzuerkennen. Da sie Monopolisten sind, unterliegen sie der behördlichen Aufsicht durch die E-Control. Die Netzbetreiber werden von uns auch miteinander verglichen und bekommen gegebenenfalls Zielvorgaben, damit sie effizienter werden.
Unsere Beratungsstelle ist seit dem Jahr 2022 ganz massiv in Anspruch genommen worden. Wegen der Preissteigerungen und wegen Fragen zur Versorgungssicherheit. Die Zahlen haben sich vervielfacht.
Wolfgang Urbantschitsch
E-Control
Ist die E-Control-Schlichtungsstelle seit dem Ukrainekrieg aufgrund der Verwerfungen am Energiemarkt stärker gefordert?
Urbantschitsch
Unsere Beratungsstelle ist seit dem Jahr 2022 ganz massiv in Anspruch genommen worden. Wegen der Preissteigerungen und wegen Fragen zur Versorgungssicherheit. Die Zahlen haben sich vervielfacht. Viele Anfragen hängen aber auch mit der Kommunikation der Energieunternehmen zusammen, die selbst von Hunderttausenden Anfragen überrollt wurden, die sie nicht mehr abarbeiten konnten. Das lag aber auch daran, dass die Konsumenten mit den übermittelten Informationen über Preisänderungen, Preisanpassungsklauseln und dergleichen überfordert waren. Deswegen haben wir vor gut einem Jahr einen Forderungskatalog an die Energiewirtschaft gerichtet, in dem es insbesondere um die Verbesserung der Kommunikation geht. Es muss den Menschen klar sein: Wie viel zahlen sie für die Kilowattstunde? Warum ändert sich der Preis?
Die Energieversorger argumentieren, dass die komplizierte Kommunikation den gesetzlichen Vorgaben geschuldet sei.
Urbantschitsch
Es ist richtig, dass es eine ziemlich große Zahl an Vorgaben gibt, was den Kundinnen und Kunden alles mitzuteilen ist. Aber es steht in keinem Gesetz, dass dies besonders kompliziert sein muss. Niemand hindert die Unternehmen daran, beispielsweise auf der ersten Seite die maßgeblichen Informationen zusammenzufassen. Menschen, die mehr wissen wollen, blättern weiter. Im Telekommunikationsbereich etwa ist das gang und gäbe.
Im Zuge von Teuerung und Energiekrise wurde der E-Control vorgeworfen, zu unternehmensfreundlich zu agieren, anstatt sich für die Konsumentinnen einzusetzen.
Urbantschitsch
Wir haben sehr viele Maßnahmen gesetzt, um die Kundinnen und Kunden zu unterstützen. Neben den Beratungstätigkeiten haben wir auch sehr viel an Transparenz in den Markt hineingebracht. Wir haben uns mit der Bundeswettbewerbsbehörde zusammengetan und eine Taskforce eingerichtet, um den Markt genauer zu untersuchen. Ich schließe nicht aus, dass es noch weitere Maßnahmen vonseiten der BWB und der E-Control geben wird.
Die Preisunterschiede zwischen den verschiedenen Fernwärme-Anbietern sind enorm. Es ist sehr überraschend, wie viel mehr an manchen Orten im Vergleich zu anderen gezahlt werden muss. Das zeigt auf, dass hier ein Handlungsbedarf besteht.
Wolfgang Urbantschitsch
E-Control
Wirklich etwas weitergebracht haben aber Arbeiterkammer und Konsumentenschutz mit ihren Klagen gegen diverse Anbieter, wo dann die eine oder andere Preiserhöhung durch die Gerichte für unzulässig erklärt wurde. Sie haben damals argumentiert, dieses Urteil würde dazu führen, dass der Strom dann hauptsächlich ins Ausland verkauft werden würde. Sehen Sie das heute anders?
Urbantschitsch
Wir können ausschließlich die Netztarife festsetzen, aber nicht die Energiepreise. Es ist sehr wichtig, dass solche Rechtsfragen über den Verein für Konsumenteninformation oder andere an die Gerichte herangetragen werden. Der E-Control kommen solche Klagsmöglichkeiten nicht zu. Ich habe damals die Befürchtung geäußert, dass sich manche Unternehmen vom Endkundenmarkt zurückziehen könnten und sich auf den Großhandelsmarkt beschränken würden. Im Augenblick gibt es dafür keine Indizien. Der Wettbewerb ist wieder in Gang gekommen. Und ein funktionierender Wettbewerb ist das beste Mittel, damit die Preise wieder nach unten gehen.
Beschwerden über zu hohe Preise und Intransparenz gibt es auch immer wieder bei den Fernwärmeanbietern. Dort hat man es mit Monopolisten zu tun, die offenbar verlangen können, was sie wollen. Die Regierungsparteien wollten, dass die E-Control auch in diesem Bereich kontrolliert. Für eine entsprechende Gesetzesänderung war jedoch die SPÖ nicht zu haben. Deshalb sind nach wie vor die Länder mit der Kontrolle beauftragt. Wollte die SPÖ die Gesetzesänderung nicht, weil sie das Sagen über die Preisgestaltung bei der Wien Energie nicht aufgeben wollte?
Urbantschitsch
Darüber kann man nur spekulieren. Bei der Regulierung durch die Landeshauptleute kann es natürlich zu Interessenkonflikten kommen, weil die regulierten Unternehmen teils im Eigentum des Bundeslandes stehen. Die Gesetzesinitiative hätte hier eine Kontrolle vorgesehen. Am Ende ist herausgekommen, dass das Energieministerium jemanden beauftragen kann, aber nicht die E-Control. Die Energieagentur hat nun im Auftrag des Ministeriums eine Preisdatenbank erstellt, aus der man herauslesen kann, dass es enorme Preisunterschiede zwischen den Anbietern gibt. Es ist sehr überraschend, wie viel mehr an manchen Orten im Vergleich zu anderen gezahlt werden muss. Das zeigt auf, dass hier ein Handlungsbedarf besteht. Ich habe es als Auszeichnung gesehen: Wenn man hier die E-Control als Regulierungsbehörde nicht haben will, dann zeigt das wohl, dass wir unsere Arbeit richtig machen.
Das ist die gekürzte und aktualisierte Fassung der aktuellen Folge von „Vorsicht, heiß!“, dem profil-Klimapodcast.