ESG soll Geldströme verschieben
Vom 1. Bezirk Wiens geht es knapp hinter den Gürtel in den 15., wo in einer kleinen Seitengasse das Boutiquehotel Stadthalle von Michaela Reitterer liegt. Einige Zimmer sind mit Vorhängen geschmückt, die die sozialen und Entwicklungsziele der UNO (SDG) zeigen. Obwohl ihr Hotel nicht von der neuen Berichtspflicht betroffen ist, sieht Reitterer darin eine Chance. Wie das? „Auch für kleinere Hotels ist das toll. Wir können belegen, dass wir Green Meetings organisieren können, und die erforderlichen Zahlen liefern. Hier überholen die Schnellen die Langsamen, nicht die Großen die Kleinen“, sagt Reitterer. Aktuell verschafft es ihr einen Wettbewerbsvorteil, Daten liefern zu können und zertifiziert zu sein.
Die Idee dahinter: Umweltberichte sollen nicht länger nur hübsches Beiwerk mit grünen Baumbildern sein, sondern Vorstände zur Verantwortung ziehen und Finanzströme langfristig umlenken. Die von der EU-Kommission vor zwei Jahren verabschiedete Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) tritt nächstes Jahr in Kraft für Unternehmen, die zwei der drei Kriterien erfüllen: 50 Millionen Euro Umsatz, 25 Millionen Euro Bilanzsumme und mindestens 250 Mitarbeiter. Dabei geht es nicht nur um die ökologischen Auswirkungen der Unternehmen, sondern auch um Klimarisiken wie Hitzewellen, die das Geschäftsmodell treffen könnten. Diese Berichte erinnern an das heuer verabschiedete Lieferkettengesetz. „Die beiden überschneiden sich teils. Der Fokus bei der Berichterstattung liegt aber direkt auf dem Unternehmen statt auf der gesamten Lieferkette“, sagt Ökonomin Birgit Meyer vom Wirtschaftsforschungsinstitut.
„Danke, noch mehr Bürokratie“
Ein Manko hat die Geschichte aber noch: Österreich hat die EU-Richtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt. Dennoch bereiten sich viele Unternehmen vor, wie Berater Karl Resel von der EY-Denkwerkstatt mitbekommt. Er sieht die ESG-Berichte ambivalent: „Die Standards beinhalten zentrale Nachhaltigkeitsaspekte. Es ist wichtig, sich mit dem eigenen CO2-Abdruck auseinanderzusetzen, aber der Detailgrad der Offenlegungspflicht ist intensiv gestaltet.“
Die Kritik vieler Unternehmen lautet, sarkastisch formuliert: „Danke, noch mehr Bürokratie.“ Tatsächlich basieren viele Maßnahmen des Green Deals auf mehr Berichterstattung, Nachweisen und Papier. Sie brauchen Arbeitskraft, produktiv bringen sie allerdings wenig. Außer für Beratungsagenturen, die sich genau mit diesem Themenbereich beschäftigen und jetzt ihre Teams vergrößern.
Daher scheint die umgedrehte Fragestellung relevant: Es ist wichtig, dass wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft umweltfreundlicher gestalten. Wie soll das aber gelingen, ohne dabei mehr Bürokratie zu schaffen? Der Green Deal nutzt vor allem Geld als Hebel. Wo es genau ausgegeben wird, muss genau dokumentiert werden. Wie ginge das anders?
NGOs räumen nicht hinter Unternehmen auf
Eine so nicht ganz erwartete Nebenwirkung der ESG-Verordnung könnte ausgerechnet Wohltätigkeitsorganisationen zu Profiteuren der Berichtspflicht machen. Die Tafel Österreich, die Lebensmittel rettet und diese Bedürftigen zur Verfügung stellt, sieht ein Potenzial, wie Geschäftsführerin Alexandra Gruber erklärt: „Die Zusammenarbeit von NGOs, Institutionen und Unternehmen wird sich ändern. Heute müssen Firmen eine ganzheitlichere Denkweise entwickeln.“ Dass Unternehmen ihr ökologisches oder soziales Gewissen auslagern, sorge sie nicht. „Nachhaltigkeitsberichterstattung verändert die Spielregeln und erschwert Greenwashing erheblich.“
Diesen Vorwurf will auch Sacher-Chef Matthias Winkler vermeiden. Auf der Karte des Edelhotels steht bereits ein veganes Schnitzel: „Es ist beliebter, als wir dachten; jedes 20. Schnitzel, das wir servieren, ist vegan.“ Allerdings muss Winkler auch berichten, wie seine Gäste anreisen – mit dem Auto, Flugzeug oder Zug. Und hier ist ein Knackpunkt: „Das Verhalten unserer Kunden und Gäste zu beeinflussen, ist am schwierigsten. Wir wollen nicht verbieten, sondern Alternativen anbieten.“ Aber zumindest eine vegane Sachertorte ist bereits in Planung.